RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 08.04.07

PROGNOSE

Klimaschutz kostet Deutschland

vier Milliarden Euro jährlich

Wirklich teuer ist Klimaschutz

eigentlich nicht – rund vier Milliarden Euro müsste Deutschland im

Jahr dafür ausgeben, schätzt das Umweltbundesamt. Deutschland

allerdings tut sich schwer: Die Regierung redet Kritikern zu viel und macht

zu wenig.

Hamburg – “Wenn wir die Erderwärmung

stoppen wollen, müssen wir in den Industriestaaten bis 2050 den Ausstoß

an Treibhausgasen um 80 Prozent stoppen”, sagte Umweltbundesamt-Präsident

Andreas Troge der “Bild am Sonntag”. In Deutschland seien dazu jährliche

Investitionen in Höhe von vier Milliarden Euro erforderlich. Das Geld

solle vor allem in erneuerbare Energien und Wärmedämmung fließen.

Bereits zuvor hatte Tröge erklärt, man müsse sich bereits

jetzt für die Auswirkungen des Klimawandels wappnen: “Im Küstenschutz

haben wir es vorgemacht, nun müssen andere Bereiche folgen, wie Raum-

und Stadtplanung, Gesundheitswesen, Naturschutz und Finanzwirtschaft.”

Der Appell scheint nicht

übertrieben. Vor zwei Tagen hatten die Vereinten Nationen (UN) im

zweiten Teil ihres Weltklimaberichts vor katastrophalen Folgen der globalen

Erwärmung für die unterschiedlichen Weltregionen gewarnt. Der

Klimawandel wird demnach auf allen Kontinenten viel früher zu weit

verheerenderen Schäden führen als bislang angenommen. Der Bericht

prognostiziert unter anderem eine dramatische Zunahme von Hungersnöten

in Afrika und Asien auf Grund der Erderwärmung. Außerdem drohe

vielen dicht besiedelten Küstengebieten eine dauerhafte Überflutung

durch den Anstieg des Meeresspiegels.

Nach der Veröffentlichung

des Berichts muss die deutsche Regierung schwere Kritik wegen ihrer Klimapolitik

einstecken. Der frühere Umweltminister und Ex-Chef des Uno-Klimaprogramms,

Klaus Töpfer, erklärte der “Welt am Sonntag” gar, Deutschland

gehöre zu den schlimmsten Klimasündern weltweit. Jeder Bundesbürger

erzeuge im Schnitt pro Jahr zehn Tonnen des Klimagases Kohlendioxid. Die

Amerikaner brächten es zwar auf das Doppelte, weltweit aber sind die

Deutschen damit immer noch in der Spitzengruppe der Staaten mit dem höchsten

Ausstoß an CO2. Laut Töpfer liegt der Pro-Kopf-CO2-Ausstoß

der Franzosen unter sieben Tonnen, ein Chinese erzeuge gerade mal drei

und ein Inder nur eine Tonne Kohlendioxid. Bei der deutschen Klimapolitik

bestehe ein ziemlicher Widerspruch zwischen Anspruch und Handeln, so Töpfer

weiter. “Die nüchternen Zahlen sagen, dass wir noch unendlich viel

mehr tun müssen.”

Tiefensee will Klima-Pass

für Autos

Klimawandel: Änderungen

in den 8 Weltregionen. Starten Sie hier die interaktive Grafik!

Auch EU-Umweltkommissar

Stavros Dimas fordert in der “Welt am Sonntag” deshalb größeres

Engagement von der Bundesrepublik. Deutschland nehme zwar beim Ausbau des

Ökostroms eine Führungsrolle ein. In anderen Bereichen gebe es

aber Nachholbedarf. “Die Klimaschutzziele der Europäischen Union können

nur dann durchgesetzt werden, wenn mit Deutschland auch die größte

Volkswirtschaft Europas mitzieht.” Auch die hiesige Autoindustrie könne

noch mehr tun. Die Zukunft liege in sparsamen und umweltfreundlichen Wagen

und nicht in großen Fahrzeugen, die Energie verschwendeten.

Bundesumweltminister Sigmar

Gabriel (SPD) erklärte, die internationale Gemeinschaft müsse

wegen des Klimawandels ihre Hilfen für die Entwicklungsländer

ausweiten. In Deutschland selbst müsse neben der Diskussion über

einen geringeren Kohlendioxid-Ausstoß auch über Maßnahmen

nachgedacht werden, um den künftigen veränderten Lebensbedingungen

zu begegnen, sagte Gabriel dem Sender NDR Info.

Das Bundesumwelt- und das

Bundeswirtschaftsministerium verständigten sich indes darauf, Anreize

für den Bau neuer Kraftwerke mit moderner Technik zu schaffen. Gegen

den Widerstand des Bundeswirtschaftsministeriums und aus Teilen der Union

erhalten alte Kraftwerke mit höheren Emissionen aber nicht mehr Verschmutzungsrechte.

In den Streit zwischen Gabriel und Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU)

hatte sich zuletzt auch das Kanzleramt eingeschaltet.

Bundesverkehrsminister Wolfgang

Tiefensee (SPD) plädierte dafür, noch in diesem Jahr einen verbindlichen

Klima-Pass für alle Neufahrzeuge einführen. Damit werde Aufschluss

darüber gegeben, wie viel CO2 ein Auto ausstoße und in welchem

Verhältnis der Ausstoß zur Nutzlast stehe. Bundeskanzlerin Angela

Merkel (CDU) betonte, sie wolle sich auf internationaler Ebene dafür

einsetzen, “möglichst alle Staaten in die Verantwortung für den

Klimaschutz einzubinden”. Sie werde das Thema auch beim G-8-Gipfel im Juni

ansprechen, sagte sie der “Süddeutschen Zeitung”.

Australien: Klimabericht

bringe “wenig Neues”

Insgesamt wurde der neue

Klimabericht der Vereinten Nationen in der Welt äußerst unterschiedlich

aufgenommen. Während sich Staaten wie Deutschland, Spanien oder Japan

bereits ernsthaft Gedanken um die Auswirkungen des Klimawandels machten,

zeigten sich die größten Umweltsünder wie etwa Australien

oder China von dem Bericht unbeeindruckt oder spielten auf Zeit.

China – nach den USA der

weltgrößte CO2-Produzent – will sich offenbar erst von 2013

an aktiv an den Gesprächen für ein internationales Rahmenwerk

zur Bekämpfung der Klimaerwärmung beteiligen. Das Riesenreich

ist – wie Indien und zahlreiche Entwicklungsländer – von den Auflagen

zur Verringerung der Treibhausgase im Kyoto-Protokoll ausgenommen. Unbeeindruckt

vom Klimabericht zeigte sich auch Australien als einer der größten

Umweltsünder im pazifischen Raum. Premierminister John Howard sah

in dem Bericht “wenig Neues” und bekräftigte das Nein seiner Regierung

zum Kyoto-Protokoll.

ESA 2004

Das Intergovernmental Panel

on Climate Change, zu Deutsch der zwischenstaatliche Ausschuss für

Klimaveränderungen mit Sitz in Genf, wurde 1988 vom Umweltprogramm

der Vereinten Nationen (Unep) und der World Meteorological Organization

(WMO) gegründet, die ebenfalls zur Uno gehört. Der Inder Rajendra

Kumar Pachauri ist seit Mai 2002 Vorsitzender des IPCC.

Das auch als Weltklimarat

bezeichnete IPCC soll umfassend, objektiv und ergebnisoffen die wissenschaftlichen,

technischen und sozioökonomischen Informationen über den von

Menschen verursachten Klimawandel bewerten. Das Gremium, dem Hunderte von

Wissenschaftlern in aller Welt zuarbeiten, soll die Folgen und Risiken

der Klimaveränderung abschätzen und ausloten, wie man sie abschwächen

oder sich an sie anpassen kann.

Der IPCC führt keine

eigenen Forschungsprojekte durch, analysiert die Ergebnisse wissenschaftlicher

Veröffentlichungen, die dem Peer-Review-Verfahren – der Prüfung

von Fachartikeln durch unabhängige Gutachter – gefolgt sind.

Das IPCC hat bisher 1990,

1995 und 2001 Berichte über den Stand der Klimaforschung abgegeben.

Am 2. Februar wird der erste Teil des neuen Reports vorgestellt, die Teile

zwei und drei werden im Laufe des Jahres folgen.

An dem Bericht sind drei

Arbeitsgruppen beteiligt: Arbeitsgruppe I stellt den Stand der Klimaforschung

dar, fasst Daten und Computersimulationen zusammen und trifft Aussagen

über die künftige Entwicklung. Arbeitsgruppe II berichtet über

die möglichen Folgen der Erwärmung für Mensch und Umwelt,

Arbeitsgruppe III über mögliche Gegenmaßnahmen.

Im ersten Klimareport des

IPCC von 1990 war noch von einem natürlichen Treibhauseffekt die Rede,

der von Emissionen des Menschen verstärkt werde. Der Report von 2001

ging wesentlich weiter: Er besagte, dass die Treibhausgas-Emissionen des

Menschen für den größten Teil der Erwärmung verantwortlich

sind. Auch Computersimulationen, die zur Prognose der zukünftigen

Entwicklung eingesetzt werden, räumte das IPCC 2001 steigende Glaubwürdigkeit

ein. Beides brachte dem Klimarat teils harsche Kritik von Regierungen und

Industrievertretern ein.

Der IPCC-Report von 2001

sagte voraus, dass die Temperatur an der Erdoberfläche im globalen

Schnitt bis 2100 um 1,4 bis 5,8 Grad steigen werde. Experten gehen inzwischen

davon aus, dass eine Erwärmung von weniger als zwei Grad zwar zu einer

deutlichen Zunahme von extremen Wetterphänomenen führen, insgesamt

aber noch beherrschbar sein wird. Bei einer Erwärmung von deutlich

mehr als zwei Grad werden katastrophale Folgen befürchtet.

Der IPCC-Report von 2007

basiert auf Hunderten Modellrechnungen, ausgefeilten Computermodellen,

zahllosen Studien und Messreihen. 450 Hauptautoren liefern die bisher genaueste

Beschreibung dessen, was die Temperatur der Atmosphäre etwa seit dem

Jahr 1800 in die Höhe treibt. An dieser vierten Studie des IPCC haben

2500 Experten sechs Jahre gearbeitet.

In der Zusammenfassung des

Reports ist von einem Anstieg der Temperaturen in den nächsten 30

Jahren um rund 0,7 Grad Celsius die Rede. Bis 2100 könnte die Temperatur

gar um bis zu 6,4 Grad steigen – abhängig von der Menge der freigesetzten

Treibhausgase.

Die stärksten Temperaturerhöhungen

erwarten die Forscher in den hohen nördlichen Breitengraden. In der

Arktis sind bereits jetzt dramatische Folgen des Klimawandels zu beobachten.

Weniger betroffen sind hingegen die südlichen Ozeane sowie der Nordatlantik.

In den USA wollen die Demokraten

im US-Repräsentantenhaus noch bis Ende dieses Jahres gesetzlich eine

Begrenzung der CO2-Emissionen für die US-Industrie durchsetzen. Sie

kritisieren die ihrer Ansicht nach lasche Reaktion der US-Regierung von

Präsident George W. Bush auf die jüngsten, alarmierenden UN-Klimaberichte.

Konkrete Maßnahmen

wegen der drohenden Klimaerwärmung kündigte dagegen Japan an.

Dort sollen neue Reissorten entwickelt werden, die Hitze besser vertragen

und mit weniger Wasser auskommen. Die spanische Regierung will noch im

Sommer einen Anpassungsplan verabschieden, weil ihr Land im UN-Bericht

als besonders anfällig und verwundbar bezeichnet wird.

 

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