RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 31.03.08

UMWELTPROBLEME

Wissenschaftler warnen

vor Biosprit

Von Christoph Seidler

Biosprit in der Kritik: Forscher

haben sich ungewöhnlich drastisch gegen eine steigende Biospritproduktion

ausgesprochen und warnen vor Umweltproblemen. Die Politik reagiert – aber

langsam und nur aus eigennützigen Motiven.

Viel deutlicher kann man

es nicht formulieren: “Die Förderung des Einsatzes von Biokraftstoffen

ist aus klimaschutzpolitischer Sicht keine Option”, schrieb der wissenschaftliche

Beirat für Agrarpolitik unlängst in einem umfangreichen Gutachten.

Im Vergleich zu anderen klimapolitischen Optionen seien Biodiesel und Bioethanol

aus deutscher Produktion kostspielig und nutzlos, diktierten die Forscher

den Ministerialen in ungewöhnlicher Klarheit in den Zettelblock. Gemessen

auf einen Hektar Anbaufläche werde auf diese Weise einfach zu wenig

CO2 eingespart.

Auch aus Großbritannien

war ähnliches zu hören. Bob Watson, oberster Wissenschaftsberater

des Landwirtschaftsministeriums in London, wetterte gegen “perverse Ergebnisse”.

Der Anbau von Energiepflanzen wie Mais, Getreide, Raps oder Zuckerrohr

zur Treibstoffproduktion drohe den Treibhauseffekt im Zweifelsfall zu verschlimmern.

Verbindliche Quoten darüber, wie viel Biosprit dem konventionellen

Treibstoff beigemischt werden müsse, seien deswegen rundheraus falsch.

Ähnlich äußerte sich auch David King, Watsons Amtsvorgänger,

und Großbritanniens Chefwissenschaftler John Beddington.

Immer mehr Forscher machen

Front gegen die vermeintlich umweltfreundlichen Kraftstoffe. Einer der

profiliertesten Köpfe ist Chemienobelpreisträger Paul Crutzen.

Sein Team hatte festgestellt, dass durch zusätzliche Düngung

beim Energiepflanzenanbau größere Mengen des Treibhausgases

Lachgas (N2O) entstehen. Dadurch falle etwa die Ökobilanz von Raps-Diesel

negativ aus: Im Extremfall könnte dessen Treibhauswirkung um 70 Prozent

höher liegen als bei konventionellem Treibstoff.

Andere Forscher warnen vor

der Abholzung von Waldflächen in Schwellenländern, vor Wassermangel

(mehr…) und der Überdüngung von Meeresgebieten infolge des

Energiepflanzenanbaus. Dazu kommt die Preisexplosion auf den internationalen

Lebensmittelmärkten, die von Marktbeobachtern zu einem guten Teil

auch auf die steigende Biospritproduktion zurückgeführt wird.

Der Uno-Sonderberichterstatter Jean Ziegler hatte vor zwei Wochen einen

fünfjährigen Stopp der Biospritproduktion aus potentiellen Nahrungsmitteln

gefordert. In dieser Zeit solle die Menschheit nach alternativen Wegen

zur Gewinnung von umweltfreundlichem Treibstoff fahnden.

Doch Mahnungen hört

man in den Berliner Ministerien nicht allzu gern – hat sich die Regierung

doch in der ” Roadmap Biokraftstoffe” ambitionierte Ziele gesetzt. Lange

Zeit war die Biospritbranche in Deutschland ein Vorzeigesektor, der gerade

im wirtschaftlich oft noch schwachen Osten boomte. Zuletzt hatten die Herstellerfirmen

ohnehin mit Problemen zu kämpfen, wegen einer Steuererhöhung

auf Biotreibstoffe.

Noch mehr Gegenwind erscheint

also politisch wenig opportun: “Die Politik ist stolz darauf, was sie im

Bereich der Bioenergie alles angeschoben hat. Da ist man wenig begeistert

über Kritik”, sagt Folkhard Isermeyer, Chef des wissenschaftlichen

Beirats für Agrarpolitik im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Isermeyer

ist Chef des Bundesforschungsinstituts für ländliche Räume,

Wald und Fischerei in Braunschweig – und hatte bereits vor rund zwei Jahren

mit einem Thesenpapier auf die Probleme durch den Biosprit-Boom hingewiesen.

“Damals war das noch eine Minderheitenmeinung”, sagt er mit hörbarer

Genugtuung. Denn inzwischen liegen die Dinge anders.

Gegenwind kommt auch aus

der Politik

Außer Wissenschaftlern

sprechen sich auch erste Politiker offen gegen eine zu starke Fixierung

auf Sprit vom Acker aus, zum Beispiel Schleswig-Holsteins Ministerpräsident

Peter Harry Carstensen (CDU). Er beklagte in dieser Woche den negativen

Einfluss der Biokraftstoffe auf die Lebensmittelpreise: “Dies verschärft

das Ernährungsproblem in den ärmsten Ländern.” Man müsse

deswegen darüber diskutieren, ob eine verbindliche Beimischungsquote

für Biosprit tatsächlich aufrechtzuerhalten sei.

Astrid Klug (SPD), parlamentarische

Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, kündigte unlängst

an, die deutsche Bioenergiestrategie komme “auf den Prüfstand”. Für

Seehofer-Berater Isermeyer sind das ermutigende Zeichen, dass sich zumindest

langfristig etwas ändern könnte: “Die Politik reagiert nicht

innerhalb weniger Wochen, damit muss man sich als beratender Wissenschaftler

abfinden.”

In diesen Zeiten sind Stimmen

selten geworden, die sich ausdrücklich für den gescholtenen Biosprit

aussprechen. Zu den Unterstützern gehört Ex-Umweltminister Klaus

Töpfer, der frühere Chef des Uno-Umweltprogramms. Eine direkte

Beziehung zwischen der Biospritproduktion und weltweit steigenden Lebensmittelpreisen

herzustellen, sei zu einfach, sagt er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE:

“Wir müssen genauer hinsehen.” So hätten zum Beispiel global

angleichende Ernährungsgewohnheiten einen wichtigen Anteil an den

Preissteigerungen. Die Biospritproduktion solle trotzdem weiter ausgebaut

werden, auch gegen Quoten bei der Beimischung habe er nichts einzuwenden:

“Es ist wichtig, Dinge zu quantifizieren, um sie überprüfen zu

können.”

Die Bundesregierung muss

in diesen Tagen darüber befinden, ob in Zukunft zehn statt bisher

fünf Prozent Biotreibstoff bei der Benzin- und Dieselproduktion beigemischt

werden können. “Es würde uns schmerzen, wenn diese Verordnung

aufgehalten wird”, sagt Karin Retzlaff vom Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie

im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Ginge es nach ihnen, würden sie

lieber reinen Biosprit verkaufen – am besten steuerbegünstigt.

Möglicherweise wird

die Regierung sich nun tatsächlich bewegen und die Beimischungsquote

vorerst nicht anheben. Die Gründe dafür werden aber nicht hungernde

Menschen in Afrika oder abgeholzte Waldgebiete in Südamerika sein,

sondern vielmehr urdeutsche Interessen: Hierzulande haben deutlich mehr

Autos Probleme mit dem Biosprit als den Ministerialen lieb sein kann. Nach

am Freitag vorgestellten Schätzungen würden sich rund drei Millionen

Wagen am Treibstoff verschlucken, wenn der Biospritanteil im Benzin wie

ursprünglich geplant auf zehn Prozent anstiege.

 

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