RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
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online 16.07.07

Der globale Krieg ums

Öl

VON HAUKE RITZ UND OTTO

WIESMANN

Wenn derzeit über die

Reichweite der weltweiten Erdölvorkommen diskutiert wird, dann zumeist

auf Grundlage sehr optimistischer Schätzungen. Diese werden überwiegend

von der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris erstellt, die sich

wiederum auf Daten der US-amerikanischen Bundesbehörde für geologische

Studien stützt. Dabei lassen sich bereits heute am Marktverhalten

Entwicklungen ablesen, die diesen offiziellen Daten von Grund auf widersprechen.

Im Zentrum der Auseinandersetzung

steht dabei die Peak-Oil-Theorie. Peak Oil, auf Deutsch: der Erdölgipfel

bzw. das Fördermaximum, bezeichnet den Zeitpunkt, ab dem die Gesamtförderung

von Öl ihr Maximum erreicht, um anschließend stetig abzunehmen.

Nun lässt sich am Marktverhalten zeigen, dass spätestens seit

2005 die Peak-Oil-Theorie zumindest von der Ölindustrie als Gegebenheit

betrachtet wird. Während die Märkte über einen Informationsvorsprung

verfügen, wird dagegen in der Öffentlichkeit Peak Oil immer noch

als eine zweifelhafte und unbewiesene Theorie wahrgenommen.

Dies verhindert nicht nur

die dringend notwendige Debatte über die drohenden wirtschaftlichen

und politischen Konsequenzen. Es täuscht zudem darüber hinweg,

dass zahlreiche geopolitische Ereignisse der letzten Jahre bereits Effekte

der bevorstehenden Energiekrise sind. (…) Kaum ein Marktteilnehmer ist

gegenwärtig bereit, auf der Basis der optimistischen IEA-Prognose

neue Raffinerien zu errichten – obwohl die letzte Raffinerie in den USA

im Jahr 1976 gebaut wurde und die Infrastruktur somit bereits veraltet

ist. Die praktizierte Zurückhaltung bei den Investitionen in die Ölinfrastruktur

führte sogar dazu, dass es in den letzten Jahren immer wieder zu Engpässen

im Bereich der Raffineriekapazitäten kam. (…) Und schließlich

verwenden auch die Ölkonzerne ihre in den letzten Jahren stark angestiegenen

Einnahmen nicht vollständig darauf, neue Ölfelder zu suchen und

zu erschließen. Stattdessen gebrauchen sie einen immer größeren

Teil ihrer Gewinne, um eigene Aktien zurückzukaufen oder kleinere

Konkurrenten zu übernehmen.(…)

Bereits jetzt ist in einzelnen

Ölfördergebieten oft ein wesentlich stärkerer Förderrückgang

zu beobachten. So hat die Ölförderung in der britischen Nordsee

bereits 1999 ihren Höhepunkt erreicht und ist seitdem bereits um fast

40 Prozent abgefallen. Zusätzlich problematisch ist auch die Abhängigkeit

fast der gesamten Ölförderung von einem Prozent aller Ölfelder;

75 Prozent des geförderten Öls stammt aus diesen besonders großen

Ölfeldern. Die meisten von ihnen sind jedoch schon seit 30 bis 50

Jahren in Betrieb. (…)

Nun ist es allerdings kaum

denkbar, dass ausgerechnet die größte Militärmacht der

Welt tatsächlich am stärksten unter der kommenden Energiekrise

leiden wird. Nicht umsonst kontrollieren die Vereinigten Staaten alle Transportrouten

für Öl auf dem Seeweg bis in den pazifischen Raum hinein. Zudem

haben die USA in vielen Ländern des Nahen Ostens Militärbasen

errichtet.

Nach dem 11. September 2001

ist es den USA außerdem gelungen, ihre militärische Präsenz

auch in der zweiten wichtigen Förderregion für Öl und Gas,

direkt um das Kaspische Meer herum, auszubauen. Bis dahin war diese Region

überwiegend Teil der russischen Einflusszone. Die USA besitzen heute

Basen in Kasachstan, Kirgistan und Turkmenistan und sind somit die Macht

mit dem direktesten militärischen Zugriff auf die beiden größten

verbliebenen Förderregionen der Welt, den Nahen Osten und Zentralasien.

Es wäre naiv, davon auszugehen, dass die USA im Falle einer Energiekrise

von dieser Vormachtstellung keinen Gebrauch machen würden.

Im Gegenteil: Sowohl der

Afghanistan- als auch der Irak-Krieg lassen sich als Vorentscheidung dafür

deuten, dass die USA entschlossen sind, die kommende Energiekrise vorzugsweise

militärisch zu lösen. Diese Vermutung wird durch eine Rede gestützt,

die Vizepräsident Dick Cheney bereits am 15. November 1999 vor dem

Institute of Petroleum in London hielt. Darin skizzierte er die Peak-Oil-Problematik

und bezeichnete den Nahen Osten “mit zwei Dritteln der weltweiten Ölreserven

und den geringsten Förderkosten” als die Region, “wo letztlich der

Hauptgewinn liegt” (where the prize ultimately lies).

Man schätzt, dass der

gut drei Jahre später begonnene Irak-Krieg die USA bislang bereits

mehr als 400 Milliarden US-Dollar gekostet hat. Eine ungeheure Summe, die

besser in die Entwicklung und den Ausbau erneuerbarer Energien investiert

worden wäre. Das ist jedoch nicht geschehen. (…)

Der amerikanische Wissenschaftler

Michael T. Klare, Autor des Buches “Resource Wars”, hat kürzlich diese

ausschließliche Konzentration auf militärische Maßnahmen

als ein Verbrechen an der jungen Generation bezeichnet. Die vierjährige

Besetzung des Irak hat bislang nicht einmal die Ölförderung des

Irak steigern können. Jeder Versuch, Öl militärisch zu sichern,

sei zum Scheitern verurteilt, so Klare, da man im Endeffekt jede Pipeline

mit tausenden Soldaten bewachen müsste. Das auf diese Weise zum Fenster

herausgeworfene Geld fehle den USA, um die Energieformen der Zukunft zu

entwickeln. Die Folge ist, dass der heranwachsenden Generation keine effektive

Energieform zur Verfügung steht, wenn das Öl dereinst erschöpft

sein wird.

All dies wirft die Frage

auf, wieso die USA sich derart kurzsichtig auf die militärische “Lösung”

des Energieproblems festgelegt haben. Hier kommt eine Vielzahl von Faktoren

ins Spiel: Zum einen befindet sich die amerikanische Wirtschaft seit 150

Jahren, mit Ausnahme der Weltwirtschaftskrise von 1929, in einem Zustand

ständiger Expansion. Anfangs nach innen, durch die sich stetig nach

Westen verschiebende Grenze. Doch als das letzte indianische Territorium

erobert war, begann die wirtschaftliche Expansion in die übrige Welt,

zunächst als Handels- und seit dem Zweiten Weltkrieg zunehmend als

imperiale Macht. Auf diese Weise ist die Erfahrung wirtschaftlicher und

militärischer Expansion zu einem zentralen Bestandteil des amerikanischen

Lebensgefühls und Gesellschaftsmodells geworden.

Zudem gab es in der amerikanischen

Geschichte keine Zusammenbrüche, die sich mit den europäischen

Erfahrungen der zwei Weltkriege oder der deutschen Inflation vergleichen

ließen. Während die “Katastrophen” des 20. Jahrhunderts in Europa

ein Bewusstsein der eigenen Schwäche erzeugt haben, sind im Gegensatz

dazu die USA bis heute von ihrer Stärke überzeugt und halten

daher auch brachiale militärische Lösungen für ein taugliches

Mittel der Politik.

Hinzu kommt, dass beim Aufstieg

der USA zu einem Imperium zwei Faktoren von zentraler Bedeutung waren:

zum einen die Rolle des US-Dollars als Weltwährung, welche das Geld(schöpfungs)monopol

der US-amerikanischen Notenbank und somit enorme Seignioragevorteile mit

sich brachte; und zum anderen die Kontrolle über große Teile

des weltweiten Handels mit Öl, seiner Fakturierung und seines Transports.

Diese Kombination von Weltwährung

und Ölhandel ermöglichte es den USA, ohne Rücksicht auf

ihr Handelsbilanzdefizit wirtschaftlich zu expandieren. Tatsächlich

könnte die Geschichte der USA – von einer Wirtschaftsmacht zu einem

Imperium – am Beispiel einer Geschichte des Öls geschrieben werden.

Aber gerade diese geopolitische Abhängigkeit vom Öl erklärt

vermutlich auch, warum die amerikanischen Eliten die Möglichkeit eines

rechtzeitigen Umstiegs auf erneuerbare Energien ungenutzt verstreichen

ließen.

Schließlich könnte

ein weiterer Grund für die Konzentration der USA auf militärische

Lösungen auch jener Bericht sein, der im Februar 2005 von Robert Hirsch

für das US-Energieministerium erstellt wurde. Diese Untersuchung stellte

fest, dass die Umstellung der wirtschaftlichen Infrastruktur von Öl

auf alternative Energieträger nur dann ohne Versorgungsengpässe

zu bewerkstelligen sei, wenn die Umstellung 20 Jahre vor dem Fördermaximum

beginnt. Im allergünstigsten Fall, so der Report, könnte auch

noch eine Umstellung, die erst zehn Jahre vor dem Fördermaximum beginnt,

die schlimmsten Folgen abfedern.

Das Öl-Fördermaximum

wird nach Schätzung der Geologen der Association for the Study of

Peak Oil (ASPO) aber bereits in den nächsten drei Jahren erreicht

sein. Mit anderen Worten: Für einen harmonischen Übergang ist

es heute bereits zu spät. Dieses zu knapp bemessene Zeitfenster könnte

der letztlich entscheidende Grund dafür sein, weshalb die USA ganz

vornehmlich mit militärischen Interventionen auf die Problematik reagieren.

Doch ist Europa nicht in

der Position, sich über die verfehlte Politik der Vereinigten Staaten

zu erheben. Denn während sich im Nahen Osten bereits der nächste

Krieg ankündigt, diskutiert man in Europa immer noch über die

Realitätstauglichkeit der Peak-Oil-Theorie. Während die USA ihre

finanziellen Ressourcen in Kriegen verschwenden, verschwendet Europa seine

geistigen Ressourcen und erkennt nicht, dass die am Horizont aufziehende

Krise leicht ein neues Zeitalter großer militärischer Konfrontationen

einläuten könnte.

 

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