Wie Igüz zum Doktor wurde


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Igüz
Teil eins der Autobiographie
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Wie Igüz
zum Doktor wurde

Zum Teil als Konsequenz, aber teilweise auch als Parallelentwicklung
zur Rastafarisierung meines Pseudonyms sehe ich die Erwerbung meines Doktortitels.
Dazu habe ich eine kleine Geschichte für Euch.

Schon ganz am Anfang meines Studiums der Afrikanistik hatte ich immer
Probleme damit, daß diese Wissenschaft ausschließlich die Sprachen
des Kontinentes Afrika betrachtet. Für mich ist Afrika mehr, als nur
Sprachwissenschaften, sprich, wie realisiert die Ethnie x den lateralen
Schnaltzlaut im Vergleich zur Ethnie y. Gerade Völker mit oraler Kultur,
und Schande komme jetzt sofort über jeden, der an Old Bill und Miss
Lewinsky denkt, lassen es nicht zu, so einseitig betrachtet zu werden.
Die Kulturen Afrikas bestehen aus mehr, als nur Sprachen, auch wenn es
weit mehr als tausend Stück sind, Geschichte, Soziologie und Geographie
werden in der Wissenschaft jedoch aufs Sträflichste vernachlässigt.

Mein Interesse liegt bei den geschichtlichen und kulturellen Aspekten
des Kontinentes und so war ich schon von Anfang meines Studiums ein begeisterter
Besucher eines Seminars bei Professor Volprecht, der über interessante,
bisweilen gar exotische Aspekte der afrikanischen Kulturen berichtete.
Diese Stunden waren immer wie eine Safari in diesen Kontinent, ‘mal ging
es nach Mali, ‘mal nach Simbabwe, ‘mal ins 17. Jahrhundert, aber immer
war es spannend, wie Karl May, nur natürlich auf wissenschaftlichem
Level und mit unzähligen Dias und Filmen illustriert.

So wurde ich auf die Spur von spannenden Phänomenen gebracht,
beispielsweise die Existenz von regelrechten Hanfkulten, das immense ethnobotanische
Wissen von Durchschnittsafrikanern oder der Ursrung von Nutzpflanzen und
und und.

Den Hanfkult habe ich Ende der Achtziger Jahre näher untersucht,
nein, nicht nur indem ich die Szenen aus Afrika nachgestellt habe, ich
habe darüber hinaus alte Reiseberichte bücherweise gelesen und
ausgewertet. Das Ergebnis dieser ersten ethnobotanischen Recherchen ist
recht witzig zu lesen, denn durch Beibehaltung der Betrachtungsweise der
Originalautoren hat sich ein geiler Stil entwickelt. Der Bericht kann in
dieser Ausgabe nachgelesen werden.

Besagter Aufsatz war mein erster Schritt in Richtung Ethnobotanik,
die nichts anderes ist, als das Wissen eines Volkes über die lokale
Botanik. Das klingt dröge, ist aber genau das Gegenteil, auf jeden
Fall, wenn es um Afrika geht. Ich wollte schon immer wissen, wie welche
Leute wo high werden. Aber Ethnobotanik ist mehr, als nur berauschende
Pflanzen, beispielsweise haben Afrikaner in ihrer traditionellen Lebensweise
ausschließlich aus der Natur ihrer unmittelbaren Umgebung gelebt.
Das ist alles ethnobotanisches Wissen und manchmal muß man diese
Art von Aspekten uns urbanen, im Jetsetalter lebenden Zivilisationswesen
wieder ‘mal zurückrufen.

Nach einiger theoretischer Beschäftigung hatte Igüz jedenfalls
das Glück, wieder einmal nach Simbabwe zu seinen ganzen Freunden mit
dem I- , gesprochen wie das Produkt einer Henne, zu reisen und dort mit
dem theoretischen Wissen anzufangen zu arbeiten. Dazu müßt Ihr
wissen, daß Simbabwe zwar sehr modern für Afrika erscheint,
aber wenn man genau hinschaut, hat sich die Tradition und damit das ethnobotanische
Wissen in Großstädten an die Moderne angepaßt und auf
dem Land ist es nach wie vor vorhanden.

So kann man an der stark befahrenen Straßenkreuzung irgendeiner
Stadt in Simbabwe einen Stand sehen, an dem alles zu erstehen ist, was
die traditionelle Medizin, ein wichtiger Teil der Ethnobotanik, des Landes
zu bieten hat: Kräuter und Wurzeln, Tierkrallen, Knochen, Fellteile,
verschiedenste Gebräue und und und, sehr interessant. Auf dem Lande
wird nach wie vor noch sehr stark in Zusammenhang mit der Natur gelebt
und gewirtschaftet. Beispielsweise die traditionellen Häuser bestehen
aus Holz, Stroh, Lehm und Kuhdung, zusammengehalten mit Schnüren aus
irgendwelchen Naturfasern, verputzt mit Lehm. Und ich sage Euch eins: ein
Boden aus Lehm und Kuhdung, eine Mixtur, die “Dagga” genannt
wird, schön lange von vielen Füßen festgestampft, ist glatter
und härter als jeder Estrich.

Simbabwe ist in Bezug auf Ethnobotanik ein besonderer Fall, weil
über den traditionellen Ahnenglauben ein weiterer Aspekt dazukommt.
In dem Land spielen traditionelle Heiler, Hexen und deren Bezwinger, die
Toten und die Ungeborenen in einem komplexen System eine große Rolle.
Der Schnittpunkt zwischen dem Glauben und der traditionellen Medizin ist
der Heiler, in Simbabwe und bei großen Teilen der bantusprechenden
Bevölkerung “Nganga” oder ähnlich, genannt. Männchen
oder Weibchen, ist egal, jeder kann Nganga werden, der Betreffende wird
dazu berufen. Das geschieht beispielsweise durch Träume oder irrationale
Erlebnisse oder die Entführung durch spirituelle Kräfte. Die
Person weiß schon, daß es Zeit wird, sich zum Nganga ausbilden
zu lassen, eine Berufung, die nicht immer Begeisterung bei den Leuten hervorruft.

Igüz hatte mit Nadja, bekannt schon aus der Üfrükanisierungsphase
des vorigen Kapitels in Bulawayo, dem erneuten Hauptquartier der Safari,
eine Praxis ausgemacht, die unter ihrem Dach einen Modellversuch durchzieht,
der die moderne westliche Medizin mit dem Wissen aus der traditionellen
Heilkunde Simbabwes verbindet. Die Verknüpfung nennt sich Traditional
Healers Medical Clinic und wird geleitet von Dr. Barbara Sibanda, der “Qualle”,
wie wir sie, ob ihrer Körperformen aber auch wegen der Schwierigkeit,
an ihren Aussagen Halt zu finden, zu nennen pflegten.

In der Folgezeit sollte uns Dr. Sibanda sehr hilfreich sein, was
die Durchführung von Expeditionen zu verschiedenen Orten in Simbabwe
angeht. Hervorzuheben wäre da besonders eine Reise nach Binga, Simbabwes
ursprünglichste Region. Die dort lebenden Tonga haben auch eine Art
von Hanfkult entwickelt und gewisse Funktionsträger aus der dortigen
traditionellen Gesellschaft dürfen bis heute ungestört, durch
eine Lizenz legalisiert, Cannabis in großen Kalebassenwasserpfeifen
zu sich nehmen, im Rest des Landes ist es genauso verboten, wie in fast
allen Ländern des in diesem Aspekt durchgeknallten Planeten. Aber
das ist eine andere Geschichte.

Die Zusammenarbeit mit Dr. Sibanda und ihrer Klinik hat mir jedenfalls
eine gute Einsicht in die traditionelle Medizin und den Glauben der simbabwischen
Völker ermöglicht und die Frau Doktor wollte die Kooperation
in diesem Projekt eines Tages gerne honorieren und hat mir in diesem Rahmen
die Urkunde überreicht, in der es heißt, daß ich durch
meine ehrenhafte Arbeit den Doktortitel verdient habe und dementsprechend
behandelt werden sollte. Dr. Igüz klingt doch gut, oder? Und ich habe
den Titel nicht gekauft oder auf irgendwelchen anderen krummen und exotischen
Wegen errungen, sondern ohne danach zu fragen, verliehen bekommen.

Natürlich bilde ich mir auf den Kürzel aus zwei Buchstaben
und einem Punkt längst nicht so viel ein, wie jemand denken kann,
der diese Zeilen liest, den Autoren aber nicht kennt. Egal, ich sage Euch,
daß dieser Doktortitel maximal in einem Radius von fünfhundert
Metern um besagte Klinik herum Eindruck macht. Es ist also nichts weiter,
als eine kleine Zierde des ohnehin auffälligen Namens, irgendwie muß
ich mich ja schließlich im Gespräch halten. Aber so entstehen
dann Leserbriefe, in denen allen Ernstes gefagt wird, ob ich Türke
sei und wirklich einen Doktortitel habe. Spätestens nach dem Konsum
beider Teile der Igüz-Saga ist jedermensch klar, daß das gesamte
konstruierte Image eine gezielte und durchdachte Strategie ist, um mich
im Gedächtnis der Leute zu verankern.

Ja, jetzt ist auch die Herkunft meines akademischen
Grades geklärt, was bleibt da noch über mich zu sagen? Eine Geschichte
hätte ich da noch, es ist wieder eine der Erzählungen, die mit
“es war einmal…” anfangen . Es ist die Geschichte um den Krieg
der Farben. Sie stammt aus dem Anfang der Achtziger Jahre und handelt davon,
daß Leute ausziehen, um die graubraune Umwelt durch ein wenig Farbe
umzugestalten. Im Nachhinein interessant wird die Story dadurch, weil sie
durch Thematiken, wie “Sachbeschädigungen durch Schmierereien
an Häuserwänden und S-Bahnzügen gehen in die Millionenhöhe”
von der Realität überholt wurde. Den “Krieg der Farben”
könnt Ihr an dieser Stelle in der nächsten Ausgabe lesen.


Copyright: Dr. Igüz 1998

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