Sieben kleine Hänflinge


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Hanf

  Sieben
kleine Hänflinge
Es war einmal ein Kurzurlaub, der eine
Reisegruppe von sieben Hänflingen ins Land der Kinderficker und-verscharrer,
Belgien führte.
Natürlich machten die Jungs, die sich seit Urzeiten, genauer, seit
der Schule kannten, zuvor einen kurzen Schlenker über die von zukünftigen
Überschwemmungen bedrohte Region, Niederlande, um dort für die
Reise noch das Notwendige für die Kopfhygiene zu besorgen. Gesagt,
getan, der Headshop gab alles Wünschenswerte her und schwupp, machte
man sich über die offene Grenze in die Ardennen auf, um in dem Dreieck,
gebildet aus Eupen, Spa und Malmédy, ja, in der für jeden Retroteutonen
so schmachvollen und wie ein Schweizer Käse von Geschossen vergangener
Konflikte, zersiebten Region Westeuropas, Unterkunft, Ruhe und Inspiration
zu finden.
In dem kleinen Dorfe Paix de Chauvre fanden Harry, Uli, Mike, Tony, Gary,
Steve und Basti bei einer netten und flotten Madame Savherbes eine Unterkunft
und trotz der in der Gegend allgemein vorherrschenden antigermanischen,
in der Geschichte begründeten Athmosphäre, obendrein viel Sympathie
und Geborgenheit.

Für Basti war der Reisestreß schon von Anfang an viel zu viel
gewesen, und kaum hatten die Jungs sich in ihrer behaglichen Mietbehausung
eingefunden, beschloß er, zunächst einmal das Klo des Hauses
in Beschlag zu nehmen und seinen ganz persönlichen Konflikt auszutragen.
Er hatte nämlich das Problem, schon immer auf den Staub der Geschichte,
und ganz besonders auf den, der aus der rechten Ecke aufgewirbelt wurde,
extrem allergisch zu reagieren und mußte, die Konsequenzen einer
Begegnung mit dem Staub der Zeit auslebend, sich entscheiden, welcher Art
der Körperentleerung, oral oder fäkal, er zuerst fröhnen
konnte, sollte, durfte.
Unter uns: der Konflikt hätte ihn beinahe in die Schizophrenie getrieben,
und ausschließlich seinen anwesenden sechs Freunden hatte er es zu
verdanken, daß der Schaden an Leib und Leben gering blieb: das Klo
verwandelte sich zwar in einen Saustall und er dehydriert, wie ein Ledersack,
der zu lange in der prallen Sonne gelegen hatte, mußte das in seiner
Auslegung zu kurz geratene belgische Lasterbett hüten, um wieder zu
Kräften und Sinnen zu kommen.
Sieben kleine Hänflinge…da waren’s nur noch sechs. Der sechste hatte
das Gras dabei und und ging mit seinen Freunden auf eine von allen ersehnte
heiße Tass Kaff ins Dorf.

Paix de Chauvre muß man sich als eine sehr beschauliche Ansammlung
von steinernen Häusern (ja, sie sind alle unterkellert) vorstellen,
mit einem Dorfplatz und dem natürlich dazugehörigen Bistro, in
dem all die Männer draußen saßen, die eh keinen mehr hochkriegen
und sich deswegen auch nicht mehr zu Hause oder im Keller rumdrücken
mußten.
An jenem sonnigen und auch ansonsten absolut angenehmen Nachmittag steuerten
die sechs verbliebenen und magenstabileren Touristen auf das ziemlich gut
besetzte, sich passenderweise “Bistro Central” bezeichnende Etablissement
zu, um die besagte Tass Kaff mit einem Stück Kuchen aufsaugen zu lassen,
denn nach dem Spaziergang von Basti’s Krankenlager zur Dorfmitte hatten
sie noch einen kleinen Schlenker gemacht, um im Schoße von Mutter
Natur, dort “Ardennen” genannt, schon ‘mal ein wenig dem THC
zu frönen.
Und Rauchen regt bekanntlich die Magensäfte an, so daß der Trupp
heißhungrig auf einen Tisch in der Mitte der sich dort niedergelassenen
Menschenmenge zusteuerte. Nach einem Rundblicks zwecks Orientierung und
Sondierung der Umgebung, stellten sie einhellig fest, daß die Kaffegäste
garnicht so gerontolastig waren, wie erwartet, siehe da, es gab auch ein
paar Menschen unter fünfzig, wahrscheinlich auch Touristen, wie schnell
konstatiert wurde.
Ein Blick auf die Karte bestätigte, daß es neben den obligatorischen
Fritten mit zwanzig verschiedenen, aber frei kombinierbaren Saucen, tatsächlich
den Posten Kuchen gab und schon wurde geordert, was der Freßtrieb
verlangte. Was war das für ein Anblick: sechs bekiffte Jungs schaufelten
sich die Kalorien wie blöde in den Schädel, so daß sogar
das Krümelmonster bestimmt seine hellste Freude gehabt, aber am Ende
wegen Überfressenseins gekotzt hätte.
Na und was folgt normalerweise auf den Freßtrieb, den mensch bekanntlicherweise
in der Regel am liebsten mit Zuckerattacken auf sein Blut bekämpft?
Richtig, der Bock auf ‘nen Joint, weil der Zucker das THC auch aus der
letzten Synapse wieder verdrängt hat.

Die Idee, an Ort und Stelle einen zu dampfen hatte bei unseren Jungs ein
geteiltes Echo zurückgeworfen. Dummerweise hatte Harry rein zufällig
den Bröselbeutel auch noch eingesteckt, sonst hätte sich das
Thema ja eh erledigt, aber in dieser Situation mußte konkret abgecheckt
werden.
Und gerade Harry hatte am wenigsten Bock auf die ganze Aktion, mitten unter
den halbtoten Eingeborenen und den dazugekommenen Kaffeschlürfern,
edle ätherische Öle zu verbrennen und suspekte Gerüche freizusetzen.
Nur mußte er zu seinem Leidwesen feststellen, daß gegen den
Drang der anderen fünf Freunde (nein, bestimmt nicht die vom alten
Enid Blyton) nur ein einziges Kraut gewachsen war. Also gab er nach, wie
ein Bunjeeseil im Fall, nur um dann an einen von den fünf anderen
Süchtlingen abseits liegenden Platz an der Theke am Rande der Kaffegesellschaft
zurückzuschnellen, um auch der letzten Fritte, die vielleicht am Tellerrand,
halb in Ketschup ertränkt, sich wunderte ob man schon “Da waren’s
nur noch fünf…” anstimmen sollte, klarzumachen, daß er
nicht zu dieser Gruppe in der Öffentlichkeit illegale Substanzen konsumierender
Fremder gehört. Fünf kleine Hänflinge rauchen einen Joint
und Harry sitzt da, als wär’ er nicht ihr Freund.
Damit fängt die Äktschn erst richtig an. Einige Moleküle
THC, gestreckt mit Nikotin haben es schon noch geschafft, die Lungenbläschen
des exponierten Quintetts zu penetrieren, als sich plötzlich zwei
milchbärtige, im Höchstfalle Mittzwanziger Fritten aus ihrer
Schale erhoben und sich als getarnte “Fliques-” und nicht “Herbes
de Provence” – Landbullen halt, entpupppten. Wahrscheinlich hatten
sie sich ein halbes Stündchen für ‘nen gemütlichen Plausch
von ihrer eigentlichen Aufgabe, Dutroux oder einen seiner päderspastischen
Kumpane zu bewachen, zurückgezogen und waren jetzt aber durch den
teutonischen Angriff in Form einer den Geruchssinn belästigenden Marihuanazigarette
– oder war es Heroin ??? – so aufgebracht, daß sie, wie schon ihre
Väter und Vorväter, sich vor Patria stellten und die Eindringlinge
aufbrachten.
Und siehe da: sie waren doch nicht so dumm, wie sie aussahen, jedenfalls
hatten sie ihre Handschellen nicht im Keller vergessen, sondern konnten
sie an Ort und Stelle um die durch Verstädterung und allgemeine Verweichlichung
zart und fragil gewordenen Handknöchel schlingen. Was waren die fünf
Hänflinge baff, als die verchromten und in der Sonne blitzenden Edelstahlmanschetten
sich kalt um ihre Knochen schlossen und ihnen mit Worten, Händen und
Füßen eindeutig klargemacht wurde, daß eine Kapitulation
vor Fritten in Blau für Jungs, die sonst nur “Pommes Ruudwieß”
gewöhnt sind, nicht nur gastrotechnisch das Klügste sei.
Der von Steve zwar so weit wie nur möglich weggeschnippte Spliffstummel
wurde von einer der Fritten gefunden, gesichert und mit einer Flüssigkeit
besprüht, die die kläglichen Reste des vormals majestetischen
Joints giftgrün verfärbte, ein chemischer Prozeß, der im
Gesicht des Wachtmeisters wahre Begeisterungsstürme auslöste,
hatte er damit doch die Bestätigung, daß es sich bei dem Fund
tatsächlich um eine unerlaubte Substanz handelte.
Ha-Ha-Harry fühlte die in seinem Inneren aufkommende Bestätigung
für die von ihm gerade noch bei der durch seine eigenen Hände
Arbeit entstandenen Spliffs orakelte Brisanz eines solchen Eingriffes in
den Verständnishorizont der örtlichen Bevölkerung hochwallen,
die aber genau so schnell durch einerseits die Sorge um seine fünf
versch… Freunde, welche es ja unbedingt wieder einmal wissen mußten,
hauptsächlich aber durch sein vulkanierähnliches Vermögen
der logischen Einschätzung von Situationen wie dieser, verdrängt
wurde.

Reflexartig griff Harry in die linke Hosentasche seiner ein wenig verschlissenen
Jeans, die am Hintern eine Stelle hatte, die maximal noch eine Wäsche
aushielt, bevor der leiseste Furz dem verbliebenen Gewebe endgültig
den Garaus machen würde. Er fühlte den Beutel heiß, wie
Höllenglut in seiner Hand, obwohl es sich nur um vielleicht eine Unze
erstklassigen Materie handeln konnte, das bestimmt nicht von selbst in
irgendwelchen Taschen, auch nicht von verschlissenen Jeans, zu schwelen
beginnt. “Nein, es mußte die Angst und Anspannung der Situation
sein,” schlußfolgerte er und überlegte sich, daß
von diesem Phänomen bestimmt der Begriff “heiße Ware”
abstammen muß.
Harry zog in einem unbeobachteten Augenblick den Beutel aus der Hosentasche
und warf ihn in nahezu Lichtgeschwindigkeit hinter die Theke, eine Bewegung,
die von niemandem hätte gesehen werden können, denn er saß
am Ende der Theke, so daß der Blickwinkel seine Aktion verdeckte.
Es sei denn, die Theke war unterkellert und irgendeiner der ansässigen
Pädoforscher war gerade wieder einmal dort unterwegs um seinen Wissensdurst
und andere Regungen zu befriedigen.
Und schon legte sich die Hitze in Harry’s linker Hosentasche so daß
er sich langsam der Schweißtropfen gewahr wurde, die sich, wahrscheinlich
durch die heiße Situation verursacht, auf Stirn und Oberlippe sammelten
und unbarmherzlich, von der Schwerkraft angezogen, ihre Bahnen nach unten
suchten, um auf des Produzenten ansonsten anspannungsbedingt so trockenen
Gaumen, eine salzig-schale Geschmackslawine zu verursachen.
“Salz? Da war doch ‘was mit Salz, ach ja, Fritten mit Salz, wir sind
ja verhaftet,” dachte Harry und schloß sich dem Troß der
sieben Leute, der unter den unglaublichen Blicken von mindestens dreiundsechzig
Augenpaaren, zwei einzelnen Augen und einem Glasauge der anwesenden Kundschaft
sich langsam der Peripherie vom Bistro Central näherte, um dort auf
das Eintreffen eines Fahrzeuges zu warten, das die Leute zur Fliquerie
Centrale (Bullenwache) bringen sollte.
Die Herrschaften von der Polizei hatten den germanischen Konsumenten verbotener
Rauschmittel schon anfangs klar- und deutlichgemacht, daß sie keinerlei
Konversation oder Kommunukation, schon garnicht in der ihnen persönlich
völlig fremden Heimatsprache zu dulden gedenken werden, wahrscheinlich,
um für die schwerkriminelle Bande auch wirklich keinerlei Möglichkeit
zuzulassen, ihre herauszuquetschenden Aussagen aufeinander abzustimmen,
denn was liebt ein Bulle mehr, als widersprüchliche Aussagen in einem
Verhör? Solch eine Situation läßt ihn aufblühen, seine
Rangabzeichen auf der breiten, durchtrainierten Schulter fangen an zu leuchten,
die Uniformsknöpfe beginnen, um die eigenen Knopflöcher zu rotieren
und der Sabber in der Mundhöhle des Herrn Gendarms in Strömen
zu fließen. Richtig, daher stammt die ja schon fast sprichwörtliche,
feuchte Aussprache dieser Artgenossen; der Spieß beim Bund hat diese
Angewohnheit jedoch ohne Reflektion übernommen, denn dafür reichte
sein Hirnvolumen nicht.

“Als wenn die Situation nicht schon schleimig genug wäre,”
war in der Gruppe Hänflinge der vorherrschende Gedanke und die Vorstellung
des Verhörs in irgendwelchen ungemütlichen Bullenbuden ließ
unweigerlich den Wunsch nach einem Kleidungsstück aufkommen, an das
niemand gedacht hat: einen Ostfriesennerz, aber bitte mit Gesichtsschutz.
Nur so konnte man einigermaßen sicher sein, daß die endlosen
Geschwätze der exekutiven Rindviecher ohne wer weiß was für
tröpfchenübertragene Infektionen abgeschlossen werden könnten
und man dann nicht noch im Anschluß auf der Isolationsstation irgendeines
Krankenhauses im Land der Fritten die nächste Zeit verbringen müßte,
weil eine neue Variante des sehr lethalen Virus, welcher simultan für
Kinder-, sowie Rinderwahnsinn verantwortlich ist, sich in den holden Körpern
der Hanfliebhaber eingenistet hat und auf der Intensivstation erst wieder
vertrieben werden mußten.
Langsam aber sicher hatten die sechs Jungs sich mit dem Fakt eines Verhöres
abgefunden, und schon kam auch die Frittenwanne angerauscht, um die sechs
anwesenden Freunde, sowie ihre Aufpasser in die Frittenstation, nein, nicht
McDonald’s, Burger King oder K.F.C., sondern auf eine sogenannte Polizeistation
(im Übrigen sind auch die unterkellert), zu bringen wo hoffentlich
nicht noch Schlimmeres auf sie zukommen würde, so wie beispielsweise
mit den Bullen irgendwelche Dutroux-Spielchen machen zu müssen, oder
im Einzelverhör ins Stottern zu kommen oder sich in Widersprüche
zu verstricken, denn dann geht die schon beschriebene Situation des Speichelsprühens
bullenseits unbarmherzlich über die Bühne.

Nach einem unspektakulären Transport durch die ganze Pracht des Ortes
Paix de Chauvre, was tatsächlich ganze drei Minuten und neunundvierzig
Sekunden gedauert, jede Menge unnütze Phon produzierte – man stelle
sich nur vor, eine Frittenwanne, überladen mit sechs Hänflingen,
den zwei zur Tat geschrittenen Kartoffelstangen und die dazugestoßene
Chauffeurpommes, auf durch den Zahn der Zeit, oder wahrscheinlich eher
durch ein Abriebphänomen, auch “Autoreifen” genannt, rundpoliertem
Kopfsteinpflaster der örtlichen Straßen – zusätzlich gab
es noch einen Eintrag in das Guiness Book of Records für die blödesten
Gafferblicke des Planeten, kam die Wanne, wenn auch nur schwerfällig,
denn sie verlor schon die ganze Zeit Fritieröl und glitt deshalb auf
seinem eigenen Schleimfilm dahin, vor dem Eingang eines schwer gesicherten
Hauses zum Stehen.
Auf ihrem Weg in das Gebäude wurden die sechs “schweren”
Jungs wurden von einem Spalier junger Nachwuchsgendarme in ihre schützende
Mitte genommen, denn mittlerweile hatte die Neuigkeit über die Kapitulation
einerGruppe Teutonen die Dorfrunde gemacht und diese war, nicht besonders
groß, was schon die Tatsache bewies, daß es nur drei Minuten
und neunundvierzig Sekunden brauchte, um die stattliche Anzahl von sechsundfünfzig
Dorfbewohnern in ihrer ganzen frittenländischen Pracht auf den Plan
zu bringen, welche sich allesamt eine eigene Portion privater Erinnerung
an diesen Siegestag sichern und sie mit zu sich nach Hause nehmen wollten.
Leider wurde es an diesem Tag nichts mit dem Schauspiel, denn das beabsichtigte,
recht unbekannte, indigen-wallonische Ritual, den Feind an Ort und Stelle
in Einzelteile zu zerlegen, wurde durch die das-Spalier-bildenden-Polizisten,
allesamt über ein Meter und neunzig groß, Kerls, so blöd,
wie sie lang waren, verhindert.
So mußten sich die Einheimischen mit Erinnerungen in Form optischer
Eindrücke begnügen und diese irgendwo nah an der Großhirnrinde
unlöschbar abspeichern, es sei denn, sie hatten vorgesorgt: aufgerüstet
mit letzter Hi-Tech, schon seit Anbeginn der Szene hatten sie die Videokamera,
ihr winziges Meisterwerk der Technik mitsurren lassen. Im Anschluß
ging sehr laut und äußerst urwüchsig die Schacherei um
die Videobänder, die dieses Ereignis unauslöschlich, es sei denn,
man nimmt versehentlich drüber auf, dokumentierten ,an Ort und Stelle
los und man soll es kaum glauben, wozu erwachsene Fritten – neben Pädoverkehr
– imstande sind. Aber es waren endlich mal nicht die sonst so gerne gehandelten
Magnetbänder mit zweifelhaftem Inhalt kinderfickerischer Art.
Eine Schilderung dieser Schlacht soll ein anderes Mal erzählt werden,
und die Gruppe der sechs um Harry kommt an dieser Stelle nicht nur wieder
in den Mittelpunkt der Erzählung, sondern sie landen auch mitten im
Zellentrakt eines dunklen Dorfknastes in der tiefen wallonischen Provinz,
er verbreitete eine Stimmung, als hätte man sich plötzlich ein
paar Jahrhunderte in der Zeit zurückbewegt, ins dunkelste Mittelalter
und wäre eine Gruppe armer Schweine, die wußten, daß sie
nie wieder diese Mauern lebendig verlassen würden. Nur eine zentrale
Requisite schien der Regisseur dieses persönlichen Alptraums vergessen
zu haben: von Folterzangen, Streckbank und Messerschrank war weit und breit
nichts zu sehen und auch die Uniformen der Herren Wachtmeisterfritten paßten
im Stil nicht ganz zur Epoche.

Uli, Mike, Tony, Gary und Steve wurden augenblicklich isoliert und jeder
in sein eigenes, einem Verlies wirklich sehr nahekommenden Verhörzimmer
gebracht, so daß Harry sich wunderte, warum denn er in dem zentral
gelegenen Foyer, zwar unter Beobachtung des diensthabenen, dicke Havannas
rauchenden Superfliques, zurückblieb, ohne in den zweifelhaften Genuß
einer Speicheldusche zu kommen. “Vielleicht haben sie nicht ausreichend
Räume,” dachte er sich und nahm an, daß er dann wohl bei
der zweiten Runde naßwerden würde, wodurch ihm, die Vorstellung
daran durchlebend, ein eiskalter Schauer den Rücken hinunterlief.
“Ich halte das nicht mehr aus – ich brauche ‘ne Kippe,” dachte
sich der Zurückgebliebene und griff in die Hosentasche der zerschlissenen
Jeans, um seinen Tabak hervorzuholen.
Was er in diesem Augenblick fühlte, war mehr, als die Höllenhitze
der ersten Situation im Bistro Central, als Harry den Dopebeutel aus der
Hosentasche geholt hat und dachte, ihn hinter den Tresen geworfen zu haben,
denn was er als blauen Beutel mit lecker Tabak für Selbstgedrehte
hielt, entpuppte sich vor seinen ungläubigen Plierchen als besagte,
entsorgt vermutete Unze von feinstem, aus den Niederlanden, importierten
Hasch und Marihuana. Er sah kleine Rauchwölkchen von seiner Handoberfläche
aufsteigen, roch das eigene, verbrannte Fleisch und hörte, wie sich
die “heiße Ware” immer tiefer durch seine zart konkav gehaltene
Linke fraß und ein regelrechtes Loch zu verursachen drohte.
Direkt neben ihm gelegen war glücklicherweise ein recht großer
Spalt in der Wandverkleidung des Bullenhauses und Harry reagierte instinktiv:
Ein Blick scannte den Raum und mit einem Blick, analysierte er die Wahrscheinlichkeit,
daß die zigarrenrauchende Fritte gerade jetzt zu ihm rüberblicken
würde, hob seine offensichtlich unversehrte Linke – wie stark doch
Phantasien wirken können, besonders, wenn sie auf Bedrohung basieren,
eben hatte er noch quasi durch seine Hand durchschauen können – und
warf das Päckchen Dope in den Spalt, nur um festzustellen, daß
die Verkleidung unten offen war und der Bröselpäck mitten in
den Raum geschleudert wurde, so, daß mit dem nächsten Öffnen
der Tür zum Zellenkorridor, wo die fünf Freunde Höllenqualen
zu ertragen schienen, jeder Wachtmeister sich fragen mußte: “Da
liegt ein Päckchen mit illegalen Substanzen. Wie kommt das dahin?”
Im Klartext: Ein Bulle mit Kaffedurst und schon würde Harry von zwei
Quellen, nämlich seinem Angstschweiß, der sich schon wieder
in Strömen über sein Gesicht ergoß, und dem Gesabber der
ermittelnden Countryfritte, unaufhaltsam durchtränkt werden.

Er hatte nur eine Chance: Seine Füße und Beine waren außer
Sichtweite des Wachtmeisters mit Havanna, sie mußten sich in tentakelähnliche
Gliedmaßen verwandeln und den Beutel wieder an Bord holen. Und tatsächlich
gelang es ihm, gerade noch so mit dem Fuß an den Päck heranzukommen
und ihn wieder an sich heranzuziehen, um ihn geschwind wieder in der linken
Hosentasche der zerschlissenen Jeans verschwinden zu lassen. Uff, das war
aufregend und anstrengend! Harry tupfte sich Oberlippe und Stirn trocken
und mußte immer noch daran denken, wie gut doch jetzt eine Kippe
kommen würde.
“Frechheit siegt, und davon habe ich eine ganze Menge,” dachte
sich Dirty Harry und fragte den Bullen, dessen Zigarre sich in der Zwischenzeit
in einen häßlichen gelben Nikotinfleck im rechten Mundwinkels
dieses Herren und einen erstaunlich großen und dunklen Haufen Asche
im vor dem Gendarmen auf dem Tisch stehenden dafür vorgesehenen Entsorgungsbehälter
“Aschenbecher” verwandelt hatte: “Tschuldigung, Monsieur,
haben sie eine Zigarette für mich?” Ohne aufzublicken, es sah
so aus als löse er Kreuzworträtsel, antwortete der Bulle, daß
er keine Zigaretten rauche, aber Harry könne sich ja schließlich
welche kaufen gehen.
Harry wußte nicht auf Anhieb, ob das jetzt eines dieser auf Mißverständnissen
in der Kommunikation beruhendes Ereignis war, darum fragte er noch einmal
nach, einfach, um völlig sicher zu sein: “Sie meinen, ich kann
also diesen Raum verlassen, vor die Tür der Wache gehen und dort eine
Zigarette rauchen, ohne daß Sie hinter mir herrennen um mich auf
der Flucht zu erschießen? Der Bulle bestätigte dieses und der
sich bisher gefangen geglaubte Hänfling setzte sich mit einem Gesichtsausdruck
aus Erleichterung, Unglauben und Skepsis in Richtung Tür des Stalls
in Bewegung um vor die Tür zu treten, denn dort war es dank der Kerls,
die so dumm, wie sie lang waren gelungen, daß auch der Dorffriede
wieder hergestellt war.

Es war sogar erstaunlich still und einsam vor der Bullenwache “Paix
de Chauvre Central”, trotz dicker Mauern vernahm Harry hier und dort
sogar Bruchstücke aus den Vernehmungen, die seine Freunde mitmachen
mußten, leider jedoch so kryptisch, daß er nichts damit anfangen
konnte, außer, daß die Tonlage der Jungs ihm nicht allzu sehr
Angst machte.
Unser befreiter Held schaute sich um: niemand war weit und breit zu sehen.
Vor der Bullerei gab es einen kleinen Vorgarten, der Rasen sah gepflegt
und einheitlich aus, so daß man sich fast sicher sein konnte, daß
dort keine Pädoscharrer zugange gewesen sein konnten, wenigstens nicht
in letzter Zeit, der Rasen wurde eingezäunt von einer Hecke, ungefähr
eineinhalb Meter hoch, rot und dornig, so dicht, daß die eventuell
aus dem Fenster fallenden Blicke nicht mehr das Blättermeer zu durchdringen
vermochten. Harry kniete sich schnell nieder und buddelte mit seiner linken
Hand ein kleines Loch, er war zwar kein Linkshänder, aber die langjährige
und sehr intensive Freundschaft zu Ali Ben Hussein, einem türkischen
Kumpel, hatte ihn gelehrt, und dies hatte sich regelrecht in seinen Hirnlappen
eingefressen, daß die Linke dazu geschaffen war um schmutzige Dinge
zu tun; und es gibt nur ein paar Dinge, die hier wirklich nicht aufgezählt
zu werden brauchen, die schmutziger sind, als Erdreich vor einer Bullenwache
im pädosterischen Nachbarland.
Die rechte und reine Hand diente dann dazu, das begonnene Frevelwerk zu
vollenden, indem sie die Hosetasche der immer noch in einem Stück
an Harry’s Hinterteil vorhandenen zerschlissenen Jeans penetrierte, um
die heiße Ware hervorzubringen, die komischerweise trotz Gluthitze
nicht leuchtete, ein erneuter Beweis für Harry, daß man solche
Aussagen wohl nur sprichwörtlich verstehen darf. Noch ein paar trockene
Äste von der Hecke aufs Loch, schon war das Indianerversteck ordentlich
getarnt und kein Bulle würde die Dopegrube so schnell finden, es sei
denn, sie bringen ein Trüffelschwein, einen von diesen süchtigen
Kötern oder neuerdings auch Schmetterlinge bei, um der Sache auf die
Spur zu kommen. Aber das war alles egal, den endlich war dieses glühendheiße
Etwas aus der Tasche verschwunden und an einem Ort entsorgt, wo er Harry
so schnell erst ‘mal nicht mehr gefährlich werden konnte.
“Also such ich mir jetzt einen Laden für Tabak und komme dann
so schnell, wie möglich zur Bullenwache zurück!” Mit der
Melodie von “Free like a bird from a golden cage” auf den Lippen
tänzelte ein erleichterter Harry über das blanke Kopfsteinpflaster
in Richtung eines Kiosks, den er unweit am Ende der Straße entdeckt
hatte.

Zwischenzeitlich tat sich auf der Bullerei ein diese Geschichte entscheidender
Schritt, der in die Annalen – nein, hat etwas mit Jahrbüchern und
nicht mit exotischen Sexpraktiken zu tun, die Story spielt zwar in Belgien,
handelt aber von Dope – von so manchem Raucher eingegangen ist: Die Verhöre
der fünf Freunde waren beendet und wir dürfen gemeinsam stolz
sein, denn keiner hat keinen in den scharf geführten Einzelverhören
belastet oder irgendwie reingeritten, nein, eine Aussage wurde von allen
getroffen: es ist nur das grünbesprühte, chemisch entlarvte Stückchen
Restdope im Spiel und sonst garnix, so daß es sich für die Herrschaften
von Dutroux’s Leibgarde schwer gestaltete, die Touristen noch weiter in
Gewahrsam zu behalten – man ließ sie ziehen, allerdings nur, wenn
eine angeordnete Hausdurchsuchung in ihrem Quartier bei Madame Savherbes
kein neues und belastendes Beweismaterial von der Gruppe akzeptiert würde.

Erstens hatten die unterjochten Kiffer keine andere Chance, der bedrückenden
Situation zu entgehen und zweitens ahnten alle, daß Harry sich um
eine Lösung bemüht hatte, auch wenn keiner von ihnen den Versuch
der beweismitteltechnischen Entsorgung im Bistro Central mitbekommen hatte,
oder, daß er alle Schmach der Situation auf sich gezogen habe, als
er der Willkür des Verhörs nicht mehr widerstehen konnte.
Als sie sich jetzt im Foyer der Bullerei das erste Mal seit der Isolierung
wiedersahen und Harry nicht in der Runde erblickten, schauten sie sich
gegenseitig mit bestürzten Blicken an, denn offensichtlich schien
sich die zweite, unangenehmere Lösung, wenigstens für Harry als
Betroffenen, zu manifestieren. Und sie konnten den Gendarmen schließlich
auch keine sich selbst belastenden Fragen stellen, die die Situation für
alle wieder schwieriger hätten machen können.
Um so ausdrucksstärker waren die baffen Blicke, als Harry, eine Zigarette
baumelte lässig in seinem rechten Mundwinkel und in seiner Linken
hielt er eine Dose mit Chokomel, diesem endgeilen, dickflüssigen Kakaogetränk
aus BeNeLux, nach seinem kurzen Shoppingtrip, mir-nichts-dir-nichts wieder
auf der Wache auftauchte und von der gemischten Gruppe aus Freunden und
Spielverderbern in Empfang genommen wurde, denn schließlich stand
ja noch die ausgehandelte Hausdurchsuchung auf dem Gastprogramm der Dorf-Posse.

Zwei Minuten und sechundfünfzig Sekunden dauerte es per Frittenwanne
von der Station Centrale zu Madame Savherbes, und ihr Abend, es war mittlerweile
auch später geworden, erhielt durch die Ankunft von dieser Meute Menschen
eine unerwartete Wandlung. Und erst Basti, der nichtsahnend im Bett lag
und die Glotze laufen hatte: Harry kam in den Raum und konnte gerade noch
“Basti, ich habe Besuch mitgebracht…” hervorbringen, als die
Bullenherde sich schon stampedenhaft über die drei Räume der
Ferienbehausung ergossen und in allen erreichbaren Taschen, Schubladen,
Kleidungsstücken, Schränken, Nachttischchen, die Liste wäre
endlos weiterführbar, wühlten, wie Ochsenhufe im Matsch eines
dumpfen Kraals und nix, aber garein garnichts fanden.
Am schlechtesten hatten Basti (gerade er mit seinem angeschlagenen Verdauungstrakt)
und Madame Savherbes die ganze Geschichte verdaut, auch wenn sie erst als
letzte partizipiert hatten und überhaupt nur relativ kurz betroffen
waren. Aber, so wurde es interpretiert, genau in der Kürze liegt die
Würze und das war es, was so reingehauen, sprich, die zwei so mitgenommen
hatte. Genau dieser Aspekt der Geschichte ließ die vereinten Sieben
über einen verwogenen Plan nachdenken, den sie am folgenden Morgen
auszuführen dachten.

Gesagt, getan, am nächsten Morgen machten sich die drei mutigsten
unserer Helden, nämlich der berühmt-berüchtigte Dirty Harry,
begleitet von Uli, dem Hühnen und, das Trio abrundend, Steve,der Spezialist
für den leisen, schnellen Tod, auf, um die Strategie des vergangenen
Abends umzusetzen. Der Weg war klar: direkte Route zur Fliquerie Centrale,
um die schlechte Behandlung an ihrer Märchenprinzessin Savherbes zu
rächen und zurückzuerobern, was ihnen mehr oder weniger genommen
wurde.
Auf dem Weg gab es hier und da skeptische Blicke derjenigen Eingeborenen,
die sich nicht im Keller, sondern auf der Erdoberfläche befanden,
sogar das künstliche Auge, welches derzeit im Bistro Central schon
einen gläsernen Blick auf die Fremden gewagt hatte, richtete seinen
starren Blick auf die drei vorbeiziehenden, sehr entschlossen wirkenden
Freunde, die offensichtlich solch eine starke Aura verbreiteten, daß
die Glaskugel aus ihrer Heimat, dreißig Jahre hatte sie die linke
Augenhöhle dieser Fritte bewohnt, ausbrach, um ganz aus eigenem Antrieb,
dafür benutzte sie ausschließlich die Corrioliskraft, hinter
dem Trio hinterherrollte, um auch bloß nichts mehr zu verpassen.

Ohne sonstige weitere erwähnenswerte Vorkommnisse erreichten Harry,
Uli und Steve die Bullenwache von Paix de Chauvre und schritten ohne zu
zögern zur Tat. Uli und Steve bergaben sich in die Höhle der
Fritten, während Harry draußen wartete, nein, nicht um Schmiere
zu stehen, er wartete auf das verabredete Zeichen seiner zwei Verbündeten,
um seinen Teil des Planes umzusetzen. Und da war auch schon das Signal
in Form einer akkustischen Schallwand, bestehend aus einem lauthalsen Streitgespräch
zwischen Uli, Steve und einer beliebig austauschbaren Fritte, die gerade
Dienst schob.
Harry war selbst über die Geschwindigkeit und Sicherheit seiner Bewegungsabläufe
erstaunt, als er mit dem Instinkt und der Technik einer Wühlratte
das am vergangenen Tage flüchtig angelegte Versteck identifizierte,
ausbuddelte und ihm seinen preziösen Inhalt wieder nahm, um ihn tief
in seiner Tasche zu versenken. Nein, heute trug Harry nicht seine verschlissene
Jeans mit den gefährlich dünnen Stellen am Hintern, denn das
Angekündigte hatte sich am Vorabend in Form einer äußerst
druckvollen Eruption von Fäulnisgasen aus dem Enddarm manifestiert
und dabei die Jeans leider mit über die Wupper genommen – das Hinterteil
hing nur noch in Fetzen, ein Kleidungsstück, zu gefährlich, um
in dem durch das Vollziehen exotischer Vereinigungsrituale ziemlich vorbelasteten
Land der Pralinen, damit herumzulaufen. Nein, das Säckchen “heiße
Ware”, und im Augenblick machte das Objekt dem Ausdruck wieder alle
Ehre, Harry dachte, er hielt ein weißglühendes Stück Metall
in der Hand, wurde heute in die Tasche einer Hose versenkt, die noch viele
Jahre einer glücklichen Beziehung mit ihrem Träger vor sich hatte,
war sie doch gerade erst vor drei Wochen aus der amerikanischen Fabrik
zu ihrem Endbesitzer importiert worden.

Nach sieben Minuten war der ganze Tagspuk beendet, die Fliques waren am
Boden zerstört und krochen, Uli und Steve wegen ihres Fehlverhaltens
gegenüber Basti und Madame Savherbes um Verzeihung anwinselnd, in
ihrer eigenen Schleimpfütze umher und baten um ihre gerechte Bestrafung.
So nahmen die zwei Sieger von jedem anwesenden Bullen eine Haarlocke, um
sie zu Hause ihrer Märchenprinzessin zum Beweis der ewigen Ergebenheit
vorzulegen.
Auf dem Weg in das heimatliche Domizil sammelten sie einen zufrieden grinsenden
Harry ein, der sich, nachdem er sich den Schweiße abgetupft hatte,
lässig an die Hauswand der Bullenwache lehnte und seinen Blick über
die lieblich anmutende Ansammlung von Gebäuden wandern ließ,
auf der Suche nach einem nicht allzu exponierten Platz für die nächste
Tüte…und wenn sie nicht gestorben sind, dann rauchen sie noch heute.


Copyright Dr. Igüz 1998

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