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Kiffern Eigentlich wollten die Hippies aus Eugene (Oregon) ja nur ein bisschen kiffen, das Bewusstsein mit chemischen Hilfsmitteln erweitern, Spaß haben und nebenbei eine alternative Schule mit prekärer finanzieller Basis unterstützen. Das war 1969. Im Prinzip ist es auch heute noch so. Die Oregon Country Fair, ein Kleinkunst- und Kunsthandwerkermarkt, hat dieses Jahr zum 38. Mal das Festival-Gelände nahe des Örtchens Veneta in eine Bühne für Selbstdarsteller verwandelt. Heute ist die Fair offiziell drogenfrei, berichtet die Kulturanthropologin Wiebke Fleischhauer-Courtright. Doch sobald die Besucher abends weg sind, “wird im Camp gekifft und manche nehmen auch LSD: Für viele ist das Festival eine Möglichkeit, das Sixties-Gefühl noch einmal auszuleben.” Und das manchmal wochenlang. Denn, die Fair im Juli dauert zwar nur drei Tage, doch viele Händler und Kleinkünstler reisen schon Wochen vorher an. Fleischhauer hat im Februar ihre Magisterarbeit mit dem Titel “Oregon Country Fair – Idee und Kontinuität einer Community” an der Goethe-Universität Frankfurt am Main vorgelegt. 2005 und 2006 besuchte sie das Festival und blieb im vergangenen Jahr bis November im Nordwesten der USA, um die rund um das Festival entstandene Gemeinschaft zu erforschen, die “das ganze Jahr über im Geiste des Festivals lebt”. Oregon Country Fair Das Festival findet jedes Jahr am Wochenende nach dem 4. Juli statt – und zwar in Veneta, Oregon. Auf mehreren Bühnen spielen drei Tage lang Bands. Ein Kunsthandwerkermarkt und dutzende Kleinkünstler runden das Angebot ab. Die Fair will laut Website “Ereignisse und Erfahrungen schaffen, die den Geist nähren, die helfen, herauszufinden, wie es sich kunstvoll und authentisch auf Erden leben lässt und die Kultur auf magische, fröhliche und gesunde Weise transformieren”. Politisches Bekenntnis Wer im Supermarkt das aktuelle Fair-T-Shirt trägt, das nur die aktiven Helfer bekommen, legt laut Fleischhauer ein Bekenntnis ab. Auch ein politisches. “Die Fair-Family steht für ökologische Standards für einen alternativen Lebensstil, für Frieden.” Viele schmückten auch ihre Autos mit den Festival-Stickern, “und outen sich so als linke Öko-Hippies, als gesellschaftlich interessiert und engagiert”. Die 29-Jährige sucht nach Worten, dann winkt sie ab und grinst: “Peace, Love & Hippieness halt.” Flatterkleider, lange Haare, freie Liebe und immer viel Gras. Das Festival wurde zum stetig wachsenden Selbstläufer mit Kunsthandwerkern, Jongleuren, Musikern, Kabarettisten und alternativen Händlern. Wie es sich für ein anständiges Hippie-Fest gehört, spielte auch die Rockband Grateful Dead fürs bewusstseinserweiterte Publikum, 1972 und 1982. Auch der Schriftsteller Ken Kesey, dessen Familie die beiden Konzerte der beliebten Live-Band um Jerry García subventionierte, war kurz vor seinem Tod 2001 noch mal zu Gast. Inzwischen lockt die Oregon Country Fair an jedem der drei Veranstaltungstage zwischen 16 000 und 18 000 Besucher an. Ein Hippie-Projekt als Mega-Event? Fleischhauer lächelt ein bisschen über das “Spannungsfeld zwischen Idee und Wirklichkeit: Ich habe das in einem Kreislaufdiagramm veranschaulicht: Eine Gruppe mit einer besonderen Idee spaltet sich von der Gesellschaft ab. Doch die Idee alleine bindet Victor Turner zufolge Menschen nicht an eine Gemeinschaft. Erst mit Kontinuität und Wiederholung kommt es zu einer Stabilisierung. Doch damit und mit der zunehmenden Größe entwickelte sich die lose Gemeinschaft der Anfangszeit – die community of equals – und legte sich eine gesellschaftliche Struktur zu, ähnlich jener, zu der man ursprünglich eigentlich einmal eine Alternative bieten wollte.” Um den Andrang zu bewältigen, ist eine gigantische Infrastruktur nötig. 700 Kunsthandwerkerbuden und mehr als 50 Essensstände werden jedes Jahr aufgebaut. Rund 80 Teams, von der Arzt-Crew bis zur Müll- und Küchen-Crew sichern den reibungslosen Ablauf und sorgen dafür, dass auch die hohen, selbst auferlegten ökologischen Standards eingehalten werden. Die Fair ist eine Non-Profit-Organisation, erläutert Fleischhauer. Standgebühren und Eintritt bilden die Einnahmen. Überschüsse werden in wohltätige Zwecke gesteckt. Über die Vergabe entscheidet das zwölfköpfige Führungsteam “Board of Directors” in den öffentlichen monatlichen Meetings. Peace, Love & Happiness? Hallo Wirklichkeit. Und doch achtet die Fair Family sehr darauf, Kapitalismus-Erscheinungen wie Vetternwirtschaft zu vermeiden. Gar nicht so leicht. Denn die Mitarbeit in einer Crew ist eine der Eintrittskarten in das begehrte Camp – wo das Sixties-Feeling erst so richtig ausgelebt werden kann. “Da gibt es natürlich die Versuchung, gute Freunde reinzulotsen.” Das zu verhindern, funktioniert allerdings nicht immer. Weil Vorschriften verpönt sind, gibt es keine festen Regeln gegen Schiebung, so Fleischhauer. Die junge Forscherin beruft sich deshalb auf den Soziologen Max Weber und mahnt: “Wenn man den , Prozess der Bürokratisierung’ bremsen und Willkür vermeiden will, braucht man mehr Bürokratie – Verwaltung und Regeln.” Leben in der Nische Fleischhauer gibt zu: “Einmalig”im wissenschaftlichen Sinne sei die Gemeinschaft deshalb schon längst nicht mehr. Und doch kommt die Kulturanthropologin ins Schwärmen, wenn sie zu beschreiben versucht, was eigentlich das Besondere an dem Gauklerfest ist: Die Fair sei nicht nur eine Nische für Menschen, die sich im nationalen Zusammenhang USA nicht aufgehoben fühlen. “Es bietet den Leuten darüberhinaus einen sicheren Raum für Experimente.” Brust- und Bauch-Malerei gehörten zu den harmloseren. “Viele sagen, die Fair sei der beste und sicherste Ort, um Erfahrungen mit bewusstseinserweiternden Drogen zu machen. Die Kinder der Hippies, nicht wenige heute längst selbst Eltern, gehen ganz “pragmatisch” mit dem Thema Drogen um, hat Fleischhauer beobachtet: “Wenn sie Kleinkinder haben, darf am ersten Tag zum Beispiel die Mutter kiffen, am zweiten der Vater und am dritten holen die Großeltern die Enkel ab und die Eltern nehmen LSD.” Sind die Kinder schon im Jugendlichen-Alter, “kiffen sie meist selbst: Das ist da ganz normal, wie woanders Biertrinken.” Da ist es kein Wunder, dass sich manche Freiwillige, die in einem sehr konservativen Umfeld arbeiten, etwa in der Finanzbranche, sich nicht trauen, im Büro zu verraten, dass sie zur Fair Family gehören. Dabei stehen die Drogen laut Fleischhauer gar nicht im Mittelpunkt des Fair-Erlebnisses, das einem auch die Begegnung mit Elfen- und Feen-Erscheinungen bietet. Es sei vielmehr die fröhliche Stimmung, sagt die junge Forscherin: “Die Leute verwirklichen ihr Bedürfnis, verbunden mit anderen Menschen zu leben. Ein Teilnehmer von der Ostküste hat mir gesagt, ein so starkes Gemeinschaftsgefühl und eine solche Fürsorge habe er zuvor nur nach 9/11 in New York erlebt.” |
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