RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

Spiegel online 08.01.07

WARMER WINTER

Schneechaos im März – längst vergessen

Von Stefan Schmitt

Die Bären verzichten auf Winterschlaf, die

Menschen auf ihre Bommelmützen: Der Winter 2007 ist

ungewöhnlich warm,

bisher. Damit reiht er sich in die Häufung meteorologischer

Extreme ein

– die bald im statistischen Mittel verschwinden könnten. Denn

Klima und

Wetter sind nicht dasselbe.

Irgendwann im Herbst ist es so weit. Der Wintermantel

wird aus

der

Plastikhülle gezupft, Mottenkugeln entfernt, und aus einer unteren

Schublade werden Fleeceschaal, gefütterte Fäustlinge und

Bommelmütze

hervorgeholt. Mitteleuropäer jedoch konnten diese an kaltes Wetter

gemahnenden Accessoires bislang getrost an der Garderobe hängen

lassen.

Frühlingstemperaturen in Chemnitz genauso wie im

Central Park in

New York, Schneemangel in den Alpen und gar Politiker, die fordern, man

solle aufhören, mit Kunstschnee-Kanonen dagegen anzukämpfen.

“In Hamburg blühen die Kirschen”, meldete die “Bild am Sonntag”

und die

“Sächsische Zeitung” beklagt: “Es ist zu warm: Läuse fressen

Kohlköpfe

kahl”.

Dieser Winter ist ungewöhnlich warm, bisher

jedenfalls.

Auch in den

kommenden Tagen wird sich daran wenig ändern: Frühlingshafte

Temperaturen von mehr als 10 Grad hat der Deutsche Wetterdienst (DWD)

in Offenbach vorhersagt. Am Oberrhein seien sogar mehr als 15 Grad

drin. Erst in der regnerischen und stürmischen Nacht zum Freitag

würden

die Werte auf 9 bis 3 Grad zurückgehen. Dauerfrost gibt es in

Europa

höchstens in Nordskandinavien und im nördlichen Russland,

melden die

Meteorologen. Sonst fällt die Temperatur europaweit selten unter

den

Nullpunkt.

Zieht man den langjährigen Durchschnitt zum

Vergleich

heran, wird

klar, was “warmer Winter” bedeutet: Plus 0,2 Grad Celsius beträgt

die

Temperatur in den Wintermonaten Dezember, Januar und Februar in

Deutschland im statistischen Mittel – das sich freilich selbst aus

vielen normalen und extremen Werten zusammensetzt. So ein Extrem

erleben wir gerade. Ob hingegen im Februar oder März nicht doch

noch

große Kälte – so wie im vergangenen Jahr – für Schnee

in rauen Mengen sorgen wird,

ist völlig offen. Im Moment beschäftigen sich die Deutschen

mit der

Frage, was noch “normal” ist. Und was darf man aus dem warmen Winter

ableiten?

“Nie mehr Schnee” und “Klima-Alarm”?

“Nie mehr Schnee?” fragt die Zeitung “B.Z.” aus Berlin.

“Klima-Alarm!” titelte die Konkurrenz vom “Berliner Kurier”. “Es

besteht immer wieder die Gefahr, zu schnelle Schlüsse aus dem

aktuellen

Wetter zu ziehen”, sagte Uwe Kirsche vom DWD zu SPIEGEL ONLINE. “Aus

Einzelergebnissen kann man nicht auf den Klimawandel schließen.”

So bemerkenswert zweistellige Plustemperaturen Anfang

Januar

erscheinen mögen, es gab immer wieder Ausreißer nach oben im

sogenannten Hundertjährigen Kalender. Seit 1901 wird in

Deutschland die

Temperatur aufgezeichnet. In den Jahren 1975, 1990 und 2004 waren die

Winter besonders mild, wie die Statistik zeigte. Der Rekordhalter

bislang ist aber der Winter des Jahres 1998 mit durchschnittlich 3 Grad

Celsius statt 0,2 Grad. Erst im Nachhinein wird sich sagen lassen ob –

und falls ja, wo in dieser Rangliste – sich der jetzige Winter

einreiht.

Aber für diesen Fall, warnt Meteorologe Kirsche vor dem Schluss,

dass

ein warmer Winter zwangsläufig mit dem Klimawandel

zusammenhängt. Er

verweist auf den vergangenen, sehr kalten und schneereichen Winter. “Da

hätte jeder im Umkehrschluss schreiben müssen: Der

Klimawandel hat sich

erledigt.”

Tatsächlich stellte sich das vergangene Jahr im

Nachhinein als

eines der wärmsten Jahre des vergangenen Jahrhunderts heraus,

wenngleich es das Rekordjahr 2000 nicht übertreffen konnte. In

Erinnerung geblieben ist der Monat Juli, den die Offenbacher zum

heißesten und sonnigsten seit Beginn der Aufzeichnung

kürten. Eifrig

wurde spekuliert, ob die Hitze wohl jene aus dem Rekordsommer 2003

toppen könnte. Doch prompt folgte ein feuchter und kühler

August. Die

Wetterextreme nehmen zu, sagen Experten.

Wetter in der Gegenwart, Klima im Rückblick

Wetter und Klima sind zwei verschiedene Dinge. Das

Klima

lässt sich

erst im Nachhinein beurteilen, als langfristige statistische

Veränderung der Wetterphänomene. Die können für

einige Jahre, saisonal

oder ganz kurzfristig ihre viel beschworenen Kapriolen treiben, ohne

dass dies für ein Zeichen des Klimawandel sprechen muss.

Zumal neben dem öffentlich heiß diskutierten

Treibhauseffekt

aufgrund überhöhten Kohlendioxid-Ausstoßes noch weitere

Faktoren auf

das Klima einwirken. Die Aktivität der Sonne zum Beispiel,

Vulkanausbrüche oder das Klimaphänomen El Niño, das

entsteht, wenn sich

wegen schwächerer Winde der östliche Pazifik aufheizt.

Die Folgen dieser regionalen Anomalie sind rund um den

Globus

zu

spüren: Neben Regen in Ostafrika und Trockenheit in

Südostasien und

Australien zählen auch starke Niederschläge in Teilen Nord-

und

Südamerikas dazu. Außerdem scheint sogar die Häufigkeit

von Hurrikans

vor der US-Ostküste mit dem El-Niño-Phänomen im

Pazifik

zusammenzuhängen. Dies haben deutsche Klimaforscher um Mojib Latif

vom

Kieler IFM-Geomar vergangene Woche in der Fachzeitschrift “Geophysical

Research Letters” dargestellt. Entsprechend kann El Niño sich

auch auf

die Sommertemperaturen in Mitteleuropa auswirken.

El Niños fordern in ihren globalen Konsequenzen

durch

Dürren in

Afrika ebenso Menschenleben wie durch Unwetter in Lateinamerika. Je

stärker die Anomalie im Pazifik, desto gravierender die Folgen.

Rekordjahr mit Ansage – durch El Niño?

In der letzten Woche hatte das britische Hadley Center

for

Climate

Change Research, das zum meteorologischen Büro der britischen

Regierung

gehört, mitgeteilt: Es gebe eine 60-prozentige Wahrscheinlichkeit,

dass

2007 “genauso warm oder wärmer” werde, als das bisher wärmste

Jahr

1998. Dieser Ausblick, den die Hadley-Forscher als “Vorhersage”

(forecast) bezeichnen, ist das Ergebnis einer Computersimulation.

Hier fließen Treibhauseffekt und El Niño

zusammen.

Denn auf Satellitenbildern kann man eindeutig sehen,

dass es

im Westpazifik ist es wieder zu warm, El Niño ist zurück.

Forscher gehen davon aus, dass er schwächer bleiben wird als

vergleichbare Phänomene in den achtziger und neunziger Jahren, die

den

Begriff erst bekannt gemacht haben.

Wenn El Niño – möglicherweise nach einem

neuen

Rekordsommer – wieder

verschwindet, könnten Meteorologen auch wieder kühlere Sommer

messen.

Eine Aussage, ob sich etwas am klar beobachtbaren Trend der globalen

Erwärmung verändert hat, lassen solche isolierten

Beobachtungen aber

nicht zu.

Winter 2007: Schuld ist erstmal “Dieter”

Das gilt auch für den warmen Winter: Der direkte

Verantwortliche

dafür ist das Tiefdruckgebiet mit dem Namen “Dieter” und seine

Vorgänger, die Mitteleuropa mit allzu warmer Luft versorgten. Es

ist

eine paradoxe Situation: Auch moderne Wettervorhersagen können

nicht

weiter als ein paar Tage in die Zukunft schauen. Die Klimaentwicklung

kann hingegen von mächtigen Computersimulationen über die

zurückliegenden Jahrtausende minutiös rekonstruiert werden –

und mit

den entsprechenden Rechenmodellen weit in die Zukunft hinein modelliert

werden.

Wetterexperte Kirsche kann verstehen, dass gerade in

Zeiten

unbenutzter Wintermäntel und Bommelmützen Klima und Wetter in

der

Debatte vermengt werden. Zu nahe liegt offenbar die Versuchung, vom

Wetter gleich aufs Klima zu schließen: “Auffällig ist, dass

das immer

nur passiert, wenn vom wärmsten Monat, vom wärmsten Winter

die Rede ist

– weil der Trend klar ist: Es geht nach oben.”

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