Chiemsee Reggae Summer 2004 Bericht von Syl und Luke



 


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Aktion
 

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Chiemsee
Reggae Summer 2004


Bericht von Syl
und Luke

Als wir am Donnerstag, den
19.08.2004, früh am Morgen unsere Reise mit dem ICE Köln-München
antraten, wussten wir noch nicht wirklich genau, was uns da am Chiemsee
erwarten würde. Zwar hatten wir schon so einiges vom Reggae Summer
gehört, aber persönlich waren wir noch nie da gewesen.


 

Auch den See selbst, der
im äußersten Süden Deutschlands liegt, kannten wir nur
von Fotos, da keiner von uns beiden je die deutsch-deutsche Grenze in den
Freistaat Bayern übertreten hatte. 

Im Internet hatten wir einige
Wochen zuvor auf www.chiemsee-reggae.de mal das Line-Up gecheckt und waren
sehr positiv überrascht, da vor allem die Rootsreggae-Fraktion für
ein großes deutsches Festival relativ stark vertreten war. 

Jedenfalls hatten wir bis
auf eine Zusicherung für zwei Pressetickets nichts in der Hand 
und waren deswegen um so mehr über den Service erfreut, der uns am
Bahnhof Übersee (so heisst der Ort, in dem das Festival stattfindet)
erwartete. Jede Menge Shuttlebusse, die die in Massen anströmenden
Besucher – zwar nicht reibungslos, aber doch ordentlich und innerhalb kürzester
Zeit – zum eigentlichen Festivalgelände beförderten. 

Dort angekommen mussten wir
noch eine Stunde vorm Eingang warten, da die Pressekasse erst um 18.00
Uhr öffnete. Dafür lief aber mit den Tickets alles glatt und
problemlos, was man von anderen Festivals leider nicht immer behaupten
kann.


 



Festivalgelände
vor Bergkulisse


Campingplatz am Morgen

Der Campingplatz machte einen
guten Eindruck, die Sonne strahlte die umliegenden Berge an und die Atmosphäre
war durch die schon zahlreich anwesenden Besucher einfach schön. Soviel
zum Donnerstag. Am nächsten Morgen wurden unsere Stimmung vorerst
durch den (Aus-)Blick auf die dann wolkenverhangenen Berge und durch die
deutlich kühlere Temperatur etwas getrübt. Im örtlichen
Edeka jedoch, dessen Besitzer jeden Kunden einzeln beim Betreten und Verlassen
des Marktes beobachtete und einen Einkaufswagen-Zwang verordnete (dass
muss man sich mal vorstellen… im Supermarkt!), wurden unsere kulinarischen
Bedürfnisse vollends befriedigt und nach einem leckeren Frühstück
vor dem Zelt war unsere Stimmung wieder bestens. 


 



Iqulah



Ini Kamoze
Der erste Auftritt
des Festivals, mit dem der CRS 2004 eröffnet wurde, war von I Qulah
(Inity, Quality, Unity and Love for Africa as a Home ), Kulcha Knox und
InI Kamoze, die ab 17.00 mit rootslastigen Reggaevibes die Hauptbühne
rockten. Ein graudreadiger Rasta Elder chantete unser westliches System
down  und erklärte mit Bezug auf die aktuellen weltpolitischen
Geschehnisse (z.B. den Irakkrieg) die Auffassung eines Rastafarians zum
Thema “Liberation and Revolution” (als Anspielung auf die so genannte “Operation
Iraqui Liberation” unseres amerikanischen Freundes mit dem grossen W).
“If Rastaman talk about revolution, they don’t talk about guns and war,
but about the spiritual revolution of the people’s minds.” Hoffentlich
haben diese weisen Worte nicht nur wir, sondern auch die in großen
Mengen erschienenen bayrischen Teenies verstanden, durch die das Festival
leider teilweise etwas pop-artig wirkte. 

Der Anfang war jedenfalls
gelungen, die 3-Tage (und Nächte)-Party konnte nun losgehen… Dubplate
48, eine Reggaeband aus Wiesbaden die wir beide bis dahin noch nicht kannten,
überzeugte uns ein wenig später auf der Zeltbühne sowohl
mit ihren Blasinstrument-lastigen Rootsstücken als auch den schnellen
Ska und Raggatunes musikalisch und textlich zu 100% und ihre Live-Performance
war ebenfalls sehenswert. Ihre aktuelle CD “Night in Kingston” können
und wollen wir deshalb gerne weiterempfehlen und euch Worte wie “You can’t
school dem, you can’t fool dem, you can’t rule dem all” ans Herz legen. 


 

Gegen 20.00
lockte dann Max Herre, der Frontmann des Freundeskreises, viele Besucher
zur Hauptbühne, konnte uns beide jedoch (außer mit seinen wirklich
wunderbaren alten Stücken wie “Esperanto”)  nicht wirklich begeistern.
Das wird aber vermutlich auch daran liegen, daß unsere Köpfe
lieber im Takt des Reggae schwingen, als in dem des HipHop zu nicken. Für
alle, denen das anders geht, war Max mit Sicherheit eines der Highlights
des Festivals. 


 

  

Max Herre
von FK >

 

< Buju Banton

Etwa 90 Minuten später
durfte dann Mark Anthony Myrie, besser bekannt als Buju Banton, ans Mike
und brachte die Menge mit rockigen Riddims und feurigen Lyrics zum Beben.
Man konnte richtig spüren, wie er seine Energie an das Publikum weitergab
und es, trotz des einsetzenden Regens, heiß machte und zum brodeln
brachte.

Optimale Vorraussetzungen
also für den Schluss-Act des Abends, Seeed aus Berlin, die Dank mehrerer
Charterfolge mittlerweile ja wohl sogar dem eingefleischten Heavy-Metal-Fan
bekannt sein dürften. Wenn die Crowd bei Buju gebrodelt hatte, hier
war sie definitiv am kochen. Wie immer im Partnerlook (nach Anzug und Mönch-Stil
diesmal in grün-weißer Sportswear), rockten die elf Jungs die
Hauptbühne und wurden von den tanzenden  CRSlern für ihre
Interaktion mit den Zuschauern und die heißen Tanzeinlagen dreier
“Berlin-Dancehall-Gals” gebührend gefeiert. 


 



Seeed

Soviel zum Freitag. Der Samstag
begann mit strömenden Regen und endete mit strömenden Regen.
Hatte Jah es wohl nicht gut gemeint mit dem Reggae Summer? Oder lag das
etwa am bevorstehenden abendlichen Auftritt des “König der Elfenbeinküste”,
Alpha Blondy? 


 

Wie auch immer
war die ehemals grüne Wiese, auf der die Zelte von mehr als 20.000
Besuchern standen und die als Tanzfläche vor den Bühnen diente,
durch den Regen in eine Art Matsch-


Swimmingpool  verwandelt
und man konnte die seltsamsten Situationen und Momente beobachten: Von
den barfuss laufenden Nachwuchs-Hippies, über die vor der Frauendusche
in einer langen Schlange wartenden Mädchen, die sich bei kühlem
Wind und ständigen Nieselschauern in ihre warmen Bikinis kuschelten,
bis hin zu den angetrunkenen Partyboys und Partygirls, die verzweifelt
ihre irgendwo im Schlamm feststeckengebliebenen Flip-Flops suchten. 


Matsch aufm Gelände

Ach Festivals sind einfach
wunderbar….. -es sei denn, es regnet. Aber um mal wieder zur Musik und
damit zu deutlich positiveren Stories zu kommen, kann man den Samstag im
Großen und Ganzen als den Höhepunkt des CRS beschreiben, da
mit Misty in Roots, The Wailers,Beres Hammond & Marcia Griffiths sowie
Raggabund, Ohrbooten,  House of Riddim (u.A. mit Ganjaman, Jah Meek,
Natty Flo), Sam Ragga Band  und Les Babacools nun wirklich ein äußerst
hörenswerter Auftritt nach dem anderen zur Auswahl stand. Im folgenden
werdet ihr sehen, wie wir uns entschieden haben. 


 



Misty In Roots
Angefangen mit
Misty in Roots, die leider schon für 14.00 eingeteilt worden waren
und (vielleicht aus Trotz?) das Publikum eine gute halbe Stunde warten
ließen, sind wir direkt bei einem unserer persönlichen Favoriten.
Die aktuelle Scheibe “Roots Controller” ist ein definitives Muss für
jeden Reggaeliebhaber und verdient mit ihrem ausgeklügelten Percussion-
und Blasinstrumentsounds sowie mit ihren conscious lyrics das Prädikat
“ausgezeichnet”.”Hear trumpets blowing, see the angels singing, wise men
are saying, these are the days, of which we’ve been waiting.” 

Als wir uns anschließend
ins trockene Zelt gerettet hatten, kam dort direkt eines der unserer Meinung
nach besten deutschsprachigen Künstlerkollektive, genannt Raggabund.
Die beiden Brüder El Criminal & Don Caramellow mit ihren südamerikanischen
Wurzeln sowie DJ Lobstarr begeisterten mit tiefgründigen Texten, mitreissenden
Beats, vielfältigen Styles (von Akustikgitarrensounds über rohe
Dancehallriddims bis zu spanischen oder englischen Reggaetunes) und dem
Feuer der rübergebrachten Message. 


 

Etwa eine Stunde
später heizte dann die House of Riddim-Crew die Stimmung des Publikums
weiter an, verdonnerte die Missetaten der Fadenzieher unserer Gesellschaft
und beschwor den Tag des jüngsten Gerichtes herbei, an dem sich die
Offenbarung vollziehen wird. Auch wenn in unseren Augen vieler dieser Texte
zwar die existierenden Probleme richtig anprangern jedoch leider oft keine
oder nur sehr schemenhafte bzw. illusorische Lösungen anbieten, so
bringen sie doch eins auf den Punkt und damit ins Bewusstsein der Zuhörer: 


Die eine Hälfte
von Raggabund

Daß in unserer Welt
(zu) viele Dinge schief laufen und Themen wie Ungerechtigkeit, ständige
Todesangst, Hunger und Durst, Ausbeutung, Sklaverei, Diktaturen oder auch
im Verborgenen operierende Machtzirkel nicht nur Themen aus den Geschichtsbüchern
(eigentlich wäre es ja schon ein Erfolg wenn wenigstens da etwas drüber
drin stehen würde; etwa über den Genozid an der australischen
Urbevölkerung oder die postkolonialen Einflüsse der einzelnen
Imperien auf die sozialen und machtpolitischen Verhältnisse ihrer
ehemaligen “Schützlinge”) sind, sondern aktuelle Situationen überall
auf dieser kleinen, sich drehenden Kugel namens Erde. 


 

Gegen 18.00
gaben dann The Wailers auf der Hauptbühne ihr Bestes und beglückten
viele Liebhaber von Reggae-Classics mit einem Evergreen nach dem anderen.
Mit ihrer 10-köpfigen Gruppe hinterließen sie einen recht imposanten
Eindruck und stimmten das Publikum auf den langen Abend mit Beres Hammond
& Marcia Griffith sowie dem Schlussgig von Alpha Blondy & The Solar
System ein. Zum ersten dieser beiden muss man sagen, dass wir währenddessen
einen tierischen Hunger bekamen und – durch den knöchelhohen Schlamm
watend – zurück zum Zelt gingen um uns eine lecker nahrhafte Tütenmahlzeit
zuzuführen. Ich könnte an dieser Stelle nun die “Pastaria Parmesana”
vom Lidl für 0.69 € empfehlen, aber wir wollen ja keine Schleichwerbung
machen. Sorry, Beres & Marcia, aber ihr seid einfach zur falschen Zeit
aufgetreten. 

< Alpha Blondy

Jedenfalls tanzten wir beide
dann einige Zeit später beim sich wegen eines gebrochenen Beines auf
zwei Krücken stützendem Alpha Blondy mit wohlgefülltem Magen
vor der Mainstage. Die polyglotte und multilinguale Reggaeprominenz wusste
trotz des nicht-aufhören-wollenden Regens die Massen zu bezaubern
und sie nach seinem Auftritt in einen hoffentlich tiefen Schlaf zu begleiten,
da auch der Sonntag noch schweres bzw. musikalisch hoch-interessantes Geschütz
auffahren würde. 


 

Angefangen mit
dem Johannes B. Kerner des deutschen Reggaes, dem allgegenwärtigen
Mellow Mark, über die neue deutsche Reggae- und Dancehallhoffnung
Nosliw, der mit seiner zynisch und gesellschaftskritischen Single “Wie
Weit” und dem dazugehörigen Album “Mittendrin” momentan die Charts
rockt, zu Classics wie Culture, Linton Kwesi Johnson oder Jamaica Papa
Curvin’. Außerdem sorgten die Beginner aus Hamburg für die Zufriedenstellung
der etwas mehr Hiphop-orientierten Besucher, während “Mr. Lover Lover”
Shaggy die *bling-bling*-Fraktion bediente. 

< Mellow Mark

 



Absolute


Beginner

 

Auf seltsame
Weise haben wir vom Sonntag, obwohl er ja eigentlich am kürzesten
her ist, die wenigsten einprägsamen Erinnerungen. Zwar waren der energiegeladene
Auftritt von Nosliw oder die Zeilen des englischen Poeten Linton Kwesi
Johnson und die dazu passendem Dubbeats seines langjährigen Partners
Dennis Bovell eindrucksvolle Erlebnisse, aber irgendwie ist man einerseits
am Sonntag schon wieder fast zu Hause und genießt das Festival nicht
mehr mit vollen Zügen, außerdem hat man nach 48 Stunden Beschallung
auch eine gewisse Resistenz entwickelt und reagiert nicht mehr ganz so
euphorisch auf die eingängigen Bassdrums oder die packenden Jives.


 

Shaggy
>

 



Culture


LKJ

 

Wie auch immer,
können wir beide mit Gewissheit den Chiemsee Reggae Summer eigentlich
jedem weiterempfehlen, es sei denn ihr habt eine Matschallergie, mögt
keinen Reggae oder wollt mehr als zwei Gramm Gras (Obergrenze des Eigenbedarfs
in Bayern; strenge und zahlreiche Kontrollen auch während des Festivals)
mitnehmen. Über alle, auf die das nicht zutrifft, freut sich das kleine
Dörfchen Übersee am Chiemsee bestimmt auch nächstes Jahr
wieder, wenn es heisst : Reggae Summer grooves again! Bis dahin – und tut
uns den Gefallen immer Regensachen mitzunehmen, wenn ihr Zelten geht.

 

Mail
RootZ.net


Copyright: Luke Schäfer
/ Sylvia Piciorgros / Doc Highgoods 2004
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