RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 27.01.08

MASSAI MARA IN KENIA

Der Untergang des Paradieses

Von Thilo Thielke, Nairobi

Kenias Tierparadies Massai

Mara droht der Kollaps: Wegen der bürgerkriegsartigen Unruhen trauen

sich kaum noch ausländische Gäste für eine Safari ins Land.

Die Jagdaufseher können nicht mehr bezahlt werden, die Wilderei nimmt

epidemische Ausmaße an.

Als der US-amerikanische

Fernsehsender ABC Ende 2006 gemeinsam mit einem Expertengremium in einer

feierlichen Zeremonie die sieben alternativen Weltwunder kürte, da

platzte Kenia fast vor Stolz. Denn neben dem tibetischen Potala Palast,

der Altstadt von Jerusalem, der isländischen Vulkanwelt, hawaiianischen

Korallenriffs, dem Internet und den mexikanischen Maya-Pyramiden fiel die

Wahl auch auf die Massai Mara mit ihrer einzigartigen Gnu- und Zebramigration.

Einmal im Jahr wird dieses

Naturreservat nämlich von einer Invasion dieser Grasfresser heimgesucht:

Zwei Millionen Tiere ziehen dann in endlosen Kolonnen aus der tansanischen

Serengeti hinüber. Sie folgen dem Regen, und viele werden auf ihrem

Zug von Krokodilen gerissen, die das ganze Jahr schon an den Flussläufen

auf die fette Beute warten. Diejenigen aber, die durchkommen, lösen

eine faszinierende Kettenreaktion aus.

Den Grasfressern folgen nämlich

die Fleischfresser: die Löwen, Geparden, Hyänen, Leoparden und

Schakale, und denen folgen die Geier, Adler und Bussarde. Doch was die

Kenianer ganz besonders freut, ist, dass dieser gewaltigen tierischen Karawane

immer auch eine menschliche folgt: viele Japaner und rotgesichtige Wazungu,

wie die Weißen hier genannt werden. Die meisten von ihnen haben sich

als mehr oder weniger ansehnliche Kreuzungen aus Robert Redford (“Jenseits

von Afrika”) und Lettow-Vorbeck (WK I) verkleidet. Sie tragen khakifarbene

Safarihüte, Ferngläser und Shorts, tagsüber werden sie in

weißen Minibussen durch die Wildnis gefahren, und abends trinken

sie Gin Tonic oder Amarula-Likör und erzählen sich gegenseitig

ihre Abenteuer.

Sie wandeln auf den Spuren

der Schriftstellerin Tania Blixen und der Jäger Ernest Hemingway und

Theordore Roosevelt, der 1910 berichtete: “Auf den Steppen schwärmt

es von Herden seltsamer und schöner Tiere, die nirgends ihresgleichen

haben, sowie von anderen, die sogar noch merkwürdiger sind und sowohl

an Gestalt wie an Gemütsart etwas Phantastisches und Groteskes haben.

Es ist ein nimmer endendes Vergnügen, die gewaltigen Herden von Antilopen

zu betrachten.”

Manchmal warten 120 Autos

auf die Gnus

70.000 dieser Safari-Gäste

stürmen so jedes Jahr die 1500 Quadratkilometer kleine Massai Mara,

und wenn unter irgendeiner Schirmakazie ein faules Löwenrudel döst,

dann kommt es nicht selten zum Stau der Minibusse mit all den knipsenden

Fremden an Bord. Einige sind der Meinung, dass mittlerweile viel zu viele

Menschen in der Massai Mara sind. Aris Grammaticas zum Beispiel, der Gründer

des berühmten und sehr vornehmen “Governor’s Camp” lästerte:

“Manchmal stehen da 120 Autos am Fluss und warten auf die Gnus. Die Gäste

kommen nachher zurück ins Camp und fragen: Warum sind denn hier so

viele Wagen? Ist das etwa eine Stadt?” Ganz unrecht haben die Gäste

nicht, denn eine Kleinstadt beherbergt die Massai Mara mit ihren 8000 Betten,

die während der Great Migration oft Wochen vorher ausgebucht sind,

schon.

Die Gemeinde Narok, die das

Reservat verwaltet, freut sich aber über diesen Ansturm. Sie lebt

nämlich davon, und sie lebt davon nicht schlecht: 70 Millionen Dollar

fließen jedes Jahr durch den Tourismus in ihre Kassen (wovon nach

Schätzungen des kenianischen Tierschützers Richard Leakey allerdings

70 Prozent auch gleich wieder in dubiosen Kanälen verschwinden). Von

dem Geld aber, das nicht gleich versickert, werden die Wildlife-Ranger

finanziert, die dafür sorgen, dass die Tierwelt halbwegs ungeschoren

bleibt. Denn in zunehmendem Maße drängen Massai-Hirten mit ihren

Rinderherden in das Reservat. Und auch immer mehr Wilderer machen sich

über Antilopen, Zebras oder Kudus her.

Im Jahr 2007 wurden von den

Tierschützern fast 500 Drahtfallen in der Mara entdeckt, 15 Tiere

konnten gerettet und 46 nur noch tot geborgen werden. Mehr als 900 Wilderer

waren in den vergangenen Jahren in der Massai Mara festgenommen worden,

viele von ihnen kamen aus Tansania. Wie hoch die Verluste jedoch wirklich

sind, darüber gibt es nicht einmal eine Schätzung.

Kein Geld mehr für die

Ranger – der Tierschutz kollabiert

Probleme existierten in dem

einzigartigen Gebiet also schon seit langem, und deshalb auch fand Kenias

Tageszeitung “Daily Nation” die Schlagzeile “Massai Mara, unser Ruhm, unsere

Schande” für das berühmte Naturschutzgebiet. Seit die kenianische

Regierung aber im Dezember 2007 die Präsidentschaftswahlen fälschte

und das ostafrikanische Land im Chaos versinkt, herrscht in der Massai

Mara akute Not.

Simbabwe ist das abschreckende

Beispiel

Die Touristenzahlen in den

Nationalparks und “Game Reserves” sind dramatisch eingebrochen, sie sind

in den vergangenen Wochen um rund 90 Prozent geschrumpft. Hotels mussten

schließen, Mitarbeiter entlassen werden. Weil kaum noch ein Tourist

kommt und die hohen Parkgebühren (30 Dollar) zahlt, geht dem “Mara

Conservancy Trust”, der für den Tierschutz verantwortlich ist, das

Geld aus.

Die Folgen hält die

Tierschutzorganisation Wildlife Direct bereits jetzt für katastrophal.

Die Massai Mara, berichten die Aktivisten, sei “ernsthaft bedroht durch

weitverbreitete Wilderei in Folge des Zusammenbruchs des Tourismus”. Weil

kein Geld mehr für die Ranger eingenommen werde, drohe nun auch der

Kollaps des Tierschutzes.

“Wir erwarten einen drastischen

Anstieg der Wilderei”, befürchtet auch der Chef des Mara Conservancy

Trusts, Brian Heath: “Die Tierwelt der Mara zieht nicht nur Tausende von

Touristen an, sondern auch Wilddiebe, die es auf Bushmeat abgesehen haben.”

Zudem dürften auch die wachsenden sozialen Spannungen zu einem Anstieg

der Wilderei führen. Abschreckendstes Beispiel für einen derartigen

Trend ist Simbabwe, das von einem ruchlosen sozialistischen Tyrannen ruiniert

wird und dessen Nationalparks von Wilderern bereits nahezu zerstört

sind. Zudem ist auch Narok, die nächstgelegene Großstadt auf

dem Weg nach Nairobi, bereits in den Strudel ethnischer Gewalt gezogen

worden, die derzeit das ganze Rift Valley heimsucht.

Jagdaufseher Joseph Kimojino,

Chef der Tourismus-Sektion bei der Mara Conservancy, ist schon weitgehend

beschäftigungslos. “Jetzt, wo die Touristen nicht mehr kommen, bin

ich zu Hause bei meiner Familie”, schreibt er in seinem Massai-Mara-Blog,

“das heißt nicht, dass es keine Arbeit mehr für uns gibt, sondern

dass es kein Geld mehr gibt, um uns weiter zu beschäftigen. Es ist

hart, aber wir wissen nicht, wann die Touristen zurückkommen werden.

Dies sollte eigentlich eine unserer besten Saisons werden. Aber ohne das

Geld, das wir sonst durch die Eintrittsgebühren einnehmen, werden

wir alle unsere Operationen drastisch einschränken müssen.”

Richard Leakey, der als damaliger

Direktor des staatlichen “Kenya Wildife Service” Anfang der neunziger Jahre

die kenianischen Elefanten vor dem Untergang rettete, will nun Spenden

sammeln, um die Hege der Massai Mara von den Tourismuseinnahmen unabhängig

zu machen: “Wir haben die Verantwortung, diese außergewöhnliche

Wildnis nicht nur für die Kenianer, sondern für die ganze Welt,

zu retten. Wenn wir nichts tun, laufen wir Gefahr, sie für immer zu

verlieren.”

 

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