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Netzeitung
19.02.07 In Deutschland wird das Wasser knapp Vor allem im Nordosten Deutschlands müssen Einwohner künftig mit Wasserknappheit rechnen, prognostiziert der Chef des Umweltbundesamtes, Troge, im Gespräch mit Netzeitung.de. Die Rallye Paris-Dakar wird aber nicht verlegt. Netzeitung: Die heftigsten Auswirkungen des Klimawandels wird es im Norden Deutschlands geben. Herr Troge, wird Brandenburg zur Wüste, oder wird die Küstenregion im Wasser versinken? Andreas Troge: In Brandenburg und Teilen Mecklenburg-Vorpommerns könnte es deutlich trockener werden, da nach unseren Modellrechnungen die Niederschläge im Nordosten um etwa die Hälfte zurückgehen werden, in Niedersachsen um rund ein Drittel. In den westlichen Mittelgebirgen – beispielsweise im Hunsrück oder in der Eifel – können die Niederschläge um bis zu 80 Prozent in den Wintermonaten anschwellen. Fallen die Niederschläge innerhalb kürzester Zeit fielen, stiege das Hochwasserrisiko. Netzeitung: Welche wirtschaftlichen Auswirkungen wird der Klimawandel haben? Troge: Die positiven Folgen könnte der Sommertourismus im Norden spüren: Unsere Projektionen sagen, dass es an der See wärmer wird – obwohl vergleichsweise weniger als im Binnenland, weil die See als Wärmepuffer dient. Außerdem könnte der Weinanbau nach Norden wandern. Insgesamt rechnen wir mit erheblichen Schäden für unsere Volkswirtschaft, die mögliche positive Wirkungen deutlich in den Schatten stellen. Netzeitung: Wird es in den regenärmeren Gebieten Wasserknappheit geben? Troge: In Teilen Deutschlands wird vermutlich Wasser knapper. Der demographische Wandel verschärft dieses Problem: Wo die Bevölkerung abnimmt, wie in Randregionen Brandenburgs oder in Mecklenburg-Vorpommern, wird es wirtschaftlich immer schwieriger möglich sein, die Infrastruktur für Wasserzu- und -abführung auszubauen, weil die Infrastrukturkosten pro Kopf sonst erheblich stiegen. Demographischer Wandel und Klimawandel begünstigen eine stärkere Zentralisierung in Deutschland, um die Versorgung kostengünstiger zu machen. Netzeitung: In Brandenburg ist der giftige Dornfinger, eine im südlichen Mitteleuropa beheimatete Spinnenart, aufgetaucht. Gibt es bald auch Krokodile im Rhein? Troge: Nein. Die Rallye Paris-Dakar wird auch nicht in Brandenburg stattfinden. Aber Krankheitserreger, die zwar auch bisher hier anzutreffen waren, aber die Winter nicht überlebten, könnte es künftig in infektiösen Populationen geben. Netzeitung: Welche zum Beispiel? Troge: Die Blaualge zum Beispiel. Es wurden in deutschen Gewässern Blaualgen tropischen Ursprungs entdeckt. Diese haben ein wasserlösliches Gift, und die traditionelle Trinkwasserversorgung hat Probleme, dieses Gift aus dem Wasser herauszufiltern. Hinzu kommen direkte Auswirkungen langer Hitzeperioden auf das Herz-Kreislauf-System. Die Zahl der Hitzeopfer in den Sommermonaten wird zunehmen. Dass im Rekordsommer 2003 die Zahl der Hitzetoten deutlich gestiegen ist, war ein Indiz dafür, was auf uns zukommen könnte. Wir werden uns deshalb anpassen und vorsichtiger werden müssen. Netzeitung: Wie denn? Troge: Indem wir beispielsweise unsere Häuser und Wohnungen besser wärmedämmen. Gut gedämmte Häuser sind im Sommer kühler. Und werden der zunehmend älter werdenden Bevölkerung mit Herz-Kreislauf-Problemen als Rückzugsort bei Hitze dienen. Netzeitung: Wird die Malaria in Deutschland wieder auftreten? Troge: Indizien gibt es dafür noch nicht, aber höhere Durchschnittstemperaturen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass beim Zusammentreffen weiterer entscheidender Faktoren, nämlich infizierter Menschen und potenter heimischer Überträgermücken Malaria-Endemiegebiete in Deutschland wieder auftreten. Netzeitung: Im Streit um den Klimaschutz ist die Debatte über die Abschaltung von Atomkraftwerken wieder hochgekocht. Können wir den Klimawandel ohne Atomkraft überhaupt noch aufhalten? Troge: Es geht auch ohne Kernenergie. Was wir an Klimaschutzmaßnahmen in der Vergangenheit unterlassen haben, wird sich zwar nicht mehr aufhalten lassen. Wir können den Klimawandel aber deutlich bremsen – allerdings wird sich das erst in Jahrzehnten auswirken. Wir sind ohnehin auf dem Weg, die Kernenergie abzuschaffen, und zwar weltweit: Falls wir nur die Kapazität der weltweit mehr als 400 Kernkraftwerke erhalten wollten, müssten jedes Vierteljahr zwei neue Meiler ans Netz gehen – ich sehe nicht, wo das passiert und wie das gehen soll. Wir kommen ohne Kernkraft allerdings nur unter zwei Bedingungen aus: Wir müssen bis zum Jahr 2050 unseren Primärenergiebedarf halbieren und unsere Energieeffizienz steigern. Von dem verbleibenden Bedarf muss die Hälfte aus regenerativen Quellen stammen. Technisch und wirtschaftlich ist das machbar. Netzeitung: Lässt sich die Hälfte unseres Energiebedarfes ohne Wohlstandsverlust halbieren? Troge: Ja, wenn wir dafür Geld in die Hand nehmen. Bis 2050 müssten wir etwa vier Milliarden Euro pro Jahr ausgeben. Viel ist das nicht: Wir geben in der EU pro Jahr allein etwa sechs Milliarden Euro zur Stützung des Zuckermarktes aus. Kohle vorerst nicht verzichtbar Netzeitung: Kohleverstromung gilt als einer der größten Klimakiller. Können wir auf Kohle überhaupt verzichten? Troge: Wir werden Kohle noch eine Weile verwenden. Wenn neue Kohlekraftwerke entstehen sollen, muss der Strom aus Kohle allerdings sauber werden. Verfahren zur CO2-armen Kohle-Verstromung werden frühestens in etwa 15 Jahren großtechnisch verfügbar sein. Dann wird sich entscheiden, ob diese Technik eine Übergangslösung bietet. Eines muss klar sein: Falls wir vorher neue Kohlekraftwerke ohne CO2-Abscheidung bauen, wird in anderen Industriezweigen, im Verkehr und in Wohnungen mehr CO2 zu sparen sein. Wer heute zu Braunkohle und Steinkohle Ja sagt, muss sagen, wo wir das CO2 dann einsparen. Netzeitung: Die Autohersteller hatten sich vor gut zehn Jahren freiwillig bereiterklärt, die Schadstoffemissionen der Autos bis 2008 auf durchschnittlich 120 Gramm pro Kilometer zu senken. Das Ziel wurde mit aktuell 163 Gramm klar verfehlt. Die Hersteller verwiesen auf die Autofahrer, die angeblich lieber große und umweltschädliche Autos fahren. Haben die Deutschen tatsächlich noch nicht verstanden, welchen Anteil sie am Klimawandel haben? Troge: Die Deutschen gucken bewusst weg. Bei allen Bevölkerungsumfragen sehen wir bei den Befragten eine klare Erkenntnis der Umweltprobleme, solange sie zeitlich oder räumlich weit weg sind. Wenn es darum geht, das eigene Verhalten zu ändern, nimmt die Selbsterkenntnis rasch ab. Schuld daran ist aber auch die Autoindustrie selbst: Die Hersteller haben das Auto als Kulturgut positioniert. Den Menschen werden zwar effizientere Autos angeboten – gleichzeitig haben die Fahrzeuge aber immer mehr PS unter der Haube, und es wird damit aggressiv geworben. Mit dem Wohlstand wurden immer höhere Ansprüche gestellt. Wir müssen zwar nicht mit dem Bollerwagen durch die Gegend ziehen, es genügen schon leichtere Sitze und schmalere Reifen, um den Treibstoffverbrauch zu senken. Machbar ist das: Schon vor 20 Jahren lagen solche Pläne in den Schubläden. Aber die Autohersteller verdienten kurzfristig nicht am Umweltschutz, sondern an Zusatzausstattungen – wie elektrischen Fensterhebern, Navigationsgeräten oder Klimaanlagen – und die treiben den Energieverbrauch nach oben. Man nimmt die Kaufkraft nicht für Umweltschutz in Anspruch, sondern für Luxus. Netzeitung: Die EU-Kommission hat sich trotzdem nicht gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Autolobby durchsetzen können. Bis nunmehr 2012 sollen die Schadstoffemissionen auf 120 Gramm pro Kilometer sinken. Japanische Autos sind aber nicht nur preiswerter, sondern auch umweltfreundlicher. Ist der Kompromiss zwischen EU und Deutschland für die deutsche Autoindustrie nicht ein Pyrrhus-Sieg? Troge: Ich warne vor dem Irrtum, dass die Japaner oder Koreaner generell besser oder effizienter wären als die deutschen Hersteller: Es gibt einige Modelle, die unter den versprochenen Grenzwerten liegen, aber in der Flotte haben sie die Grenzwerte ebenfalls überschritten. Netzeitung: Wäre es sinnvoller gewesen, den Autoverkehr in den Emissionshandel einzubeziehen? Troge: Ich denke nein. Der Emissionshandel setzt ja nicht beim Verbraucher, sondern bei der Industrie, bei Anlagenbetreibern und demnächst hoffentlich auch bei Fluggesellschaften an. Die Verwaltungskosten für einen Emissionshandel im Verkehr wären übrigens sehr hoch. Mit Andreas Troge sprach Markus Scheffler.
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