Interview mit Natty Flo und Tekla von Rootdown

Interview
mit Natty Flo und Teka von Rootdown

Köln, Mediapark 12.04.01

 

RootZ: Was hat Dir die Inspiration
gegeben, Reggae zu machen?

Natty Flo: Ich hab schon
seit Ende der achtziger Jahre Bob und Burning Spear gehört, aber 93/94
war ich auf Jamaika und da habe ich Dancehall kennengelernt. Ich habe vorher
schon Musik gemacht, aber andere Musik, mit der Gitarre so was wie Eric
Clapton, habe aber jetzt auf Jamaika richtig den Vibe kennengelernt, war
halt am ersten Wochenende auf einem Stone Love Dance und da habe ich richtig
Spaß dran gefunden. 

Die letzten zwei Monate habe
ich auch mit Rastafarians zusammengelebt, quasi meine ganze Familie gewechselt,
ich war vorher bei einer englischen Gastfamilie gewohnt und habe dann mehr
oder weniger in Trenchtown gewohnt, zusammen mit Ziggy Soul, der eine Zeit
lang mit den Wailing Souls unterwegs war, jetzt nicht mehr, weil er wegen
Marihuana-Geschichten leider im Gefängnis war. Mit ihm bin ich viel
rumgezogen in den Studios. Das hat mir Spaß gemacht. Das war gleich
schon eine Entscheidung, dass ich richtig Reggae machen will, nicht nur
als Hobby, sonder richtig Gas geben. 94 waren also so die ersten Anfänge.

Da war ich auch bei Bunny
Wailer im Studio und wir waren mit Scotty unterwegs, einem alten DJ Veteran.
95 habe ich ein Tape rausgebracht auf Studio One Riddims, Real Rock und
solche Sachen. 150er Auflage, ganz klein, mit selbst gemaltem Cover und
so, in  Frankfurter Läden. Dann habe ich mit Reggae erstmal aufgehört.
Ich habe in der Band  Kehraus habe gespielt, dort habe ich Tilo dann
kennengelernt. Da haben wir Crossover Style gefahren, schon mit Ragga8
Chattings, aber harte Gitarren dazu und ein anderer Kollege hat darüber
gerapt. 

 



Natty Flo



Teka
Im Laufe der letzten zwei
Jahre ist auch viel in Richtung akustische Gitarre gegangen. Experimente
mit Didgeridoos. Es ging immer mehr in die Richtung akustischer Musik.

Da war auch Patrick und
Frank als DJ, die bei Rootdown dabei sind.

98 haben Schlagzeuger, DJ
und Gitarrist sich entschlossen, ein Tonstudio aufzumachen. Wir hatten
ein Studio bei mir zu Hause im Keller.

August 97 hatten wir diese
Idee. Im Oktober sind wir dann nach Köln gegangen mit der Idee, von
unserer Musik zu leben. Erst mal ein schwieriges Unternehmen. Wir waren
alle ziemlich jung. Ich musste auch meinen Zivildienst hier ableisten.
Wir haben uns die Staffelung überlegt: 50% Reggae und Hiphop, also
Rootdown, aber auch 50% Multimedia, Jingles und so etwas, als Job.

RootZ: Wieso habt ihr gerade
Köln gewählt?

Teka: Es war eigentlich örtlich
ungebunden. Wir hätten auch nach Spanien oder Frankreich gehen können,
wo das Wetter sehr schön ist, aber es wurde halt Köln. Wir haben
viele Entwicklungen durchgemacht, natürlich grad das wirtschaftliche
Denken, die ganze Sichtweise, wenn man ein Label hat, oder auch eine Firma
an sich.

Da kommt dann Flo dazu,
als er Mitte 98 auch nach Köln kam und wieder den Duft der Musik gerochen
hat und wieder mit eingestiegen ist. Dann gings auch los. Wir waren davor
über ein halbes Jahr nur dabei, am Studio bauen

Wir hatten mit Kehraus auch
Demotapes gemacht und die privat und auf Konzerten verkauft. Bis zum Plattenvertrag
sind wir nie gekommen. Letztes Jahr, 2000, gings dann richtig los. Da haben
wir insgesamt vier 7 Inches gemacht. „Babylon“ war die erste im Februar
, die zweite war „Kreuz und Quer“ auf dem Arena Riddim von Germaican Records.
Dann die Single „Roots“, die auf dem Dancehall Fever Sampler drauf ist
und auch als 7 Inch erschienen ist. Und dann der Racer Riddim. Das war
das größte Projekt, was Dancehall angeht, weil wir halt die
ganzen Artists anrufen mussten, um sie einzuladen nach Köln und den
Riddim voicen zu lassen, das hat der Tilo organisiert. Mit Benjie, D-Flame,
Tolga, Nosliw, Suga D, Malaya Roots und natürlich nicht zu vergessen
die drei alten Veteranen des deutschen Reggae, Natty U, Dr. Ringding und
Ragga Fränkie haben wir uns einen ganz guten Überblick verschaffen
können. Wir haben auch den Leuten da draussen einen Überblick
verschaffen können.

RootZ: Wie sieht es mit einem
eigenen Stil aus?

Natty Flo: Was Du und die
anderen Leute nicht wissen ist, dass wir jetzt gerade einen eigenen Stil
entwickelst haben. Harte Beats, sehr minimal Auch Roots, aber mit harten
Drums. Da mag ich das Elektronische. Ich spiel sehr viel Bass und Gitarre
ein. Da mag ich es natürlich. Mit „Roots“ und Racer ist natürlich
überhaupt kein Stil zu erkennen, aber bei unseren weiteren Plänen
wissen wir, wie das einzuordnen sein wird, denn wir haben uns entwickelt
im letzten drei viertel Jahr, einen ziemlichen Sprung gemacht. Da wird
ein ganz klarer Stil zu erkennen sein. Was auch interessant ist: wenn man
als Hörer eine Musik beurteilt ist das viel mehr subjektiv, „das gefällt
mir“ oder „das gefällt mir nicht“. Als Produzierender oder als Artist
probierst du mehr rum und versuchst, deine Vielfalt, aber auch deine Linie
unter einen Hut zu bringen. Jeder Musiker hat mehr als eine Vorliebe, mal
was Melodisches, mal was Härteres…, was man versucht zu realisieren.
Irgendwann kommt man dann in eine Phase, wo man merkt: das ist deine Richtung
und innerhalb dieser Richtung kannst du noch so viel rum experimentieren,
dass du sehr filigran werden, sehr viel rausholen kannst. Da wird es dir
auch nicht langweilig. Ich kenne so viele Leute, die sagen, ich will gar
nicht einen Stil fahren, ich will so viel experimentieren. Das ist verständlich,
aber mit der Zeit ändert sich das. Irgendwann will man wo richtig
eintauchen, dann schliesst man mit einem anderen Stil ab und kann so richtig
tief eintauchen.

Das ist halt der Grund, warum
wir Dancehall machen und nicht noch Triphop und Akkustik-Folk Sachen nebenher.
Der Stil ist ganz klar Dancehall

Aus meiner Sicht ist es
natürlich so, dass ich mich als Singjay sehe, ich arbeite mit Melodien,
schreibe auf Deutsch, was ich in Jamaika gemerkt habe, dass das am Besten
ist. Ich habe da auf Dances auch singen können und bin angekommen
mit deutschen Rap Lyrics und die fanden das supergeil, weil es meine Muttersprache
ist. Darin kann ich mich am besten ausdrücken und deshalb mache ich
das auch so. Vom Inhaltlichen ist es so, dass es schon conscious ist, aber
nicht im religiösen Sinne, sondern es spiegelt einfach das wieder,
was mich so umgibt, mein Alltag. Reggae bedeutet immer auch auf dem Boden
bleiben. Ob Hardcore oder Roots, das geht beides.

 



RootZ: Woher nimmst Du Deine
Inspiration für Texte und Messages in den Songs?

Natty Flo: Ich habe „Babylon“
zusammen mit Erik von D.U.G geschrieben. Das ist natürlich ein klares
Statement dazu, wie ich Babylon interpretiere. Im Reggae ist der Begriff
sehr religiös geprägt, bedeutet manchmal auch Polizei, für
mich ist es „eine Metapher, nur ein Bildnis, unser Concrete Jungle und
unsere Wildnis“

Ich will das ganze nicht
so verkrampft sehen. „Kreuz und Quer“ ist ein Lied, wo ich einfach nur
Metaphern bringe, das aber schon was mit mir zu tun hat. Ich stehe überhaupt
nicht auf Diss-Lyrics. Was im HipHop ganz groß ist, die anderen fertig
zu machen, ist überhaupt nicht mein Ding. „Roots“ ist ein bisschen
was aus meiner musikalischen Vergangenheit, was mir passiert ist, was ich
in Jamaika erlebt hab, das habe ich da verarbeitet. Jetzt geht es auch
so weiter. Bei den neuen Texten, die ich geschrieben habe, ist auch wieder
etwas Politisches mit dabei und viele Girls Lyrics, denn ich schreibe viel
über die Gefühle, die ich für meine Freundin Johanna habe.
Sie ist mein Fels in der Brandung. So wie ich bin, in der Gemütslage
schreibe ich die Sachen.

RootZ: Wie siehst Du den
Zustand der deutschen Szene?

Natty Flo: Die Entwicklung
ist ganz klar abzusehen. Im Moment ist es schwierig, den Leuten abzuverlangen,
dass sie diese Musik jetzt schon akzeptieren. Das Problem ist, dass jetzt,
wo HipHop ein Low hat und Dancehall und damit auch deutschsprachiger Dancehall
ein bisschen nachkommt und viele Plattenfirmen interessiert sind, man die
ganze Entwicklung trotzdem nicht sein lässt. Die muss einfach da sein.
Der Zustand ist so, dass es noch in den Kinderschuhen steckt. Das ist bei
den Artists so und auch bei den Produktionen. Es entwickelt sich schneller
als der HipHop, aber da geht noch sehr sehr viel. Ich meine, dass der Dancehall
Reggae ebenbürtig dem HipHop werden kann. Ich glaube, dass genug Platz
da ist und aus dem HipHop Lager die Offenheit auch da ist dem gegenüber,
so dass kaum Ablehnung zu sehen ist. Da sind keine Barrieren, da ist alles
offen. Das ist ein neuer Bereich, wo die deutsche Sprache ihren Platz finden
wird. Es wird eine etablierte Musik werden.

Über die Soundsystems
ist es ja auch mittlerweile eine eigene Kultur. Ich finde es wichtig, das
zu betonen. Es gibt eine eigene Soundsystem Kultur, es gibt eine eigene
Reggae Kultur, seit Jahren schon. Seit dem Bob Marley es ganz groß
gemacht hat, gab es immer die Sommerfestivals wie Summer Jam, aber jetzt
über die Soundsystems kommt der Dancehall noch mal viel stärker
zum Tragen. Die sind und werden die Botschafter des Reggae bleiben. Ohne
Soundsystems würde die Kultur nicht richtig funktionieren können,
weil Radiostationen etc. viel zu unflexibel sind

Die Entwicklung ist spannend,
weil es für viele Leute ein neuer Bereich ist., um einen neuen Vibe
zu haben. HipHop ist sehr träge, Reggae ist richtige Tanzmusik. Man
freut sich, mal wieder die waistline zu schwingen. Es ist wesentlich unverkrampfter. 
Unter den Artists sind halt Gentleman, D-Flame, Jan Delay, Tolga und Patrice,
die fünf, wo man sagen kann, die kommen aus Deutschland und die haben
schon mal ein bisschen Öffentlichkeit geschaffen. Ich kenne jetzt
ungefähr zwanzig Artists, die da noch dahinter stehen und auch noch
was bringen werden in diesem und im nächsten Jahr, zum Beispiel beim
Splash Festival. Da wird sich was tun. Aber zu spekulieren, wie schnell
das gehen wird und wie erfolgreich, ist eigentlich auch nicht wichtig.
Wichtig ist, dass die Kultur funktioniert und das die Musik Spaß
macht.

RootZ: Siehst Du in der Kommerzialisierung
vom Reggae nicht eine Gefahr?

Wenn die Musik Leuten gefällt
und Leute die Musik kaufen, dann ist das doch klasse. Man kann es dem Artist
ja nicht übel nehmen, dass er, um bekannt zu werden, einen Vertrag
mit einem Major eingehen muß. Wenn du ein internationaler Künstler
sein willst, überall bekannt sein willst in allen Ländern, deine
Musik gespielt werden soll, dann musst du einen Majorvertrag machen. Du
mußt die Ketten an dich nehmen, aber deinen Freiraum weiterhin behalten.
Ich denke, Beenie Man zum Beispiel macht das sehr gut. Er veröffentlicht
weiterhin Singles und macht trotzdem das Major Album. Andere Artists wie
Supercat und Shabba Ranks sind böse daran gescheitert. Er zeigt eigentlich
einen ganz guten Weg auf. Mittlerweile werden Label wie z.B. VP Records
in Amerika immer größer Die nehmen die Artists so, wie sie sind,
und bauen sie mit der Finanzkraft, die sie jetzt auch haben, auf. ein Mann
wie Capleton wäre nicht auch international so groß, wenn er
nicht bei VP Records wäre.

Es ist ganz okay, solange
der Artist Mitspracherecht behält. Das sollte man auch ernst nehmen.
Es gibt viele Artists in der bisherigen Geschichte, die zwar denken, sie
behalten Mitspracherecht, verlieren es aber dadurch, dass sie in Verträgen
Dinge unterzeichnen, von denen sie keine Ahnung haben. Wenn man sich damit
auseinandersetzt und das beurteilen kann, und seine Meinung weiterhin umgesetzt
wird und man auch musikalisch seiner Linie weiterhin treu bleiben kann,
dann ist das okay. Man kann Beenie Man natürlich vorwerfen, dass es
ein R’n‘B-Reggae-Dancehall Ding geworden ist. Es sind auch schöne
Lieder dabei, die einfach schön fürs Ohr sind für die Crossover
Leute. Trotz allem ist es einfach gute Musik. Solange Kommerzialität
nicht mit einem Abgehen von Skillz gleichzusetzen ist, geht das okay.

RootZ: Wie produziert ihr
die Tunes?

Teka: Meistens ist es so,
dass ich zuerst den Riddim mache, und den gebe ich Flo. Flo schreibt was
drauf, wir setzen uns zusammen, arrangieren das, nehmen es auf, nehmen
es vielleicht noch einmal auf und dann ist der Tune eigentlich fertig.
Meistens ist es so, dass der Riddim zuerst da ist, wobei Flo manchmal auch
Tunes auf seiner Gitarre schreibt und wir versuchen, das anzupassen. Aber
das ist eine ganz andere Arbeitsweise.

Natty Flo: Letzte Woche war
es so, dass Tilo angefangen hatte, etwas zu machen. Ich kam ins Studio
rein und es stand bisher eigentlich nur ein Grundmuster von den Bläsern.
Ich habe gleich angefangen zu schreiben und wir haben fünf Stunden
in unserem Regieraum gesessen. Danach war der Song fertig. Ich habe meine
Lyrics fast fertig gehabt und er hat eine Hammond Orgel und alles andere
eingespielt gehabt. Das war quasi eine Jam Session über fünf
Stunden gestreckt.

Teka: Wenn es so läuft,
dass wir beide im gleichen Moment den richtigen Vibe haben und gemeinsam
ein Lied entwickeln und am Ende des Tages merken: „Geil, der ist so gut
wie fertig!“, dann ist das eigentlich genau das Gefühl, weshalb man
das macht. Manchmal dauert es Wochen oder Monate, aber dieses Gefühl
ist immer in einer gewissen Stärke da.

Natty Flo: Wenn ich einen
Riddim bekomme, höre ich auf die Stimmung, die mir das Instrumental
vermittelt. Darauf schreib ich dann den Text. Wenn es härter und aggressiver
ist, dann bringe ich diese Stimmung auch rüber, und wenn es ein sweet
Lover’s Ding ist, dann kann ich das auch bringen. Das versuche ich ganz
gern zu vereinen. Oder ich sage, dass ich auf dem Riddim gar nicht kann.
Das passiert auch.

RootZ: Machst Du bald ein
eigenes Album?

Natty Flo: Wir sammeln schon
Tunes und haben einiges zusammen, aber wir wollen auch gleich ein As schlagen.
Deswegen warten wir. Es wird auf jeden Fall bis zum nächsten Jahr
dauern.

RootZ: Und wie sieht es mit
Live Performances aus?

Natty Flo: Ich arbeite jetzt
schon mit Monster Riddim zusammen, einer Backing Band aus Düsseldorf.
Die sind eigentlich schon ganz fit, aber wir stecken erst am Anfang. Far
East ist eine sehr tighte Band und die Auftritte im Sommer mit ihnen nehme
ich jetzt mit. Mal gucken, was dann passiert. Im nächsten Jahr ist
hoffentlich alles schon so gut eingeprobt, dass ich die Stunde oder eineinhalb
voll kriege. Bisher bin ich zugegebenermaßen noch nicht reif genug
dafür. Da ist jemand wie Gentleman weiter. Welche meine feste Backing
Band werden wird, ist noch nicht raus.

RootZ: Hast Du noch eine
Message an die Leser von RootZ?

Natty Flo: An die Soundboys
und –girls, dass sie Reggae treu bleiben sollen. Bleibt eurem Herzen treu.

Ich hoffe, dass sich die
Dancehall Szene nicht dorthin entwickelt, wo die HipHop Szene so einen
Zwischenpunkt gefunden hat, wo sich alle nur noch dissen, nicht auf eine
lustige Weise, sondern böse. Bei der Dancehall Szene ist ein sehr
sehr guter Vibe eigentlich. Es ist alles noch sehr klein, die meisten kennen
und verstehen sich. Umso mehr Leute dazu kommen, umso mehr Leute sind natürlich
dabei, mit denen man nicht kann. Aber es geht um die Mentalität, die
Sunshine Mentalität.


Copyright Text / Layout:
Dr. Igüz 1998 – 2001
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