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Die Äthiopisch Orthodoxe Kirche der
ältesten christlichen Nation der Welt

Bis zum Sturz des Kaisers Haile Selassie 1974 war die Äthiopisch Orthodoxe Kirche für eineinhalb Jahrtausende die Staatskirche von Äthiopien. Im Grunde genommen existierte eine Trennung von Staat und Kirche überhaupt nicht, denn das äthiopische Staatswesen war eine Theokratie, eine Gottesherrschaft, die sich aus dem göttlichen Willen herleitete. Religiöse und weltliche Ordnung waren identisch, basierend auf dem vom zionistischen Gesetzgeber Moses geschaffenen Beispiel einer Theokratie. 
 
Der Kaiser (Negusa Nagast) ist mit einer gleichsam göttlichen Herrschaftslegitimation der salomonischen Dynastie traditionell das kirchliche Oberhaupt, wie es in den Büchern Kebra Nagast (Herrlichkeit der Könige) und Fetha Nagast (Gesetz der Könige) festgelegt ist. Der Negusa Nagast ist Symbol und Verkörperung des heiligen äthiopischen Reiches, des Volkes und der Nationalkirche, deren Konfession gleichzeitig die Staatsreligion ist. 

Die zionistische Tradition des Landes geht ins 10. Jh. v. Chr. zurück, als die Königin von Saba den israelitischen König Salomo in Jerusalem besuchte und von ihm geschwängert wurde. Ihr Sohn Bayna Lehkhem (David II / Menelik I) gründete die israelitische Dynastie der Solomoniden in Äthiopien. 
 
  

Haile Selassie I > 

Hauptstadt war das im 1. Jahrhundert begründete Aksum im heutigen Äthiopien, etwa 600 Kilometer nördlich von Addis Abeba und 300 Km nördl. von Gondar im Hochland. Die Stadt ist noch heute städtisches Zentrum der Provinz Tigray. Der Ort entstand vermutlich nach und nach durch den Zusammenschluss von Einwanderern aus Arabien. Das Königreich hatte ausgezeichnete Handelsbeziehungen zur griechisch-römischen Welt sowie nach Indien und tat sich im Handelsstreit zwischen dem Römischen und dem Persischen Reich hervor. Aksum lag an der Kreuzung der großen Karawanenwege zwischen dem Nildelta und dem Roten Meer und profitierte mit seinem Hafen in Adulis mit den von den Römern initiierten Verbesserungen der Navigation und der Handelsschifffahrt auf dem Roten Meer. Wirtschaftlich schloss sich das Königreich an den östlichen Mittelmeerraum an. Seine größte Bedeutung erreichte das Königreich zwischen dem 3. und 6. Jahrhundert, im 8. Jahrhundert verfiel es allmählich.
 
In Aksum selbst hat sich eine beträchtliche Anzahl monolithischer Monumente erhalten, davon über 200 Riesenstelen (eine dieser Stelen wurde von Mussolini geraubt und steht auf der Piazza di Porta Capena in Rom). Dazu kommen 26 gigantische steinerne Plattformen, deren Bedeutung und Funktion ungeklärt sind. Auf einigen Stelen haben sich Darstellungen mehrstöckiger Bauwerke erhalten und ermöglichen eine Vorstellung von der kubischen aksumitischen Bauweise aus Basaltblöcken und Holz. Das Zentrum des Ortes war ein blockartiger Komplex von Wohnhäusern auf einer erhöhten Plattform, die mit monumentalen Treppenanlagen erschlossen wurde. 

 < Steinstele in Aksum



Die äthiopisch-orthodoxe Unionskirche ist eine der ältesten und größten Ostkirchen. Als Apostel Äthiopiens gelten die Heiligen Frumentios und Aidesios, die zu Beginn des 4. Jahrhunderts am Hofe des Reiches von Aksum gewirkt haben, dessen König Ezana das Christentum angenommen hatte. Die Christianisierung des Reiches wurde dann von den „Neun römischen Heiligen” (die in Wirklichkeit aus Syrien vertriebene monophysitische Mönche waren) um 500 weitergeführt. 

Die Kirche stand in enger Verbindung mit dem Patriarchat Alexandrien, dem sie jurisdiktionell untergeordnet war, bis sie 1959 die volle Autokephalie (kirchliche Unabhängigkeit) erhielt. Sitz des Patriarch-Katholikos ist Addis Abeba. Ihm unterstehen 17 Eparchien in Äthiopien, je eine in Nubien und Jerusalem, dazu ein Exarchat in den USA. Die Zahl der Gläubigen wird auf zwölf Millionen geschätzt. Als koptische Kirche weist sie den typischen Nationalcharakter auf. 
 

Äthiopischer Priester mit einem charakteristischen Sonnenschirm >

 
Exkurs koptische Kirche: Die Kirche im römischen Reich war in fünf Großräume gegliedert, an deren Spitze ein Patriarch stand. Der einzige und alleinige Patriarch im Westreich war der katholische Bischof von Rom, der schon früh seine Vorrangstellung für die gesamte Kirche geltend machte, während es im Ostreich vier Patriarche gab: in Alexandrien, Jerusalem, Antiochien und Konstantinopel.

Unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches verstärkte sich im Osten das Bewusstsein der Koinzidenz von Nation und Konfession – in der Neuzeit wurde dies zu einem Hauptcharakteristikum der Orthodoxie, so dass sich die Ostkirchen heute als Nationalkirchen darstellen. 

Heute gibt es noch drei Gruppen von Ostkirchen. Die orientalisch-orthodoxen Kirchen  (armenische Kirche, die koptische Kirche von Alexandrien, die äthiopische Kirche, die westsyrische Kirche und die ostsyrische Kirche in Indien), die größte der drei Gruppen, die orthodoxe Kirche, mit dem Patriarchat von Konstantinopel und eine dritte Kirchengruppe, unter dem Sammelbegriff Unierte Kirchen. Zur Gemeinschaft der orthodoxen Kirchen zählen sich heute 14 autokephale und sieben autonome Nationalkirchen mit circa 150 Millionen Gläubigen.

Die Bezeichnung Kopten wird von „Ägypter” (arabisch: qubti) hergeleitet, womit die Bezeichnung koptische Kirche auf ihren nationalen Charakter hinweist. Die Kirche  führt ihren Ursprung auf den Evangelisten Markus zurück. Gegen Ende des 2. Jahrhunderts brachte es die unter dem Vorsitz des Klemens von Alexandrien befindliche christlich-katechetische Schule von Alexandrien, der bedeutendsten Stadt des hellenistischen Ägypten, zu großem Ansehen. Im 4. und 5. Jahrhundert verteidigten zwei Bischöfe Alexandriens die christliche Orthodoxie gegen den Einfluss des Nestorianismus. 

Die armenische Kirche, die koptische Kirche von Alexandrien, die äthiopische Kirche, die westsyrische Kirche und die ostsyrische Kirche in Indien lehnten ein vom Konzil von Chalkedon (451) verabschiedetes Glaubensbekenntnis ab. Der Beschluss besagte, dass in der Person Christi zwei Naturen vereint seien. Die Lehre von den zwei Naturen verstanden sie als Existenz von zwei Christuspersonen, einer göttlichen und einer menschlichen, und sahen darin den verderblichen Einfluss des Nestorianismus. Sie aber folgten dem Wort des heiligen Kyrill, der von der Inkarnation von Gottes Wort in einem Wesen sprach. In der Folge wurden die ägyptischen Christen des Monophysitismus beschuldigt, des Glaubens an die eine Natur Jesu Christi. 

In Ägypten, Syrien und Mesopotamien konnten sich die Monophysiten behaupten. Obwohl das 6. ökumenische Konzil (680-681) den Monophysitismus endgültig verurteilte, gelang es ihm, in einigen Kirchen bis heute zu überleben. Sowohl die neuzeitliche äthiopische Kirche wie auch die armenische Kirche, die koptische Kirche und die Jakobiten vertreten die Position des Monophysitismus. 

Einige wenige Alexandriner blieben dem Konzil von Chalkedon treu. Da diese Minderheit von der Geistlichkeit des Byzantinischen Reiches unterstützt wurde, bildete sich unter den Kopten eine nationale und kulturelle Gegnerschaft gegen das Byzantinische Reich heraus. Diese Feindschaft begünstigte im 7. Jahrhundert die Eroberung Ägyptens durch die arabischen Muslime.

Gegenwärtig macht die koptische Christenheit Ägyptens, die eine Minderheit darstellt, die beachtliche Zahl von etwa sieben Millionen aus, obwohl die offiziellen Statistiken der Regierung von geringeren Zahlen ausgehen.

Die koptische Kirche unterhält fruchtbare Beziehungen zur äthiopischen Kirche, die von ihr missioniert wurde und erst seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts selbständig ist. Jüngste Verhandlungen zwischen koptischen Theologen und Theologen der östlichen Orthodoxie lassen darauf schließen, dass die Kontroverse, die auf dem Konzil von Chalkedon beruht, überwunden ist und eine Einheit der Kirche wieder hergestellt werden könnte.

Die Zeitrechnung in Äthiopien richtet sich nach dem weltweit exaktesten, dem koptischen Kalender. Dieser weist eine Abweichung von sieben Jahren im Vergleich zum gregorianischen Kalender auf, so dass das Jahr 2003 nach dem gregorianischen Kalender in Äthiopien auf 1996 datiert wird. Dieser Kalender hat eine sehr genaue Jahresregelung. Er unterscheidet sich vom gregorianischen Kalender dadurch, dass nicht die durch vier teilbaren Hunderterjahre Schaltjahre bleiben, sondern jene, die durch neun geteilt den Rest 2 oder 6 ergeben. 
 
Darüber hinaus beginnt der 24-Stunden-Zyklus des Tages mit dem Aufgang der Sonne und nicht um Mitternacht. Das Weihnachtsfest liegt nicht am Ende eines Jahres, sondern fällt auf den 7. Januar. Epiphanias, der Besuch der Heiligen Drei Könige, wird am 19. Januar gefeiert.

 < Versammlung äthiopischer Priester

 

Copyright Bilder: Diverse / Text / Layout: Doc Highgoods 2003