RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
FAZ

online 02.03.07

Klimawandel – Was zu tun

ist

Von Frank Schirrmacher

Die Mitautoren des UN-Klimaberichts,

der Anfang Februar die Weltöffentlichkeit alarmierte, und des vor

einigen Monaten in England erschienenen Stern-Reports, beantworten zehn

Fragen zum Klimawandel. Vieles von dem, was heute allgemein über den

Klimawandel bekannt und anerkannt ist, entstammt ihren Berechnungen.

Die Wissenschaftler sollen

der skeptischen Öffentlichkeit klarmachen, was bei den aktuellen Debatten

pure Medienhysterie ist und was schieres Faktum. Sie schildern, auch mit

Blick auf die heranwachsenden Schüler und Kinder, welche Welt das

sein wird, in der wir leben. Sie versuchen, so wenig alarmistisch wie möglich

zu sein. Was übrig bleibt, ist alarmierend genug.

Wann geschieht es?

Im Jahr 2004 wurde, wie Al

Gore berichtet, Brasilien zum ersten Mal von einem Hurrikan heimgesucht.

Bis dahin galt das unumstößliche Gesetz, dass es im Südatlantik

keine Hurrikane gebe. In einer Welt, in der die wissenschaftlichen Lehrbücher

umgeschrieben werden, weil die alten Wahrheiten plötzlich nicht mehr

gelten, wird Wissenschaft tagesaktuell. Die Klimaforscher sind die Ersten,

die ihre Texte ändern. Bald werden es die Geographen sein, die die

Landkarte der Erde neu zeichnen müssen.

Wir wollten wissen, was man

eigentlich über die Klimakrise wissen kann, wenn man sich seit Jahrzehnten

mit ihr befasst. Was geschieht? Wann geschieht es? Und schließlich:

Geschieht es? Darauf gibt dieses Spezial eine Antwort. Und eine wichtige

Information: Keiner der Forscher hält den Ausbau der Atomenergie für

eine Option. Denn das würde, wie Ottmar Edenhofer nachweist, einen

Ausbau des Schnellen Brüters und faktisch den riskanten Einstieg in

die Plutoniumwirtschaft bedeuten. Sie zeigen in ihren Berechnungen, daß

wir ohne Atomkraftwerke die dritte industrielle Revolution einleiten können.

Womöglich eine Leitwissenschaft

Die hier versammelten Texte

stammen fast ausschließlich von Wissenschaftlern des Potsdam-Instituts

für Klimafolgenforschung und wurden für diese Zeitung geschrieben.

Das Institut zählt, neben dem Max-Planck-Institut für Meterologie,

zu einer der weltweit renommiertesten Forschungsstätten auf dem Gebiet

des Klimawandels. Die Potsdamer Forscher sind federführend in einer

Reihe der wichtigsten Klimaberichte; ihre Erkenntnisse und Berechnungen

flossen in den jüngsten Bericht der Vereinten Nationen ein.

Das Potsdam-Institut residiert

auf dem Telegraphenberg, jenem Ort, der bereits schon einmal vor mehr als

hundert Jahren die Geburt der Leitwissenschaft eines Jahrhunderts erlebte.

Hier wurde 1879 das weltweit erste astrophysikalische Observatorium gebaut,

hier entdeckte Johannes Hartmann 1904 die interstellare Materie, hier steht

der Turm, auf dem Einstein den Himmel studierte, um seine Theorie zu überprüfen.

Es ist fast symbolisch, dass das Potsdam-Institut jetzt in diesem alten

Observatorium arbeitet. Auch hier entsteht womöglich eine Leitwissenschaft.

Man hört, dass mittlerweile selbst amerikanische Spitzenpolitiker

die Potsdamer Forscher um Auskunft angehen.

Wer dieses Spezial liest,

wird feststellen, wie ernst die Lage ist. Das Gesicht des Planeten könnte,

wie es an einer Stelle heißt, nicht nur verändert, sondern geradezu

entstellt werden, wenn es uns nicht gelingt, den Anstieg der Erderwärmung

auf zwei Grad zu begrenzen. Was Deutschland angeht, so befürchten

Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe und Peter Werner sogar, dass die aktuellen

Klimaszenarien die wirkliche Entwicklung eher untertreiben.

Was darf man hoffen?

Wenn man weiß, was

man wissen kann, und wenn man weiß, was man tun sollte – auch das

wird auf diesen Seiten präzise beschrieben – , bleibt immer noch die

dritte Frage: die Frage, danach, was man hoffen darf. Die Antwort darauf,

auch das zeigen diese Seiten, ist selbst hoffnungsgebend: „Wir brauchen“,

sagt Hans Joachim Schellnhuber, „nichts weniger als eine Dritte Industrielle

Revolution. Es ist ein unglaublicher Zufall, dass die Menschheit in diese

Klimakrise stürzt, aber gleichzeitig die Mittel in der Hand hält,

die Krise vorherzusagen und zu lösen.“

Deutschland ist das Land

der international führenden Klimaforschung. Es könnte, um nur

dieses Beispiel zu nennen, auch das Land der modernsten Autos werden, ehe

andere auf die Idee kommen; Europa selbst, von den Sonnenkollektoren Andalusiens

bis hin zu den Wasserkraftwerken Norwegens, könnte ein Energieverbund

werden, der als Modell für andere Kontinente taugt und neue Märkte

erschließt.

Also ausgerechnet das europäische

Krisenbewusstsein, das uns so viel müder und skrupulöser macht

als die Bewohner aller anderen Kontinente, könnte uns jetzt helfen,

als Erste aufzuwachen und etwas zu tun. Während die anderen noch schlafen.

 

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