RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

FAZ online 12. Dezember 2006

Klimawandel – Amoklauf im Klimarechner

Von

Joachim

Müller-Jung

Es

ist keine Woche her, da das Ende des arktischen Sommereises, so wie wir

es kennen, auf das Jahr 2080 datiert wurde. Die Schar der

europäischen

und russischen Polar- und Klimaforscher glaubten gewiß, mit

dieser

Ankündigung auf dem Kongreß des Alfred-Wegener-Instituts in

Bremerhaven

die Welt aufschrecken zu können.

Und

tatsächlich hat die Aussicht auf einen eisfreien Nordpol im Sommer

und

auf ein annähernd packeisfreies Polarmeer durchaus ihre

Breitenwirkung

in einer von Rekordwärme zu Rekordwärme taumelnden

Öffentlichkeit

erzielt. Nur ahnte da offenbar noch niemand, daß damit noch lange

nicht

das letzte Wort gesprochen ist in Sachen Klimakatastrophe am Pol. Denn

wie in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift „Geophysical Research

Letters“ zu lesen ist, soll das sommerliche Meereis im Nordpolarmeer

nicht erst in achtzig, sondern schon in weniger als vierzig Jahren

dahinrinnen.

Ergebnisse fließen in

Weltklimabericht ein

Erste Anzeichen eines abrupten

Wandels seien schon um das Jahr 2015 zu erwarten, und im Jahr 2040, so

berichtet die amerikanische Klimatologin Marika Holland vom Nationalen

Forschungszentrum für Atmosphärenforschung (Ncar) sowie zwei

Kollegen

des Lamont Doherty Earth Observatory der Columbia University und der

University of Washington, sei dann das Eis endgültig gebrochen.

Gemeint

ist das Abschmelzen des nordpolaren Packeises bis auf kleine Reste

entlang der Nordküste Grönlands und Kanadas. Grundlage dieser

Prognose

sind Simulationsrechnungen mit dem Klimamodell des Ncar in Boulder

(Colorado).

Deren

Ergebnisse, und das macht die Ergebnisse durchaus bedeutsam, werden

neben einigen anderen in den Weltklimabericht einfließen, den der

internationale Klimabeirat IPCC für das Frühjahr 2007

angekündigt hat.

„Die Analysen von zahlreichen weiteren Klimamodellen (gemeint sind 15

weitere daraufhin untersuchte Modelle) zeigen, daß solche

abrupten

Eisrückgänge in mehr als fünfzig Prozent der Modelle

auftreten und daß

Reduktionen der Treibhausgas-Emissionen die Wahrscheinlichkeit solcher

Veränderungen mindern können“, heißt es in der

Veröffentlichung.

Schmelzrate vervierfacht sich

In einer der sieben in Boulder

vorgenommenen Simulationen verringerte sich die Ausbreitung des

Meereises innerhalb von zehn Jahren von sechs auf zwei Millionen

Quadratkilometer. Selbst im Winter werde das Eis massiv schmelzen, die

mittlere Eisdicke von vier auf weniger als einen Meter schrumpfen. Die

Schmelzrate würde sich damit gegenüber dem heutigen Trend auf

das

Vierfache beschleunigen. Ursache für diesen plötzlichen

Wärmeschub ist

ein Effekt, den man nach Ansicht der Forscher bisher nicht ausreichend

berücksichtigt hatte: die zunehmende Wärmeaufnahme des Meeres

durch

abnehmende Albedo: Da das Wasser im Laufe der Klimaerwärmung

sukzessive

weniger Meereis enthält, nimmt die Rückstrahlung an

Sonnenstrahlung in

den Weltraum ab, zugleich nimmt das dunklere Meer zunehmend mehr

Wärme

auf – eine positive Rückkoppelung, die das Abschmelzen

beschleunigt.

Allerdings

tut es das in dem von den Forschern berechneten Ausmaß auch nur

dann,

wenn sich der Ausstoß an Treibhausgasen wie in den

üblicherweise heute

genutzten „Business-as-usual“-Modellen bis zum Ende des Jahrhunderts

verdoppeln würde und wenn andere, möglicherweise

neutralisierende

Rückkoppelungen vernachläßigt werden. Wenn sich die

Menschheit

schließlich zu „durchaus realistischen Emissionsreduktionen“

entschließen und den Anstieg der Treibhausgase auf ein Drittel

begrenzen könnte, würde dies den Klimaforschern zufolge dazu

führen,

daß nur noch in drei der fünfzehn Klimamodelle das

Arktisklima abrupt

kippe.

Klimawirkungen eines

Atomkrieges untersucht

Mit dem regelrechten

Klimakollaps

hingegen ist bei einem anderen Szenario zu rechnen, das

möglicherweise

nicht in den Weltklimabericht des IPCC aufgenommen, dafür aber

jetzt

vor einem ausgesuchten Plenum der Amerikanischen Geophysikalischen

Union in San Francisco vorgestellt und online in der Zeitschrift

„Atmospheric Chemistry and Physics Discussions“ publiziert wurde.

Es

geht um die Klimawirkungen eines „regionalen Atomkrieges“. Simuliert

wurde von amerikanischen Wissenschaftlern der Abwurf von hundert

Fünfzehn-Kilotonnen-Bomben, was etwa hundert Hiroshima-Bomben

entspräche, in einer „Konfliktregion in den Subtropen“. Ergebnis:

Die

geschätzten mehr als fünf Millionen Tonnen

Rußpartikeln, die auf diese

Weise in die obere Atmosphäre geschleudert würden und dort

für bis zu

zehn Jahren verblieben, würden einen „Nuklearen Winter“ für

den

gesamten Planeten hervorrufen und die Temperaturen über

Nordamerika und

Eurasien für diese Zeit „um mehrere Grad“ abstürzen lassen.

Eine

Klimaänderung, so berichten die Klimamodellierer, „die jede bisher

bekannte Anomalie übertreffen würde“. Behaupte noch einer,

Klimaforschung sei kein politisches Geschäft.

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