RootZ Bilder – Harald Naegeli: Ich mach’ in Fresco – Ein Gespräch mit Harald Naegeli, dem Züricher Sprayer

Harald Naegeli:
„Ich mach‘ in Fresco“


Ein
Gespräch mit Harald Naegeli


dem
„Züricher Sprayer“


Köln
1984

 

Mit seinen bizarren Figuren
und Zeichen hat er schmerzhafte Keile in die öde Phalanx unserer Betonmauern
getrieben, ein lange anonym gebliebener Einzelkämpfer, der mit seiner
vergleichsweise harmlosen Waffe, der Sprühdose, die scheinheiligen
Fassaden der Selbstzufriedenheit ankratzt. Aber weil einem versteinerten
System nichts gefährlicher erscheint, als die Risse subversiver Phantasie,
verurteilte das Züricher Kantonsgericht den mühsam enttarnten
Sprayer Harald Naegeli wegen Sachbeschädigung zu 9 Monaten Haft, damit
ihm die Kreativität gehörig ausgetrieben werde. Obwohl es inzwischen
schon Gegenmittel gibt (z.B. mit dem eindeutigen Namen „Vandal-ex“), die
die Farbschicht beseitigen, behaupten die Züricher Richter stur das
Gegenteil. Harald Naegeli, der nicht ins Gefängnis ging, wurde inzwischen
in der Bundesrepublik verhaftet, über die Auslieferung steht eine
Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus. Die Rechtslage ist verzwickt:
obwohl in der Bundesrepublik das Sprühen mit Farbe nicht als Sachbeschädigung
bestraft wird, ist im Auslieferungsverfahren das deutsche Gericht formal
an die Tatsachen-Festellungen des ausländischen gebunden, sodass keine
materielle Nachprüfungsmöglichkeit besteht. Auf deutsch: Weil
für die Schweizer Sprayen strafbar ist, müssen die Deutschen
ausliefern. Inzwischen wurde Naegeli gegen Kaution vorläufig auf freien
Fuß gesetzt. Wir trafen ihn in seinem karg möblierten Appartement
in der Düsseldorfer Altstadt. Einmal im Gespräch, verstiegen
wir uns nicht in kunsthistorische Deutungen seiner Zeichen (das hänge
ihm auch zum Hals raus, wehrte er ab), sondern uns interessierte besonders
sein politisches Selbstverständnis, immer noch Motiv seiner unkonventionellen
und oft nachgeahmten künstlerischen Arbeit.

Deine Graffiti, mit denen
Du Dich gegen die Betonkultur der modernen Großstädte wendest,
der Kontrast zwischen Deinen archaischen Motiven und den einförmigen,
gestaltlosen Zementburgen, dies alles weist auf deinen politische Ansatz
hin. Wie würdest Du Dich selbst definieren?

Harald Naegeli: Ich bin Schweizer
Staatsbürger, leider, und die Auseinandersetzung mit der Schweiz bedeutet
eine Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus in diesem Land. Das heißt,
man muss sich darüber klar sein, dass die Schweiz sich schon and den
beiden Weltkriegen bereicherte und heute in einem nicht vergleichbaren
Ausmaß an der Dritten Welt schmarotzt. Alle diese Fluchtkapitalien,
die in Schweizer Banken lagern, deuten auf diese Schuld hin, und selbstverständlich
ist jeder Staatsbürger Nutznießer dieser Kapitalien in irgendeiner
Form. Meine Zeichen in der Zeit von 1977-79 waren ein erster stummer Aufstand.
Und ich glaube, dass der Aufschrei der Jugend in der Schweiz ebenfalls
die Äußerung eines tiefsitzenden Unbehagens gegenüber dieser
gesellschaftlichen und politischen Situation war. Und ebenso wie die Jugendrevolte
zusammengeknüppelt wurde, sind alle meine Zeichen ausgelöscht
worden.

Den Zusammenbruch der Bewegung
verursachte aber wohl nicht nur allein der äußere Druck, sondern
auch das Fehlen organisatorischer Strukturen?

Harald Naegeli: Es mag gut
sein, dass der Mangel and Organisationsfähigkeit, die Lebensfähigkeit
der Bewegung eingeschränkt hat, aber ich glaube, es geht um etwas
viel Grundsätzlicheres. Auch eine gesellschaftlich gebilligte Parteistruktur
hätte in dieser Hinsicht keine Überlebenschancen gehabt, weil
nämlich das Bürgertum alles tut, um jede Opposition, jede Formulierung
von Widerstand zu unterdrücken.


 

Du hast dich bisher nicht
in den Kulturbetrieb eingeordnet und  versuchst weiterhin, Deine politische
Aussage in eine schwer zu vereinnahmende und zu vermarktende Form zu bringen.
Würdest Du Dich als moderner „Barrikadenkämpfer“ der Kunst sehen?

Harald Naegeli: Meine Anliegen
war, eine sehr große Öffentlichkeit zu erreichen, und das geht
nur im urbanen Kontext, nicht anders. Es gibt natürlich Ausstellungen
in Museen, aber das ist gesellschaftlich abgesichert und kann viel eher
missbraucht werden als im öffentlichen Raum.

Du hast Dich ja nun nie in
der Öffentlichkeit vorgestellt und im Verborgenen gearbeitet, das
heißt auch: isoliert von direkten Reaktionen, von Kritik oder Zuspruch.
Was hat das für dich bedeutet?

Harald Naegeli: Dass das
nicht möglich ist, gehört zu meinem Selbstverständnis, nämlich
dass die Person zurück- und die Aussage in den Vordergrund tritt.
Ich hatte damit in Zürich nie Probleme, weil ich mich ja ganz leicht
mit meinen Arbeiten identifizieren kann.

Hat sich Dein Verhältnis
zum Kulturbetrieb inzwischen verändert? Früher hast Du Dich z.B.
in dieser Hinsicht recht kritisch mit Beuys auseinandergesetzt, der Dich
aber gerade in der jetzigen Situation wohl sehr stark unterstützt?

Harald Naegeli: Beuys hat
sich ungeheuer für mich eingesetzt, z.B. hat er mir gestern noch am
Telefon gesagt, er werde sein ganzes Leben lang nie mehr in der Schweiz
ausstellen, falls ich wirklich ausgeliefert werden sollte. Für mich
ist Beuys nach der Auseinandersetzung mit seinem Werk und seiner Person
wohl die Kristallisationsfigur in Deutschland. Und er zeigt auf, was trotz
der Schuld des 2. Weltkriegs noch an Spiritualität und Phantasietätigkeit
wirklich ist. Deshalb ist Beuys für Deutschland eine einmalige Visitenkarte,
die Vermarktung ist natürlich ein Problem, weil sie die ideellen Aspekte
beschneidet. Und er hat ja seine eigene Theorie, er lehnt den Kapitalbegriff
ja nicht rundweg ab, er spricht von einem Kapitalbegriff der Kunst und
definiert Kunst=Kapital. Es ist ganz klar, dass da ein anderes Kapital
gemeint ist, als das in den Schweizer Banken. Ich habe früher einmal
gedacht, ich könnte Beuys Vorwürfe machen, nur weil er viel Geld
hat, aber das ist natürlich absurd. Beuys ist selbstverständlich
kein Kapitalist im gewöhnlichen Sinne, nur weil er ein vermögender
Mann ist. Das was er zu zeigen hat, ist Ausdruck einer immensen Spiritualität
und Humanität.

Hast Du Deine eigene Haltung
auch geändert?


Zum Beispiel hat die Stadt
Osnabrück Dir vor einem Jahr angeboten, die städtischen Gebäude
mit Spraybildern zu schmücken. Das hast Du abgelehnt. Inzwischen hast
Du einen Lehrauftrag in Wiesbaden für das Wintersemester angenommen.
Wird der Sprayer jetzt institutionalisiert?

Harald Naegeli: Meinst Du
einen Mechanik, mit der der Staat so einen Wildfang wieder unter die Fittiche
nimmt? Für mich ist dieser Lehrauftrag in erster Linie ein weiteres
Mittel gegen die drohende Auslieferung. Ich sehe das als eine Geste von
Kulturvertretern in Deutschland, nur werden alle diese Zeichen in der Schweiz
völlig ignoriert. Ich meine, die Schweiz ist derart verbiestert und
ihre Gesellschaft ist derart verbockt, dass sie nicht einmal diese überdeutlichen
Zeichen realisieren.

Erscheinen Dir die Zustände
in der Bundesrepublik liberaler?

Harald Naegeli: Unvergleichbar!
Man kann natürlich auch nicht sagen, dass in der Schweiz nur Dummköpfe
herumgeistern, aber die Intelligenz in der Bundesrepublik ist einfach mächtiger
als in der Schweiz, es wird viel leidenschaftlicher politisch diskutiert,
und nicht zuletzt aufgrund einer sehr problematischen Vergangenheit sind
die Intellektuellen hier gezwungen, sich mit ihrem Erbe zu beschäftigen
und das Schulproblem zu diskutieren. Aber davon ist in der Schweiz keine
Rede. Da herrscht eine unerträgliche Selbstzufriedenheit, die jede
Kritik schon als solche für  verdächtig hält.

Willst Du – schlagwortartig
– politischer Aktionist mit künstlerischen Mitteln bleiben?

Harald Naegeli: Ja, ich sehe
mich in erster Linie so, wie Du das definiert hast. Aber gerade diese politische
Dimension, die meine Arbeit hat, die wird radikal unterschlagen und auf
etwas Kriminelles beschränkt. Das, was ich unter Politik verstehe,
ist etwas andres als die verbale Kritik an einem Gegenstand, nämlich
politische Konstruktion. Ich glaube, dass der bloße Vortrag von Kritik
nicht mehr genügend provozieren kann. Wenn man dagegen zu einer Ideologie
– die drückt sich z.B. auch in der Verbetonierung der Städte
aus – ein Gegenbild, etwas Konstruktives, formulieren kann, so ist das
ungleich subversiver.

Das hat sich ja überdeutlich
in den Reaktionen der Schweizer Justiz gezeigt.

Harald Naegeli: Die Heuchelei
der Schweizer Justiz besteht darin, dass sie – wie wahrscheinlich jede
Justiz der Welt – mit unterschiedlichen Ellen misst. Das heißt, die
eigentlichen Verbrecher, die Wirtschaftskriminellen, die es in der Schweiz
in Massen gibt, werden von der Justiz reingewaschen, oder wenn es einmal
vor der Öffentlichkeit nicht anders geht, zu Minimalstrafen verurteilt,
Diese Justiz hat mich aus politischen Gründen verurteilt, nämlich
weil ich mit beispielloser Konsequenz und Härte die Züricher
Bevölkerung in ihrem Glauben and die Unverletzbarkeit ihres Eigentums
erschüttert hätte – obwohl das laut demokratischer Rechte jedermann
darf.

Die Solidaritätswelle
gilt aber wohl in erster Linie dem Künstler Harald Naegeli, nicht
Deinem politischen Engagement?

Harald Naegeli: Das wird
wohl so sein, wie Du sagst. Meiner Meinung nach ist aber Kunst grundsätzlich
eine politische Äusserung nur wird diese politische Dimension von
der Gesellschaft immer niedergehalten.


 

Man hat ja auch schon Mauern
mit Deinem Sprühbildern in Museumshallen geschleppt und ausgestellt…


Aber eben nur im Hinblick
darauf, dass es Kunst ist und nicht Politik. Wie war das eigentlich früher,
hast Du immer die Sprühdose dabeigehabt, oder hattest Du verschiedene
Identitäten?

Harald Naegeli: Das war ganz
einfach: tagsüber war ich normaler Bürger, nachts Aktionist.

Man hat lange gebraucht,
um Dich zu fassen und hat regelrecht Jagd auf Dich gemacht.

Harald Naegeli: Ja, ich habe
in der Dunkelheit gearbeitet und immer sehr schnell, in ein paar Sekunden…

Auch bei einem großen
Bild?

Harald Naegeli: Ja, sicher.
In Köln habe ich dann z.B. auch am Tage gesprüht. Ich habe mich
so mit dem Mantel vor die Wand gestellt, als ob ich pinkeln müsste,
und dabei habe ich dann gesprüht. Die Leute, die vorübergingen,
haben nichts davon bemerkt.

Was hast Du hauptsächlich
tagsüber gemacht?

Harald Naegeli: Ich habe
mich mit Psychologie beschäftigt und natürlich mit Kunst.

Zurück in die Gegenwart.
Du mußt mit Deiner Auslieferung und 9 Monaten Gefängnis rechnen.

Harald Naegeli: Schon diese
drei Wochen in Lübeck waren praktisch unerträglich, weil in der
Haft eine vollständige Auslöschung der Person stattfindet. Das
ist so eine absolute geistige und körperliche Umklammerung durch die
Zelle, die menschliche Demütigung, dass keiner das überstehen
kann, ohne Schaden zu erleiden. Jeder, der geistig beweglich ist, versucht
natürlich einen Widerstand zu formulieren, und das kann er  nur
innerlich. Man muss sich nach außen völlig anpassen und den
Widerstand verinnerlichen. Für mich heißt das, ich habe unausgesetzt
das Gitter aus Beton zertrümmert. Ich habe die Mauern draußen
gesprengt – mit dem Kopf natürlich. Diese innere Geste ist eine Überlebensgeste,
um nicht vollkommen vom Gefangensein vereinnahmt zu werden. Nach ein paar
Tagen bracht mir u.a. der Gefängnis-Geistliche Papierbögen zum
Sprayen, aber ich habe ihm den Gefallen nicht getan, stattdessen die Zellenwand
besprüht und gesagt: „Ich mach‘ in Fresko.“ Als ich entlassen wurde,
musste ich 28,50 DM Reinigungskosten bezahlen, obwohl das Zeichen noch
nicht entfernt war. Aber die wollten wohl sicher gehen.

Wirst Du auch in Zukunft
mit der Spraydose arbeiten?

Harald Naegeli: Es geht jetzt
vor allem um die Auseinandersetzung mit meinen Bildern und ihren Konsequenzen.
Das wird eine Zeitlang dauern. Nach dieser Verarbeitung kann ich dann ja
wieder zum Bild kommen, ob das wieder mit Sprayaktionen ist oder mit etwas
anderem, kann ich jetzt nicht beurteilen. Aber die politische aussage wird
weiterhin für mich im Vordergrund stehen.

Wirst Du wieder in der Schweiz
leben wollen?

Harald Naegeli: Nein, ich
weigere mich sogar, die Sprache zu sprechen. Unter die Schweiz habe ich
einen Schlussstrich gezogen. Ich möchte gern in der Bundesrepublik
bleiben.


 

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