Junior Delgado – Fearless


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Musik

Junior Delgado
Fearless

“Tja, ich habe als Chorknabe angefangen. Ich mußte
zur Kirche, bevor meine Mutter und Vater überhaupt ans Aufstehen dachten.
Ich hatte eine Altstimme. Und dann habe ich in Schulkonzerten gesungen
und Preise gewonnen.” So beschreibt Junior Delgado, der 1958 in Kingston,
Jamaika geboren wurde, seine Wurzeln, die zu einem erfolgreichen Sänger
im Reggaebiz herangewachsen sind.

Nachdem er den Schulhof hinter sich gelassen hat, formte Delgado
ein für die Siebziger Jahre typisches Vokaltrio, das sich “Time
Unlimited” nannte. Allerdings brachte die Zusammenarbeit mit mehreren
Produzenten nicht den erwünschten Erfolg auf der Insel und so löste
sich die Gruppe recht schnell wieder auf. Junior hat anschließend
in den über zwei Jahrzehnten seines musikalischen Schaffens mit einer
Menge von Leuten zusammengearbeitet unter Anderen mit Lee �Scratch’ Perry,
Horace Swaby alias Augustus Pablo, Dennis Brown, Niney the Observer, Rupie
Edwards oder Tommy Cowan. Sein Markenzeichen sind eine Stimme, die wie
ein rostiges Reibeisen klingt, ein immenser Bart, “conscious lyrics”
und eine tiefe Verbundenheit zum Alltag seiner Heimat Kingston.

Das neue Album “Fearless” ist eine Überraschung und
wird dem traditionsgewohnten Reggaehörer entweder ein paar Schweißperlen
auf die Stirn treiben oder ein gigantisches Aha-Erlebnis auslösen.
Fearless ist mehr als Reggae, Fearless ist die Zukunft des Reggae, der
“musical head corner stone” für das nächste Millennium,
um diese derzeit beliebte Vokabel auch ‘mal ins Spiel zu bringen. Keine
Frage, die Grundlage der Musik des Albums ist nach wie vor der gute, alte
Roots Reggae, aber in jedem Song wird da noch etwas draufgesetzt.

Überhaupt muß ich mich zuerst über die Machart des
gesamten Albums auslassen, bevor ich auf die Songebene abtauchen kann.
Fearless ist einmal mehr ein genialer Streich von Soundtüftlern aus
“Inglan'”. Irgendwie haben die Leute es dort drauf, bestehende
karibische Sounds weiter zu entwickeln, während aus “Jamdung”
augenblicklich nix Neues kommt. Die Briten geben uns erst Jungle, dann
Drum’n’Bass, dann Speedgarage und jetzt dies. Einem Musikstil unterordnen
ließe sich das Album eh nicht, dazu sind die Spannungen der einzelnen
Songs untereinander zu groß. Das kommt nicht alleine durch eine ganze
Riege von beteiligten Produzenten, ich nenne mit den “Jungle Brothers”,
“Maxi Jazz”, “Kid Loops” und den “Ballistic Brothers”
nur einige Namen, nein auch der Junior alleine hat eine immense Bandbreite
von Stilelementen zur Verfügung. Da wird altes Material neu aufgenommen,
remixt oder als Sample in neuen Songs recycelt und dieses Ausgangsmaterial
für die finale Behandlung durch die Produzenten freigegeben.

Wie gesagt, die Basis ist Reggae, aber so gut wie jeder Song ist
mehr. “Hypocrites” (den Song gibt es auch als Maxi-CD mit mehreren
Remixen) bekommt einen technoiden Housetouch, “Buffalo Soldier”
ist bluesiger, als irgendein baumwollpflückender Südstaatler
je blue sein kann, “She’s Gonna Marry Me” kommt mit einem netten
Beigeschmack von Cool Jazz, “Fussin’ & Fightin’ ist eine moderne
Nyabinghinummer und so geht es weiter quer durch das Album bis hin zu südamerikanischen
Bläsern auf “Temptation”

Zusammengehalten wird dieser musikalische Flickenteppich von zwei
durchgehenden Elementen: Junior Delgados prägnanter Stimme, die wirklich
auch für all die oben aufgezählten Stile taugt, und das Verwenden
von “Conscious Rasta lyrics”. Da gibt es bei beidem auch keine
Kompromisse, wenn rauh und ungeschliffen die Rastavoice über die Hypocrites,
die Heuchler singt “you legalize cigarettes, whilst you know it’s
killing people by the millions…” . Auch wenn die Message nicht mehr
im traditionellen Reggaegewand daherkommt, die Scheibe strahlt solch ein
Charisma aus, daß die aus teilweise über zwanzig Jahre alten
Songs recycelten Worte auch mit einem dezenten Technobeat unterlegt noch
glaubwürdig rüberkommen.

Ich sehe eine für eine solche Musik, zu der ich neben dem neuen
Werk von Junior Delgado auch Veröffentlichungen von Earl Sixteen,
Hypnotix, Dreadzone, Zion Train, Massive, ADF und die weiteren englischen
Progressivbands zähle, eine goldene Zukunft, vielleicht sogar in Form
von Goldenen Schallplatten. Schön, daß die Saat, von Adrian
Sherwood, Mad Professor, Horace Swaby und allen Anderen, die ich hier jetzt
nicht nennen kann, endlich zu saftigen und wohlschmeckenden Früchten
herangereift ist. England, weiter so!

Anhörtips:

Hypocrites
Fussin’ & Fightin’
Sons of Slaves
Storm is Comin’
Tichion


Copyright: Dr. Igüz 1999

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