RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 23.05.07

KLIMAWANDEL

Blair-Regierung setzt auf

neue Kernkraft

Windkraft, Stromsparen –

alles gut und schön. Aber nur mit neuen Atommeilern könne Großbritanniens

Stromversorgung gesichert und das Klima geschützt werden, behauptet

die Regierung. Doch aus dem Strategiepapier, das heute vorgestellt wurde,

spricht vor allem die Angst, abhängig von russischem Gas zu werden.

London – Verdreifachen will

die britische Regierung die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien –

und das bis 2015. Schon ein Jahr früher soll ein konventionelles Kraftwerk

im Dienst sein, das in der Lage ist, sein gesamtes ausgestoßenes

Kohlendioxid abzuscheiden und unterirdisch zu speichern. Außerdem

sollen die Briten lernen, Energie zu sparen: Viele grüne Ideen stecken

im Energy White Paper, das der britische Handels- und Industrieminister

Alistair Darling heute dem britischen Unterhaus vorstellte. Doch das Strategiepapier

enthält auch ein deutliches Bekenntnis zur Kernkraft – und zum Neubau

von Reaktoren.

Diese Forderung steht in

einem breiten, ökologischen und strategischen Kontext, betonte die

Regierung. Dazu zählt der Report die Herausforderung durch den Klimawandel

ebenso wie das Problem, “dass die verbleibenden Öl- und Gasreserven

der Welt in wenigen Regionen konzentriert” seien. Unter Berufung auf den

Stern-Report zu den Folgen des Klimawandels vom vergangenen Herbst (mehr…),

gibt Darling vor: Weg von fossilen Energieträgern, weg vom Kohlendioxid-Ausstoß.

Zum Klimaschutzziel der EU

– 60 Prozent weniger CO2-Emissionen im Jahr 2050 – bekennen sich die Briten

ebenso, wie zu einigen weniger konkret formulierten Zielen:

    * Die

Zuverlässigkeit der öffentlichen Energieversorgung sicherzustellen

    * Wettbewerb

und freie Energiemärkte im eigenen Land und außerhalb zu fördern

    * Zu

gewährleisten, dass jedes Haus angemessen und bezahlbar beheizt werden

könne

In jedem dieser Punkte könnte

man Widersprüche zu den jeweils anderen Zielen ausmachen. Noch-Schatzkanzler

Gordon Brown, der Tony Blair im Sommer als Premierminister beerben soll,

hatte die Sicherung der Energieversorgung Britanniens zu einem seiner wichtigsten

politischen Ziele erklärt.

Umstritten, verspätet,

voller Konfliktstoff

Das White Paper von Handelsminister

Alistair Darling ist umstritten und verspätet. Eigentlich wollte die

britische Regierung es bereits im März vorlegen. Nach einem Rechtsstreit

mit der Umweltschutzorganisation Greenpeace verzögerte sich die Veröffentlichung.

Der zugrunde liegende Beratungsprozess ist nach BBC-Informationen immer

noch nicht ganz abgeschlossen.

Verschmutzungsrechte

Das europäische System

zum Emissionsrechtehandel soll ausgebaut werden. Die gesamte britische

Wirtschaft soll auf verbindliche Ziele zur Reduktion des Kohlendioxidausstoßes

festgelegt werden.

Klimaziele

Ein verbindliches internationales

Vertragswerk solle helfen, die Konzentration von Treibhausgasen in der

Atmosphäre zu stabilisieren. Für Großbritannien gelten

die bereits bekannten Reduktionsziele: Im Vergleich zum Niveau von 1990

soll der Treibhausgasausstoß bis 2050 um 60 Prozent reduziert werden.

Schon 2020 sollen erhebliche Fortschritte spürbar sein. Die Regierung

spricht von 26 bis 32 Prozent minus. EU-weit gilt bisher die Marke von

20 Prozent für diesen Zeitpunkt.

Erneuerbare Energien

Saubere Quellen wolle man

vermehrt anzapfen, schreiben die Autoren und zählen auf: Kraftwärmekopplung,

Elektrizität aus erneuerbaren Energiequellen, sauberere konventionelle

Kraftwerke inklusive CO2-Abscheidung – das sind alles sattsam bekannte

Vorschläge. Bis 2010 soll ein Zehntel der britischen Stromversorgung

aus erneuerbaren Quellen kommen, bis 2020 doppelt so viel. Aber auch neue

Kernkraftwerke sollen künftig den Briten Strom liefern.

Neue Kernreaktoren

18 Prozent der gesamten Stromproduktion

und 7,5 Prozent der britischen Energieproduktion stammt derzeit aus Kernkraft.

Weil man die Ziele zur Verminderung der Treibhausgasemissionen einhalten

wolle, und weil keiner wisse, wie die Weltlage in 40 oder 50 Jahren aussehe,

sei Kernkraft als Teil des Energiemixes unverzichtbar, so die Autoren des

White Paper. Weil die laufenden Meiler schon heute altersschwach seien,

müssten Neubauten ins Auge gefasst werden.

Wettbewerb

Die begrenzten Ressourcen

der Welt sollen am effektivsten genutzt werden, schreibt die Regierung

im White Paper. Sie fordert eine weitere Marktöffnung und beklagt,

dass diese bislang sowohl in Europa als auch weltweit auf sich warten lasse.

Nur so könne der Übergang zu einem Wirtschaften, das großen

Kohlenstoffausstoß vermeidet, bewältigt werden.

Energiesparen

Gewerbliche, private und

öffentliche Nutzer sollen künftig mehr Energie sparen. Innerhalb

der EU und der G-8 wolle man Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz

international vorantreiben.

Technologie-Anreize

Emissionen zu vermeiden,

müsse sich lohnen, findet die Londoner Regierung. Die Privatwirtschaft,

so fürchten die Gutachter, werde wohl von sich aus nicht die nötigen

Investitionen in Forschung, Entwicklung und Anwendung neuer Technologien

machen. Indirekt sprechen die Autoren des White Paper sich für Subventionen

aus. Auf lange Sicht müssten die richtigen Investitionsanreize gesetzt

werden, ein “regulatory regime” sei notwendig. Dieser Ruf nach einem gesetzlichen,

optimalerweise internationalen Regelwerk dürfte besonders jenseits

des Atlantik auf wenig Gegenliebe stoßen.

Doch die Zeit drängt

nach Ansicht der Blair-Regierung. In einem Gastbeitrag für die Londoner

Zeitung “Times” verteidigte der Noch-Premierminister heute seine Initiative.

“Wie wir in einer gefährlichen Welt verhindern, dass die Lichter ausgehen”,

war der Artikel überschrieben. “Wir müssen auch Kernkraft als

kohlenstoffarme Energiequelle in Betracht ziehen”, schreibt Blair darin.

“Kernkraft deckt rund ein Fünftel unseres Energiebedarfs, doch die

meisten unserer Kraftwerke müssen wohl binnen 15 Jahren schließen.”

Daher sei die Debatte über Neubauten notwendig, “um die Sicherheit

unserer Energieversorgung zu untermauern, ohne uns abhängiger von

fossilen Energieträgern zu machen”.

Tatsächlich wird im

Jahr 2023 nur noch eines der jetzigen britischen Kernkraftwerke am Netz

sein. Für einen Neubau werden minimal zehn Jahre veranschlagt. Unter

Umweltschützern, Kernkraftgegnern und Oppositionspolitikern sorgte

daher ein Vorschlag für Unruhe, der eine neue Genehmigungsbehörde

für die Beschleunigung wichtiger Infrastrukturprojekte anregt. Die

Regierung hatte allerdings schon im Vorfeld angekündigt, dass kein

Steuergeld in den Bau neuer Atommeiler fließen solle.

“Öl- und Gasreserven

schwinden”

Zwar vertritt die Londoner

Regierung auch die bessere Ausbeutung erneuerbarer Energieträger wie

Wind-, Sonnen-, oder Wellenkraft. Ebenso werden Bürger und Unternehmen

zum Energiesparen angehalten. Dennoch scheint die Entwicklung der eigenen

Öl- und Gasförderung der Schlüssel zum Verständnis

des White Papers zu sein: Denn in der Nordsee gehen die Vorräte zur

Neige, die Großbritannien selbst fördern kann. “Die Öl-

und Gasreserven des Vereinigten Königreichs schwinden. Obwohl noch

erhebliche Vorräte unter der Nordsee lagern, hat die Förderung

ihren Höhepunkt überschritten und geht nun zurück”, betont

Darling im Vorwort zum Energy White Paper. 

 

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