RootZ – H.I.M. – Marcus Garvey – der ungebeutete jamaikanische Kämpfer

Marcus

Garvey – der ungebeugte jamaikanische Kämpfer

Zweifellos

war dieser Mann eine polarisierende Gestalt. Einige Quellen erwähnen

nur Abfälliges über sein Werk, er wird als Rassist, Verrückter,

als Loser, Dieb oder Betrüger bezeichnet. In anderen Artikeln ist

er ein Volksheld, ein Prophet, eine integrierende Befreiungsfigur und ein

Mensch, dessen selbstloses Schaffen darauf abzielte, entwurzelten Menschen

Selbstbewußtsein zu geben. Wer war dieser Mann wirklich?

 

Marcus

Mosiah Garvey wurde als jüngstes von elf Kindern am 17.8. 1887 in

Saint Anna’s Bay im kolonialen Kamaika geboren. Seine Eltern waren arme

Schwarze aus der Arbeiterklasse Jamaikas, die ihre Kinder christlich erzogen.

Als Kind hatte er bis in das Alter von 14 Jahren Kontakt zu einem gleichaltrigen

Mädchen aus der weißen Oberschicht bis dessen Eltern entschieden,

daß es Zeit war und besser für ihr Kind wäre, die Rassengrenze

zu ziehen. Dies war für Garvey die erste Erfahrung, daß es in

der Menschheit Unterschiede gab. Er spielte gerne Cricket, liebte es, im

Fluß schwimmen zu gehen und las viele Bücher. Später sagte

er einmal: „Use every spare minute you have in reading. … Read through

at least one book a week … Never forget that intelligence rules the world

and ignorance carries the burden.”

Das

ausgehende 19. Jahrhundert war die Epoche nach der offiziellen Abschaffung

der Sklaverei. Die Lebensbedingungen in der Karibik wurden durch eine hohe

Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne, Hunger, Unterernährung, schlechte

Ausbildung und die Unterdrückung der Bevölkerung, insbesondere

der afrikastämmigen Menschen, charakterisiert. Jamaika gehörte

nach wie vor zum British Empire, was die dominante Position der weißen

Kolonialherren weiterhin garantierte. Die Sozialstruktur Jamaikas bestand

derzeit aus drei Schichten: den europäischen Kolonialbeamten, den

Pflanzern und ihren Familien an der Spitze, darauf folgend den „Mulatten“

oder Mischlingen und am unteren Ende den Nachkommen der aus Afrika verschleppten

Sklaven. 

Mit

14 Jahren verließ Garvey die Schule, weil seine Eltern zu arm waren,

ihm eine weitere Ausbildung zu finanzieren. Er begann eine Druckerlehre

in seinem Heimatort. Er arbeitete mit 16 in einer Druckerei in Kingston,

Jamaikas Hauptstadt. Dort entwickelte er sein charakteristisches Gefühl

für soziale Angelegenheiten. Er profitierte von der Druckerlehre,

die ihm den Zugang zu Printprodukten erleichterte. 1907 führte er

in Kingston einen Druckerstreik um höhere Löhne an. 

 

Der

junge Garvey war von seinem Interesse am Kampf für Black Consciousness

stark eingenommen und begann auf der Suche nach Informationen und Arbeit

Erkundungsreisen durch Zentralamerika. Er drückte es in drei einfachen

Worten aus: „Knowledge is power.“

1912

reiste er zu seiner Schwester nach England und vertiefte dort sein Interesse

für afrikanische Geschichte und Kultur, die oft von Verzweiflung und

Hoffnungslosigkeit bestimmt war. Zusätzlich lernte er viel durch seine

Kontakte zu sozialistischen Politikern und durch sein Studium der Befreiungskämpfe

anderer Völker. 

1914

befand Garvey sich auf einem Schiff auf dem Rückweg nach Jamaika.

Er dachte über sein persönliches Schicksal und Bestimmung der

schwarzen Menschen in der Neuen Welt im Allgemeinen nach und überlegte

sich, welche Rolle er für eine Verbesserung der Situation spielen

könnte. Auf seinen Reisen hatte er Afrikaner getroffen, die in Afrika

lebten und ihm von den Bedingungen auf dem Kontinent berichteten. Er war

ein Verehrer des schwarzen amerikanischen Bürgerrechtlers Booker T

Washington. Aus diesen Quellen wußte er, daß die Lebensbedingungen

für schwarze Menschen überall auf der Welt die gleichen waren.

Er stellte sich Fragen, wie: „Wo ist die Regierung des schwarzen Mannes?

Wo sind der schwarze König und sein Königreich? Wo sind die wichtigen

und einflußreichen schwarzen Persönlichkeiten? Wo sind seine

Armee, seine Flotte, seine Waffen und Schiffe?“ 

 

Auf

dieser Heimreise nach Jamaika beschloß Garvey, nicht zu lamentieren

und Andere für das Schicksal der schwarzen Menschen verantwortlich

zu machen, sondern die Sache in die eigenen Hände zu nehmen. Er definierte

sein Lebenswerk als den Versuch eine Erlösung für Afrikaner und

den afrikanischen Kontinent zu finden, wo immer er sich auch aufhalten

würde. 

Er

versuchte Antworten auf seine Fragen zu finden, aber sie blieben ihm verwehrt.

Ihm wurde bewußt, daß es für die Erfüllung seiner

neu definierten Aufgabe, der Verbesserung der Lebensumstände schwarzer

Menschen, nur eine Lösung gab: die Gründung einer Organisation. 

Auf

Jamaika angekommen zögerte er nicht lange und gründete die Universal

Negro Improvement Association (UNIA) und die African Communities League.

Er sah die UNIA als das Instrument für den Wiederaufbau des schwarzen

Hauses, das kollabiert war, weil es nicht für Katastrophen gerüstet

war. Garvey setze alle Energie daran, dieses Haus von seinen Grundfesten

auf zu erneuern. Er äußerte den Leitsatz: „Africa for the African

at home and abroad.“

1916

zog Garvey nach New York und gründete die Wochenzeitung Negro World.

Als charismatischer Redner und brillianter Autor begann er, die amerikanischen

Schwarzen zu überzeugen, stolz auf ihre Hautfarbe zu sein, und predigte

ihre Rückkehr nach Afrika, dem Heimatland ihrer Vorfahren. Zu diesem

Zweck gründete er 1919 die Black Star Line, eine Schiffahrtsgesellschaft,

und erwarb mehrere Dampfschiffe. Dazu kam die Negro Factories Corporation,

die wirtschaftliche Unabhängigkeit unter den Schwarzen fördern

sollte. Garvey fand Zehntausende Anhänger und brachte die UNIA, laut

unterschiedlichen Quellen, auf zwei bis sechs Millionen Mitglieder. 

Seine

Unternehmen erlitten mehrere schwere wirtschaftliche Rückschläge,

und die Umsetzung des Repatriierungsprogramms scheiterte am Widerstand

der Regierung Liberias. Die Periode zwischen den zwei Weltkriegen war für

einen Menschen, der in der internationalen Politik für die Rechte

der Schwarzen eintrat, nicht einfach. Er wurde von Neidern, Individuen,

Regierungen und Organisationen, teilweise von Mitkämpfern  aus

den eigenen Reihen gefürchtet und verleumdet. 

 

Dabei

hat er nie Haß gepredigt, sondern war ein Mann des Friedens, des

Stolzes, des Selbstrespektes und der Unabhängigkeit. In seinen eigenen

Worten: „There is no sense in hate, it comes back to you. Therefore, make

your history so laudable, magnificent and untarnished, that another generation

will not seek to repay your seed for the sins inflicted upon their fathers..

The bones of injustice have a peculiar way of rising from the tombs to

plague the inquisitous. … Lift up yourselves, men, take yourselves out

of the mire and hitch your hopes to the very stars themselves. Let no man

pull you down, let no man destroy your ambition, because man is but your

companion, your equal, man is your brother, he is not your Lord, he is

not your sovereign master.”

1922

hatte UNIA sechs Millionen zahlende Mitglieder und war eine nicht zu unterschätzende

politische Kraft geworden, die mit diversen Organisationen und Individuen,

u.A. dem Ku Klux Klan über die Finanzierung der Repatriierung nach

Afrika Verhandlungen führte. 

Vermutlich

wegen dieser Machtposition wurde Garvey wegen angeblicher Veruntreuung

der Gelder der Black Star Line verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe

verurteilt. In dieser Zeit schrieb er seine kurze Autobiographie „I, Marcus

Garvey“. In einem Kernsatz dieses Buches findet man seine Interpretation

für die Hintergründe seiner Inhaftierung: „Such fame (as being

achieved by myself) was too much for other race leaders and politicians

to tolerate. My downfall was planed by my enemies. They laid all kind of

traps for me. They scattered their spies amongst the employees of the Black

Star Line and the UNIA.” Ihm persönlich hat diese Erkenntnis nichts

genutzt, er verlor seinen gesamten Besitz, seine Firmen und sein Kapital

und wurde 1927 nach Jamaika abgeschoben. Dort gelang es ihm nicht, die

UNIA wieder aufzubauen. 

Im

selben Jahr machte er während einer Rede in Kingston die Aussage,

welche in den Dreißiger Jahren die bis heute international weiter

wachsende Bewegung der Rastafarians initiierte: „ Look to Africa where

a king would be crowned, for the day of deliverance is near.“ Als im Jahre

1930 Haile Selassie als der biblische Negusa Nagast gekrönt wurde,

entwickelten sich auf Jamaika die ersten Rastakommunen. Garvey wird von

den Rastafarians mit Johannes dem Täufer verglichen, der das Erscheinen

Gottes / Jesus auf der Erde vorhersagte. 

 

Garvey

zog nach London, wo er 1928 von sich selbst sagte, ein Vorkämpfer

für ein erwachtes Afrika zu sein, das nie wieder einschlafen wird.

Ab 1935 ließ er sich permanent in der britischen Hauptstadt nieder.

Bis zu seinem Tod am 10.6.1940 in London wurde auf den Mann geschossen,

auf ihn eingestochen, er wurde verhaftet und eingesperrt, verfolgt und

deportiert. 

Dies

waren alles Versuche, ein Individuum aufzuhalten, dessen Ideen kraftvoll

und einflußreich waren und innerhalb der weltweit unterdrückten,

schwarzen Bevölkerung Wurzeln schlugen. Er gab den schwarzen Menschen

der Welt eine Stimme, er initiierte die Arbeiterbewegung in der Karibik,

er formierte die Repatriierungsbewegung nach Afrika, aus der Aufsplitterung

der UNIA gingen viele schwarze Bürgerrechtsbewegungen hervor, die

z.T. bis heute aktiv sind (bspw. Nation of Islam), er schaffte die Prototypen

schwarzer Unternehmen, er beeinflußte die antikolonialen Bewegungen

des 20. Jahrhunderts. 

Auch

wenn er sein Leben ausschließlich für die schwarzen Menschen

dieses Planeten geopfert hat. waren er oder seine Organisationen nie rassistisch

eingestellt. Anders lautende Aussagen entkräftet er in seiner Autobiographie:

„The UNIA has been misrepresented by my enemies. They have tried to make

it appear that we are hostile to other races. This is absolutely false.

We love all humanity. We are working for the peace of the world.”

Jamaikas

postkoloniale Regierung hat die Größe dieses, ihres Staatsbürgers

erkannt und ließ seinen Leichnam 1963 zur endgültigen Bestattung

im National Shrine of Jamaika überführen. Marcus Garvey ist post

mortem zu einem Nationalhelden seines Heimatlandes erklärt worden.

 

Garvey

liebte Musik, gute Literatur und Gedichte. Er war immer bestrebt, seinen

geistigen Horizont in alle Richtungen zu erweitern. Er liebte das Leben

und versuchte durch ein gutes Allgemeinverständnis das Beste daraus

zu machen. Ihm waren der perfekte Schrift- und Sprachgebrauch immens wichtig.

Es bedeutete ihm viel, sich mit gebildeten Personen zu umgeben, er wollte

von Anderen lernen. Er hatte hohe Ziele für sein Leben gesteckt. War

er ein Rassist, ein Verrückter, ein Loser, ein Dieb, ein Betrüger,

ein Volksheld, ein Prophet, eine integrierende Befreiungsfigur, ein Mensch,

dessen selbstloses Schaffen darauf abzielte, entwurzelten Menschen Selbstbewußtsein

zu geben? Wer behauptet das eine, wer das andere? Was für Motive stecken

dahinter?

Der Leser mag selbst urteilen. 

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