Interview
mit Manu Chao
Köln,
Fühlinger See, 18. August 2001
RootZ: Hallo Manu, willkommen
in Köln, aber sag mal, wie war’s denn gestern Abend in Berlin?
Manu Chao: Super , ich bin
auch noch nicht wirklich wach...es war echt gut, das Publikum, die
Lokation , das Nachtleben einfach alles....wir hatten gerade zwei Wochen
Pause während unserer Tour und gestern war sozusagen der Neustart.
RootZ: Also mal zum Publikum,
denkst du, dass es immer noch Leute gibt, die kommen weil sie Mano Negra
und deine Anfänge kennen oder ist es eher ein Hype, weil alle nach
dem heutigen Manu Chao verrückt sind ?
Manu Chao: Ich weiß
nicht, dass ist schwer zu sagen, gestern zum Beispiel hatten viele der
Leute in den vorderen Reihen Mano Negra Shirts an und seltsamerweise waren
auch recht junge Typen dabei...ich habe sogar Mano Negra Tatoos gesehen...
RootZ: Was geht denn so mit
den Jungs von Mano Negra? |
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Manu Chao: Die habe ich alle
so vor einem Monat getroffen, es geht ihnen gut.
RootZ : Machen sie noch Musik?
Manu Chao: Ja, einige von
ihnen schon...Tom – Keyboards spielt bei einer Band namens
P 18, Garbancito – Perkussion und Daniel – Gitarre spielen bei einer Band
namens Flor del Fango, Joe – Bass spielt bei den Vampas, auch eine sehr
gute Band und mein Bruder macht Pirate Radio, der Drummer spielt bei verschiedenen
verrückten Bands...
RootZ: Du hast also immer
noch Kontakt..
Manu Chao: Ich nicht so sehr,
da sie alle in Paris leben, ich lebe in Spanien und bin nicht sehr oft
in Paris aber wenn ich einmal da bin treffe ich sie natürlich alle...vor
kurzem haben wir da gespielt und einige von ihnen sind zu unserer Show
gekommen. Ich habe meinen Bruder getroffen und alle anderen auch.
RootZ: Fühlst du dich
als Teil der Latin Musik Szene, die jetzt seit kurzem so populär ist?
Klar ist deine Musik etwas anderes aber glaubst du, dass dein Erfolg etwas
mit der Beliebtheit von Buena Vista Social Club, Santana, Ricky Martin
usw. zu tun hat oder ist es einfach nur Zufall? Wie fühlst du dich,
wenn man dich dieser Kategorie zuordnet?
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Manu Chao: Immer wenn man
versucht mich in eine Schublade zu stecken ändere ich meinen Stil,
ich will nicht Teil irgendeiner Zuordnung sein, denn meine Musik ist meine
Musik und ich glaube solange man sie nicht als Teil von irgendetwas anderem
einordnen kann ist sie gute, gesunde Musik. Also wenn jemand sagt sie ist
ein Teil der Latin Musik dann frage ich ihn was er unter Latin Musik versteht...sind
Los De Abajo aus Mexiko Latin Musik oder ist es Ricky Martin...das ist
doch immer das selbe, was ist denn zum Beispiel Rock? Es gibt Hardcore
Bands die sagen sie machen Rock Musik aber auch Elton John sagt er macht
Rock Musik...für mich bedeutet das gar nichts.
RootZ: Bei deinem Konzert
in Offenbach hast du eine Version von Clandestino gespielt, die sich sehr
nach Carlos Vives angehört hat...wie machst du dass wenn du
deine Musik komponierst, wie hörst du die Sachen anderer und wie verarbeitest
du diese Einflüsse?
Manu Chao: Na ja, ich rauche
erst mal einen Joint, ich muss nur vorher aufpassen, dass ich einen Stift
oder eine Gitarre habe, sonst werde ich sehr nervös und das war’s,
alles andere kommt dann recht schnell, ich glaube nicht, dass man leiden
muss um Musik zu schaffen, es muss einfach wie aus dem Nichts kommen und
daran glaube ich. Wenn ich einen Song schreibe oder Musik mache dann denke
ich nie an die Leute, die es sich später vielleicht einmal anhören,
ich denke an mich...und wenn ich Spaß daran habe ist es gut, wenn
nicht mache ich lieber etwas anderes. Das ist meine Garantie, wenn ich
Spaß habe wie ein kleines Kind, perfekt, dann ist es gute Musik und
gut für mich...und wenn es gut für mich ist, ist es vielleicht
auch für andere Leute gut...das ist alles.
RootZ: Du verwendest verschiedene
Sprachen in deinen Songs, gibt es da ein System? Wie kombinierst du die
Sprachen? |
Manu Chao: Na ja, Sprachen
oder Noten zu kombinieren ist eigentlich das Gleiche, wenn zwei Wörter,
eines Spanisch, eines Englisch zusammenpassen, dann macht das Spaß
ich fühle mich gut dabei...und es reicht mir, wenn ich es verstehen
kann...vielleicht verstehen es dann auch andere, vielleicht aber auch nicht...es
ist wirklich so, wenn ich schreibe ist die Hauptsache, dass ich Spaß
habe und dass ich es verstehe...das ist sehr egoistisch. Aber ich glaube
das es der einzige Weg ist. Wenn man Songs schreibt und Musik macht und
die ganze Zeit darauf achtet, was andere dazu sagen dann ist das gefährlich
für die Musik. Und meine Garantie ist eben nur, dass ich persönlich
Spaß an der Sache habe, dass ich meine Songs meine Musik und meine
Texte verstehe. Aber ich werde niemandem erklären wie ich meine Songs
oder meine Texte verstehe...Jeder sollte sich da auf seine eigene Fantasie
verlassen und die Songs auf seine Weise verstehen, sich ein eigenes Bild
machen....Das ist manchmal ganz lustig, wenn man sich mit verschiedenen
Leuten z.B. über Clandestino unterhält die einen verstehen eben
was anderes als die anderen...und es ist gut wenn jeder sich seine eigene
Interpretation schafft.
RootZ: Aber wenn du die Songs
schreibst willst du dann eine Message darin verpacken oder überlässt
du das alles vollständig dem Hörer?
Manu Chao: Jeder Song ist
anders ...es kommt nicht oft vor, dass ich so etwas wie eine Message mit
einbaue und wenn ich das tue ist es immer eine Message für mich...wenn
diese Message dann auch andere anspricht freue ich mich aber ich stelle
mich wirklich nicht hin und sage ‚ ok ich werde den Leuten jetzt das mitteilen
oder ihnen das erklären’ das ist unmöglich. Also es ist zumindest
unmöglich für mich, andere können das vielleicht, ich nicht.
RootZ: Aber die Leute sehen
eine Message, zum Beispiel als du in Lima gespielt hast, als das mit Fujimori
war, die Leute haben „ Manu for president “ gerufen...ist das nicht manchmal
beängstigend, dass die Menschen dich vor allem in Südamerika
als eine Art Helden betrachten?
Manu Chao: Das ist nicht
beängstigend, es bedeutet natürlich ein bisschen Verantwortung
zu tragen aber im Moment macht mir das keine Angst, wenn es das einmal
tun sollte, dann höre ich eben auf. Also manchmal wenn ich „ Manu
for president “ oder solche Sachen höre, sage ich „ Seid ihr verrückt?
Ich kann doch kein Präsident sein“.
RootZ: Du hast immer großes
Interesse an gesellschaftlichen Bewegungen in Südamerika gezeigt und
bist auch an den Orten des Geschehens aufgetreten, wäre es nicht möglich
das auch hier in Europa zu tun?
Manu Chao: Nun ja, wir tun
was wir können. Ich glaube man ist sowieso immer in gesellschaftliche
Belange verwickelt, egal wohin man geht auf diesem Planeten. Man bekommt
auch eigentlich überall negative gesellschaftliche Umstände mit.
Ich glaube es gibt auf dieser Welt keinen Ort wohin man gehen kann und
wo alles okay ist. Es gibt immer Probleme also hat man immer die Wahl ob
es einem egal ist oder ob man sich damit befasst. Wenn man sich dann dafür
entscheidet sich damit zu befassen, dann steckt man auch ziemlich schnell
ziemlich tief drin...ich weiß nicht für mich sind das eher alltägliche
Angelegenheiten, wir sagen nicht, dass wir das jetzt in Südamerika
machen und hier nicht, es kommt halt vor allem darauf an ob man Zeit hat
oder nicht, denn man braucht Zeit um sich mit diesen Sachen auseinander
zu setzen...dann ist das alles kein Ding mehr, man braucht nur noch Energie
das ist einfach, die hat man dann einfach. |
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RootZ: Hast du das von Anfang
an so gemacht, dass du dich da einbeziehen lassen hast, es gibt ja auch
Musiker wie z. B. Ricky Martin oder Elton John, die sich nie mit solchen
Sachen in Verbindung bringen lassen....hattest du von Anfang an einen Bezug
dazu?
Manu Chao: Das weiß
ich nicht mehr, ich bin einfach der Überzeugung dass man eben nicht
in einem kleinen heilen Mikrokosmos leben kann wenn auf dem Rest der Welt
so viel Scheiße passiert. Ich habe das auch schon ein paar Mal versucht,
dann denke ich mir „ich höre auf mit dem ganzen Business und lebe
lieber mit meiner Freundin an einem wunderschönen Strand in Brasilien...das
ist das schönste was man aus seinem Leben machen kann, viel besser
als eine Show zu machen und auf Tour zu gehen...aber nach ein paar Tagen
fängst du an über deine ganzen Freunde nachzudenken die immer
noch mit dem ganzen Chaos da draußen kämpfen...und du kannst
es dir einfach nicht leisten dort zu bleiben, du musst zurück weil
du dich nach einer Zeit nicht mehr wohl fühlst, weil du über
deine ganzen Freunde und all die Menschen nachdenkst die dieses Glück
und dein schönes Leben nicht mit dir teilen können.
RootZ: Wie ist das
eigentlich so mit den Musikern mit denen du zusammenarbeitest, was sind
deine Kriterien bei der Auswahl, ist es eher eine persönliche Beziehung
oder gehst du nach ihren Qualifikationen, denn in deinen frühen Anfängen
war es doch vielmehr eine Freundschaft, die innerhalb der Band gewachsen
war, dann kam der Bruch und jetzt bist du ja mehr oder weniger in der Position
des Band Leaders und der Rest erscheint austauschbar...wie läuft das?
Behandelst du die anderen wie Freunde oder versuchst du eine persönliche
Beziehungen innerhalb der Band aufzubauen?
Manu Chao: Also ich glaube
was ich wirklich mag und wozu ich auch Talent habe ist Bands aufzubauen
und mit ihnen zu arbeiten ...ich bin ein guter Trainer, ein guter Coach.
Ich glaube es ist eine Mischung
aus allem, an erster Stelle der zwischenmenschliche Kontakt, man muss die
Musiker verstehen, sonst gibt es keine Musik, auch wenn der Typ sehr gut
ist.
Im Moment habe ich glücklicherweise
viele sehr gute Musiker aber auch andere die gerade erst anfangen, es ist
eine Mischung und das ist gut so, man muss alles miteinander kombinieren,
es ist gut gute Musiker in der Band zu haben, aber es ist nicht gut wenn
man nur erfahrene, gute Musiker hat, es ist auch nicht gut, wenn es nur
Anfänger sind, dann dauert alles zu lange, man muss immer die richtige
Dosis finden, erfahrene Musiker mit Anfängern kombinieren. Man nimmt
sich also ein paar Veteranen die ihren Job wirklich kennen, wie mich und
drei oder vier andere in der Band und dann bildet man einfach neue Leute
aus, so wie das eben normalerweise auch abläuft, ich glaube das ist
ein Teil meiner Arbeit und des Lebens, wenn man seine Arbeit wirklich gut
kann, dann ist es an der Zeit Professor zu werden um sein Wissen weiterzugeben...und
das ist im Endeffekt auch was die Energie der Band ausmacht.
RootZ: Ihr sprecht also viel
miteinander?
Manu Chao: Ja, natürlich
, wir reden viel miteinander...wir haben nicht so viel geprobt, dafür
aber ziemlich intensiv, aber es geht damit allen sehr gut und es ist die
beste Band die ich jemals hatte...
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RootZ: Habt ihr bei Mano
Negra jemals geprobt?
Manu Chao: Also mit Mano
Negra haben wir viel mehr geprobt als jetzt...ich habe meine Arbeitsweise
ziemlich verändert seit damals, Mano Negra das war eine wirklich europäische
Band, wir haben geprobt wie es hier in Europa so üblich ist...in den
Proberaum gehen und proben, proben, proben....damit ist jetzt Schluss,
wir waren sehr viel in Südamerika und Afrika unterwegs und auf unserem
Weg haben wir gelernt zu improvisieren...auf Proberaum und so habe ich
jetzt keine Lust mehr, die Zeiten sind vorbei...wir machen das jetzt anders.
Die Proben für die
Show die ihr später sehen werdet, zum Beispiel, fanden in Barcelona
auf der Straße statt. Auf der Straße zu proben ist viel
besser, ein besseres Gefühl, viel besser für mich und die anderen.
Die Menschen bleiben stehen und hören zu, man hat also das Publikum
schon beim proben dabei und das ist viel besser denn man kann sehen ob
das was man macht den Leuten gefällt oder nicht. |
RootZ: Wie viel Einfluss
haben denn die anderen Musiker? Also du bist der Sänger und Songwriter
sagst du ihnen „ ok, ich habe da eine Idee, lasst uns das mal versuchen“
und sie können dann sagen ob es ihnen gefällt oder nicht ...oder
kommen sie auch mit Ideen und du schreibst dann einen Song dazu?
Manu Chao: Also mein Job
ist es vor allem die Ohren aufzusperren, wir jamen ziemlich viel und ich
passe die ganze Zeit auf und wenn etwas gut ist, dann stoppe ich den Jam
und sage „ schaut so wie wir das eben gemacht haben, das behalten wir“,
die Band muss sich also auf mich verlassen, denn bei den Jams entscheide
ich was gut ist und was nicht. Wenn wir nachts, im Bus oder in Bars jamen
bin ich so etwas wie ein menschlicher Sampler ...ich kann nie abschalten
ich höre immer zu um dann sagen zu können „hey, erinnerst du
dich wie du das gestern nacht gespielt hast...ich glaube du solltest
das in der Show heute auch so machen“...so läuft das und es ist ein
toller Job.
RootZ: Vor zehn Jahren hattest
du dem Musikbusiness gegenüber eine sehr kritische Einstellung – was
hat sich deiner Meinung nach innerhalb der letzten zehn Jahr verändert
– du verkaufst ja jetzt auch ziemlich viele Platten...
Manu Chao: Es hat sich etwas
geändert, es gibt heute das Internet und das war eine große
Revolution bezüglich des Vertriebs von Musik. Vor zehn Jahren war
man, wenn man seine Musik zu den Menschen bringen wollte, abhängig
von der Industrie, jetzt gibt es das Internet, und jeder kann seine Message
oder seine Musik der ganzen Welt zugängig machen. Das war eine bedeutende
Veränderung, aber abgesehen davon ist es immer noch das gleiche Scheißbusiness
wie früher..
RootZ : Vertrittst du noch
die gleichen Ideen wie früher auch in politischer Hinsicht?
Manu Chao: Ich hoffe ich
habe mich geändert, denn wenn ich mich zehn Jahre lang nicht verändert
hätte, dann wäre ich schon lang tot. Natürlich habe ich
meine Meinung in vielerlei Hinsicht geändert, das ist Evolution, Entwicklung.
Ich weiß nicht mehr wie ich vor zehn Jahren war...
RootZ: Was hältst du
von der Rasta Bewegung? Du hast viele Reggae Elemente in deiner Musik....also
hast du bestimmt Kontakt zu Reggae bzw. Rasta Leuten.
Manu Chao: Ja klar habe ich
viele Kontakte und Reggae ist ein großer Teil der Musik die ich in
meinem Mix verwende. Ich respektiere Rastafari Bewegung wie jede andere
Religion auch, persönlich glaube ich aber nicht an Gott – ich glaube
an die Menschen – ich bin kein Rasta aber ich respektiere Rastas , Muslims,
Katholiken, alle, solange sie mich auch respektieren. Das verlange ich
von jeder Religion, du kannst glauben, an was du willst, aber du musst
auch mich akzeptieren und die Tatsache, dass ich an gar nichts glaube,
außer an das was ich sehe.
RootZ: Mal eine Frage zu
deinem neuen Album, die Kritiker meinen es ist Clandestino zu ähnlich...
Manu Chao: Das stimmt, ich
weiß nicht ob es zu ähnlich ist, vielleicht, aber es ist auf
jeden Fall sehr ähnlich...
RootZ: Weißt du schon
wie das nächste aussehen wird?
Manu Chao: Keine Ahnung,
das kann ich wirklich nicht sagen, ich bestimme das nicht. Wenn ich Lust
darauf habe dann gehe ich halt ins Studio also ich kann keinem Konzept
folgen, ich würde das Konzept jede Woche ändern und alle verrückt
machen. Ich lass es einfach laufen und mache was mir Spaß macht und
das wovon wir überzeugt sind das es gut ist.
RootZ: Ist dein jetziges
Album weniger politisch als das vorherige?
Manu Chao: Ja, die Leute
sagen es ist weniger politisch ...das habe ich wirklich beabsichtigt, aber
auch Clandestino war für mich kein politisches Album, die Leute haben
es dazu gemacht. Aber bei dem neuen Album wollte ich mich davon distanzieren,
weil wir heute in einer Welt leben, in der Rebellion und politische Ideale
einen großen Teil des Marketings darstellen.
Heute verkauft man doch
alles mit Rebellion...Schuhe, Platten, Coca Cola einfach alles. Deshalb
ist es für mich jetzt an der Zeit da ein bisschen vorsichtiger zu
werden, weil mich jetzt schon alle in eine bestimmte politische Schublade
stecken. Daher ist es mir jetzt wirklich wichtig mich davon zu entfernen.
Meine Musik ist meine Musik, ich bin eben Musiker und ich habe kein Problem
damit, mit der Musik mein Geld zu verdienen. Ich komme da nicht in diese
Art philosophischen Interessenkonflikt. Es ist mein Job. Wenn ich gut arbeite
und Geld damit verdiene ist das völlig in Ordnung, was ich nicht gut
finde ist, wenn man anfängt Geld wegen seiner politischen Einstellung
verdienen. Das überschneidet sich natürlich immer ein bisschen.
Aber in diesem Fall wollte ich mich wirklich davon distanzieren. In gewisser
Hinsicht ist meine politische Einstellung eher eine private Angelegenheit. |
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Klar habe ich eine Verantwortlichkeit
wenn ich mit Journalisten spreche, dann spreche ich gerne über die
Sachen wie ich sie sehe und über Angelegenheiten über die man
wirklich sprechen sollte...deshalb gibt es doch die Presse und deshalb
spreche ich auch mit Journalisten, nicht weil ich mein Album verkaufen
will...das verkauft sich schon auch so ganz gut.
RootZ: Aber du warst doch
auch in Genua, oder? Wenn du an politischen Brennpunkten vor Ort bist,
dann ist es doch klar, dass die Menschen in dir eine Art politisches Symbol
sehen, das passiert, da kannst du nichts daran ändern...
Manu Chao: Noch mal
zu Genua, die Einzigen, die mich bisher als eine Symbolfigur bezeichnet
haben, sind die Medien...nicht die Menschen. Vielleicht sind sie es auch
, aber ich habe Kontakt zu den Menschen. Aber es sind wirklich überwiegend
die Medien, die Führer schaffen wollen; für die Leute, die sich
für eine bessere Welt einsetzen, wäre es eher gefährlich
Führer und Leute zu haben, die diese Bewegung repräsentieren.
Wir brauchen keine Führer. Ich glaube die einzige Macht so einer Bewegung
ist die Masse der Menschen. Deshalb antworte ich immer mit „ nein“ auf
die Frage, ob ich eine Art Vertreter dieser Bewegungen bin. Denn ich bin
der Überzeugung das es nicht gut wäre, ich bin Teil der Bewegung
und ich tue was ich kann. Natürlich erweckt das, was ich dazu beitrage
mehr Aufmerksamkeit, als das was andere tun, da ich ja irgendwo eine den
Medien bekannte Person bin. Alle die nach Genua gekommen sind um gegen
den G8 Gipfel zu demonstrieren, wie wir eben auch, haben getan was sie
können – ob sie jetzt als Journalisten oder Fotographen oder sonst
irgendwas gekommen sind. Unser Job ist es eben Musik zu machen und deshalb
bin ich dahin gegangen und habe Musik gemacht. Ich habe meinen Job dort
gemacht.
RootZ: Aber ist nicht gerade
deine Musik ein Zeichen dafür wie Globalisierung funktioniert? Ihr
seid Europäer, aus Frankreich und Spanien, du benutzt verschiedene
Elemente um daraus deine eigene Musik zu machen, du nutzt das Internet
und reist viel – ist das nicht eine positive Art der Globalisierung?
Manu Chao: Die Globalisierung
ist ja auch nicht das Problem. Ich glaube, dass die Globalisierung der
Welt etwas Gutes ist. Das Problem ist nicht die Globalisierung an sich,
sondern vielmehr eine Abhängigkeit durch eine wirtschaftliche Globalisierung.
Viele Kontakte überall auf der Welt zu haben ist gut, ich bin nicht
gegen die Globalisierung, weil ich glaube, dass sie unsere Zukunft ist.
Das Problem ist die Abhängigkeit, dass versucht wird, jedem eine bestimmte
Art der Globalisierung aufzuzwingen, die eigentlich nur eine wirtschaftliche
Abhängigkeit bedeutet. Und persönlich denke ich, das diese Form
der Globalisierung sehr gefährlich ist für unseren Planeten,
deshalb bin ich auch dagegen. Die Zukunft, die sie uns aufzwingen wollen
ist nicht gut für meine Kinder. Daran glaube ich wirklich und dagegen
kämpfe ich. Ich kämpfe nicht gegen die Globalisierung sondern
gegen eine Diktatur.
RootZ: Erzähl doch mal
ein bisschen mehr von Genua, du hast dort gespielt, wie war das?
Manu Chao: Gut, wir sind
zweimal in Genua aufgetreten, das erste Mal ungefähr einen Monat vor
dem G8 Gipfel auf einem Festival. Die Hälfte von dem Geld haben wir
dann dem Social Forum in Genua gegeben, um damit die „ Bar Clandestino“
zu finanzieren, die während der Demonstrationen Wasser und Essen an
die Menschen verteilte. Das war eine wirklich gute Sache, die wir mit vielen
Leuten aus Genua organisiert haben. Nach dem 18. haben wir dann noch eine
zweite Show in Genua gemacht, auch um Geld zu verdienen, davon ging dann
ziemlich viel an die Anwälte der Demonstranten, an die Clandestino
Community in Genua und an andere Sachen die mit der Demonstration zutun
hatten.
RootZ: Was ist denn eigentlich
bei eurem Gig in Mailand passiert? Stimmt es, dass die Polizei das Backstage
gestürmt hat?
Manu Chao: Ja, in Italien
war die Polizei überall. Ich glaube sogar, dass sie was in Genua beim
G8 Gipfel passierte mehr oder weniger geplant hatten. Und sie haben bekommen,
was sie wollten. 3 – 4 Wochen vor dem G8 gab es schon diese Art Aufruhr
und die Polizei nutzte die Gelegenheit um bekannt zu geben, dass die Leichensäcke
in Genua schon vorbereitet seien. Damit wollten sie wohl international
deutlich machen „ fahrt nicht nach Genua, es wird euch dort rohe Gewalt
erwarten“. Das war ihre Message, mit der Absicht die Leute einzuschüchtern
um sie davon abzuhalten überhaupt erst nach Genua zu fahren. Das war
wirklich alles geplant, was ja eigentlich auch nichts Neues ist, keine
neue Vorgehensweise. Es ist ja schon seit 20 Jahren auf jeder Demonstration
das Gleiche. Was wirklich krass war, war dass die italienische Regierung
und die Polizei von vorneherein alle Menschen die nach Genua kamen, als
Terroristen angesehen haben. Und gleichzeitig aber werden den 200 wirklich
gefährlichen, gewalttätigen Leuten dort, diejenigen, die die
Polizei in und auswendig kennt, alle Freiheiten gelassen. Die lassen sie
in Ruhe, weil sie mit denen sicherlich eine Art Abkommen haben. Dafür
verschwenden sie ihre Zeit damit, alle anderen als Terroristen zu bezeichnen
und sie auch so zu behandeln. Alle Leute,die zu meinen Konzerten kommen
werden behandelt wie Terroristen, ich werde behandelt wie ein Terrorist...bei
jedem Manu Chao Konzert in Italien war eine ganze Armee von Polizisten.
Jeder der in Italien auf eines der Konzerte gekommen ist wurde von Polizeiwagen,
Hunden und Schusswaffen begrüßt, und wie ein Terrorist behandelt.
Es gab natürlich auch Hausdurchsuchungen und zwar bei denen, die meine
Italien Tour organisiert haben und bei Virgin Records in Rom. Die suchen
Terroristen also bei Virgin in Rom...total bescheuert...na ja und sie suchen
die Terroristen natürlich auch auf meinen Konzerten...noch bescheuerter...ich
gebe seit zehn Jahren Konzerte und hatte noch nicht einmal Probleme wegen
Gewalt bei meinen Shows. Die stecken also ihre gesamte Energie in die Suche
nach Terroristen, wo sie keine finden. Die 200 oder 300 wahren Terroristen
die lassen sie aber schön in Ruhe, weil sie sie brauchen......
 |
RootZ: Hast du auch gehört,
wie die Menschen in Genua auch ziemlich derbe beschimpft wurden,
mit Ausdrücken wie Arschloch, Drecksau usw. und mit Manu Chao. „ Hier
nimm das, Manu Chao!“ oder „ Dir werde ich es schon zeigen, Manu Chao!“
? Das muss man sich mal vorstellen... |
Manu Chao: Ja, klar habe
ich das gehört, in Italien gab es diese Typen auch unter den Journalisten
bei der Pressekonferenz, sogar da war ein Bulle dabei und als wir dann
auf das G8 Thema zu sprechen kamen habe ich eben erklärt was ich denke,
aber natürlich habe ich keine Beweise. Keine Beweise dafür, dass
die Polizei und die Leute die wirklich Ärger machen unter einer Decke
stecken...aber es wird bald Beweise geben. Da sind die Journalisten aufgewacht
und haben gefragt: „ Kannst du das mit absoluter Sicherheit behaupten?“.
„Nein“, habe ich geantwortet, „aber das wird sich sicherlich innerhalb
der nächsten paar Tage zeigen“. Der Typ war ein Bulle. Bei uns war
wirklich alles voller Polizei, sogar beim Essen, und das Problem waren
doch nicht wir....und es waren auch nicht die vielen Leute, die sie verprügelt
und zusammengeschlagen haben. Zu einer solchen Reaktion gab es keinerlei
Anlass, es war absolut absurd und überflüssig. Aber die Sache
hat sich gewandelt, jetzt protestieren viele Menschen dagegen. Außerdem
ist haben sie nicht wirklich das erreicht, was sie damit bezwecken wollten...es
werden zu viele Fragen gestellt und das internationale Interesse an der
Angelegenheit ist zu groß. Aber sogar jetzt sitzen noch Demonstranten
in den Gefängnissen dort...das ist der wahre Terrorismus...diese Jungs
sitzen ohne jegliche rechtliche Grundlage.
RootZ: Aber im Moment wird
auf internationaler Ebene ziemlich viel Druck gemacht....
Manu Chao: Und das ist gut
so...es wird noch ein wenig dauern aber sie werden nicht das erreichen
was sie ursprünglich wollten, ihr Plan geht nicht auf, denn die Leute
reden...
RootZ: Waren aber nicht
genau diejenigen, die jetzt Druck machen auch in Genua?
Ist das nicht alles eher
Teil der politischen Inszenierung?
Manu Chao: Ja, klar ist es
Teil des großen politischen Spiels....in Europa sind doch jetzt auch
die politischen Oppositionsparteien, also die, die nicht an der Regierung
sind gegen die Globalisierung....alles nur blahblah...es ist schon eine
verdrehte Welt...
RootZ: Was hältst du
denn so davon was sich in Barcelona so abspielt? Hat die Polizei nicht
in deinem Viertel, am Plaza Tripi, Kameras aufgestellt? Und ist nicht auch
dort die Polizei stets präsent? |
|
Manu Chao: Ihr seid ja ziemlich
gut informiert...ja mein Barrio, der Plaza George Orwell, es ist wirklich
komisch, dieser Platz ist mein Büro und jetzt ist er komplett Videoüberwacht.
Die Polizei ist da eigentlich schon immer, aber jetzt gibt es eben auch
noch die Kameras. Man versteht eigentlich nie, was das alles soll...denn
wenn Menschen auf dem Platz beklaut oder ausgeraubt werden, dann macht
die Polizei gar nichts. Aber jedes Mal wenn man da ist und eigentlich gar
nichts
tut, eine Gitarre dabei hat, dann kommen sofort vier, fünf oder zehn
Polizisten auf einen zu....die bekämpfen nie die wahren Probleme.
So ist das in Barcelona, das ist unser Alltag am Plaza Tripi...aber es
ist mein Viertel und ich liebe mein Viertel.
RootZ: Ist Barcelona der
einzige Ort in Europa an dem du leben willst?
Manu Chao: In Europa, vielleicht,
ja.
RootZ: Warum magst du die
spanisch sprechenden Länder Südamerikas so sehr?
Manu Chao: Es sind eben spanisch
sprechende Länder und es ist leicht für mich mit den Menschen
dort zu kommunizieren....für mich ist das die einfachste Möglichkeit,
aber ich reise auch gerne durch Afrika oder andere Länder...ich mag
auch Brasilien und ich liebe die portugiesische Sprache. In Portugal würde
ich eigentlich auch gerne leben. Vielleicht ziehe ich irgendwann nach Lissabon.
RootZ: Wie ist das denn mit
der Zusammenarbeit mit anderen Musikern heute so? Du bist ja jetzt schon
recht bekannt, kommen die Leute auf dich zu und fragen dich ob ihr nicht
einmal zusammen arbeiten wollt, oder suchst du dir Bands bzw. Musiker aus
die dir gefallen und gehst dann auf sie zu?
Manu Chao: Das passiert immer
eher zufällig...wenn ich gefragt werde ob ich mit jemandem zusammen
etwas aufnehmen will, dann antworte ich immer „ okay, mein Freund, wenn
du das Studio hier hast, gerne. Wenn du mir aber sagst vielleicht so in
2 Monaten, dann kann ich dir leider nicht sagen, was ich in 2 Monaten machen
werde.“ Das ist unmöglich, ich kann mich nicht nach irgendeinem Terminplan
richten.
RootZ: Gibt es denn noch
Künstler mit denen du gerne etwas machen willst?
Manu Chao: Ja, klar,
aber immer wenn ich etwas mit jemandem zusammen mache, dann unterhalten
wir uns und das Studio ist da, also können wir sofort etwas aufnehmen,
wir haben Zeit und können es machen. Wenn ich aber einen Termin machen
soll dann sage ich nein, denn wenn ich einem Termin zustimme, dann müsste
ich ihn vielleicht 2 Monate später wieder canceln, weil ich in Indien
bin oder sonst irgendwo...deshalb plane ich weder beruflich noch privat
mehr als jeweils die nächsten 3 Monate...alles was ich innerhalb dieser
3 Monate geplant habe kann ich dann auch durchführen und da werde
ich dann auch meine Meinung nicht ändern. Es ist mir persönlich
aber sehr wichtig, dass ich alle 3 Monate dann wieder frei habe und mir
aussuchen kann, was ich tun will. Ob ich jetzt im Business bleiben will,
ob ich reisen will, ob ich Kinder haben will oder ob ich eine neue Platte
aufnehme, mit jemandem zusammen etwas auf die Beine stelle...aber es ist
mir einfach wichtig, dass mir alle 3 Monate dann wieder alle Wege offen
stehen. Das ist für mich der beste Weg mich vor allem zu schützen,
es ist mein persönlicher Luxus. Die nächsten 3 Monate beginnen
nach der Tour, am 1. Oktober. Ich habe keine Ahnung was ich ab dem 1.Oktober
machen werde und das ist gut so. Ich sage den Leuten die mit Projekten
an mich herantreten“ ruft mich im Oktober an“, und erst dann werde ich
entscheiden was ich tue. Im Moment will ich gar nichts entscheiden, Oktober
ist dann das Ende der Welt bzw. der Anfang einer neuen Welt, zumindest
für mich.
RootZ: Dann hast du also
auch kein neues Album geplant?
Manu Chao: Nein.
RootZ: Hast du auch keinen
Vertrag mit Virgin?
Manu Chao: Natürlich
habe ich einen Vertrag mit Virgin, auch für ein neues Album, aber
nicht im Oktober, sondern wenn ich Lust dazu habe. Wenn ich mich jetzt
aber im Oktober entschließe nie wieder ein Album aufzunehmen, was
bedeutet schon ein Vertrag...aber ich will eigentlich schon noch mehr Alben
machen. Nur falls ich nicht mehr will, dann werde ich es auch auf gar keinen
Fall tun. Oder vielleicht tue ich es doch und mache ein richtig scheußliches,
grauenhaftes Album, das niemand verkaufen kann. Nein aber das ist eigentlich
nicht zu befürchten, denn ich will noch sehr viel Musik machen.
RootZ: Hast du eigentlich
100% künstlerische Freiheit bei Virgin? Man hört ja oft Beschwerden
von Künstlern, dass die Plattenfirmen sie an der kurzen Leine halten...wenn
man aber bei Virgin nach Manu Chao fragt, sagen sie „ wir können da
gar nichts machen, das entscheidet er alles selbst...“
 |
Manu Chao: Ja, das ist ein
täglicher Kampf. Auch ein Kampf um die Vertragsbestimmungen, natürlich.
Sie können mich musikalisch zu nichts zwingen, nicht ein mal bei der
Vermarktung. Im Moment gibt es in Europa keinerlei Werbung im Fernsehen
für das Album, Virgin wollte das machen, aber ich habe gesagt, „ Nein,
das will ich nicht“. Ich entscheide also sogar wie das Album verkauft wird.
Das steht in meinem Vertrag. So ein Vertrag ist aber noch lange nicht alles,
man muss ständig aufpassen, was passiert. Mit Virgin arbeite ich jetzt
schon sehr lange zusammen und sie kennen mich, sie wissen sehr genau, dass
ich, wenn wir etwas tun sollen was mir nicht gefällt, nichts tun werde.
Dass ich nicht produktiv sein kann, wenn ich nicht überzeugt von einer
Sache bin. Dann stagniert einfach alles und das wissen sie. Also mache
ich was ich will und wenn ich damit fertig bin dann bekommen sie es. |
RootZ: Wie setzt sich denn
deine Band zusammen, ist es ein konstanter Wechsel oder wie läuft
das?
Manu Chao: Ja klar, alles
ändert sich dauernd. Wie gesagt, im Oktober ist Schluss und unsere
Wege werden sich trennen. Das ist unsere Politik seit 3 oder 4 Jahren,
seit Radio Bemba. Jede Tour ist die letzte Tour. Es ist wie ein Ritual,
die letzte Show bei einer Tour ist das offizielle Ende der Zusammenarbeit.
Es ist sehr wichtig, das ist unsere Art und Weise gegen die Routine und
den Alltag zu kämpfen. Natürlich ist die Show gut und die Band
ist, wie schon gesagt, die beste Band die ich jemals hatte. Trotzdem, im
Oktober ist Schluss. Um uns dann, wenn alle dazu bereit sind und Lust haben
wieder zusammen zu tun und vielleicht wieder auf Tour zu gehen, wenn nicht,
dann eben nicht. Dann ist es vielleicht an der Zeit eine neue Band zu suchen.
RootZ: Willst du das dein
ganzes Leben so weitermachen? Ist das nicht auch auf Dauer anstrengend
diese Auffrischung so beizubehalten?
Manu Chao: Ich denke ich
weiß jetzt, wie ich es immer frisch halten kann, ich habe in meinem
Leben schon viele Fehler gemacht, in privater wie auch in beruflicher Hinsicht,
ich habe mich auf Sachen versteift und daran festgehalten, und das hat
allem den Reiz genommen. Da bin ich durch und ich weiß jetzt wie
ich alles frisch und reizvoll erhalten kann. Es ist ein Kampf gegen die
Routine, gegen den Alltag. Der Alltag ist mein schlimmster Feind. Man muss
Risiken eingehen um dagegen anzukommen. Risiken einzugehen ist immer gut,
und die Risiken die ich eingehe bedrohen ja nicht mein Leben oder so etwas...
RootZ: Hast du also das perfekte
System um der Routine zu entkommen?
Manu Chao: Ein System ist
es eigentlich nicht, eher ein paar Prinzipien, wie zum Beispiel eine Band
nie zu Lange zu behalten, es ist sehr wichtig, dass jede Tour die letzte
ist, darauf bestehe ich...oder mein 3 Monatsplan, auch darauf bestehe ich,
der Rest ist nicht so wichtig, wenn ich das aufrecht erhalte dann komme
ich mit allem anderen schon klar. Es kann leicht passieren, dass ich eines
Tages einfach nicht mehr klar komme, dass ich mich wie eine Marionette
fühle...dann habe ich aber den Ausstieg schon in Aussicht. Wenn ich
mich jetzt heute Nacht, morgen oder in drei Tagen wie eine Marionette fühle,
dann beende ich was ich angefangen habe und im Oktober ist dann Schluss.
Ich kann immer ziemlich schnell aussteigen, und das ist mir wirklich wichtig,
denn wenn ich mich über 2 Jahre verplanen lassen würde, dann
müsste ich über 2 Jahre so weitermachen, obwohl ich unzufrieden
damit bin und für mich wäre das schrecklich. Im Moment macht
es uns viel Spaß, die Tour war eine wunderschöne Erfahrung und
wir würden gerne noch weitermachen, aber im Oktober ist Schluss.
RootZ: Wo wir gerade über
Erfahrungen sprechen, du warst in New York, im Central Park, war das dein
erstes Mal in den Vereinigten Staaten?
Manu Chao: Nein, ich war
schon einmal dort, mit Radio Bemba, im Dezember, da waren wir vor unserer
Tour in Mexiko in LA. Mit Radio Bemba war ich das erste Mal in New York,
früher war ich öfter da, mit Mano Negra.
RootZ: Wie hat es dir da
gefallen, kennen dich die Menschen da auch so, wie sie dich hier kennen?
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Manu Chao: Es ist ein sehr
großer Unterschied zu Europa, sogar die Arbeitsweise ist sehr verschieden.
Für uns ist es ziemlich seltsam jetzt in Europa und in den USA zu
touren. Das habe ich auch dort bei der Pressekonferenz gesagt. Sie
haben mich natürlich gefragt, ob es Unterschiede gibt in den USA.
„Natürlich“, habe ich geantwortet,“ der Unterschied ist zu groß,
in technischer Hinsicht haben wir die schlechtesten Bedingungen während
der ganzen Tour und wir verdienen am schlechtesten, obwohl wir im reichsten
Land der Welt sind, natürlich ist es sehr verschieden und ich weiß
nicht ob wir so bald wieder kommen“. |
Das Publikum war großartig,
New York ist eine unglaubliche Stadt, ich liebe diese Stadt, es ist Babylon,
jeder ist da, es war unglaublich, bei unserer Show in New York waren sehr
viele Menschen aus Südamerika, Mexikaner, Argentinier, Puerto Ricaner,
Franzosen, viele Osteuropäer, wir spielten mit einer Band aus der
Ukraine...das ist einfach unglaublich an New York. Ich persönlich
empfinde es auch jedes Mal ein bisschen befriedigend in den USA zu spielen,
weil als wir mit Mano Negra anfingen zu touren haben sie uns auch oft in
die Vereinigten Staaten eingeladen aber wir lehnten das ziemlich bald ab.
Man wollte uns dort unsere Arbeitsweise vorschreiben und das gefiel uns
nicht. Wir hatten viel Stress deshalb, weil wir uns keine veraltete Arbeitsweise
vorschreiben lassen wollten. Es ist das einzige Land, dass versucht
einem alles vorzuschreiben. Wir wollten unsere Energie nicht darauf verschwenden
gegen überflüssige Auflagen, technische oder firmenrechtliche
Probleme zu kämpfen. Das ist doch Scheiße. Es gibt so viele
Länder, wenn ihr uns nicht so wollt wie wir sind, dann kommen wir
eben nicht mehr. So war das mit Mano Negra, die Plattenfirma hat uns gesagt
ihr müsst in die USA gehen, da schafft ihr den Durchbruch...aber wir
haben gesagt „ Nein, das kostet uns zuviel Energie, wir müssen uns
wegen Dummheiten herumstreiten...“ Und das schadet uns, da wir unsere Energie
nicht in etwas positives stecken können. Die Erfahrung, die ich in
den USA gemacht habe, ist das alles nach einer gewissen Hierarchie abläuft,
wie bei der Army. Der unberührbare Star steht an der Spitze, dann
kommt sein Manager, dann vielleicht die Band, die Techniker usw. das ist
eine Hierarchie wie in der Army. Die meisten Rock Bands in den USA arbeiten
wie das Militär. Sie versuchen uns zu verstehen zu geben, dass das
die einzig wahre Arbeitsweise ist. Die können mich am Arsch lecken.
Wenn man also in die USA kommt, anders arbeitet und sie bemerken, dass
man anders arbeitet, dann wird man wie ein Stück Scheiße behandelt.
Sie sagen dir „ du bist nicht professionell..“. Die können mich echt
am Arsch lecken....sie sind nicht mehr die Profis der ganzen Welt. Sie
arbeiten nach einem antiquierten Schema...ich habe keine Lust das zu übernehmen,
so hat mein Opa gearbeitet. Die Zeiten sind vorbei. Da ist es hier in Deutschland
professioneller, oder in Holland, oder in Brasilien...na ja lassen wir
das Thema lieber.
RootZ: Du warst sehr lange
nicht hier, ist Deutschland ein kulturelles Gebiet, das dich eher weniger
interessiert?
Manu Chao: Ich interessiere
mich für alles. Ich war seit zehn Jahren nicht in Deutschland, ich
war aber auch seit zehn Jahren weder in Frankreich noch in Italien...nicht
in Europa. Ich spiele jetzt seit zwei Jahren mit Radio Bemba und wir haben
drei Tourneen gemacht, mit verschiedenen Bands aber immer mit Radio Bemba.
Die ersten beiden Tourneen waren in Südamerika, wir haben also, bevor
wir nach Europa gekommen sind, in ganz Südamerika getourt. Das war
mir auch sehr wichtig, denn die Musiker sind teilweise aus Europa und hatten
nie die Möglichkeit zu reisen. Da meine Musik und meine Platten aber
sehr von dem Leben und der Realität in Südamerika beeinflusst
sind, war es mir wirklich wichtig, dass alle meine Musiker das Leben kennen,
von dem sie singen, vor einer Tour in Europa.
RootZ: Mal eine Frage zu
deinen Wurzeln, bist du im Baskenland geboren?
Manu Chao: Nein, in Paris.
Meine Mutter ist aus Bilbao im Baskenland. Mein Vater aus Galizien.
RootZ: Macht sich das in
deinem Charakter bemerkbar? Hast du typische Eigenschaften geerbt und glaubst
du an Magie, Hexen und so weiter?
Manu Chao: Ich glaube schon,
dass mein Charakter dadurch beeinflusst wurde, ich glaube aber nur an das
was ich auch sehe, obwohl mir in meinem Leben schon ein paar Hexen begegnet
sind.
RootZ: Wann hast du Frankreich
verlassen, und worin besteht deine heutige Verbindung mit Frankreich?
Manu Chao: Ich bin dort geboren
und aufgewachsen, also habe ich bestimmt eine französische Kultur.
Jetzt habe ich Frankreich verlassen, es ist so ein bisschen depressiv.
Ganz Europa ist ziemlich depressiv.
RootZ: Barcelona nicht? |
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Manu Chao: Doch, das kommt
jetzt, Europa kommt. Es gibt eine Art europäischen Lebensstil, den
sie versuchen jedem aufzuzwingen. Das kommt jetzt nach und nach auch bis
nach Spanien. Großstädte wie Barcelona oder Madrid sind jetzt
schon sehr europäische Städte. Aber auf dem Land wird das nicht
so einfach sein. Ich persönlich glaube, dass die einzigen Länder,
die durch ihre Art zu Leben Widerstand leisten, die sich nicht an die Normen
Brüssels anpassen, der Norden Spaniens ist. Von Pamplona bis Cabo
Finisterre in Galizien. Das ist meiner Meinung nach das einzige Land, dass
in Europa bestehen bleibt. Dort leben die Menschen noch auf eine natürliche
Weise in sozialen Strukturen. Aber wer weiß, wie lange noch...für
mich ist der Norden Spaniens wie das Dorf von Asterix und Obelix. Es gibt
da ein zwischenmenschliches Leben, keine Viertel, wo nur Alte oder nur
Junge Menschen leben, sondern alle zusammen. Das ist wirklich wichtig,
ich glaube deshalb ist Europa auch so depressiv, in Europa kennt man diese
Art des Zusammenlebens gar nicht mehr.
RootZ: Vor ein paar Jahren
warst du da ziemlich engagiert in dieser Region, du hast Veranstaltungen
organisiert, was genau war das?
 |
Manu Chao: Ja, das war eine
Art Zirkus, das Projekt hieß „ La Feria de las Mentiras“. Das war
eine Art Mischung aus allem. Wir haben das im Norden Spaniens organisiert,
in Galizien.
Dort muss man den Menschen
nicht erklären, wie man feiert. Damit meine ich auf eine soziale Art
und Weise zu feiern, alle zusammen. Am Wochenende gehen dort alle aus,
nicht nur die Jungen, alle zusammen, Kinder, alte Menschen, Bauern, man
kann dort einen Mann vom Land zusammen mit einem Punk Wein trinken sehen
und solche Sachen. Das ist mir wichtig, das ist es was mir an Europa fehlt.
Ich kann in Europa nicht mehr leben, da sterbe ich innerlich. In Spanien
kann ich noch leben, weil ich dort noch eine Art Zusammenhalt spüren
kann, okay, wir leben im selben Land oder im selben Viertel oder in der
selben Straße. Das mag ich auch an meinem Viertel in Barcelona. Es
gibt da eine Art nachbarschaftliches Gemeinschaftsgefühl. |
RootZ: Im Moment bist du
aber nicht wirklich viel in Barcelona, oder?
Manu Chao: Im Moment nicht,
aber ich war gerade zwei Wochen da, ich komme gerade von dort. Aber das
Problem mit Europa ist, dass Europa alt wird.
RootZ: Findest du denn gar
nichts positives an Europa, was ist zum Beispiel mit den Protestaktionen
wie in Genua? Veranstaltungen wie diese waren vor ein paar Jahren, nach
Ende des kalten Krieges, vollkommen von der Bildfläche verschwunden...
Manu Chao: Klar ist das etwas
positives, aber das ist eine eher allgemeine Bewegung, die Leute haben
auch in Mexiko, in Brasilien oder in Seattle demonstriert. Das hat nicht
ausschließlich etwas mit Europa zu tun. Jeder auf unserer Welt, der
sich Gedanken um unsere Zukunft macht, gelangt zu dem Bewusstsein, dass
der Weg einer wirtschaftlichen Globalisierung, den man uns aufzwingen will,
ein kollektiver Selbstmord wäre.
RootZ: Wen meinst du denn
eigentlich mit „ man“ bzw. „sie“? Sind es die Investment Banker, die sind
ja eigentlich auch an eine Art System gebunden, nach dem sie vorgehen müssen...
Manu Chao: Wenn ich von man
bzw. ihnen spreche, dann weiß ich auch nicht genau wer sie sind.
Was wirklich gefährlich ist bei der New Economy, bei dieser Art der
Diktatur ist die Tatsache, dass es kein Gesicht gibt, keinen Feind, keinen
Verantwortlichen. Genauso ist es auch bei meiner Plattenfirma, wenn da
etwas schief läuft, dann ist fühlt sich keiner verantwortlich,
jeder schiebt einem anderen die Schuld in die Schuhe und man findet niemanden
der sich der Verantwortung stellt. So arbeiten sie und daraus resultiert
ihre Stärke.
RootZ: Du hast gerade gesagt,
dass die Menschen ein gewisses Bewusstsein erlangen, aber eine Vorraussetzung
dafür ist Information. Wie informierst du dich, über Fernsehen,
Zeitungen, oder sprichst du mit den Menschen?
Manu Chao: Ich tue das alles,
ich lese Zeitung, ich unterhalte mich viel mit den Menschen und sehe ziemlich
viel fern, um zu sehen, wie sie denken. Natürlich, die Mehrheit der
Menschen ist sehr vom Fernsehen beeinflusst. Wir nähern uns sogar
einer ziemlich gefährlichen Stufe, man versteht die Menschen nicht
mehr, wenn man selbst nicht fern sieht. Weil die Menschen sehr vom Fernsehen
geprägt sind. Also sehe ich fern, ich spreche viel mit den Menschen,
ich folge auch meiner Intuition, ich lese offizielle und alternative Zeitungen.
Es gibt leider kein wirklich alternatives Fernsehen im Moment, aber dafür
gibt es das Internet.
Auch die Erziehung hat sehr
viel mit dem Fernsehen zu tun. Das ist nicht nur in Europa ein Problem,
sondern weltweit. Das macht mir wirklich Angst, es ist schrecklich. Man
kann das in den Peripherien der Großstädte auf der ganzen Welt
beobachten. Die Erziehung liegt nicht mehr in den Händen der Familie,
die Zeiten sind vorbei. Auch die Schule hat kaum mehr Einfluss, es ist
einzig und allein das Fernsehen. |
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Das Einzige woran die Kids
heute noch glauben ist die Glotze. Und das ist meiner Meinung nach wirklich
gefährlich, denn das Fernsehen hat vor nichts und niemandem Respekt.
Also werden unsere Kinder dazu erzogen nichts zu respektieren. Die Gefahr,
die dadurch herauf beschworen wurde, kann man weltweit in allen Vierteln
der Städte beobachten. In Brasilien, in Frankreich, in Spanien, ich
weiß nicht, wie es in Deutschland aussieht...es wächst jetzt
ein Art Mutanten Generation heran, sie sind zwischen 10 und 14 Jahre alt
und es sind Mutanten. Sie lassen sich von keinem etwas sagen, weder die
Familie, noch ihre Geschwister haben Einfluss auf sie. Überall wo
ich war sagen 20 bis 25 jährige, dass sie nicht wissen, wie sie mit
ihren kleinen Geschwistern umgehen sollen. Die sind einfach unnahbar. Ständig,
auf der ganzen Welt. Diese Generation ist wirklich krass. Sie wurden vom
Fernsehen erzogen. Falls ich eines Tages Politiker sein sollte, dann wäre
mein erstes Ziel die Erziehung der Jugendlichen aus der Reichweite des
Fernsehens zu schaffen, - ich weiß das ist unmöglich, aber ich
würde es versuchen - oder zumindest das Fernsehen zu ändern.
Die Gewalt im Fernsehen ist allgegenwärtig, viel mehr als in der wirklichen
Leben. Die tägliche Todes – bzw. Mordrate im Fernsehen ist unglaublich
hoch. Die Kids sehen das und denken im wahren Leben ist es genauso, und
wenn man jetzt in den Städten in Brasilien oder sonst irgendwo
ist, dann merkt man: ein Leben ist dort nichts wert...peng peng, tot. Auch
in Europa, heute ist ein Mord etwas normales, das man jeden Tag im Fernsehen
sehen kann. Jedoch stimmen die Verhältnisse zwischen den Morden im
Fernsehen und denen im wahren Leben nicht überein. Da könnten
sie ja vielleicht täglich nur einen Mord zeigen....Durch dieses Missverhältnis
aber machen sie die Gewalt zu einem wichtigen Bestandteil unseres Lebens...Immer
wenn man einen Film anschaut, oder den Fernseher einschaltet, dann gibt
es nur Gewalt, Gewalt, Gewalt. Das wahre Leben hingegen ist eigentlich
gar nicht so Gewalt geprägt. Zumindest an den meisten Orten.
RootZ: In welchem Viertel
von Paris bist du denn aufgewachsen und wie lange warst du dort?
Manu Chao: Die U- Bahn Station
heißt Ponte Sep. Ich habe dort 25 Jahre lang gelebt.
RootZ: Wie bist du denn dann
nach Südamerika gekommen?
Manu Chao: Das war mit Mano
Negra. Uns wurde angeboten dort zu spielen, und wir haben die Gelegenheit
natürlich genutzt. Das erste Mal, als ich dort war waren wir in Peru,
Lima. Dann sind wir immer öfter dort hingefahren. Umso öfter
man in Südamerika ist, umso klarer wird einem, dass man keine Ahnung
von Südamerika hat. Man muss wirklich oft dort sein.
RootZ: Du warst auch in Afrika,
oder? Wo?
Manu Chao: Ich war in Nordafrika,
Algerien, Marokko, Ägypten, Senegal, Mali, das war´s.
Es gibt gute Musik dort,
ich benutze auch Elemente afrikanischer Musik. Eigentlich war ich das erste
Mal in Paris in Afrika, und das zweite Mal war in Südamerika, in Kolumbien.
Danach war ich erst im wirklichen Afrika. Aber die afrikanischen Traditionen,
das Essen und die afrikanische Gastfreundschaft habe ich schon in Paris
kennen gelernt. Das sollten die Europäer von den afrikanischen Familien
lernen. In Sachen Gastfreundschaft könnten sie sich ruhig eine Scheibe
abschneiden. Das lernt man nicht in einer europäischen Familie, man
sollte einmal in einer afrikanischen Familie gewesen sein um das wirklich
zu verstehen.
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