RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 17.11.07

IPCC-BERICHT

Uno-Klimareport ignoriert

jüngste Studien

Von Volker Mrasek

“Furchterregend wie ein Science-Fiction-Film”

– so bewertet Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon den neuen Weltklimabericht.

Doch es steht zu befürchten, dass der IPCC-Report in zahlreichen Punkten

überholt ist, dass die Lage also viel ernster ist, als bislang bekannt.

Es war der wissenschaftliche

Schlussakt in einem Jahr, in dem sich eine Pressekonferenz des Zwischenstaatlichen

Ausschusses für Klimaänderung der Uno (IPCC) an die andere reihte.

Seinen neuen Welt-Klimareport 2007 bereitet das internationale Expertengremium

in vier Gängen zu.

Die ersten drei Berichtsteile

servierte es der Öffentlichkeit im Februar, März und Mai: schwere

Kost, die vielen auf den Magen schlug, weil sie unmissverständlich

klar machte, wie ernst die Gefahr durch den Klimawandel ist. Jetzt, in

der spanischen Universitätsstadt Valencia, gab es den Nachschlag,

“Synthese-Report” genannt. (mehr…) Doch wer geglaubt hat, Gang Nummer

vier werde das üppige Menü mit einer eigenen Geschmacksnote abrunden,

der wurde enttäuscht.

Liest man die 23-seitige

“Zusammenfassung für Politische Entscheidungsträger” Zeile für

Zeile, dann stellt sich heraus: Der Synthese-Report fasst lediglich zusammen,

was bereits in den Zusammenfassungen der ersten drei Berichtsteile steht.

Etliche Klimaforscher hatten

darauf gehofft, dass Teil IV darüber hinausgeht und übergreifend

darlegt, was denn nun aus den Erkenntnissen über den Klimawandel (Teil

I), seine Folgen für Ökosysteme und menschliche Gesellschaft

(Teil II) sowie über mögliche Gegenmaßnahmen (Teil III)

abzuleiten sei. Vor allem aber versäumt es der IPCC, zum Abschluss

seines Veröffentlichungsmarathons darauf hinzuweisen, dass der inzwischen

4. Welt-Klimabericht bereits in zahlreichen Punkten überholt sein

dürfte. Und dass das Problem noch ernster sein könnte, als auf

den mehr als 3000 Seiten des Hauptberichtes geschildert.

Die angeblich neue Klima-Bibel

ist nämlich gar nicht auf dem neuesten Stand. Sondern auf dem von

Mitte 2006. Die IPCC-Autoren und -Gutachter haben alle Fachartikel im Feld

der Klimaforschung gesichtet und bewertet, die bis dahin veröffentlicht

worden sind. Das war von vorneherein die Deadline. Doch inzwischen sind

weitere 15 Monate vergangen.

Und jüngere, nicht einmal

im Synthese-Report erwähnte Studien lassen vermuten, dass der IPCC-Report

ein zu rosiges Bild von der Lage zeichnet:

    * Die

globalen Emissionen von Kohlendioxid aus der Verbrennung fossiler Energieträger

steigen immer schneller. Seit 2000 beträgt der Zuwachs mehr als drei

Prozent pro Jahr. In den Jahrzehnten davor waren es im Mittel lediglich

1,3%. “Der CO2-Ausstoß übertrifft mittlerweile die Wachstumsraten

sämtlicher Emissionsszenarien, die der IPCC in seinem neuen Bericht

abhandelt”, sagt Michael Raupach, australischer Physiker und Leiter des

“Globalen Kohlenstoffprojektes”.

    * Rund

die Hälfte der anthropogenen CO2-Emissionen verbleibt nicht in der

Atmosphäre, sondern wird postwendend von Ozean und Landpflanzen aufgenommen.

Doch diese natürlichen “Kohlenstoffsenken” könnten überschätzt

worden sein. So nehmen Wälder der mittleren und hohen nördlichen

Breiten vermutlich 40 Prozent weniger Kohlendioxid auf als in den Klimarechenmodellen

vorgegeben. Das ergab eine multinationale Studie, die das Fachmagazin “Science”

kürzlich veröffentlichte. “Die Vorstellung, dass uns die Biosphäre

schon irgendwie retten wird, ist falsch!”, folgert Kevin Gurney, Klimaforscher

an der Purdue University in West Lafayette in den USA: “So viel zusätzliches

CO2 können Bäume gar nicht aufnehmen.”

    * Auch

die Helfershelfer-Rolle der Weltmeere wird von Wissenschaftlern inzwischen

vorsichtiger eingeschätzt. So zeigen aktuelle Messungen, dass die

CO2-Aufnahmefähigkeit der Nordsee schon heute abnimmt. Belgische,

niederländische, kanadische und US-amerikanische Forscher berichteten

darüber jetzt in der Fachzeitschrift “Global Biogeochemical Cycles”.

Sie sprechen sogar von einer “rapiden Abnahme der CO2-Pufferkapazität”.

Andere Studien sehen eine ähnliche Entwicklung im ganzen Nordatlantik.

    * Im Arktischen

Ozean ist von Sommer zu Sommer immer weniger Meereis vorhanden. Anfang

Oktober meldete das Nationale Schnee- und Eisdatenzentrum der USA (NSIDC)

einen neuen Rekordtiefststand für 2007. Die gesamte Eisfläche

habe nur noch 4,3 Millionen Quadratkilometer betragen – noch einmal 23

Prozent weniger als in 2005, der bisherigen Rekordsaison. Die legendäre

Nordwestpassage sei komplett frei gewesen. Die NSIDC-Forscher gehen nunmehr

davon aus, dass die Arktis schon 2030 im Sommer eisfrei sein könnte

– Jahrzehnte früher als nach den Klimaprojektionen, die im neuen IPCC-Report

erwähnt werden. Dort ist “vom späteren Teil des 21. Jahrhunderts”

die Rede.

    * Als

zu konservativ erscheint mittlerweile auch der IPCC-Ausblick für den

weiteren Anstieg des Meeresspiegels. Der kommt allein dadurch zustande,

dass sich wärmeres Wasser ausdehnt. In der taufrischen Synthese-Zusammenfassung

taucht noch einmal eine Tabelle aus Berichtsteil I auf, wonach der Meeresspiegel

bis 2099 um 18 bis 59 Zentimeter steigen könnte – je nachdem, welche

Treibhausgas-Mengen in Zukunft ausgestoßen werden. Doch diese Zahlen

sind nach Auffassung verschiedener Forscher korrekturbedürftig. Denn

sie lassen einen wichtigen Aspekt außer Acht: Das ins Meer abfließende

Tauwasser schmelzender Festlandsgletscher wird die Pegelstände zusätzlich

in die Höhe treiben. Weil unklar ist, wie stark der Effekt ist, verzichtet

der IPCC darauf, ihn zu quantifizieren.

Wenigstens in diesem Punkt

rafft sich der Welt-Klimarat zu einer Art aktuellem Update auf. Da “künftige

rapide Veränderungen der Eisflüsse” nicht in den Szenarien für

den Meeresspiegelanstieg berücksichtigt seien, dürfe man die

genannten 59 Zentimeter nicht als Obergrenze auffassen.

IPCC-Chef Rajendra Pachauri

wurde jetzt in Valencia sogar noch deutlicher. Selbst wenn es der Weltgemeinschaft

gelinge, die CO2-Emissionen von 2015 an zu senken, sei auf lange Sicht

mit einem (allein thermischen) Meeresspiegelanstieg um 0,40 bis 1,40 Meter

zu rechnen, sagte der indische Ingenieur und Umweltwissenschaftler. “Das

wird vielleicht nicht im 21. Jahrhundert geschehen, sondern eine Weile

später”, ergänzte Pachauri. Doch eine Beruhigung ist das kaum.

Es zeigt nur: Das Klima reagiert äußerst träge, und schon

die bisherigen Treibhausgas-Emissionen genügen, um am Ende gravierende

Veränderungen hervorzurufen.

Auch das übrigens ein

Punkt, den der IPCC in seinem neuen Weltreport nur flüchtig erwähnt:

Nach aktuellen Studien wird ein gewisser Teil der anthropogenen Treibhausgase

für Jahrtausende in der Erdatmosphäre verbleiben – und das Klima

eine halbe Ewigkeit lang prägen.

 

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