Interview mit Big Youth Nürnberg, 10. Februar 1997



 

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Interview mit Big Youth

Nürnberg, 10. Februar 1997

Es war ein
Tag wie nicht jeder andere. Ein Interview mit Big Youth war verabredet.
Einen bisher unbekannten Mann in seinem Hotelzimmer zu treffen, läßt
Skepsis aufkommen. Aber das waren unbegründete Zweifel wie sich schnell
herausstellte. Big Youth war beschäftigt. Eine halbe Stunde Geduld
bat er sich aus, bevor ich an seine Zimmertür klopfen durfte. Der
Grund: der Mann kochte sich sein Dinner. Professionell improvisierte er
im großem Topf, aber mit guter Laune sein Ital-Food. Kochplatte,
Topf und Lebensmittel alles dabei, war Big Youth in seinem Element und
fragte mich gleich beim Eintreten, ob ich Hunger hätte. Nein war meine
Antwort, da wohlwissend die scharfen Sachen mir die Sprache verschlagen
hätten. Die Jamaican-Soup hatte noch länger zu köcheln,
mußte nur zwischen Spliff-Drehen und Talking mit mir umgerührt
werden. Im Wohlgeruch der jamaikanischen Küche gab er mir ein Interview,
als wenn sowohl er als auch ich gerade in unseren eigenen Wohnzimmern sitzen
würden:

RootZ: Du bist Jamaikaner. Lebst Du auch auf Jamaika?

Big Youth: Ja, in Kingston.

RootZ: Wie alt bist Du?

Big Youth: Ich bin 48 Jahre im April geworden.

RootZ: Im April?

Big Youth: Ja. Glaubst Du mir nicht?

RootZ: Doch, aber ich habe aus meiner Info entnommen, daß Du
im Februar geboren bist. Außerdem hat man Dich ein Jahr jünger
gemacht als Du nun geworden bist.

Big Youth (verständnisvoll): Es passiert mir dauernd, mit falschen
Daten konfrontiert zu werden. Aber es macht mir nichts, es stört mich
nicht weiter.

RootZ: Bist Du verheiratet?

Big Youth: Nein.

RootZ: Respect, aber Du hast bestimmt Kinder.

Big Youth: Ja.

RootZ: Wieviele?

Big Youth: Sieben.

RootZ: Oh Oh, da hast Du Dich aber ganz schön rangehalten. Doch
gehen wir nun über zum musikalischen bzw. zum beruflichen Teil. Man
sagt, daß Du den stylistisch und innovativ höchsten Level besitzt,
stimmt das?

Big Youth: Ja, das sagt man mir nach und das stimmt. Das kommt daher,
weil ich es liebe, mit Menschen zu kommunizieren. Das inspiriert mich und
natürlich lerne ich daraus. Sich mit vielen Menschen zu unterhalten,
heißt natürlich auch neue Ideen aufzugreifen, und man ist immer
im Bilde. Das ist mein Weg, das ist mein Trip.

RootZ: Ich mag Deinen Trip. Du hast gesungen, besser, Du singst immer
noch über die Zustände und speziell das Ghettoleben in Kingston.
Was eben so ruff and tuff abgeht in Kingston. Warum greifst Du immer wieder
dieses Thema auf?

Big Youth: Ja, ganz einfach, das ist meine Umgebung, das ist natürlich
für mich. Es ist tägliches Leben für mich, und ich finde
es immer wieder wert, daß darüber gesprochen wird. So, wie es
in den frühen Tagen war, als DJs diejenigen waren, die an jeder Straßenecke
die Nachrichten verbreiteten, und ich bin einer derjenigen, die übrig
geblieben sind aus der guten alten Zeit.

RootZ: Wie sieht es aus mit neuer Musik von Big Youth? Wir haben
schon Jahre nichts neues von Big Youth gehört.

Big Youth: Wirklich? Das wundert mich, ich habe sogar in einem Jahr
zwei Alben veröffentlicht. Das war 1995. Ich weiß, daß
diese beiden in Amerika und auf jeden Fall in Frankreich veröffentlicht
wurden.

RootZ: Tut mir leid, sehr wahrscheinlich haben diese Alben niemals
Deutschland erreicht. Okay, ich krieg auch nicht alles mit, aber in diesem
Fall habe ich echt keine Ahnung.

Big Youth: Zum Beispiel war ich mit dem Album “Save the children”
sehr erfolgreich in Frankreich und habe damit auch eine Weltournee, die
bis nach Asien ging, gemacht.

RootZ: Okay, okay, ich gebe mich geschlagen. Sehr wahrscheinlich
habe ich es einfach auch nur nicht mitgekriegt. Aber ich erkundige mich,
das versprech ich Dir. Nächste Frage: man sagt, daß Du seit
langem an der Spitze der Liste der DJ´s stehst, nur U-Roy kann mit
Dir konkurrieren. Seit Ihr beide Gegner im Wettkampf miteinander?

Big Youth (mit einem süffisanten Lächeln): You know, U-Roy
war noch ein kleines, kleines Baby als ich schon No. 1 war!

U2 (laut lachend, da eine faustdicke Lüge)

Big Youth: Hör zu, ich habe von Anfang an über Zustände
gesungen, die mich traurig machten, nicht über Baby-Love und und und.
Wir machten Revolution mit unserer Musik, und dann griff es auch BobMarley
mit seiner Soul-Revolution auf. Das war Jah-Spirit und kein Blabla. Das
war Big-Youth-Time, dazu auserkoren etwas zu verändern. Niemals habe
ich mich bis heute an die großen Plattenfirmen verkauft und werde
es auch niemals tun. Ich mach mein Ding im kleinen und arbeite noch weiter
daran.

RootZ: Das verstehe ich sehr gut, auch ich fühle mich oft als
Einzelkämpfer und möchte mir von keinem reinreden lassen. Doch
die nächste Frage: wie sieht Du Reggae in den 90er Jahren?

Big Youth: Recht einfach und irgendwie auch wie es schon immer gewesen
ist. Die Wahrheit spricht Bände und die Wahrheit ist auch heute noch
willkommen. Die meisten Menschen danken es uns.

RootZ: Hier in Deutschland ist es verdammt hart, ich sage mal, Reggae
an die Veranstalter zu verkaufen. Muß es solch ein harter Weg sein?
Oder gibt es einen Unterschied zwischen Reggae auf Jamaika oder in Deutschland?

Big Youth: Ich glaube, es ist überall gleich schwer, doch sobald
Du einen Namen hast, einen guten Ruf hast, sind die Wege einfacher, und
man muß nicht mehr tingeln und betteln. Reggae wurde überhaupt
erst bekannt, als Bob Marley und ein paar andere von einem kleinen Club
zum nächsten in Amerika für wenig Geld unterwegs waren. Nicht
aufgeben hieß es schon damals aus Bob Marley’s Mund.

RootZ: Wie wichtig sind Freunde für Dich? Ich kann nicht ohne
Freunde sein, da sie mir mein Feedback geben. Wie geht es Dir?

Big Youth: Das ist der Grund, warum ich immer noch singe. Es ist
unter anderem das größte Vergnügen in meinem Leben, “when
people around me jumping and shouting”. Zum Thema Freund kann ich nur eins
sagen: “A Friend in need is a friend indeed”. Das bedeutet Freundschaft
und das heißt für mich Freundschaft. Ich hasse Freundschaften,
die auf das Materielle ausgerichtet sind. Freunde sind Menschen, mit denen
ich alles teile, you understand?

RootZ: Ja, ich verstehe zu gut. Kommen wir zum Geld. Ist Geld für
Dich wichtig?

Big Youth: Es geht nicht immer nur ums Geld. Man braucht es leider,
es ist unumgänglich. Meine Kinder zum Beispiel, sie wollen ernährt
werden, angezogen werden, in die Schule gehen, natürlich dann irgendwann
auch ein Auto haben usw., also versuche ich diesem halbwegs gerecht zu
werden und das heißt folgerichtig: “I have to make some money”.

RootZ: Was sind Deine Wünsche für die Zukunft?

Big Youth: Ich würde es gerne sehen, wenn die Menschen dieser
Welt zusammen kommen würden. Kein Rassismus, keine Drogen, keine Klassenunterschiede,
einfach Peace, Love and Harmony, das ist mein Wunsch.

RootZ: Ist Jamaika für Dich ein Dritte-Welt-Land?

Big Youth (gefährlich schmunzelnd): Jamaika hat so viele Vorzüge,
daß es für mich der Mitteklpunkt dieser Welt ist.

RootZ: Ich brause wieder einmal auf. Warum sind die Jamaikaner so
verdammt stolz auf ihre Insel?

Big Youth: U2, das ist doch so einfach, es ist ein gottgesegneter
Ort. Es gibt keinen schöneren Platz auf dieser Welt.

RootZ: Big Youth, ich sehe, es hat keinen Zweck mehr mit Dir darüber
zu diskutieren. Nächste Frage: Warst Du wirklich mal ein Taxifahrer?

Big Youth: Ich weiß nicht, wer dieses Gerücht in die Welt
gesetzt hat. Ich bin niemals Taxi gefahren, aber ich war ein Automechaniker.

RootZ: Fährst Du immer noch gerne Motorrad? Ich habe gehört,
Du fährst wie ein Verrückter, so als wären Blitz und Donner
hinter Dir her.

Big Youth: Nein, ich hatte einen schweren Unfall und ich lag daraufhin
einige Zeit im Koma. Dieses Gefühl, der nicht bewußt gelebten
Zeit, möchte ich in meinem Leben nicht noch einmal haben. Es war mein
Sport, und ich war verdammt gut, aber auch immer zu schnell. Leider haben
mich Blitz und Donner gleichzeitig getroffen, und jetzt weiß ich
wieviel mein Leben mir wert ist.

RootZ: Ich möchte nun prüfen, ob in Deine Vorderzähne
wirklich Ites Gold and Green Steine eingearbeitet sind. Gib mir mal ein
breites Lachen!

Big Youth: Yes, das ist wahr. (Und grinst bis an die Ohren)

U2 (staunend): Nun glaube ich es tatsächlich und zudem steht
es Dir noch außerordentlich gut. Das ist Dein Markenzeichen, nicht
wahr?

Big Youth: Jawohl, das ist es.

RootZ: Was sind Deine Hobbies?

Big Youth: Ich liebe es einfach mit meinen Freunden Zeit zu verbringen.
Mein Kraut zu rauchen und einen schönen ruhigen Tag zu haben. Das
gibt Kraft und Energie und geteilte Freude ist doppelte Freude. Du weißt,
man geht zum Strand oder in die Berge, dort findet man die Vibes.

RootZ: Du bist ganz schön gemein, mir jetzt und hier von dem
beautiful Jamaica zu erzählen. Meine Sehnsucht nach meinem zweiten
Zuhause ist langsam nicht mehr auszuhalten. Zu lange, habe ich das Gefühl,
war ich schon nicht mehr dort. Kommen wir zur letzten Frage. Ich weiß,
eigentlich total überflüssig, aber ich möchte es einfach
nicht unerwähnt lassen. Glaubst Du an Gott?

Big Youth: Aber natürlich, ohne den Allmächtigen geht gar
nichts, noch nicht einmal ein einziger Schritt.

RootZ: Big Youth, ich danke Dir ganz herzlich und auch jetzt schon
im Namen meiner Leser für dieses lebhafte Interview. Viel Spaß
hat es gemacht. Sehr einfach hast Du es mir gemacht, und sehr wohl habe
ich mich gefühlt, weil Du mich so oft “My Love” genannt hast. Ich
habe Deinen Respekt gefühlt und werde ihn wortgetreu an die IRIE-Leser
weitergeben.




Big Youth: What a wonderful Lady. U2, mach weiter so, und ich werde
Dir mein Red Gold and Green Lächlen über den Ozean schicken bis
wir uns wiedersehen. Gern komme ich nach Deutschland wieder, weil die Deutschen
den Rootsreggae so lieben, was für mich als Jamaikaner wirklich beeindruckend
ist. Good bye, my Love.

Ein Mann, der ersten Reggae-DJ-Generation, der seine Roots, seinen
Spirit über all die langen Jahre nicht verloren hat. Ein umgänglicher
Typ. Gelassen und locker, lebenserfahren und immer noch neugierig. Unkompliziert
kann man mit ihm reden. Eine seiner größten Tugenden: Er kann
zuhören. Sprich: ein Freund.

U2 


Copyright Text / Photos: U2 1997 / Layout:
Dr. Igüz 1998

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