RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

FAZ online 31.01.07

Kimawandel –

Mit Phantomschmerz in den Klimakollaps

Von Joachim Müller-Jung 

Wird er

nun, oder wird er nicht? Stockt der Golfstrom oder stockt er nicht?

Für

ganze zehn Tage, es war im November vor zwei Jahren, schien das

Katastrophenszenario, das schon seit zwei Jahrzehnten die Gemüter

bewegt, Wirklichkeit zu werden. Auf dem 25. Breitengrad Nord,

dreitausend Meter unter der Oberfläche des Nordatlantiks, kam der

Tiefenstrom zum Erliegen. Der große kalte Strom, der vom Norden

kommend

mit den Wassermassen des Golfstroms gespeist wird, stockte im

westlichen Teil des Ozeans völlig unverhofft. Zehn Tage lang. Eine

drei

Grad kalte Wasserschicht war um siebenhundert Meter abgesackt,

blockierte den Fluß des Tiefenstroms über dem Meeresboden.

Es

war nicht die erste Schrecksekunde, die Harry Bryden von der University

of Southhampton mit seinen Mitarbeitern des „Rapid climate change

array“ – kurz Rapid – erlebte. Die Monate davor schon hatte das Team

einige Male den Atem angehalten, als man mit dem Schiff auf dem 25.

Breitengrad zwischen Teneriffa und der amerikanischen Küste

unterwegs

war, um Messungen der Meeresströme vorzunehmen und die

mittlerweile 25

Meßbojen zu verankern, die das wissenschaftliche Rückgrad

von Rapid

bilden. Um dreißig Prozent, berichtete Bryden ein Jahr

später in der

Zeitschrift „Nature“, habe sich der warme Atlantikstrom und der

Golfstrom an der Oberfläche zwischen 1992 und 2004 verlangsamt.

Ein

Wert, der alle Vorhersagen übertraf, ja sogar die schrecklichsten

unter

den Katastrophenszenarien.

Apokalyptischer Endpunkt der

Erderwörmung

Sollte die Wärmeheizung

Europas, die

der Nordhalbkugel soviel Energie wie eine halbe Million großer

Kraftwerke zuführt, tatsächlich erlahmen? Seitdem der

amerikanische

Ozeanograph Wallace Broecker vom Lamont-Doherty Earth Observatory der

Columbia University vor zwanzig Jahren die These vom kollabierenden

Golfstrom etabliert hatte, hat dieses „Eiszeit“-Szenario

berühmt-berüchtigte Popularisierungen erfahren. Der

Kinothriller „The

Day after Tomorrow“ war in dieser Hinsicht die Spitze der Bewegung.

Vorher

gab es dazu einen Bericht des Pentagons mit dem Titel „Das Undenkbare

denken“, und auch Ex-Präsidentschaftskandidat Al Gore pflegte bei

seinen Ansprachen im Kongress und zuletzt in seinem Kinofilm „Eine

unbequeme Wahrheit“ diesen apokalyptischen Endpunkt der globalen

Klimaerwärmung plakativ hervorzuheben. Zu einer Zeit allerdings,

als

sich die Vorstellung vom abrupten Kälteschock über Europa

unter

Klimaexperten längst gewandelt hatte. Zwar war bis vor wenigen

Jahren

immer noch von Klimamodellen zu lesen, die den Zusammenbruch des

Golfstroms als mögliches Szenario behandelten, aber als

realistisch

galt dieses nicht mehr – zumindest nicht, wenn man die gängigen

Klimaprognosen für die nächsten hundert Jahre betrachtet.

Es könnte sich stauen

Entscheidende Voraussetzung

für das

Versiegen des Golfstroms wäre ein gewaltiger Zufluss an

Süßwasser, der

nach den Vorstellungen der Klimaforscher zu großen Teilen von den

abschmelzenden Eispanzern Grönlands kommen sollte. Mindestens ein

Sechstel der grönlandischen Gletschermassen müßte in

kurzer Zeit ins

Meer fließen, so hatte man ausgerechnet, damit die

Umwälzpumpe im

Nordatlantik zum Erliegen kommt. Die gewaltige Umwälzpumpe, die

die

Sogwirkung auf die Oberflächenströme des subtropischen

Atlantiks weiter

südlich ausübt, das sind vor allem die Labrador-See und die

Grönland-See am Rande des Nordpolarmeeres (siehe Kasten). Hier

kühlt

das aus Süden mit dem Golfstrom zufließende warme Wasser

stark ab und

sinkt in die Tiefe, wo es das große „globale Förderband“ der

Meeresströmungen antreibt.

Das

Absinken an diesen beiden Orten steht und fällt aber nicht nur mit

der

Temperatur des Wassers – kaltes Wasser ist dichter und sinkt ab -,

sondern auch mit dem Salzgehalt. Fließt Süßwasser aus

den schmelzenden

Gletschern in großen Mengen zu, wird das Oberflächenwasser

verdünnt, es

sinkt wesentlich langsamer ab oder bleibt gar in den obersten

Meeresschichten hängen. Es könnte sich regelrecht stauen. In

Simulationen von Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für

Klimafolgenforschung kam es in einigen nördlichen Regionen zu

einem

lokalen Meeresspiegelanstieg um bis zu einem Meter.

Falscher Alarm

Das

alles wurde durchgerechnet und zu einer Zeit publiziert, als man

über

systematische Beobachtungsdaten aus dem besagten Gebiet noch immer

nicht verfügte und Harry Bryden mit seinen ersten, beunruhigenden

Meßdaten noch nicht die Öffentlichkeit erreichte. Die

Publikation

schließlich, wenige Monate später, wurde dann von einigen

Klimaforschern als Mentekel verstanden und interpretiert. Es gab aber

auch schon kritische Stimmen wie von Jochem Marotzke, dem heutigen

Direktor des Deutschen Klimarechenzentrums in Hamburg, der von der

Meßfahrt Brydens wenig überzeugt war und die

überraschende

Verlangsamung um ein Drittel als Momentaufnahme im Rauschen der starken

natürlichen Variabilität bewertete. Er sollte recht behalten.

Vor

wenigen Wochen trat Bryden auf der „Rapid Climate Change International

Science Conference“ in Birmingham auf und korrigierte die Interpreation

seiner ersten Daten. Nach einem Jahr Dauermessungen mit den 25 Driftern

in unterschiedlichen Tiefen des Nordatlantiks zeigte sich, dass „alle

bisherigen hydrographischen Daten entlang des 25. Breitengrades

innerhalb der Variabilität liegen, die man 2004 bis 2005 gemessen

hat“.

Falscher Alarm also. Die Geschwindigkeit schwankt offensichtlich viel

mehr, als man vorher gegaubt hatte, ja es kommt wie an jenen zehn Tagen

Ende 2004 sogar zeitweise zu Stockungen. Am Golfstrom aber änderte

das

nichts. Er floß weiter, und die Umwälzpumpe verrichtet

ungebrochen ihre

Dienste.

Der Golfstrom könnte

sich erholen

Die

Frage bleibt dennoch, wann und wie das Förderband tatsächlich

beeinträchtigt werden könnte. Denn dass es in der

Vergangenheit schon

mehrfach kollabierte, in den Dansgaard-Oeschger-Zyklen der Eiszeit und

vor den den abrupten Temperatursprüngen zum Ende der Eizeit in der

Jüngeren Dryas, gilt als wahrscheinlich. Damals dürften auch

gewaltige

Schmelzwasserzuflüsse die Ursache gewesen sein. Sie waren vom

Laurentidischen Eisschild im heutigen Nordamerika Jahrhunderte lang als

riesige See zurückgehalten worden und ergossen sich plötzlich

in den

Nordatlantik.

Von

annähernd so großen Schmelzvorgängen ist man an den

Polen heute weit

entfernt. Auch die ungünstigsten, bis zum Ende des Jahrtausends

prognostizierten Treibhaus-Szenarien genügen nach

übereinstimmender

Meinung fast aller Klimaforscher nicht, den Kollaps der

Nordatlantikströme herbeizuführen. Für möglich

gehalten wird sogar, daß

sich der Golfstrom im nächsten Jahrhundert wieder allmählich

erholt,

wenn nämlich die Erwärmung zunehmend Oberflächenwasser

verdunsten läßt

und damit einen salzhaltigeren, leichter absinkenden Strom erzeugt.

Eine Warnung bleibt

Die

Eiszeitidee lebt indes als Gerücht munter weiter. In den

vergangenen

Tagen wurde in diversen Medien den Vereinten Nationen – gemeint ist der

von den Vereinten Nationen berufene Weltklimabeirat IPCC – eine

„Warnung“ vor dem Golfstrom-Kollaps in den Mund gelegt.

Tatsächlich

wird es spannend, ob und wie das IPCC bei der an diesem Freitag in

Paris anberaumten Vorstellung des vierten Weltklimaberichts die

Neue-Eiszeit-These behandelt. Und wie er vor allem die anfangs

offenkundig überinterpretierten Daten Brydens berücksichtigt.

Dabei

geht es weniger um die wissenschaftliche Beurteilung als um die

politische Verwertung.

Wie

Marotzke haben fast alle Klimamodellierer zuletzt zumindest eine

Erlahmung des Golfstroms um bis zu einem Drittel ausgerechnet – weit

entfernt von einem Kollaps. Heraus kommt stattdessen ein

Kühleffekt,

der im allgemeinen Erwärmungstrend mehr oder weniger untergeht. So

gesehen, könnte man die Eiszeit-These für die heutige

Klimaschutzpolitik vernachlässigen. Ob das IPCC freilich so

verfährt

und dieses endlos scheinende Katastrophenkapitel diesmal

tatsächlich

ausklammert, hängt paradoxerweise nicht nur von den

Wissenschaftlern,

sondern vor allen Dingen von Regierungsvertretern ab: Die

Politikdelegierten feilen an den konsenspflichtigen Formulierungen

für

das entscheidende „Summary for Policy Makers“. Marotzke: „Inwieweit der

Aspekt der Ozeanströmungen darin diskutiert wird, kann ich selbst

nicht

sagen“.

„Globales Förderband“

Die

Ozeane sind gewaltige Wärmespeicher und -verteiler. Allein in den

obersten drei Metern der Meere ist soviel Wärme enthalten wie in

der

darüberliegenden Luftsäule bis in hundert Kilometern

Höhe. Schon allein

deshalb kommt den Meeren beim Klimawandel eine zentrale Rolle zu. Im

Mittelpunkt steht dabei seit langem das „globale Förderband“, ein

scheinbar unendlicher Strom von warmem Oberflächenwasser, das zu

den

Polen transportiert wird, und von kalten Tiefenwasserströmen, die

in

die Tropen zurückfließen. Angetrieben wird dieses globale

Förderband

von den Unterschieden in Temperatur und Salzgehalt des Wassers.

Durch

Abbsinken von polwärts fließendem, abkühlendem

Oberflächenwasser kommen

an wenigen Stellen des Globus regelrechte Umwälzpumpen in Gang. In

der

Grönland-See an der Grenze zum Polarmeer zwischen Grönland,

Island und

Norwegen hat sich nach der Eiszeit eine solche Pumpe fest etabliert.

Ein riesiges, an der tiefsten Stelle mehr als 5600 Meter tiefes

„Kälteloch“, in dem gewaltige Wassermassen sturzbachartig in die

Tiefe

rauschen. Schätzungsweise fünfzehn und neunzehn Millionen

Kubikmeter

pro Sekunde, beinahe zwanzigmal soviel wie die Abflüsse aller

Süßwasserströme der Erde zusammengenommen, stürzen

hier in die Tiefe.

Etwa 1,2 Billiarden Watt, was der Leistung von mehr als einer halben

Millionmoderner Kraftwerke entspricht, werden mit den

Oberflächenströmen im Atlantik und mit dem Golfstrom nach

Nordeuropa

transportiert.

Ohne diesen Energiezufluss aus den

Tropen dürfte es hier gut zwei bis drei Grad kälter werden.

Klare

Hinweise hat man inzwischen, daß der Nordatlantik und auch das

Nordpolarmeer in den vergangenen vierzig Jahren deutlich wärmer

geworden sind. Klare Belege aber für ein deutliches Erlahmen des

Golfstroms und damit des Förderbandes gibt es bisher dagegen

nicht. Der

Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf bilanzierte unlängst in

der

„Encyclopedia of Quarternary Sciences“: „Die Klimamodelle – und selbst

solche, die zu einem Zusammenbruch führen – zeigen, daß der

Einfluss

der menschengemachten Erwärmung auf die thermohaline Zirkulation

bis

heute kleiner sein dürfte als die natürliche

Variabilität. Jede bisher

beobachtete Schwankung ist wahrscheinlich natürlichen Schwankungen

zuzurechnen.“

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