RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
FR

online 02.01.08

Klimawandel

Das Tote Meer zieht sich

zurück

VON INGE GÜNTHER

Das Säulenrondell ist

verwittert, das Mauerwerk verfallen. Nur noch Fragmente des gelobten Landes

sind auf der verblassten Wandmalerei zu erkennen. Farblich gesehen hat

sich der Jordan am Besten gehalten, eine blaue Nabelschnur, die den See

Genezareth mit dem Toten Meer verbindet.

Was jetzt eine Ruine ist,

war ein feudales Seebad am Nordufer des Toten Meeres, während der

Mandatszeit in Palästina vor 70 Jahren von den Briten erbaut. Sie

nannten es “Lido”. Nach 1948, als Jordanien über das Westjordanland

herrschte, soll auch König Abdullah I. zur Erholung hergekommen sein.

Heute wirkt die Lido-Ruine

wie eine Fata Morgana in der Wüste. Der Strand ist nicht mehr zu sehen,

das Tote Meer hat sich vom Lido entfernt. Der Rückzug hält seit

Jahrzehnten an und beschleunigt sich. Inzwischen sinkt der Spiegel des

Sees jährlich um bis zu einen Meter. Schon immer lag das Tote Meer,

das zehnmal salziger ist als andere Meere, am tiefsten Punkt der Erde,

aber in den dreißiger Jahren befand sich die Wasserfläche 380

Meter unter Normalnull, heute sind es 420 Meter.

Abflüsse allerorten

Der Grund ist simpel: Es

fließt nicht genug Wasser in den See. Der Jordan, der das Tote Meer

einst speiste, ist zu einem dreckigen Rinnsal verkommen. Wasser ist rar

in Nahost. Israel unterhält am Westufer des Genezareth-Sees, dort,

wo der Jordan entspringt, sein nationales Wasserwerk, die landesweit größte

Versorgungsanlage. Am Ostufer leitet Jordanien den Fluss Yarmuk, einen

Jordan-Zuläufer, in den König-Abdullah-Kanal ab. Syrien fängt

seine Zuflüsse mit einem Staudamm auf. Und Libanon hält für

kleinere Bewässerungsprojekte so viel Wasser zurück, wie es kann.

Der Jordan leitet nur noch

ein Sechstel der ursprünglichen Wassermenge ins Tote Meer. “Und davon

ist das meiste Abwasser”, klagt Clive Lipchin vom Arava-Institut für

Umweltstudien. Fast alle palästinensischen Dörfer und viele israelische

Westbank-Siedlungen lassen ihr Schmutzwasser in den Jordan fließen.

Am Ende landet es im Toten Meer. Tröstlich für den, der trotzdem

baden will: In der Salzlake überlebt keine Bakterie.

Die Fahrt am Toten Meer entlang

Richtung Süden ist immer noch wunderschön. Zur Linken das Wasser,

dessen spiegelglatte Oberfläche an gegossenes Blei erinnert. Beim

Einfall der Sonnenstrahlen gleißt es wie geschliffene Edelsteine.

Zur Rechten die gezackten Felsen der Judäischen Wüste. Der Horizont

verliert sich im dicken Dunst. Eine Landschaft zum Träumen. Nur genau

das sollte man nicht tun.

Alle paar hundert Meter steht

ein Warnschild: “Achtung! Senklöcher!” Die Gruben sehen aus wie Mondkrater.

Hunderte, wenn nicht tausende gibt es inzwischen davon auf dem nördlichen

Westufer. Der Boden ist unberechenbar, warnt Lipchin. Ganz plötzlich

reißt er auf, Löcher bilden sich, groß genug, um einen

Traktor zu verschlingen. Lipchin weiß von thailändischen Farmhelfern

zu berichten, die aus einem vier, fünf Meter tiefen Erdloch befreit

werden mussten. Auch ein Ökologe soll beim Erforschen der Senklöcher

in ein solches hineingefallen sein. Nach einem Tag fand man ihn und zog

ihn heraus.

Vorsichtig nähern wir

uns am Strand von Ein Gedi einem dieser Krater. Beim Aufsetzen des Fußes

zerspringt die Schlammkruste wie Kuchenglasur überm Biskuit. Noch

vor wenigen Jahren war hier Meeresboden. Doch dann zog sich das Tote Meer

zurück, schneller als das Frischwasser folgen konnte, das nach dem

Winterregen durch die Wüstenfelsen rinnt. Lipchin erklärt, was

dann passiert. Das Meerwasser ist weg, aber unterirdische Salzkammern sind

noch da. Ganz allmählich werden sie vom Süßwasser ausgewaschen,

wodurch von außen unsichtbare Hohlräume entstehen. Irgendwann

ist die Oberfläche so dünn, dass sie bricht.

Der Kibbuz in Ein Gedi, eigentlich

eine idyllische Oase, bekommt die Herrschaft der Natur besonders hart zu

spüren. Der riesige Palmenhain, der früher tonnenweise dicke,

süße Datteln lieferte, stirbt. Die Senklöcher machen eine

Bewirtschaftung unmöglich. An ein neues Hotel ist erst recht nicht

zu denken, denn keine Versicherung will für das Senkloch-Risiko haften.

Und so werden die Badegäste vom alten Kurhaus auf Traktoranhängern

ans Tote Meer kutschiert. Eineinhalb Kilometer ist der Ort inzwischen vom

Strand entfernt.

Für Lipchin ist Ein

Gedi “ein Beispiel, was passiert, wenn ein Ökosystem außer Balance

gerät”. Besserung ist seinen Worten nach nur in Sicht, wenn wieder

mehr Wasser ins Tote Meer fließt. Aber wie das zu bewerkstelligen

ist, darüber scheiden sich die Geister. Von der kühnen Idee,

das Tote Meer an den Tropf des Roten Meeres zu hängen, halten die

meisten Umweltschützer wenig. Der dazu nötige 300 Kilometer lange,

unterirdische Kanal könnte eine Naturkatastrophe auslösen, zumal

er durch das Arava-Tal verlaufen müsste, das einem geologisch aktiven

Gebiet zählt. Erst kürzlich bebte die Erde mehrfach. Ein Erdbeben

der Stärke 7 auf der Richterskala, wie vor 80 Jahren registriert,

würde den “Red-Dead-Kanal” zum Bersten bringen und das Grundwasser

ruinieren, fürchten Gegner des Projekts.

Die Befürworter, voran

Staatspräsident Schimon Peres, halten den Kanal indes für die

perfekte Lösung, um das Tote Meer zu retten sowie zusätzliches

Süßwasser unter optimaler Energieausnutzung zu gewinnen. Da

zwischen Rotem Meer und Totem Meer ein Gefälle von mehr als 400 Metern

besteht, ließe sich auf dem Weg dorthin genügend Strom gewinnen,

um das Wasser zu entsalzen. Davon würde Jordanien profitieren, in

dem Trinkwasser knapp ist, aber auch Israel und Palästina.

Die beim Entsalzen als Abfallprodukt

anfallende Lake würde ins Tote Meer geleitet. Sie wäre allerdings

mit Alkalimetallen belastet und niemand weiß, wie und ob sich diese

Salzbrühe mit dem Wasser aus dem Toten Meer mischt. Es könnte

Gips entstehen, sagt Lipchin, vielleicht würde sich auch die Wasserfarbe

ändern. Die Weltbank beteiligt sich mit etwa sieben Millionen Euro

an der schon laufenden Machbarkeitstudie. Der Kanal würde etwa sieben

Milliarden Euro kosten, da will man genauer wissen, woran man ist. “Eine

Garantie gibt es allerdings nicht”, sagt Lipchin. “Erst zwanzig, dreißig

Jahre nach Fertigstellung werden wir die Reaktion der Natur kennen.”

Industrielle Verdunstung

Im Touristenort Ein Bokek

ist das Tote Meer nur noch ein flacher Tümpel. Das obligatorische

Erinnerungsfoto vom Bad mit der Zeitung in der Hand stammt in aller Regel

von hier, vom Südbassin des Sees. Hier beginnen die künstlichen

Becken, die der israelische Chemie-Multi Dead Sea Works angelegt hat, um

Salze, Brom und Magnesium aus dem verdunstenden Wasser des Totes Meeres

zu lösen. Vis-à-vis auf jordanischer Seite betreibt die Arabische

Pottasche-Gesellschaft das gleiche Geschäft. Zu 20 Prozent verursache

die Industrie den sinkenden Wasserspiegel, sagt Lipchin.

Ganz verschwinden wird das

Tote Meer allerdings nie, glauben die Wissenschaftler. Gespeist von unterirdischen

Quellen werde sich der See bei 600 Metern unterhalb des Meeresspiegels

stabilisieren. Tiefer kann er nicht sinken.

 

Mail  
Scroll to Top