RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 07.04.07

FALSCHER MUSTERKNABE BUNDESREPUBLIK

Töpfer hält

Deutschland für einen der größten Klimakiller

Deutschland stellt sich gern

als Musterbeispiel in Sachen Klimaschutz dar – in den Augen von Beobachtern

sieht das anders aus. Der Ex-Chef des Uno-Klimaprogramms Töpfer erklärt

sogar, Deutschland sei einer der größten Klimasünder weltweit.

Die EU fordert mehr Engagement von der Bundesrepublik.

Berlin -Klaus Töpfer

macht eine einfache und erschreckende Rechnung auf: Jeder Deutsche erzeuge

im Schnitt pro Jahr zehn Tonnen des Klimagases Kohlendioxid, erklärte

der frühere Umweltminister und Ex-Chef des Uno-Klimaprogramms in der

“Welt am Sonntag”. Damit lägen die Deutschen zwar nur halb so hoch

wie die Amerikaner, weltweit aber in der Spitzengruppe der Staaten mit

dem höchsten Ausstoß an CO2. Laut Töpfer liegt der Pro-Kopf-CO2-Ausstoß

der Franzosen unter sieben Tonnen, ein Chinese erzeuge gerade mal drei

und ein Inder nur eine Tonne Kohlendioxid.

Der frühere CDU-Politiker

kritisierte die deutsche Klimapolitik scharf in dem Gespräch. Es gebe

einen erheblichen Widerspruch zwischen Anspruch und Handeln: “Die nüchternen

Zahlen sagen, dass wir noch unendlich viel mehr tun müssen.”

Gestern hatten die Vereinten

Nationen (UN) im zweiten Teil ihres Weltklimaberichts vor katastrophalen

Folgen der globalen Erwärmung für die unterschiedlichen Weltregionen

gewarnt. Der Klimawandel wird demnach auf allen Kontinenten viel früher

zu weit verheerenderen Schäden führen als bislang angenommen.

Der Bericht prognostiziert unter anderem immer mehr Hungersnöte in

Afrika und Asien auf Grund der Erderwärmung. Außerdem drohe

vielen dicht besiedelten Küstengebieten eine dauerhafte Überflutung

durch den Anstieg des Meeresspiegels.

Auch die EU erwartet jetzt

mehr Engagement von Deutschland im Kampf gegen den weltweiten Temperaturanstieg.

EU-Umweltkommissar Stavros Dimas sagte der “Welt am Sonntag”, die Bundesrepublik

halte zwar etwa beim Ausbau des Ökostroms eine Führungsrolle.

In anderen Bereichen gebe es aber Nachholbedarf. “Die Klimaschutzziele

der Europäischen Union können nur dann durchgesetzt werden, wenn

mit Deutschland auch die größte Volkswirtschaft Europas mitzieht.”

Auch die hiesige Autoindustrie könne noch mehr tun. Die Zukunft liege

in sparsamen und umweltfreundlichen Wagen und nicht in großen Fahrzeugen,

die Energie verschwendeten.

Kompromiss im Streit um Braunkohlekraftwerke

Bundesumweltminister Sigmar

Gabriel dagegen pochte heute auf die Vorreiterrolle der Bundesrepublik

beim Klimaschutz. Ohne Deutschlands Beitrag habe die Europäische Union

keine Chance, ihre Ziele bis 2012 zu erreichen, betonte der SPD-Politiker.

Das Land allein leiste drei Viertel der Einsparungen. Während die

EU ihren CO2-Ausstoß insgesamt gegenüber 1990 um acht Prozent

senken will, hat Deutschland sich zu 21 Prozent verpflichtet.

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Klimawandel: Änderungen

in den 8 Weltregionen. Starten Sie hier die interaktive Grafik!

Erstmals sprach sich Gabriel

heute für eine Versteigerung von CO2-Verschmutzungsrechten ab nächstes

Jahr aus. “Aus meiner Sicht wäre eine Versteigerung vernünftig”,

erklärte er der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung”. “Schließlich

haben die Energieunternehmen die bislang kostenlos vergebenen Zertifikate

schon eingepreist.” Gabriel schloss sich damit einer auch in der SPD und

der Union seit längerem verbreiteten Haltung an und rückte von

seiner bisherigen Position ab. In seinem Entwurf für den Emissionshandel

zwischen 2008 und 2012 ist von einem Verkauf oder einer Versteigerung keine

Rede. Allerdings wird der Text wegen Änderungen für die Braunkohlekraftwerke

ohnehin korrigiert.

In dieser Frage kam es inzwischen

zu einem Kompromiss: Gabriel zufolge werden Braunkohlekraftwerke so auch

künftig nicht gegenüber umweltfreundlicheren Steinkohle- oder

Gas-Anlagen privilegiert. Es gebe in der Frage eine Einigung mit dem Wirtschaftsressort.

Gegen den Widerstand des Bundeswirtschaftsministeriums und aus Teilen der

Union erhalten alte Kraftwerke mit höheren Emissionen nun nicht mehr

Verschmutzungsrechte, wie ursprünglich gefordert.

Der Vorsitzende der Bergbau-Gewerkschaft

IG BCE, Hubertus Schmoldt, mahnte in diesem Zusammenhang, bei allen Anstrengungen

für das Klima die Wettbewerbsfähigkeit nicht aus den Augen zu

verlieren. “Wenn wir den Indern ermöglichen, ihrer Kohlekraftwerke

mit neuester Technik auszurüsten, tun wir mehr für das Klima

weltweit als mit Energiesparlampen in Deutschland”, sagte der der “Neuen

Osnabrücker Zeitung”.

Australien bekräftigt

Nein zum Kyoto-Protokoll

Insgesamt stieß der

Uno-Klimabericht auf ein geteiltes Echo in der Welt. Anhaltender Widerstand

zeichnet sich etwa in China und Australien ab. China – nach den USA der

weltgrößte CO2-Produzent – will sich offenbar erst von 2013

an aktiv an den Gesprächen für ein internationales Rahmenwerk

zur Bekämpfung der Klimaerwärmung beteiligen. Das Riesenreich

ist – wie Indien und zahlreiche Entwicklungsländer – von den Auflagen

zur Verringerung der Treibhausgase im Kyoto-Protokoll ausgenommen. Unbeeindruckt

vom Klimabericht zeigte sich auch Australien als einer der größten

Umweltsünder im pazifischen Raum. Premierminister John Howard sah

in dem Bericht “wenig Neues” und bekräftigte das Nein seiner Regierung

zum Kyoto-Protokoll.

ESA 2004

Das Intergovernmental Panel

on Climate Change, zu Deutsch der zwischenstaatliche Ausschuss für

Klimaveränderungen mit Sitz in Genf, wurde 1988 vom Umweltprogramm

der Vereinten Nationen (Unep) und der World Meteorological Organization

(WMO) gegründet, die ebenfalls zur Uno gehört. Der Inder Rajendra

Kumar Pachauri ist seit Mai 2002 Vorsitzender des IPCC.

Das auch als Weltklimarat

bezeichnete IPCC soll umfassend, objektiv und ergebnisoffen die wissenschaftlichen,

technischen und sozioökonomischen Informationen über den von

Menschen verursachten Klimawandel bewerten. Das Gremium, dem Hunderte von

Wissenschaftlern in aller Welt zuarbeiten, soll die Folgen und Risiken

der Klimaveränderung abschätzen und ausloten, wie man sie abschwächen

oder sich an sie anpassen kann.

Der IPCC führt keine

eigenen Forschungsprojekte durch, analysiert die Ergebnisse wissenschaftlicher

Veröffentlichungen, die dem Peer-Review-Verfahren – der Prüfung

von Fachartikeln durch unabhängige Gutachter – gefolgt sind.

Das IPCC hat bisher 1990,

1995 und 2001 Berichte über den Stand der Klimaforschung abgegeben.

Am 2. Februar wird der erste Teil des neuen Reports vorgestellt, die Teile

zwei und drei werden im Laufe des Jahres folgen.

An dem Bericht sind drei

Arbeitsgruppen beteiligt: Arbeitsgruppe I stellt den Stand der Klimaforschung

dar, fasst Daten und Computersimulationen zusammen und trifft Aussagen

über die künftige Entwicklung. Arbeitsgruppe II berichtet über

die möglichen Folgen der Erwärmung für Mensch und Umwelt,

Arbeitsgruppe III über mögliche Gegenmaßnahmen.

Im ersten Klimareport des

IPCC von 1990 war noch von einem natürlichen Treibhauseffekt die Rede,

der von Emissionen des Menschen verstärkt werde. Der Report von 2001

ging wesentlich weiter: Er besagte, dass die Treibhausgas-Emissionen des

Menschen für den größten Teil der Erwärmung verantwortlich

sind. Auch Computersimulationen, die zur Prognose der zukünftigen

Entwicklung eingesetzt werden, räumte das IPCC 2001 steigende Glaubwürdigkeit

ein. Beides brachte dem Klimarat teils harsche Kritik von Regierungen und

Industrievertretern ein.

Der IPCC-Report von 2001

sagte voraus, dass die Temperatur an der Erdoberfläche im globalen

Schnitt bis 2100 um 1,4 bis 5,8 Grad steigen werde. Experten gehen inzwischen

davon aus, dass eine Erwärmung von weniger als zwei Grad zwar zu einer

deutlichen Zunahme von extremen Wetterphänomenen führen, insgesamt

aber noch beherrschbar sein wird. Bei einer Erwärmung von deutlich

mehr als zwei Grad werden katastrophale Folgen befürchtet.

Der IPCC-Report von 2007

basiert auf Hunderten Modellrechnungen, ausgefeilten Computermodellen,

zahllosen Studien und Messreihen. 450 Hauptautoren liefern die bisher genaueste

Beschreibung dessen, was die Temperatur der Atmosphäre etwa seit dem

Jahr 1800 in die Höhe treibt. An dieser vierten Studie des IPCC haben

2500 Experten sechs Jahre gearbeitet.

In der Zusammenfassung des

Reports ist von einem Anstieg der Temperaturen in den nächsten 30

Jahren um rund 0,7 Grad Celsius die Rede. Bis 2100 könnte die Temperatur

gar um bis zu 6,4 Grad steigen – abhängig von der Menge der freigesetzten

Treibhausgase.

Die stärksten Temperaturerhöhungen

erwarten die Forscher in den hohen nördlichen Breitengraden. In der

Arktis sind bereits jetzt dramatische Folgen des Klimawandels zu beobachten.

Weniger betroffen sind hingegen die südlichen Ozeane sowie der Nordatlantik.

In den USA wollen die Demokraten

im US-Repräsentantenhaus noch bis Ende dieses Jahres gesetzlich eine

Begrenzung der CO2-Emissionen für die US-Industrie durchsetzen. Sie

kritisieren die ihrer Ansicht nach lasche Reaktion der US-Regierung von

Präsident George W. Bush auf die jüngsten, alarmierenden UN-Klimaberichte.

Konkrete Maßnahmen

wegen der drohenden Klimaerwärmung kündigte Japan an. Dort sollen

neue Reissorten entwickelt werden, die Hitze besser vertragen und mit weniger

Wasser auskommen. Die spanische Regierung will noch im Sommer einen Anpassungsplan

verabschieden, weil ihr Land im UN-Bericht als besonders anfällig

und verwundbar bezeichnet wird.

 

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