RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
FAZ

online 07.04.07

Sigmar Gabriel im Gespräch:

„Wir brauchen andere Wege im Klimaschutz“

Umweltminister Sigmar Gabriel

ist sichtlich aufgeblüht, seitdem ihm die Klimadebatte den Rücken

stärkt. Der 47 Jahre alte Sozialdemokrat zählte in letzter Zeit

dennoch nicht zu jenen, die mit populistischen Schnellschüssen Schlagzeilen

machen wollten. Nur bei der Patenschaft für Eisbär „Knut“ konnte

er seinem medialen Drang nicht widerstehen. Sonst aber ist sich Gabriel

stets bewusst, dass er nicht allzu „grün“ werden darf, sondern auf

Gewerkschafter und Arbeitnehmer Rücksicht nehmen muss. Im F.A.Z.-Gespräch

skizziert er die Aussichten auf ein Vorankommen im internationalen Klimaschutz

und die damit verbundenen Chancen Deutschlands.

Herr Gabriel, auch der zweite

Teil des Klimaberichts klingt dramatisch. Stumpfen die Menschen nicht langsam

ab, weil es zu viel wird an Dramatik?

“Die Emissionen sind gewachsen,

weil der Emissionshandel in Europa nicht funktioniert”

Das glaube ich nicht. Es

geht ja nicht um Dramatik, sondern um harte Wissenschaft. Es werden bis

zum Ende des Jahres noch zwei weitere Berichte folgen, und auch diese werden

belegen, in wie vielen Lebensbereichen sich der Klimawandel dramatisch

auswirkt. Das wird die Menschen nicht abstumpfen. Aber sie werden zu Recht

erwarten, dass wir Ende des Jahres auf der Klimakonferenz in Bali nicht

die Hände in den Schoß legen und wieder Mikado spielen wie bei

der letzten Konferenz in Nairobi.

Die Kritiker werden aber

zahlreicher, die die Klimathese bestreiten. Welche Folgen wird das haben

in der Öffentlichkeit?

Ich kenne nur ein paar Medienberichte

über Menschen, die mit Klimaforschung wenig zu tun haben. Ich kenne

keinen seriösen Forscher, der den Klimawandel in Frage stellt und

bezweifelt, dass die Menschen die Erderwärmung verursachen. Was ich

kenne, sind ein paar Leute, die ihre eigenen Bücher besser verkaufen

wollen, indem sie einmal gegen den Stachel löcken. Mit Wissenschaft

hat das meistens wenig zu tun.

Glauben Sie denn, dass es

jetzt auf der Klimakonferenz in Bali Bewegung gibt als Reaktion auf diese

vier Berichte?

Ich sehe auf jeden Fall eine

deutliche Veränderung auch in der internationalen Diskussion. Die

Vereinigten Staaten treten zwar noch nicht dem Kyoto-Protokoll bei, aber

der Druck in der amerikanischen Öffentlichkeit wird stärker.

Die entscheidende Frage wird sein, ob wir es schaffen, mehr Straßen

für den Klimaschutz zu bauen. Die eine ist die Kyoto-Straße.

Gibt es nicht parallel dazu andere Wege, beispielsweise solche über

den Wald- und Urwaldschutz oder über den Technologietransfer? Ich

glaube, dass man die Perspektive erweitern muss. Dazu zählt auch,

dass man Klimaschutz nicht losgelöst von Entwicklungspolitik diskutieren

kann. Wenn wir das weiter tun – und wir tun es leider -, dann werden Staaten

wie Indien, Mexiko, Brasilien oder Südafrika darauf verweisen, dass

sie aus eigener Kraft Klimaschutz nicht betreiben können.

Die Klimaforscher fordern

schnelle Entscheidungen zur CO2-Reduktion. Kann die Politik, können

die Gesellschaften so schnell umsteuern, ohne den Lebensstil zu ändern

und Wohlstand einzubüßen?

Die Klimaforscher sagen uns,

dass wir ein Zeitfenster von zehn bis fünfzehn Jahren haben, um die

CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu stabilisieren. Die technologischen

Voraussetzungen dafür haben wir. Was mich wundert, ist, dass dabei

immer die Debatte um Wohlstandsverluste geführt wird. Richtig ist:

Wir werden massiv an Wohlstand verlieren, wenn wir nichts gegen den Klimawandel

tun. Das zeigt auch der neue IPCC-Bericht. Klimaschutz dagegen birgt auch

große wirtschaftliche Chancen. Gerade ein Land wie Deutschland mit

seiner Stärke in der Umwelttechnik kann davon profitieren.

Klimaschutz tut also nicht

weh, sondern tut gut, sagen Sie. Ist das nicht eine populistische Simplifizierung,

denn Energie muss doch teurer werden, wenn Kosten entstehen durch eine

CO2-Minderung?

Also erstens ist das Ihre

populistische Vereinfachung. Zweitens: Wenn Sie weniger Energie verbrauchen,

dann sparen Sie Geld. Die Debatte um den Kohlendioxid-ausstoß von

Autos hat ja damit etwas zu tun, das wir effizientere Motoren benötigen,

die weniger Kraftstoff verbrauchen. Das freut den Autofahrer an der Tankstelle.

Wenn wir als Bundesregierung 1,4 Milliarden Euro investieren in die Gebäudesanierung,

dann sparen die Verbraucher Heizenergie. Dem Kohlendioxid einen Preis zu

geben bedeutet gleichzeitig, Anreize zum sparsamen Umgang mit Energie zu

schaffen. Das spart Geld und tut gut und nicht weh.

Aber wenn der Staat Geld

verteilt für die Gebäudesanierung, dann muss er es doch irgendwo

herholen?

Natürlich. Aber gerade

dieses Programm bringt Gewinn für die gesamte Volkswirtschaft, denn

es schafft viele Jobs, vor allem im Handwerk. Die erneuerbaren Energien

geben inzwischen in Deutschland 214.000 Menschen Arbeit. Die Frage beim

Klimaschutz ist: Rechnen sich die Investitionen am Ende durch die Einsparung

von CO2-Emissionen, oder tun sie es nicht? Und rechnen sie sich auch vor

dem Hintergrund der dramatischen Schäden, die der Klimawandel hervorrufen

kann, wenn wir die Hände in den Schoß legen? Nicht ohne Grund

sagen auch in Deutschland immer mehr Wirtschaftsvertreter, man sollte mehr

für den Klimaschutz tun.

Wenn Sie demnächst einen

Klimaschutz-plan vorlegen, bei dem bis 2020 die Emissionen um 40 Prozent

reduziert werden, dann tut das Deutschland nicht weh, sondern es fördert

sogar das Wachstum?

Es wird immer zukunftsträchtige,

innovative Sektoren geben, die wachsen, und andere, die nicht wachsen.

Das ist der normale Lauf der Dinge im Wirtschaftsleben. Nichts anderes

passiert im Klimaschutz. Wir wollen investieren in klimafreundliche Technologie,

die wir international verkaufen können. Wir sind darin schon jetzt

Exportweltmeister. Das ist eine ökologisch orientierte Wachstumspolitik.

Schließlich geht es uns um den Umbau der Energiebasis der Industriegesellschaft

und nicht um ihre Abschaffung.

Trotz allen Ehrgeizes im

Klimaschutz haben 2006 in Deutschland die Kohlendioxidemissionen zugenommen

wegen des höheren Wachstums. Ganz ist die Abkoppelung also noch nicht

gelungen?

Die Emissionen sind gewachsen,

weil der Emissionshandel in Europa nicht funktioniert. Würde er funktionieren,

dann hätte sich die Elektrizitätswirtschaft für die zusätzlichen

Emissionen Zertifikate kaufen müssen. Da aber in der ersten Handelsperiode

überall, auch in Deutschland, zu viele Zertifikate ausgegeben wurden,

mussten sie nicht zukaufen und konnten ohne große Probleme zusätzlichen

Strom produzieren. Der wurde hauptsächlich im Ausland verkauft. Damit

haben sie erhebliche Gewinne machen können.

Wird es denn in der zweiten

Handelsperiode 2008 bis 2012 besser? Nun wird ja auch wieder gerungen um

möglichst viele Emissionszertifikate.

Es gibt eine massive Kürzung

von Zertifikaten. Wir haben in der ersten Periode 2 Millionen Tonnen CO2

eingespart, nun sind es 57 Millionen Tonnen – gemessen am früheren

Anlagenbestand. Die Stromwirtschaft hat versucht, ausgerechnet die wenig

klimafreundlichen Anlagen zu privilegieren, doch das haben wir verhindern

können. Wir werden in Deutschland weiterhin Braunkohle nutzen, weil

wir auf die auch nicht verzichten können. Aber wir werden sie nicht

privilegieren. Stattdessen wird es eine Umverteilung zugunsten neuer, effizienter

und CO2-ärmerer Kraftwerke zu Lasten der alten und kohlendioxid- intensiveren

Anlagen geben.

Also haben Sie eine Einigung

mit Wirtschaftsminister Michael Glos?

Ja, wir haben eine Einigung.

Warum versteigern Sie nicht

wenigstens 10 Prozent der Emissionszertifikate in der zweiten Handelsperiode?

Darüber ist noch nicht

abschließend entschieden. Die Frage ist, ob wir angesichts der deutlichen

Verknappung der Emissionszertifikate sowie der Freistellung der Industrie

von Kürzungen nicht möglicherweise die Kraftwerke bei der CO2-Reduktion

zu stark belasten, wenn wir zusätzlich eine Versteigerung machen.

Ist denn nun der Umweltminister

pro oder kontra Versteigerung?

Aus meiner Sicht wäre

eine Versteigerung vernünftig, schließlich haben die Energieunternehmen

die bislang kostenlos vergebenen Zertifikate schon eingepreist. Zudem wäre

eine Marktpflege sinnvoll, damit der Preis nicht unter ein bestimmtes Niveau

geht, aber auch nicht überschießt. Das könnte die Kreditanstalt

für Wiederaufbau übernehmen. Ich denke da an ein Preisband zwischen

15 und 30 Euro je Tonne Kohlendioxid. Zudem brauchen wir in Europa eine

gemeinsame Institution für den Emissionshandel, die den Handel harmonisiert

und die auch darauf achtet, dass Informationen wie in einem normalen Finanzmarkt

an die Öffentlichkeit kommen und nicht durch zufällige Veröffentlichungen

einzelner Regierungen.

Es sind 40 Kohlekraftwerke

geplant, um einen Teil der Lücke zu schließen, die der Ausstieg

aus der Kernenergie hervorruft. Ist es nicht eine Illusion, CO2-Reduktion

und Atomausstieg gleichzeitig machen zu können?

Ich kenne solche Zahlen nicht.

Tatsache ist, dass bis 2012 sechs neue Steinkohle- und drei neue Braunkohlekraftwerke

realistisch geplant sind. Deutschland hat viel zu viele alte und ineffiziente

Kraftwerke mit hohen Emissionen. Wir brauchen eine Modernisierung dieses

Kraftwerkparks.

Diese Modernisierung reicht

also aus, um trotz des Atomausstiegs die Klima-ziele zu erreichen?

Ja, weil wir einerseits alte

Kraftwerke abschalten und andererseits die erneuerbaren Energien deutlich

ausbauen, von denen ein Teil bereits grundlastfähig ist, etwa Biogasanlagen.

Nach unseren Berechnungen gibt es keine Schwierigkeiten, die Klimaschutzziele

zu erreichen. Dazu sind allerdings einige Voraussetzungen einzuhalten,

etwa die deutliche Erhöhung der Energieeffizienz, auch durch den verstärkten

Einsatz der Kraft-Wärme-Kopplung. Wenn wir aber darüber nur reden

und nicht handeln, dann werden wir unsere Klimaziele nicht erreichen. Wir

schaffen das nur, wenn wir alle Instrumente kombinieren.

Wenn es nicht möglich

sein sollte bis 2020, die 40-Prozent-Reduktion bei den Emissionen zu erreichen,

wäre es dann für die SPD ein möglicher Kompromiss, die Kernkraftwerke

länger laufen zu lassen und deren Extragewinne in einen Klimafonds

zu leiten?

Das sind amüsante Planspiele,

die mit der Realität nichts zu tun haben. Und außerdem haben

wir in Deutschland ein ernsthaftes Problem: Auf der Seite der Atomwirtschaft

fehlen uns inzwischen seriöse Verhandlungspartner. Die haben doch

einen Vertrag mit der Bundesregierung gemacht, von dem sie jetzt nichts

mehr wissen wollen. Sie haben der Regel zugestimmt, alte Kraftwerke früher

abzuschalten und junge, sichere Anlagen länger laufen zu lassen. Jetzt

stellt ein Unternehmen nach dem anderen den Antrag, ältere Anlagen

länger laufen zu lassen und jüngere früher abzuschalten.

Die Unternehmen wollen damit eine Ausnahme zur Regel machen. Zeitgleich

verweigern uns Teile der Atomwirtschaft den Einblick in Sicherheitsunterlagen

für einen Vergleich zwischen alten und neuen Anlagen, sodass wir die

Laufzeitanträge schwerlich bescheiden können. Sie verklagen uns

dann wegen angeblicher Untätigkeit. Wer soll mit derart unseriösen

Verhandlungspartnern eigentlich Verabredungen treffen?

Das Gespräch führte

Konrad Mrusek.

 

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