RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
FAZ

online 15.07.07

Kohlekraftwerke

CO2 soll ins Erdreich verbannt

werden

Von Georg Küffner

Der Bau neuer Kohlekraftwerke

läuft schleppend. Das ist nicht erstaunlich, fehlen doch durch eine

wenig stringente Energiepolitik verlässliche Rahmendaten, die Investitionen

von mehreren Millionen Euro je Block berechenbar machen würden. Doch

auch die Abneigung unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppen trägt

dazu bei. So haben sich Wissenschaftler aus Mainz, Wiesbaden und Darmstadt

gegen den Bau eines „klimaschädlichen Steinkohlekraftwerks“ auf der

Ingelheimer Aue ausgesprochen – darunter auch der Nobelpreisträger

Paul Crutzen. In Großkrotzenburg bei Hanau, wo drei Altanlagen durch

ein modernes Großkraftwerk ersetzen werden sollen, werden Plakate

mit der Aufschrift „Stoppt Staudinger“ durch die Straßen getragen.

Und auch in der Grünen-Bundestagsfraktion

ist man sich einig: Wir brauchen weder die Atomindustrie noch neue Kohlekraftwerke.

Vielmehr setzt man auf die erneuerbaren Energien und aufs Energiesparen.

Neue Kohlekraftwerke sollen erst dann wieder gebaut werden dürfen,

wenn die Technik zum Abscheiden und (End-)Lagern des bei der Kohleverbrennung

anfallenden Kohlendioxids „einsatzfähig ist“. Doch das wird nicht

vor 2020 der Fall sein.

Möglichst vollständige

Wärmeumwandlung

Bis dahin mit dem Bau neuer

Kraftwerke zu warten wäre aus Umweltsicht sträflich. Alte, längst

abgeschriebene Kohlekraftwerke ermöglichen es den Elektrizitätserzeugern,

den benötigten Strom zu niedrigsten Gestehungskosten zu produzieren.

Doch der Ausstoß an Kohlendioxid liegt bei diesen Oldtimern deutlich

höher als bei modernen Anlagen. Denn gelingt es, bei einem steinkohlebefeuerten

700-Megawatt-Block den Wirkungsgrad um nur einen Prozentpunkt zu verbessern,

werden im Jahr rund 100.000 Tonnen Kohlendioxid weniger ausgestoßen.

Zum Vergleich: Fast 50.000 Kraftfahrzeuge dürften zusätzlich

auf Deutschlands Straßen fahren, ohne dass sich die Gesamtmenge dieses

Gases veränderte.

Um dieses Ziel zu erreichen,

müssen die Kraftwerke mit immer höheren Dampftemperaturen betrieben

werden. Denn nach den Erkenntnissen der Thermodynamik lässt sich die

Verbrennungswärme der Kohle umso vollständiger in nutzbare Energie

wie Strom umwandeln, je höher die Einstiegstemperatur liegt und je

niedriger die Temperatur der unvermeidbar anfallenden, an die Umgebung

abgegebenen Abwärme ausfällt.

Materialien würden Bedingungen

nicht standhalten

So arbeitet man daran, den

Wirkungsgrad von Steinkohlekraftwerken von heute möglichen 46 Prozent

auf 50 Prozent anzuheben – und dabei den Kohlendioxidausstoß um mehr

als ein Drittel zu reduzieren. Dazu ist es notwendig, die Dampftemperaturen

von derzeit etwa 600 Grad auf rund 700 Grad (bei einem Druck von 350 bar)

zu erhöhen.

Die heute im Kraftwerksbau

eingesetzten Materialien würden diesen Bedingungen nicht standhalten.

Sie würden sich unkontrollierbar strecken und verfestigen. Abhilfe

lassen die von Thyssen-Krupp VDM für den Einsatz in Dampfturbinen

entwickelten Sonderstähle auf Nickelbasis erwarten. Doch nicht nur

das Material selbst muss diese extremen Bedingungen aushalten. Auch die

Schweißnähte müssen sicher sein. Und das über einen

Zeitraum von 40 Jahren.

Kohle wird zu Rohgas veredelt

Das 50-Prozent-Steinkohlekraftwerk

ist noch Zukunftsmusik. Das Gleiche gilt für die semantische Missgeburt:

das kohlendioxidfreie Kraftwerk. Das wird es nie geben. Denn beim Verbrennen

von Kohle fällt immer Kohlendioxid an. Was man jedoch tun kann, ist,

das Kohlendioxid einzufangen und dauerhaft wegzusperren. An diesem Ziel

wird momentan ernsthaft gearbeitet. Dabei steht man ganz am Anfang der

Entwicklung. Und damit ist klar, dass nicht abzuschätzen ist, ob alle

technischen Schwierigkeiten gelöst werden können. Auch ist noch

offen, ob und in welchem Umfang man die dann deutlich höheren Produktionskosten

den Stromkunden wird aufbürden können, ohne die Wettbewerbssituation

in Europa zu verzerren.

An drei Konzepten zur CO2-Abtrennung

wird gearbeitet. RWE plant den Bau einer Kohlevergasungsanlage. Anders

als bei der herkömmlichen Dampferzeugung wird die Kohle nicht verbrannt,

sondern in einem stählernen Reaktor bei hohen Temperaturen und einem

Druck von rund 35 bar zu einem aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid bestehenden

Rohgas veredelt. In einem zweiten Schritt entsteht durch die Zugabe von

(Wasser-)Dampf aus dem Kohlenmonoxid Kohlendioxid, das sich abtrennen und

verdichten (verflüssigen) lässt. Mit dem zurückbleibenden

Wasserstoff will man eine Gasturbine „befeuern“ – und mit deren heißen

Abgasen anschließend einen konventionellen Dampfprozess betreiben.

Temperaturen von mehreren

hundert Grad

Dieser Doppelnutzen nennt

sich Kombiprozess und verspricht hohe Wirkungsgrade. Auch das ist ein Grund,

warum weltweit bereits vier IGCC-Anlagen (Integrated Gasification Carbon

Cycle) laufen, wobei deren Aufgabe nicht immer die Stromproduktion ist:

Aus dem Kohlegas lassen sich auch flüssige Treibstoffe und alle anderen

Petroprodukte herstellen.

Die Entscheidung für

den Bau der ersten deutschen IGCC-Anlage (Nettoleistung 360 Megawatt) soll

im August fallen. Technische Risiken sieht man bei RWE nicht. Alle Komponenten

seien großtechnisch erprobt, mit einer Ausnahme: die Brennkammer

der Gasturbine. Hier wird der Wasserstoff gezündet. Dabei entstehen

Temperaturen von mehreren hundert Grad, die dem Feuerraum mächtig

zusetzen. Die RWE-Techniker zeigen sich aber zuversichtlich. Man werde

diese Herausforderungen bis zum Baubeginn der Anlage (er soll 2010 erfolgen)

in den Griff bekommen.

95 Prozent des Kohlendioxids

lassen sich abtrennen

Einen anderen Weg beschreitet

Vattenfall. Auf dem Gelände des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde

hat der Stromkonzern im April eine kleine Oxyfuel-Testanlage in Betrieb

genommen. Nach dem gleichen Konzept soll, wenn alles gutgeht, vom Sommer

2008 an eine deutlich größere Pilotanlage (30 Megawatt) arbeiten,

für die man am Standort Schwarze Pumpe vor einigen Wochen den Grundstein

gelegt hat. Und so arbeiten die Anlagen: Die Kohle wird nicht wie in normalen

Kraftwerken mit Luft, sondern mit reinem Sauerstoff verbrannt, dem man

zum Kühlen der Flamme einen Großteil des bei der Verbrennung

anfallenden Kohlendioxids beimischt. Anschließend wird das Rauchgas

von Staub und Schwefel befreit, um zuletzt in einem Kondensator getrocknet

zu werden. Übrig bleibt Kohlendioxid, das dann – wie bei der RWE-Technik

– komprimiert und verflüssigt wird.

Der dritte Weg ist deutlich

weniger spektakulär: Das aus konventionellen Kohlekraftwerken entweichende

Rauchgas wird chemisch gewaschen. Das geschieht „drucklos“ in riesigen,

sogenannten Absorberkolonnen, in denen das „Abgas“ mit einer Lösung

aus Aminen übergossen wird. Anschließend regeneriert man die

Waschlösung in einer Desorberkolonne, was Energie kostet. Das Kohlendioxid

wird dabei abgetrennt und anschließend verflüssigt. Je nach

verwendetem Amin lassen sich 85 bis 95 Prozent des Kohlendioxids abtrennen.

Alle Konzepte kosten Leistung

Im Vergleich zum RWE-Vergaser

und zum Vattenfall-Oxyfuel-Verfahren hat diese Post-Combustion-Technik

(sie wird im dänischen Steinkohlekraftwerk Esbjerg getestet) den klaren

Vorteil, dass mit ihr bestehende Kraftwerke nachgerüstet werden können.

Doch dass es dazu kommt, ist eher unwahrscheinlich. Denn das Regenerieren

der Waschlösung kostet bis zu 14 Prozent des mühsam hochgetriebenen

Wirkungsgrads, und auch die Abscheideleistung ist nicht berauschend.

Deutlich besser schneiden

die beiden anderen Konzepte ab. Aber auch sie kosten Leistung. So rechnet

RWE damit, dass sein IGCC-Kraftwerk einen Wirkungsgrad von 40 Prozent erreichen

wird. Dem steht ein Wert von über 50 Prozent gegenüber, der ohne

das Abtrennen des Klimagases Kohlendioxid möglich wäre.

Kohlendioxid wird zurück

in den Boden geschickt

Dieser Mehraufwand spiegelt

sich auch in den Stromgestehungskosten wider. Ebenfalls um rund 50 Prozent

werden die über denen des konventionellen Kohlestroms liegen. Dieser

Prozentsatz kann auch noch höher ausfallen. Das hängt ganz davon

ab, welche technischen Anstrengungen unternommen werden müssen, das

abgetrennte und verflüssigte Kohlendioxid tief unter der Erdoberfläche

zu lagern. In Deutschland denkt man dabei vor allem an Erdgaslagerstätten,

deren Ausbeute sich durch das Einpressen von Kohlendioxid sogar noch verbessern

ließe (enhanced gas recovery). Wollte man saline Aquiferne (salzwasserhaltige

Gesteinsschichten) nutzen, müssten zuvor zahlreiche Gesetze geändert

werden.

Dass das Verpressen von flüssigem

Kohlendioxid technisch beherrscht wird, zeigen Beispiele in Nordamerika,

Algerien und Norwegen. So wird in Amerika seit mehr als 30 Jahren flüssiges

Kohlendioxid bei der Gewinnung von Öl und Gas eingesetzt. Hier gibt

es ein mehr als 3000 Kilometer langes CO2-Pipelinenetz. Im norwegischen

Sleipner-Gasfeld und künftig auch im Gebiet des Gasfelds Snøhvit

(Schneewittchen), westlich von Hammerfest, wird Kohlendioxid zurück

in den Boden tief unter dem Meer geschickt. Ziel ist hier, die norwegische

CO2-Steuer zu vermeiden.

 

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