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Spiegel
online 30.08.07 DOKU ÜBER AL GORE Das Öko-Starlet Von Christian Buß Alle Wetter! Al Gore wurde mit Erderwärmung und anderen Klimathemen zum heißesten Polit-Aktivisten der Gegenwart. Die Reportage “Pinguine, Pop und Politik” untersucht einen ehemaligen Verlierer im Medien-Hoch. Verlieren ist eine Kunst, und der kluge Kopf bringt dieses Verlieren als Tragikomödie zur Aufführung. So wie Al Gore, der sich seinen Zuhörern gern als “ehemaliger nächster Präsident der USA” vorstellt. Bevor er die Leute bei Vorträgen über die drohende Klimakatastrophe aufklärt, gibt er gern als Stand-up-Comedian den lustigen armen Teufel. Da erzählt er dann zum Beispiel bei einer Performance in Texas, wie er nach dem Wahldebakel Jahr 2000 im Mietwagen mit seiner Frau bei einem billigen Schnellrestaurant Station macht und die anderen Gäste sich zuraunen, dass der Mann doch arg tief gesunken sei. Noch demütigender aber sei das Fliegen geworden: “Acht Jahre Air Force One”, ruft Gore den Leuten zu. “Und nun muss ich mir beim Check-in die Schuhe ausziehen!” Der Saal tobt. Die Filmemacherin Carola Lichtenberg hat Al Gore über viele Monate bei seiner Endlos-Benefiz-Tour durch die Konzerthallen, Kinosäle und Buchmessegelände dieser Welt begleitet. Nach Frankreich, Schottland, Deutschland und sogar zu einem Vortrag bei den Vereinten Nationen, wo er die ehrenwerten Damen und Herren darum bittet, beim Sprechen auf und ab gehen zu dürfen. Laues Thema, cool vermarktet Al Gore braucht die Bewegung auf der Bühne. Vielleicht ist er das größte Showtalent, das die USA zurzeit zu bieten haben. Auf jeden Fall ist er ein Verkaufsgenie. Heizdecken oder Tupperware nehmen sich ja geradezu aus wie Kassenhits gegen jene Materie, mit der sich der ehemalige Vizepräsident vor zwei Jahren ans Publikum wandte: einen schon etwas älteren Diavortrag über die Folgen der Erderwärmung. Gore hatte nur einen alten Diavortrag in petto, verwertete die Kamelle aber virtuos. Erst gab’s den Film zur Dia-Show, dann das Buch zum inzwischen oscargekürten Film, schließlich als krönenden Abschluss der Öko-Offensive das Mammutkonzertereignis “Live Earth”. Aufklärungsarbeit in der Blockbuster-Einspielzone: Analysten, so heißt es in der Reportage, schätzen den Wert des Imperiums von Al Gore auf hundert Millionen Dollar. Er selbst betont, dass kein Cent aus dem Erlös seiner Aktivitäten in die eigene Tasche gewandert sei. Mit “Pinguine, Pop und Politik” soll nun der Erfolg des Öko-Starlets Gore erklärt werden. Doch die Annäherung bleibt zaghaft, die Materie erweist sich über Strecken als geradezu analyseresistent. Das liegt weniger an Filmemacherin Lichtenberg, die sich dem Studienobjekt ein Jahr lang wacker an die Fersen geheftet und auch interessante Kleinigkeiten aus dessen Umfeld zusammengetragen hat. Vielmehr ist es Gore inzwischen gelungen, gänzlich mit seinem Anliegen zu verschmelzen; Umweltpolitik und Show bilden bei ihm eine unverbrüchliche Einheit. Schauer der Aufmerksamkeit Wo der Umwelt-Aktivist aufhört und die Privatperson beginnt, ist einfach nicht mehr ersichtlich. Der Mann präsentiert sich und verschwindet gleichzeitig hinter seinem Thema. Gore, das wandelnde Paradoxon. Es gehe doch um die Sache, nicht um ihn, sagt der Öko-Promi bei Fragen zu seiner eigenen Person – um seine Dia-Vorträge dann zu zelebrieren wie ein Popstar einen Gig. Der Zuschauer wird hier also mit der alten Michael-Moore-Glaubensfrage konfrontiert: Wie viel Personalisierung und Unterhaltungswert verträgt die politische Aufklärungsarbeit? Zur Erörterung interviewt man in der ZDF-Reportage – die in Anbetracht ihrer populären Aufbereitung mit viel reißerischer Rockmusik übrigens zu einem extrem unpopulären Zeitpunkt läuft – einen Fürsprecher und einen Kritiker. Stellung für den Medienzampano Gore bezieht der ehemalige deutsche Bundesumweltminister Klaus Töpfer, der zu Amtszeiten ja mit einem etwas kläglicherem Gespür für gute Publicity im Rhein baden gegangen ist. Er lobt das Engagement und betont, dass man für Umweltaufklärungsarbeit eben Galionsfiguren und Kommunikationsgenies brauche. Kontra Gore kommt ausführlich der Kieler Klimaforscher Mojib Latif zu Wort, der das mangelnde wissenschaftliche Fundament von Gores Doku-Kassenhit “Eine unbequeme Wahrheit” beklagt. Er hätte, so Latif nüchtern, doch vorher lieber ein paar Wissenschaftler zu Rate ziehen sollen. Außerdem verweist Latif auf das klägliche Scheitern des von Gore seinerzeit mit angeschobenen Kyoto-Protokolls. Als ob so was wie Scheitern je Eindruck gemacht hat auf Gore! Der versteht es nun mal wie kaum ein anderer, mit seinen Niederlagen zu kokettieren und Tiefpunkte in der Karriere zu Highlights der Integrität umzudeuten. Der Phoenix fliegt, die Asche ist das perfekte Make-up. An seiner Medienpotenz gemessen gilt: Al Gore ist der mächtigste Verlierer der Welt.
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