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Summer
Jam
2004
Bericht von
Doc Highgoods

Das 19. Summer Jam Festival war für mich ein persönliches Jubiläum: 10 Jahre Presseberichte über diese Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Veranstalter. Und seit sieben Jahren schreibe ich darüber im www. Wie die Zeit vergeht...

Dieses Mal sollte jedoch alles etwas anders bei der RootZ.net Berichterstattung sein. Es gab keine Backstagearbeit und Liveübertragung ins web, wie in den vorigen Jahren, denn der Veranstalter wollte die Presse aus dem sensiblen Bereich hinter der Bühne heraushalten. Und eine Basis in diesem ruhigeren Areal ist einfach die Grundvoraussetzung für ein gehaltvolleres Arbeiten. Also habe ich mich enschieden, die ganze Sache relaxt anzugehen und dieses Mal aus der Position eines normalen Festivalbesuchers zu arbeiten. Der Reggaevibe hatte mich dieses Jahr auf dem Festival eh nicht so infiziert, wie zuvor und so bin ich auch längst nicht so in die vollen gegangen, wie bei RootZ.net gewohnt. 
 
Weiterhin fing das Festival für mich persönlich auch noch ziemlich heftig an. Freitagnachmittag kam ich mit meinem Fahrrad am Fühlinger See an und  als allererstes fiel mir der auf dem Parkplatz akkumulierte gigantische Wagenpark mit Polizeifahrzeugen auf. Da ahnte ich noch nicht, daß ich diese grün-weiße Wagenburg noch näher kennenlernen sollte. 

Ich hatte mich mit Almaz, die mir bei der Arbeit etwas helfen wollte, verabredet und wir fanden uns trotz der sich in Bewegung befindenden Menschenmenge recht einfach, die mobile Telefonie machts möglich. Almaz hatte ich im Vorfeld des Festivals übrigens gebeten, mit etwas Kath (Qat ?), eine amphetaminähnliche, allerdings von JAH in einem Strauch produzierte Stimulans aus dem östlichen Afrika, zu besorgen, die ich gerne mal ausprobieren wollte. Gesagt getan, auf Almaz ist Verlaß. Wir gingen also zum Zelt ihrer Schwester, wo sie das Zeug gebunkert hatte. Diese temporäre Kunststoffbehausung stand etwas versteckt zwischen Büschen und wir hielten uns dort ca. fünf Minuten auf. Ich gab Almaz ihr Eintrittsbändchen und sie mir das in einem ca 30 cm langen Bündel aus Ästchen und Blättern zusammengeschnürte Kath.
 
Plötzlich waren wir von fünf Leuten umrundet, die uns sofort ihre Marken unter die Nase hielten und begannen, uns zu durchsuchen. Kath, Portemonnaie, Taschenmesser und Tabak wurden sofort von den vielleicht 20-25-jährigen Baby-Babylonians sichergestellt und diese in solchen Situationen übliche, blödsinnige Ausfragerei begann. Ich kam mir echt etwas albern dabei vor, dem milchbärtigen Beamtennachwuchs ihre Drogenfragen zu beantworten. Denn, als die wortwörtlich noch in ihre Windeln geschissen haben, war ich mit meinen ersten bewußtseinserweiternden Experimenten schon fertig. Wenn dabei wenigstens der Wissensdurst und nicht die milieutypische Spitzelei die Antriebsfeder wären. Egal, ich war an der Stelle aus bekannten Gründen nicht mehr so schlagkräftig und auch nicht besonders clever: Nichtwissend, was die Cops mit dem Khatbündel überhaupt in der Hand hielten, habe ich Idiot sie darüber aufgeklärt, anstelle ihnen zu verklickern, das sei ein Blätterbündel zur Huldigung der Rastas auf der Bühne. Oder noch besser die Variante, die einem Freund eingefallen ist: "Hey, kennt ihr mich denn nicht? Ich bin's, Doc Highgoods, der Spezialist für Kopfhygiene." Hätten sie geglaubt, aber wenn sie's geglaubt hätten, wäre das Risiko, irgendwo in die Klatsche gebracht zu werden, unproportional gestiegen!

Naja, gelernt habe ich, daß sogar Kath unters BtmG fällt und als wir zur Personalienüberprüfung in die polizeiliche Wagenburg gebracht wurden, eröffneten mir die fleißigen Fahnder, daß ich in den nächsten Wochen eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das BtmG bekäme, die aber höchstwahrscheinlich eingestellt würde. Das ist doch wirklich eine sinnvolle, von Steuerzahlern finanzierte Arbeit, die dort geleistet wird. Nicht daß ich eine Strafverfolgung wünsche, aber dann könnten uns die Cops doch auch in Ruhe lassen und vielleicht beim CSD mal checken, was dort pillen- und pulvermäßig alles geht. 

Egal, nach ca. einer Stunde war der Spuk vorbei und wir sind gegen 18 Uhr als freie Menschen in Richtung Festival gewandert. Mein, aus weiser Voraussicht schon im Vorfeld im Genitalbereich gebunkertes Ganja, hatten die Herrschaften übrigens nicht gefunden, so daß wir uns erst mal ein Eckchen suchten, um die erlebten bad vibes in good vibes zu verwandeln. Dabei schweiften nicht nur aus Vorsicht, die ersten Blicke über das Festivalgelände und eins war klar zu erkennen: So voll, wie in den vergangenen Jahren war es 2004 nicht. Die Zelte standen längst nicht so dicht, wie üblich an allen möglichen und unmöglichen Plätzen und auch die Bereiche vor den Bühnen waren längst nicht so voll, wie bei den vorigen Festivals. Schuld waren wohl das durchwachsene Wetter mit den kühlen Temperaturen, aber bestimmt auch der Preis von 74 €, der zwar alle Male gerchtfertigt, aber in diesen wirtschaftlich miesen Zeiten vielleicht trotzdem von einigen einfach nicht zu berappen ist. Ich habe schon von Leuten gehört, daß das Ticket zum 20-jährigen Jubiläum gar 100 € kosten soll. Bitte, JAH, laß das nur ein Gerücht sein.
 

Band auf der Yellow Stage
Und die Musik? Drei Bühnen standen zur Verfügung, wobei Red und Green Stage sich gegenseitig den Rang mit namhaften Musikern abliefen und sich in nichts nachstanden. Natürlich war auch Andrew Murphy wieder als MC auf der Hauptbühne dabei und führte mit der Routine von Jahren durchs Festivalprogramm. Naja, und auch bei mir war diese gewisse Gelassenheit nach jahrelanger Erfahrung mit dem Summer Jam zu bemerken. Denn bei der Auswahl der Acts, die ich mir ansehen wollte, wurde ich sehr wählerisch, denn das meiste hatte ich entweder schon gesehen oder wollte es mir aus irgendwelchen Gründen garnicht erst reintun. 

Die Wahl fiel dann auf eine Stippvisite bei La Vela Puerca, einer achtköpfigen Band aus Uruguay. Sie hatten mich mit ihrem Sound aus Ska, Punk, Folk und Rock schon bei ihrer CD "De Bichos Y Flores" aus dem Jahr 2003 überzeugt und ich wollte beim Konsum dreier Tunes aufm Summer Jam ihre Livequalitäten überprüfen. Das Urteil: bestens, druckvoller Sound, mitgehendes Publikum, eine Band, von der wir hoffentlich noch mehr zu hören bekommen. 

Gesehen habe ich sie nicht, Hip Hop reißt mich nun mal nicht vom Stuhl,aber während einer längeren Pause im Pressebereich drang ein ausreichender Klangfluß bis an meine Trommelfelle, um mich äußern zu können: Michael Franti und Spearhead lieferten ihre Variante von Hip Hop. Da gibts keine stupiden Gangsta-Attitüden und Abgesänge auf Bitches und Gangbangs. Franti reimt intellektuell und auf einem für US-Amerikaner erstaunlich hohen Niveau (sorry, das mußte sein). Trotzdem, wer Spearhead schon einmal auf dem Chocolatesupahighway begegnet ist, den kann ein weiteres Konzert der Combo schwer kicken, dafür sind die Rastplätze entlang der Schokostraße zu monoton. Es folgte dann Max Herre vom Freundeskreis. Nachdem vor 2 Jahren seine Frau Joy Denalane noch der Hauptact und er nur der Beleiter waren, durfte er 2004 allein auf die Bühne. Zwar heißt es, er hätte einen neuen Sound gefunden, sich vom Freundeskreis entfremdet, aber für mich als Teutonenhiphopmuffel blieb die Innovation verborgen.
 
Ortswechsel, die Pause war vorbei, der Leib mit Butterbrot und der Spirit mit I-shens gestärkt, es ging zurück zur Green Stage, wo Culture ihren Auftritt hatten. Sie waren die erste einer Handvoll Bands, die auf dem Festival die Goldenen Ära des Reggae, die Endsiebziger, repräsentierten. Frontmann Joseph Hill, in seiner musikfreien Zeit übrigens ein Kollege von mir - Farmer auf Jamaika - hat es einfach drauf, dem Publikum die vibes zu bringen und mit seinem Hitfeuerwerk (International Herb, 2 Sevens Clash ....) immer wieder unter die Haut gehende Shows abzuliefern. Thanks,man!

Es folgte ein Sänger, der es mit seinen Wurzeln musikalisch wohl echt schwer hat. Als Sohn von Bob Marley wird man vermutlich  einen akkustischen Quantensprung durchführen müssen, bevor man aus Papas musikalischem Schlagschatten ins selbstverdiente gleißende Scheinwerferlicht gelangen kann. Besagter kosmischer Hüpfer ist Julian noch nicht gelungen. Zu sehr ruht er sich auf dem Sound der Tunes seines Vaters aus, zu ähnlich sind die Stimmen und zu viel wird von Papa gecovert. Und das in solch einer minderwertigen Qualität, daß ich nach ein paar Tunes einfach gehen mußte, der große Name Marley hin und her.


Crowd beim Culture Auftritt

Ich wählte die Alternative, einfach etwas über das Gelände zu streichen, denn das Festival bietet ja nicht nur musikalisch einiges, sondern man kann auch konsumtechnisch gnadenlos in den verschiedensten Bereichen zuschlagen, hustling in tausend Facetten, Futter, Musik, Paraphernalia, Klamotten, Süßes, alles was das Herz eines Festivalbesuchers höher schlagen läßt, war auf dem Basar zu finden. Mein Streifzug durch den Basar führte mich am anderen Ende direkt vor die Hauptbühne, wo Andrew Murphy gerade ankündigte, daß auf der grünen Bühne Lady Saw und auf der Red Stage der Altmeister Lee Perry bevorstünden. Der MC gab seinem Publikum den Ratschlag, sich, wie er selbst, die Golden Times des Reggae mit Perry zu geben und schloß mit den Worten: "Ich bleibe lieber bei den Roots. Gott beschütze mich vor einer Frau wie Lady Saw." 
 

Mr Murphy weist den Weg zu Lady Saw
Bei einer anstehenden Entscheidung hätte ich mich der Weisheit von Murphy gebeugt, wäre da nicht von vornherein ein Zweifel gewesen: Ich habe Perry nicht nur oft live gesehen, sondern hatte auch schon mehrmals die Möglichkeiten, ihn zu interviewen oder einfach mit ihm zu sprechen. Keine Frage, der Mann war ein Genie und ist es noch manchmal. Trotzdem besteht immer die Gefahr, Perry anstelle des spirituellen Musikmagiers, als debilen, alten Mann zu erleben, der irgendwelchen Wortsalat ins Mikro stammelt. Dabei steht und fällt die Show dann mit der Qualität und Intuition der Begleitband plus der meist schrillen Aufmachung des Protagonisten. Mir war dieses Risiko zu hoch und auch die Neugierde auf die White Belly Rats, Perry's neue Begleitband, ließ sich sich nicht ausreichend entfachen. Also gings nach Hause, bestimmt einige Stunden früher, als viele Festivalbesucher ihre Schlafsäcke aufsuchten (oder - je nach Zustand - auch nur suchten ...). Denn aufm Summer Jam gab es mit Open Air Cinema und Soundsystemzelt in der ersten Nacht noch viel zu tun. 

Der Samstag startete wettermäßig mit dem für den Sommer 2004 schon fast üblichen Grau, mit Schauern und saisonunüblichen Temperaturen. Für mich als ein mittlerweile an Tropentemperaturen gewöhntes Westen, waren das schwierige Bedingungen, in die Stimmung für ein Reggae-Open-Air zu kommen. Dementsprechend bin ich auch erst nach dem Durchbruch erster Sonnenstrahlen, am späten Nachmittag gen Festival aufgebrochen. Ich hatte dabei auch nicht das Gefühl, groß etwas zu verpassen, angesagt waren deutsche Nachwuchsacts, bei denen maximal Nosliw von mir Aufmerksamkeit erhalten hätte, und das auch nur, weil ich mir live ein paar Tunes von seinem im September bevorstehenden Album "Mittendrin" hätte anhören können. Ok, ärgerlich war es, das Sud Soundsystem aus dem Süden Frankreichs, bekannt für seine Rebellischkeit, nicht mitbekommen zu haben. 
 
Angekommen bin ich beim Auftritt des immer wieder fantastischen Orchestra Baobab, das schon über zwei Jahrzehnte seine höchst tanzbare, westafrikanische Polyrhythmik feilbietet. Und auch an diesem frühen Samstagabend klappte es wieder, denn die Wolken rissen auf, die Wiese vor der Green Stage lag in der angenehmen Wärme, welche die Sonnen nach einer Regenperoiode verstrahlt und die Leute tanzten, was die doch etwas steiferen Knochen ihrer kaukasoiden Körper hergaben. 

Orchestra Baobab

Mit Luke, der mich an diesem Nachmittag begleitete, machte ich es mir im Gras gemütlich und bastelte erst mal an einem dieser überall präsenten konischen Rauchgeräte und zündete es anschließend an. Wir entspannten beim Sound der westafrikanischen Combo und ließen unseren Blick über die Wasser- und anschließenden Grünflächen wandern. Entspannung! Rein zufällig blickte ich irgendwann über meine Schulter und hatte gerade noch ausreichend Zeit, den Joint einigermaßen unauffällig auszudrücken, bevor eine Herde Bullen, die auf der Wiese relaxenden Grüppchen traktierend, uns erreichte. Auf eine Abenteuer Nr 2 mit Babylon hatte ich wirklich keinen Bock. 
 

Red Stage am Samstagnachmittag
Mit der handgemachten, groovenden Musik aus Westafrikas Savanne ging an der Green Stage um einiges mehr die Post ab, als auf der Hauptbühne, wo Sanchez parallel sein Lovers-Crooner-Gospel-Programm abzog. Dieser zuckersüße Sänger war noch nie nach meinem Geschmack und wird mir immer zu soft bleiben, eine Meinung, mit der ich jedoch ziemlich alleine bin. Die Ladies bspw. Almaz, die ich vor der Bühne traf, hat der Dressman eh alle umn Finger gewickelt und auch bei den Herren gibt es eine starke Fraktion, von denen Unterstützung signalisiert wird. Musik ist halt Geschmacksache und das ist gut so. 

Als stylistisch passende Nachfolge zu Sanchez kamen Cécile und die "Dancehall-Boyband" T.O.K. mit ihrem Programm aus Ragga, Hip Hop und R & B. Es tat zwar gut zu hören, wie dem immer parallel in der Kölner Innenstadt stattfindenden CSD ein paar feurige Grüße zugeschickt und den Chi Chis zu ihrer natürlichen Wärme noch etwas mehr eingeheizt wurde, aber insgesamt war mir die Show zu amerikanisch gestylt und ich hatte die Jungs auch im Vorjahr schon beim s.o.m.a. aus der ersten Reihe gesehen.  
 
Ich wechselte die Bühne und holte mir lieber bei den Skatalites etwas jamaikanischen Musikunterricht. Als ehemalige Band des legendären Studio One gibt es wohl kaum eine bessere Lehrkraft für akkustische jamaikanische Geschichte. 

Nach den üblichen ungefähren 90 Minuten Programm jamaikanischer Lebensfreude in Noten kamen der stilistische und geographische Bruch auf den Brettern der grünen Bühne. Eastward Bound! Vom sonnigen Jamaika der vergangenen Jahrzehnte gings ins eher kühle und regnerische London der Gegenwart.


Give I a signal

Die Ras-Ites, entdeckt und aufgebaut durch die Jungs von Jetstar Records (haben derzeit auch Junior Kelly gepusht), Produkte der Londoner Gettos, präsentierten ihr neues, zweites Album. Und die Kombination aus den Tunes des Erstlings und der Live-Präsentation des Neulings läßt eines vermuten: es wird hochklassiger Reggae mit einem sehr guten Schuß Rock, ganz in der Tradition britischer Reggaebands, wie bspw Steel Pulse, nicht so erdig halt, eher etwas urban, offen für Einflüsse anderer Genres.
 
Capleton
King Chango
The Fireman

Szenewechsel, Samstagabend, Prime Time, Red Stage, er kommt, der Prophet, King Chango, der Fireman, der Mann aus Papine, J.A., West Indies: Capleton. Erneut "dressed to kill" in einem gedeckt gelben Outfit (sorry, auf den Fotos nicht zu sehen), tigerte er mit einer Power über die Bühne, von einer Ecke zur anderen und zurück und putschte die Crowd zum Siedepunkt. Überall Fahnen mit ites, gold and green, eine Szene, als wäre der Löwe von Judäa Kölns Wappentier, Hands in the air und lighters bis hin zu ernsthaften Verbrennungen der Fingerspitzen. 
 

JAH Thunder
Zuallererst mußte der Bobo die Atmosphäre von negativen vibes cleanen: Fire pon Bush, Blair, the Queen, the Pope, aber auch pon all battymen, sodomites and lesbians. Gerade mit letzterem hätte er natürlich zu diesem Zeitpunkt in Köln eine Menge zu tun gehabt. 

Aber wir wissen ja, daß diese verbalen Standpunkte nur symbolisch zu verstehen sind, trotz Turban und Vollbart ist Capleton schließlich kein Bin-Laden-Kaliber, sondern schreit nur seine Wut über Babylon und die Verletzung des divinen Wertesystems aus dem Body. Völlig berechtigt, finden ich und offensichtlich noch mehrere Tausend Leute aufm Summer Jam, die eine famose Show von der David House Crew , eröffnet von JAH Thunder und zum Siedepunkt gebracht von King Chango, abgefeiert haben. Volcanic eruption!

Die Show war für mich dann auch der gelungene Abschied von der Red Stage am Samstagabend. Ein Verbleib beim Warlord Bounty, Wayne Marshall und dem frischen Namen Vybz Cartel, erstmals aufm Summer Jam, kam bei der Alternative nicht in Frage. Auf der anderen Bühne spielten nämlich die Abyssinians und zwar seit langer Zeit vokalistisch das erste Mal wieder im Originaltrio. So etwas darf man sich nicht entgehen lassen, wer weiß, ob diese Chance noch einmal wiederkommt. Nach ein paar Tunes war klar: ich hatte mir nicht zu viel versprochen, der Sound, tiefste Roots, war einfach nur zeitlos, mystisch, spirituell, unterstützt von einem sehr schönen Bühnenlicht und der Superstimmung, die das Publikum am späten Samstagabend produzierte. Für mich der ideale Zeitpunkt zum abziehen, denn man soll gehen, wenns am schönsten ist. 
 
The Abyssinians

Sonntag, Summer Jam Tag Nr. 3. Es beginnt wie am Samstag: dunkle Wolken, Schauer, saisonuntypische Kälte, nicht das Klima, um sich kopfüber mit blutunterlaufenen Augen ins Festival zu stürzen. Es dauerte wieder mal bis zum späten Nachmittag, um die vibes aufzubauen, was aber so viel auch nicht ausmachte, denn es standen programmatisch erstmal wieder (teilweise zugewanderte) Nachwuchs-Skanker aus Teutonien auf den Brettern, die ihnen die Welt bedeuten. Allerdings fand ich es außerordentlich schade, daß ich die Rotterdam Ska Jazz Foundation verpaßt habe, ein fettes Projekt aus der niederländischen Hafenstadt, die mich im vergangenen Jahr mit ihrem höchst tanzbaren Erstling "Shake Your Foundation" angenehm überrascht hatten. Aber für eine Combo wollte ich dann am frühen Nachmittag bei dem Wetter ncht raus. Sorry, ich hoffe, es gibt noch mal ne Gelegenheit, etwas über die neun Jungs aus den Niederlanden zu schreiben. 
 
Eingelaufen bin ich bei den letzten Klängen von Silver Cat, dem Opener für den Ladies' Favourite Beenie Man. Er selbst war am Anfang am Mike schnell, aber schlecht. Ich weiß nicht, ob er kurz den Rekord fürs schnellste Toasten - das Entladen eines verbalen Schnellfeuergewehrs - bunkern wollte, jedenfalls wars zwar echt geschwind, aber harmonisch keine Bohne. Und zwar so schlimm, dass meine Trommelfelle keine Geduld aufgebracht haben und mich zum recht flinken gehen genötigt haben. Zwar soll die Show laut anderer Aussagen noch abgegangen sein, aber ich konnte nur feststellen, welche Qualitätsunterschiede es sogar in der ersten Riege (bspw. Vergleich Capleton - Beenie) gibt. Für mich ging wirklich niemand über den jamaikanischen Zungenzündler aus dem David House. Weder in Consciousness, noch in vibes, ob jetzt Roots oder auch Ragga - Capeleton ruleZ!

Naja, ich wollte an diesem Sonntag wieder Fossilienkunde betreiben und hatte zwei Forschungsobjekte bestimmt: Rico Rodriguez, vor ein paar Jahren wieder auf der internationalen Szene aufgetaucht, <Posaunist der Spitzenklasse über Jahrzehnte, Urheber mehrerer karibischer Ohrwürmer. Auf dem Festival präsentierte er sich mit der mir unbekannten Begleitband Sharp Axe Band. Der Auftritt wurde leider von der Green auf die Red Stage verlegt, um dort Programmlücken zu schließen, ein Move, den ich nicht mitbekommen hatte und durch den mir das tatsächliche Studium eines der Objekte durch die Horchlappen gegangen ist. 
 
Aber ich bin noch auf meine Kosten gekommen. Es wurde gerade langsam dunkel, als auf der Green Stage eine andere Legende, dieschon in der Proto-Reggae-Ära tätig war, begrüßt werden konnte: Die Rede ist von Ken Boothe, aktiv seit den 60er Jahren bis hin in die Goldene Zeit des Reggae, Mitte der Siebziger Jahre. Das war wirklich eine gelungene Wohltat, einen Namen, wie ihn auf dem Programm des Festivals zu sehen, einen expliziten Dank an Contour dafür. 

Auf der Bühne stand Ken natürlich mit einem Feuerwerk seiner alten Hits aus den Äras des Rocksteady und frühen Reggae. Begleitet wurde er von der deutschen (Stuttgarter) Combo Soulfood International,die aus der erstklassigen, aber leider aufgelösten Court Jester's Crew hervorgegangen sind. Die Jungs haben ihre Begleitarbeit gut gemacht und ich habe mich innerlich mit ihnen bzgl. ihrer Musik wieder versöhnt.  Denn, als ich letztjährig das erste mal über diesen Namen stolperte, gings um ein Projekt von Soulfood Int. mit Rappern in und um Benztown, das von Grover Records, von mir bis dato recht unverständlich, auf den Markt gebracht wurde. Derzeit hatte ich nur einen Stempel parat: eine Kopie des Ösi-Projektes Dancehall Fieber für Arme. Heute muß ich sagen: Jungs, gut gemacht, macht besser mitjamaikanischen Veteranen weiter, als mit milchbärtigen, im Rhythmus stammmelnden Germanen. 
 
Ken Boothe

Da ich keine rechte Lust auf Sunny Boy Luciano verspürte, war Mr Boothe das Ende des musikalischen Programms für mich. Bleibt zusammenzufassend zu sagen, daß ich mir klimatechnisch wohl das richtige Jahr ausgesucht habe, dieses Mal kein RootZ Camp aufm Gelände zu errichten, als Konsequenz aber auch das gesamte Volumen der Berichterstattung einzuschränken. Und ich habe festgestellt, daß bei mir über die ganzen drei Tage keine richtigen Vibes aufgekommen sind. Kann sein, daß es an mir lag, auf jeden Fall hats gepaßt mit der Mini Summer Jam Ausgabe bei RootZ.net. 
 
Und ich habe noch etwas festgestellt, das ich zum Schluß mal ganz offen und ehrlich ansprechen möchte: ein Reggaefestival in Babylon, was ist das, ist das Kultur, ist das Kommerz, oder ist es beides? Ich, als zeitweise dogmatisch denkender Mensch, bin mir da immer noch nicht sicher. Ich finde es mutig von einem Veranstalter, wie hier beim Summer Jam Klaus Maack von Contour, dieses Risiko einzugehen und seit fast zwei Jahrzehnten solch eine Veranstaltung zu machen. Andererseits macht er natürlich fette Kohle damit. Das Gleiche gilt für einige Musiker, sie chanten Babylon, chanten den Konsum, chanten $und €, wollen die buntbedruckten Scheine aber gerne in der Tasche haben. Und es gilt natürlich auch für uns, die Konsumenten, bei denen ich einfach mal unterstelle, daß wir uns etwas mehr mit unserem System und unseren Werten auseinandersetzen, als Hörer von Spears, Williams oder Oasis. 

Und genau mit diesem Mix aus Kultur und Kommerz habe ich eben meine Probleme. Aufm Summer Jam wirste wegen ner Flocke Ganja blöd angemacht, kriegst vielleicht noch per Anzeige Ärger mit dem System, aber Bier wird per Schlauch aus dem Rückencontainer mobiler Verkäufer verteilt, sehr effektiv, dann geht das Abfüllen schneller und sogar derjenige, der ob des Alkkonsums und der resultierenden Gleichgewichtsproblematik, die seine Motorik einschränkt, eigentlich keine Chance mehr auf Nachschub hat, bekommt die Möglichkeit, seinen Summer-Jam-Plastikbecher erneut aufgefüllt zu bekommen.
 
Und die lächelnden Lucky Strike Beauties, die an jeder Ecke ihr Krebsfutter stangenweise angeboten haben. Wenn es dann wenigstens ein Tabakersatzstoff gewesen wäre, der in Richtung Lunge der BesucherInnen gedrängt würde. Alles in allem ist zu sagen: zu viel Kops, zu viel Kälte, zu viel Kommerz. Mein Wunsch zum Zwanzigjährigen Summer Jam: daß die Kritikpunkte, die ganz bestimmt nicht nur von mir kommen, bedacht und in das Konzept für 2005 eingearbeitet werden. Und daß es auf keinen Fall 100 € kosten soll. 

 
Summer Jam Retrospektive
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