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Interview mit Manu Chao
Köln, Fühlinger See, 18. August 2001

RootZ: Hallo Manu, willkommen in Köln, aber sag mal, wie war’s denn gestern Abend in Berlin?
 
Manu Chao: Super , ich bin auch noch nicht wirklich wach...es war echt gut, das Publikum, die  Lokation , das Nachtleben einfach alles....wir hatten gerade zwei Wochen Pause während unserer Tour und gestern war sozusagen der Neustart.

RootZ: Also mal zum Publikum, denkst du, dass es immer noch Leute gibt, die kommen weil sie Mano Negra und deine Anfänge kennen oder ist es eher ein Hype, weil alle nach dem heutigen Manu Chao verrückt sind ?

Manu Chao: Ich weiß nicht, dass ist schwer zu sagen, gestern zum Beispiel hatten viele der Leute in den vorderen Reihen Mano Negra Shirts an und seltsamerweise waren auch recht junge Typen dabei...ich habe sogar Mano Negra Tatoos gesehen...

RootZ: Was geht denn so mit den Jungs von Mano Negra? 

Manu Chao: Die habe ich alle so vor einem Monat getroffen, es geht ihnen gut.

RootZ : Machen sie noch Musik?

Manu Chao: Ja, einige von ihnen schon...Tom – Keyboards  spielt bei einer Band namens      P 18, Garbancito – Perkussion und Daniel – Gitarre spielen bei einer Band namens Flor del Fango, Joe – Bass spielt bei den Vampas, auch eine sehr gute Band und mein Bruder macht Pirate Radio, der Drummer spielt bei verschiedenen verrückten Bands...

RootZ: Du hast also immer noch Kontakt..

Manu Chao: Ich nicht so sehr, da sie alle in Paris leben, ich lebe in Spanien und bin nicht sehr oft in Paris aber wenn ich einmal da bin treffe ich sie natürlich alle...vor kurzem haben wir da gespielt und einige von ihnen sind zu unserer Show gekommen. Ich habe meinen Bruder getroffen und alle anderen auch.

RootZ: Fühlst du dich als Teil der Latin Musik Szene, die jetzt seit kurzem so populär ist? Klar ist deine Musik etwas anderes aber glaubst du, dass dein Erfolg etwas mit der Beliebtheit von Buena Vista Social Club, Santana, Ricky Martin usw. zu tun hat oder ist es einfach nur Zufall? Wie fühlst du dich, wenn man dich dieser Kategorie zuordnet?
 

Manu Chao: Immer wenn man versucht mich in eine Schublade zu stecken ändere ich meinen Stil, ich will nicht Teil irgendeiner Zuordnung sein, denn meine Musik ist meine Musik und ich glaube solange man sie nicht als Teil von irgendetwas anderem einordnen kann ist sie gute, gesunde Musik. Also wenn jemand sagt sie ist ein Teil der Latin Musik dann frage ich ihn was er unter Latin Musik versteht...sind Los De Abajo aus Mexiko Latin Musik oder ist es Ricky Martin...das ist doch immer das selbe, was ist denn zum Beispiel Rock?  Es gibt Hardcore Bands die sagen sie machen Rock Musik aber auch Elton John sagt er macht Rock Musik...für mich bedeutet das gar nichts.

RootZ: Bei deinem Konzert in Offenbach hast du eine Version von Clandestino gespielt, die sich sehr nach Carlos Vives  angehört hat...wie machst du dass wenn du deine Musik komponierst, wie hörst du die Sachen anderer und wie verarbeitest du diese Einflüsse?

Manu Chao: Na ja, ich rauche erst mal einen Joint, ich muss nur vorher aufpassen, dass ich einen Stift oder eine Gitarre habe, sonst werde ich sehr nervös und das war’s, alles andere kommt dann recht schnell, ich glaube nicht, dass man leiden muss um Musik zu schaffen, es muss einfach wie aus dem Nichts kommen und daran glaube ich. Wenn ich einen Song schreibe oder Musik mache dann denke ich nie an die Leute, die es sich später vielleicht einmal anhören, ich denke an mich...und wenn ich Spaß daran habe ist es gut, wenn nicht mache ich lieber etwas anderes. Das ist meine Garantie, wenn ich Spaß habe wie ein kleines Kind, perfekt, dann ist es gute Musik und gut für mich...und wenn es gut für mich ist, ist es vielleicht auch für andere Leute gut...das ist alles.

RootZ: Du verwendest verschiedene Sprachen in deinen Songs, gibt es da ein System? Wie kombinierst du die Sprachen?

Manu Chao: Na ja, Sprachen oder Noten zu kombinieren ist eigentlich das Gleiche, wenn zwei Wörter, eines Spanisch, eines Englisch zusammenpassen, dann macht das Spaß ich fühle mich gut dabei...und es reicht mir, wenn ich es verstehen kann...vielleicht verstehen es dann auch andere, vielleicht aber auch nicht...es ist wirklich so, wenn ich schreibe ist die Hauptsache, dass ich Spaß habe und dass ich es verstehe...das ist sehr egoistisch. Aber ich glaube das es der einzige Weg ist. Wenn man Songs schreibt und Musik macht und die ganze Zeit darauf achtet, was andere dazu sagen dann ist das gefährlich für die Musik. Und meine Garantie ist eben nur, dass ich persönlich Spaß an der Sache habe, dass ich meine Songs meine Musik und meine Texte verstehe. Aber ich werde niemandem erklären wie ich meine Songs oder meine Texte verstehe...Jeder sollte sich da auf seine eigene Fantasie verlassen und die Songs auf seine Weise verstehen, sich ein eigenes Bild machen....Das ist manchmal ganz lustig, wenn man sich mit verschiedenen Leuten z.B. über Clandestino unterhält die einen verstehen eben was anderes als die anderen...und es ist gut wenn jeder sich seine eigene Interpretation schafft.

RootZ: Aber wenn du die Songs schreibst willst du dann eine Message darin verpacken oder überlässt du das alles vollständig dem Hörer?

Manu Chao: Jeder Song ist anders ...es kommt nicht oft vor, dass ich so etwas wie eine Message mit einbaue und wenn ich das tue ist es immer eine Message für mich...wenn diese Message dann auch andere anspricht freue ich mich aber ich stelle mich wirklich nicht hin und sage ‚ ok ich werde den Leuten jetzt das mitteilen oder ihnen das erklären’ das ist unmöglich. Also es ist zumindest unmöglich für mich, andere können das vielleicht, ich nicht.

RootZ: Aber die Leute sehen eine Message, zum Beispiel als du in Lima gespielt hast, als das mit Fujimori war, die Leute haben „ Manu for president “ gerufen...ist das nicht manchmal beängstigend, dass die Menschen dich vor allem in Südamerika als eine Art Helden betrachten?

Manu Chao: Das ist nicht beängstigend, es bedeutet natürlich ein bisschen Verantwortung zu tragen aber im Moment macht mir das keine Angst, wenn es das einmal tun sollte, dann höre ich eben auf. Also manchmal wenn ich „ Manu for president “ oder solche Sachen höre, sage ich „ Seid ihr verrückt? Ich kann doch kein Präsident sein“.

RootZ: Du hast immer großes Interesse an gesellschaftlichen Bewegungen in Südamerika gezeigt und bist auch an den Orten des Geschehens aufgetreten, wäre es nicht möglich das auch hier in Europa zu tun?
 
Manu Chao: Nun ja, wir tun was wir können. Ich glaube man ist sowieso immer in gesellschaftliche Belange verwickelt, egal wohin man geht auf diesem Planeten. Man bekommt auch eigentlich überall negative gesellschaftliche Umstände mit. Ich glaube es gibt auf dieser Welt keinen Ort wohin man gehen kann und wo alles okay ist. Es gibt immer Probleme also hat man immer die Wahl ob es einem egal ist oder ob man sich damit befasst. Wenn man sich dann dafür entscheidet sich damit zu befassen, dann steckt man auch ziemlich schnell ziemlich tief drin...ich weiß nicht für mich sind das eher alltägliche Angelegenheiten, wir sagen nicht, dass wir das jetzt in Südamerika machen und hier nicht, es kommt halt vor allem darauf an ob man Zeit hat oder nicht, denn man braucht Zeit um sich mit diesen Sachen auseinander zu setzen...dann ist das alles kein Ding mehr, man braucht nur noch Energie das ist einfach, die hat man dann einfach.

RootZ: Hast du das von Anfang an so gemacht, dass du dich da einbeziehen lassen hast, es gibt ja auch Musiker wie z. B. Ricky Martin oder Elton John, die sich nie mit solchen Sachen in Verbindung bringen lassen....hattest du von Anfang an einen Bezug dazu?

Manu Chao: Das weiß ich nicht mehr, ich bin einfach der Überzeugung dass man eben nicht in einem kleinen heilen Mikrokosmos leben kann wenn auf dem Rest der Welt so viel Scheiße passiert. Ich habe das auch schon ein paar Mal versucht, dann denke ich mir „ich höre auf mit dem ganzen Business und lebe lieber mit meiner Freundin an einem wunderschönen Strand in Brasilien...das ist das schönste was man aus seinem Leben machen kann, viel besser als eine Show zu machen und auf Tour zu gehen...aber nach ein paar Tagen fängst du an über deine ganzen Freunde nachzudenken die immer noch mit dem ganzen Chaos da draußen kämpfen...und du kannst es dir einfach nicht leisten dort zu bleiben, du musst zurück weil du dich nach einer Zeit nicht mehr wohl fühlst, weil du über deine ganzen Freunde und all die Menschen nachdenkst die dieses Glück und dein schönes Leben nicht mit dir teilen können.

RootZ:  Wie ist das eigentlich so mit den Musikern mit denen du zusammenarbeitest, was sind deine Kriterien bei der Auswahl, ist es eher eine persönliche Beziehung oder gehst du nach ihren Qualifikationen, denn in deinen frühen Anfängen war es doch vielmehr eine Freundschaft, die innerhalb der Band gewachsen war, dann kam der Bruch und jetzt bist du ja mehr oder weniger in der Position des Band Leaders und der Rest erscheint austauschbar...wie läuft das? Behandelst du die anderen wie Freunde oder versuchst du eine persönliche Beziehungen innerhalb der Band aufzubauen?

Manu Chao: Also ich glaube was ich wirklich mag und wozu ich auch Talent habe ist Bands aufzubauen und mit ihnen zu arbeiten ...ich bin ein guter Trainer, ein guter Coach.
Ich glaube es ist eine Mischung aus allem, an erster Stelle der zwischenmenschliche Kontakt, man muss die Musiker verstehen, sonst gibt es keine Musik, auch wenn der Typ sehr gut ist.
Im Moment habe ich glücklicherweise viele sehr gute Musiker aber auch andere die gerade erst anfangen, es ist eine Mischung und das ist gut so, man muss alles miteinander kombinieren, es ist gut gute Musiker in der Band zu haben, aber es ist nicht gut wenn man nur erfahrene, gute Musiker hat, es ist auch nicht gut, wenn es nur Anfänger sind, dann dauert alles zu lange, man muss immer die richtige Dosis finden, erfahrene Musiker mit Anfängern kombinieren. Man nimmt sich also ein paar Veteranen die ihren Job wirklich kennen, wie mich und drei oder vier andere in der Band und dann bildet man einfach neue Leute aus, so wie das eben normalerweise auch abläuft, ich glaube das ist ein Teil meiner Arbeit und des Lebens, wenn man seine Arbeit wirklich gut kann, dann ist es an der Zeit Professor zu werden um sein Wissen weiterzugeben...und das ist im Endeffekt auch was die Energie der Band ausmacht.

RootZ: Ihr sprecht also viel miteinander?

Manu Chao:  Ja, natürlich , wir reden viel miteinander...wir haben nicht so viel geprobt, dafür aber ziemlich intensiv, aber es geht damit allen sehr gut und es ist die beste Band die ich jemals hatte...
 
RootZ: Habt ihr bei Mano Negra jemals geprobt?

Manu Chao: Also mit Mano Negra haben wir viel mehr geprobt als jetzt...ich habe meine Arbeitsweise ziemlich verändert seit damals, Mano Negra das war eine wirklich europäische Band, wir haben geprobt wie es hier in Europa so üblich ist...in den Proberaum gehen und proben, proben, proben....damit ist jetzt Schluss, wir waren sehr viel in Südamerika und Afrika unterwegs und auf unserem Weg haben wir gelernt zu improvisieren...auf Proberaum und so habe ich jetzt keine Lust mehr, die Zeiten sind vorbei...wir machen das jetzt anders.
Die Proben für die Show die ihr später sehen werdet, zum Beispiel, fanden in Barcelona auf der Straße statt. Auf  der Straße zu proben ist viel besser, ein besseres Gefühl, viel besser für mich und die anderen. Die Menschen bleiben stehen und hören zu, man hat also das Publikum schon beim proben dabei und das ist viel besser denn man kann sehen ob das was man macht den Leuten gefällt oder nicht.

RootZ: Wie viel Einfluss haben denn die anderen Musiker? Also du bist der Sänger und Songwriter sagst du ihnen „ ok, ich habe da eine Idee, lasst uns das mal versuchen“ und sie können dann sagen ob es ihnen gefällt oder nicht ...oder kommen sie auch mit Ideen und du schreibst dann einen Song dazu?

Manu Chao: Also mein Job ist es vor allem die Ohren aufzusperren, wir jamen ziemlich viel und ich passe die ganze Zeit auf und wenn etwas gut ist, dann stoppe ich den Jam und sage „ schaut so wie wir das eben gemacht haben, das behalten wir“, die Band muss sich also auf mich verlassen, denn bei den Jams entscheide ich was gut ist und was nicht. Wenn wir nachts, im Bus oder in Bars jamen bin ich so etwas wie ein menschlicher Sampler ...ich kann nie abschalten ich höre immer zu um dann sagen zu können „hey, erinnerst du dich wie du das  gestern nacht gespielt hast...ich glaube du solltest das in der Show heute auch so machen“...so läuft das und es ist ein toller Job.

RootZ: Vor zehn Jahren hattest du dem Musikbusiness gegenüber eine sehr kritische Einstellung – was hat sich deiner Meinung nach innerhalb der letzten zehn Jahr verändert – du verkaufst ja jetzt auch ziemlich viele Platten...

Manu Chao: Es hat sich etwas geändert, es gibt heute das Internet und das war eine große Revolution bezüglich des Vertriebs von Musik. Vor zehn Jahren war man, wenn man seine Musik zu den Menschen bringen wollte, abhängig von der Industrie, jetzt gibt es das Internet, und jeder kann seine Message oder seine Musik der ganzen Welt zugängig machen. Das war eine bedeutende Veränderung, aber abgesehen davon ist es immer noch das gleiche Scheißbusiness wie früher..

RootZ : Vertrittst du noch die gleichen Ideen wie früher auch in politischer Hinsicht?

Manu Chao: Ich hoffe ich habe mich geändert, denn wenn ich mich zehn Jahre lang nicht verändert hätte, dann wäre ich schon lang tot. Natürlich habe ich meine Meinung in vielerlei Hinsicht geändert, das ist Evolution, Entwicklung. Ich weiß nicht mehr wie ich vor zehn Jahren war...

RootZ: Was hältst du von der Rasta Bewegung? Du hast viele Reggae Elemente in deiner Musik....also hast du bestimmt Kontakt zu Reggae bzw. Rasta Leuten.

Manu Chao: Ja klar habe ich viele Kontakte und Reggae ist ein großer Teil der Musik die ich in meinem Mix verwende. Ich respektiere Rastafari Bewegung wie jede andere Religion auch, persönlich glaube ich aber nicht an Gott – ich glaube an die Menschen – ich bin kein Rasta aber ich respektiere Rastas , Muslims, Katholiken, alle, solange sie mich auch respektieren. Das verlange ich von jeder Religion, du kannst glauben, an was du willst, aber du musst auch mich akzeptieren und die Tatsache, dass ich an gar nichts glaube, außer an das was ich sehe.

RootZ: Mal eine Frage zu deinem neuen Album, die Kritiker meinen es ist Clandestino zu ähnlich...

Manu Chao: Das stimmt, ich weiß nicht ob es zu ähnlich ist, vielleicht, aber es ist auf jeden Fall sehr ähnlich...

RootZ: Weißt du schon wie das nächste aussehen wird?

Manu Chao: Keine Ahnung, das kann ich wirklich nicht sagen, ich bestimme das nicht. Wenn ich Lust darauf habe dann gehe ich halt ins Studio also ich kann keinem Konzept folgen, ich würde das Konzept jede Woche ändern und alle verrückt machen. Ich lass es einfach laufen und mache was mir Spaß macht und das wovon wir überzeugt sind das es gut ist.

RootZ: Ist dein jetziges Album weniger politisch als das vorherige?
 
Manu Chao: Ja, die Leute sagen es ist weniger politisch ...das habe ich wirklich beabsichtigt, aber auch Clandestino war für mich kein politisches Album, die Leute haben es dazu gemacht. Aber bei dem neuen Album wollte ich mich davon distanzieren, weil wir heute in einer Welt leben, in der Rebellion und politische Ideale einen großen Teil des Marketings darstellen.
Heute verkauft man doch alles mit Rebellion...Schuhe, Platten, Coca Cola einfach alles. Deshalb ist es für mich jetzt an der Zeit da ein bisschen vorsichtiger zu werden, weil mich jetzt schon alle in eine bestimmte politische Schublade stecken. Daher ist es mir jetzt wirklich wichtig mich davon zu entfernen. Meine Musik ist meine Musik, ich bin eben Musiker und ich habe kein Problem damit, mit der Musik mein Geld zu verdienen. Ich komme da nicht in diese Art philosophischen Interessenkonflikt. Es ist mein Job. Wenn ich gut arbeite und Geld damit verdiene ist das völlig in Ordnung, was ich nicht gut finde ist, wenn man anfängt Geld wegen seiner politischen Einstellung verdienen. Das überschneidet sich natürlich immer ein bisschen. Aber in diesem Fall wollte ich mich wirklich davon distanzieren. In gewisser Hinsicht ist meine politische Einstellung eher eine private Angelegenheit. 

Klar habe ich eine Verantwortlichkeit wenn ich mit Journalisten spreche, dann spreche ich gerne über die Sachen wie ich sie sehe und über Angelegenheiten über die man wirklich sprechen sollte...deshalb gibt es doch die Presse und deshalb spreche ich auch mit Journalisten, nicht weil ich mein Album verkaufen will...das verkauft sich schon auch so ganz gut.

RootZ: Aber du warst doch auch in Genua, oder? Wenn du an politischen Brennpunkten vor Ort bist, dann ist es doch klar, dass die Menschen in dir eine Art politisches Symbol sehen, das passiert, da kannst du nichts daran ändern...

Manu Chao:  Noch mal zu Genua, die Einzigen, die mich bisher als eine Symbolfigur bezeichnet haben, sind die Medien...nicht die Menschen. Vielleicht sind sie es auch , aber ich habe Kontakt zu den Menschen. Aber es sind wirklich überwiegend die Medien, die Führer schaffen wollen; für die Leute, die sich für eine bessere Welt einsetzen, wäre es eher gefährlich Führer und Leute zu haben, die diese Bewegung repräsentieren. Wir brauchen keine Führer. Ich glaube die einzige Macht so einer Bewegung ist die Masse der Menschen. Deshalb antworte ich immer mit „ nein“ auf die Frage, ob ich eine Art Vertreter dieser Bewegungen bin. Denn ich bin der Überzeugung das es nicht gut wäre, ich bin Teil der Bewegung und ich tue was ich kann. Natürlich erweckt das, was ich dazu beitrage mehr Aufmerksamkeit, als das was andere tun, da ich ja irgendwo eine den Medien bekannte Person bin. Alle die nach Genua gekommen sind um gegen den G8 Gipfel zu demonstrieren, wie wir eben auch, haben getan was sie können – ob sie jetzt als Journalisten oder Fotographen oder sonst irgendwas gekommen sind. Unser Job ist es eben Musik zu machen und deshalb bin ich dahin gegangen und habe Musik gemacht. Ich habe meinen Job dort gemacht.

RootZ: Aber ist nicht gerade deine Musik ein Zeichen dafür wie Globalisierung funktioniert? Ihr seid Europäer, aus Frankreich und Spanien, du benutzt verschiedene Elemente um daraus deine eigene Musik zu machen, du nutzt das Internet und reist viel – ist das nicht eine positive Art der Globalisierung?

Manu Chao: Die Globalisierung ist ja auch nicht das Problem. Ich glaube, dass die Globalisierung der Welt etwas Gutes ist. Das Problem ist nicht die Globalisierung an sich, sondern vielmehr eine Abhängigkeit durch eine wirtschaftliche Globalisierung. Viele Kontakte überall auf der Welt zu haben ist gut, ich bin nicht gegen die Globalisierung, weil ich glaube, dass sie unsere Zukunft ist. Das Problem ist die Abhängigkeit, dass versucht wird, jedem eine bestimmte Art der Globalisierung aufzuzwingen, die eigentlich nur eine wirtschaftliche Abhängigkeit bedeutet. Und persönlich denke ich, das diese Form der Globalisierung sehr gefährlich ist für unseren Planeten, deshalb bin ich auch dagegen. Die Zukunft, die sie uns aufzwingen wollen ist nicht gut für meine Kinder. Daran glaube ich wirklich und dagegen kämpfe ich. Ich kämpfe nicht gegen die Globalisierung sondern gegen eine Diktatur.

RootZ: Erzähl doch mal ein bisschen mehr von Genua, du hast dort gespielt, wie war das?

Manu Chao: Gut, wir sind zweimal in Genua aufgetreten, das erste Mal ungefähr einen Monat vor dem G8 Gipfel auf einem Festival. Die Hälfte von dem Geld haben wir dann dem Social Forum in Genua gegeben, um damit die „ Bar Clandestino“ zu finanzieren, die während der Demonstrationen Wasser und Essen an die Menschen verteilte. Das war eine wirklich gute Sache, die wir mit vielen Leuten aus Genua organisiert haben. Nach dem 18. haben wir dann noch eine zweite Show in Genua gemacht, auch um Geld zu verdienen, davon ging dann ziemlich viel an die Anwälte der Demonstranten, an die Clandestino Community in Genua und an andere Sachen die mit der Demonstration zutun hatten.

RootZ: Was ist denn eigentlich bei eurem Gig in Mailand passiert? Stimmt es, dass die Polizei das Backstage gestürmt hat?

Manu Chao: Ja, in Italien war die Polizei überall. Ich glaube sogar, dass sie was in Genua beim G8 Gipfel passierte mehr oder weniger geplant hatten. Und sie haben bekommen, was sie wollten. 3 – 4 Wochen vor dem G8 gab es schon diese Art Aufruhr und die Polizei nutzte die Gelegenheit um bekannt zu geben, dass die Leichensäcke in Genua schon vorbereitet seien. Damit wollten sie wohl international deutlich machen „ fahrt nicht nach Genua, es wird euch dort rohe Gewalt erwarten“. Das war ihre Message, mit der Absicht die Leute einzuschüchtern um sie davon abzuhalten überhaupt erst nach Genua zu fahren. Das war wirklich alles geplant, was ja eigentlich auch nichts Neues ist, keine neue Vorgehensweise. Es ist ja schon seit 20 Jahren auf jeder Demonstration das Gleiche. Was wirklich krass war, war dass die italienische Regierung und die Polizei von vorneherein alle Menschen die nach Genua kamen, als Terroristen angesehen haben. Und gleichzeitig aber werden den 200 wirklich gefährlichen, gewalttätigen Leuten dort, diejenigen, die die  Polizei in und auswendig kennt, alle Freiheiten gelassen. Die lassen sie in Ruhe, weil sie mit denen sicherlich eine Art Abkommen haben. Dafür verschwenden sie ihre Zeit damit, alle anderen als Terroristen zu bezeichnen und sie auch so zu behandeln. Alle Leute,die zu meinen Konzerten kommen werden behandelt wie Terroristen, ich werde behandelt wie ein Terrorist...bei jedem  Manu Chao Konzert in Italien war eine ganze Armee von Polizisten. Jeder der in Italien auf eines der Konzerte gekommen ist wurde von Polizeiwagen, Hunden und Schusswaffen begrüßt, und wie ein Terrorist behandelt. Es gab natürlich auch Hausdurchsuchungen und zwar bei denen, die meine Italien Tour organisiert haben und bei Virgin Records in Rom. Die suchen Terroristen also bei Virgin in Rom...total bescheuert...na ja und sie suchen die Terroristen natürlich auch auf meinen Konzerten...noch bescheuerter...ich gebe seit zehn Jahren Konzerte und hatte noch nicht einmal Probleme wegen Gewalt bei meinen Shows. Die stecken also ihre gesamte Energie in die Suche nach Terroristen, wo sie keine finden. Die 200 oder 300 wahren Terroristen die lassen sie aber schön in Ruhe, weil sie sie brauchen......
 
RootZ: Hast du auch gehört, wie die Menschen in Genua  auch ziemlich derbe beschimpft wurden,  mit Ausdrücken wie Arschloch, Drecksau usw. und mit Manu Chao. „ Hier nimm das, Manu Chao!“ oder „ Dir werde ich es schon zeigen, Manu Chao!“ ? Das muss man sich mal vorstellen...

Manu Chao: Ja, klar habe ich das gehört, in Italien gab es diese Typen auch unter den Journalisten bei der Pressekonferenz, sogar da war ein Bulle dabei und als wir dann auf das G8 Thema zu sprechen kamen habe ich eben erklärt was ich denke, aber natürlich habe ich keine Beweise. Keine Beweise dafür, dass die Polizei und die Leute die wirklich Ärger machen unter einer Decke stecken...aber es wird bald Beweise geben. Da sind die Journalisten aufgewacht und haben gefragt: „ Kannst du das mit absoluter Sicherheit behaupten?“. „Nein“, habe ich geantwortet, „aber das wird sich sicherlich innerhalb der nächsten paar Tage zeigen“. Der Typ war ein Bulle. Bei uns war wirklich alles voller Polizei, sogar beim Essen, und das Problem waren doch nicht wir....und es waren auch nicht die vielen Leute, die sie verprügelt und zusammengeschlagen haben. Zu einer solchen Reaktion gab es keinerlei Anlass, es war absolut absurd und überflüssig. Aber die Sache hat sich gewandelt, jetzt protestieren viele Menschen dagegen. Außerdem ist haben sie nicht wirklich das erreicht, was sie damit bezwecken wollten...es werden zu viele Fragen gestellt und das internationale Interesse an der Angelegenheit ist zu groß. Aber sogar jetzt sitzen noch Demonstranten in den Gefängnissen dort...das ist der wahre Terrorismus...diese Jungs sitzen ohne jegliche rechtliche Grundlage.

RootZ: Aber im Moment wird auf internationaler Ebene ziemlich viel Druck gemacht....

Manu Chao: Und das ist gut so...es wird noch ein wenig dauern aber sie werden nicht das erreichen was sie ursprünglich wollten, ihr Plan geht nicht auf, denn die Leute reden...
 
RootZ: Waren aber nicht genau diejenigen, die jetzt Druck machen auch in Genua?
Ist das nicht alles eher Teil der politischen Inszenierung?

Manu Chao: Ja, klar ist es Teil des großen politischen Spiels....in Europa sind doch jetzt auch die politischen Oppositionsparteien, also die, die nicht an der Regierung sind gegen die Globalisierung....alles nur blahblah...es ist schon eine verdrehte Welt...

RootZ: Was hältst du denn so davon was sich in Barcelona so abspielt? Hat die Polizei nicht in deinem Viertel, am Plaza Tripi, Kameras aufgestellt? Und ist nicht auch dort die Polizei stets präsent?

Manu Chao: Ihr seid ja ziemlich gut informiert...ja mein Barrio, der Plaza George Orwell, es ist wirklich komisch, dieser Platz ist mein Büro und jetzt ist er komplett Videoüberwacht. Die Polizei ist da eigentlich schon immer, aber jetzt gibt es eben auch noch die Kameras. Man versteht eigentlich nie, was das alles soll...denn wenn Menschen auf dem Platz beklaut oder ausgeraubt werden, dann macht die Polizei gar nichts. Aber jedes Mal wenn man da ist und eigentlich gar nichts tut, eine Gitarre dabei hat, dann kommen sofort vier, fünf oder zehn Polizisten auf einen zu....die bekämpfen nie die wahren Probleme. So ist das in Barcelona, das ist unser Alltag am Plaza Tripi...aber es ist mein Viertel und ich liebe mein Viertel.

RootZ: Ist Barcelona der einzige Ort in Europa an dem du leben willst?

Manu Chao: In Europa, vielleicht, ja. 

RootZ: Warum magst du die spanisch sprechenden Länder Südamerikas so sehr?

Manu Chao: Es sind eben spanisch sprechende Länder und es ist leicht für mich mit den Menschen dort zu kommunizieren....für mich ist das die einfachste Möglichkeit, aber ich reise auch gerne durch Afrika oder andere Länder...ich mag auch Brasilien und ich liebe die portugiesische Sprache. In Portugal würde ich eigentlich auch gerne leben. Vielleicht ziehe ich irgendwann nach Lissabon.

RootZ: Wie ist das denn mit der Zusammenarbeit mit anderen Musikern heute so? Du bist ja jetzt schon recht bekannt, kommen die Leute auf dich zu und fragen dich ob ihr nicht einmal zusammen arbeiten wollt, oder suchst du dir Bands bzw. Musiker aus die dir gefallen und gehst dann auf sie zu?

Manu Chao: Das passiert immer eher zufällig...wenn ich gefragt werde ob ich mit jemandem zusammen etwas aufnehmen will, dann antworte ich immer „ okay, mein Freund, wenn du das Studio hier hast, gerne. Wenn du mir aber sagst vielleicht so in 2 Monaten, dann kann ich dir leider nicht sagen, was ich in 2 Monaten machen werde.“ Das ist unmöglich, ich kann mich nicht nach irgendeinem Terminplan richten.

RootZ: Gibt es denn noch Künstler mit denen du gerne etwas machen willst?

Manu Chao: Ja, klar,  aber immer wenn ich etwas mit jemandem zusammen mache, dann unterhalten wir uns und das Studio ist da, also können wir sofort etwas aufnehmen, wir haben Zeit und können es machen. Wenn ich aber einen Termin machen soll dann sage ich nein, denn wenn ich einem Termin zustimme, dann müsste ich ihn vielleicht 2 Monate später wieder canceln, weil ich in Indien bin oder sonst irgendwo...deshalb plane ich weder beruflich noch privat mehr als jeweils die nächsten 3 Monate...alles was ich innerhalb dieser 3 Monate geplant habe kann ich dann auch durchführen und da werde ich dann auch meine Meinung nicht ändern. Es ist mir persönlich aber sehr wichtig, dass ich alle 3 Monate dann wieder frei habe und mir aussuchen kann, was ich tun will. Ob ich jetzt im Business bleiben will, ob ich reisen will, ob ich Kinder haben will oder ob ich eine neue Platte aufnehme, mit jemandem zusammen etwas auf die Beine stelle...aber es ist mir einfach wichtig, dass mir alle 3 Monate dann wieder alle Wege offen stehen. Das ist für mich der beste Weg mich vor allem zu schützen, es ist mein persönlicher Luxus. Die nächsten 3 Monate beginnen nach der Tour, am 1. Oktober. Ich habe keine Ahnung was ich ab dem 1.Oktober machen werde und das ist gut so. Ich sage den Leuten die mit Projekten an mich herantreten“ ruft mich im Oktober an“, und erst dann werde ich entscheiden was ich tue. Im Moment will ich gar nichts entscheiden, Oktober ist dann das Ende der Welt bzw. der Anfang einer neuen Welt, zumindest für mich.

RootZ: Dann hast du also auch kein neues Album geplant?

Manu Chao: Nein.

RootZ: Hast du auch keinen Vertrag mit Virgin?

Manu Chao: Natürlich habe ich einen Vertrag mit Virgin, auch für ein neues Album, aber nicht im Oktober, sondern wenn ich Lust dazu habe. Wenn ich mich jetzt aber im Oktober entschließe nie wieder ein Album aufzunehmen, was bedeutet schon ein Vertrag...aber ich will eigentlich schon noch mehr Alben machen. Nur falls ich nicht mehr will, dann werde ich es auch auf gar keinen Fall tun. Oder vielleicht tue ich es doch und mache ein richtig scheußliches, grauenhaftes Album, das niemand verkaufen kann. Nein aber das ist eigentlich nicht zu befürchten, denn ich will noch sehr viel Musik machen.

RootZ: Hast du eigentlich 100% künstlerische Freiheit bei Virgin? Man hört ja oft Beschwerden von Künstlern, dass die Plattenfirmen sie an der kurzen Leine halten...wenn man aber bei Virgin nach Manu Chao fragt, sagen sie „ wir können da gar nichts machen, das entscheidet er alles selbst...“
 
Manu Chao: Ja, das ist ein täglicher Kampf. Auch ein Kampf um die Vertragsbestimmungen, natürlich. Sie können mich musikalisch zu nichts zwingen, nicht ein mal bei der Vermarktung. Im Moment gibt es in Europa keinerlei Werbung im Fernsehen für das Album, Virgin wollte das machen, aber ich habe gesagt, „ Nein, das will ich nicht“. Ich entscheide also sogar wie das Album verkauft wird. Das steht in meinem Vertrag. So ein Vertrag ist aber noch lange nicht alles, man muss ständig aufpassen, was passiert. Mit Virgin arbeite ich jetzt schon sehr lange zusammen und sie kennen mich, sie wissen sehr genau, dass ich, wenn wir etwas tun sollen was mir nicht gefällt, nichts tun werde. Dass ich nicht produktiv sein kann, wenn ich nicht überzeugt von einer Sache bin. Dann stagniert einfach alles und das wissen sie. Also mache ich was ich will und wenn ich damit fertig bin dann bekommen sie es.

RootZ: Wie setzt sich denn deine Band zusammen, ist es ein konstanter Wechsel oder wie läuft das?

Manu Chao: Ja klar, alles ändert sich dauernd. Wie gesagt, im Oktober ist Schluss und unsere Wege werden sich trennen. Das ist unsere Politik seit 3 oder 4 Jahren, seit Radio Bemba. Jede Tour ist die letzte Tour. Es ist wie ein Ritual, die letzte Show bei einer Tour ist das offizielle Ende der Zusammenarbeit. Es ist sehr wichtig, das ist unsere Art und Weise gegen die Routine und den Alltag zu kämpfen. Natürlich ist die Show gut und die Band ist, wie schon gesagt, die beste Band die ich jemals hatte. Trotzdem, im Oktober ist Schluss. Um uns dann, wenn alle dazu bereit sind und Lust haben wieder zusammen zu tun und vielleicht wieder auf Tour zu gehen, wenn nicht, dann eben nicht. Dann ist es vielleicht an der Zeit eine neue Band zu suchen.

RootZ: Willst du das dein ganzes Leben so weitermachen? Ist das nicht auch auf Dauer anstrengend diese Auffrischung so beizubehalten?

Manu Chao: Ich denke ich weiß jetzt, wie ich es immer frisch halten kann, ich habe in meinem Leben schon viele Fehler gemacht, in privater wie auch in beruflicher Hinsicht, ich habe mich auf Sachen versteift und daran festgehalten, und das hat allem den Reiz genommen. Da bin ich durch und ich weiß jetzt wie ich alles frisch und reizvoll erhalten kann. Es ist ein Kampf gegen die Routine, gegen den Alltag. Der Alltag ist mein schlimmster Feind. Man muss Risiken eingehen um dagegen anzukommen. Risiken einzugehen ist immer gut, und die Risiken die ich eingehe bedrohen ja nicht mein Leben oder so etwas...

RootZ: Hast du also das perfekte System um der Routine zu entkommen?

Manu Chao: Ein System ist es eigentlich nicht, eher ein paar Prinzipien, wie zum Beispiel eine Band nie zu Lange zu behalten, es ist sehr wichtig, dass jede Tour die letzte ist, darauf bestehe ich...oder mein 3 Monatsplan, auch darauf bestehe ich, der Rest ist nicht so wichtig, wenn ich das aufrecht erhalte dann komme ich mit allem anderen schon klar. Es kann leicht passieren, dass ich eines Tages einfach nicht mehr klar komme, dass ich mich wie eine Marionette fühle...dann habe ich aber den Ausstieg schon in Aussicht. Wenn ich mich jetzt heute Nacht, morgen oder in drei Tagen wie eine Marionette fühle, dann beende ich was ich angefangen habe und im Oktober ist dann Schluss. Ich kann immer ziemlich schnell aussteigen, und das ist mir wirklich wichtig, denn wenn ich mich über 2 Jahre verplanen lassen würde, dann müsste ich über 2 Jahre so weitermachen, obwohl ich unzufrieden damit bin und für mich wäre das schrecklich. Im Moment macht es uns viel Spaß, die Tour war eine wunderschöne Erfahrung und wir würden gerne noch weitermachen, aber im Oktober ist Schluss.

RootZ: Wo wir gerade über Erfahrungen sprechen, du warst in New York, im Central Park, war das dein erstes Mal in den Vereinigten Staaten?

Manu Chao: Nein, ich war schon einmal dort, mit Radio Bemba, im Dezember, da waren wir vor unserer Tour in Mexiko in LA. Mit Radio Bemba war ich das erste Mal in New York, früher war ich öfter da, mit Mano Negra.

RootZ: Wie hat es dir da gefallen, kennen dich die Menschen da auch so, wie sie dich hier kennen?
 
Manu Chao: Es ist ein sehr großer Unterschied zu Europa, sogar die Arbeitsweise ist sehr verschieden. Für uns ist es ziemlich seltsam jetzt in Europa und in den USA zu touren.  Das habe ich auch dort bei der Pressekonferenz gesagt. Sie haben mich natürlich gefragt, ob es Unterschiede gibt in den USA. „Natürlich“, habe ich geantwortet,“ der Unterschied ist zu groß, in technischer Hinsicht haben wir die schlechtesten Bedingungen während der ganzen Tour und wir verdienen am schlechtesten, obwohl wir im reichsten Land der Welt sind, natürlich ist es sehr verschieden und ich weiß nicht ob wir so bald wieder kommen“. 

Das Publikum war großartig, New York ist eine unglaubliche Stadt, ich liebe diese Stadt, es ist Babylon, jeder ist da, es war unglaublich, bei unserer Show in New York waren sehr viele Menschen aus Südamerika, Mexikaner, Argentinier, Puerto Ricaner, Franzosen, viele Osteuropäer, wir spielten mit einer Band aus der Ukraine...das ist einfach unglaublich an New York. Ich persönlich empfinde es auch jedes Mal ein bisschen befriedigend in den USA zu spielen, weil als wir mit Mano Negra anfingen zu touren haben sie uns auch oft in die Vereinigten Staaten eingeladen aber wir lehnten das ziemlich bald ab. Man wollte uns dort unsere Arbeitsweise vorschreiben und das gefiel uns nicht. Wir hatten viel Stress deshalb, weil wir uns keine veraltete Arbeitsweise vorschreiben lassen wollten.  Es ist das einzige Land, dass versucht einem alles vorzuschreiben. Wir wollten unsere Energie nicht darauf verschwenden gegen überflüssige Auflagen, technische oder firmenrechtliche Probleme zu kämpfen. Das ist doch Scheiße. Es gibt so viele Länder, wenn ihr uns nicht so wollt wie wir sind, dann kommen wir eben nicht mehr. So war das mit Mano Negra, die Plattenfirma hat uns gesagt ihr müsst in die USA gehen, da schafft ihr den Durchbruch...aber wir haben gesagt „ Nein, das kostet uns zuviel Energie, wir müssen uns wegen Dummheiten herumstreiten...“ Und das schadet uns, da wir unsere Energie nicht in etwas positives stecken können. Die Erfahrung, die ich in den USA gemacht habe, ist das alles nach einer gewissen Hierarchie abläuft, wie bei der Army. Der unberührbare Star steht an der Spitze, dann kommt sein Manager, dann vielleicht die Band, die Techniker usw. das ist eine Hierarchie wie in der Army. Die meisten Rock Bands in den USA arbeiten wie das Militär. Sie versuchen uns zu verstehen zu geben, dass das die einzig wahre Arbeitsweise ist. Die können mich am Arsch lecken. Wenn man also in die USA kommt, anders arbeitet und sie bemerken, dass man anders arbeitet, dann wird man wie ein Stück Scheiße behandelt. Sie sagen dir „ du bist nicht professionell..“. Die können mich echt am Arsch lecken....sie sind nicht mehr die Profis der ganzen Welt. Sie arbeiten nach einem antiquierten Schema...ich habe keine Lust das zu übernehmen, so hat mein Opa gearbeitet. Die Zeiten sind vorbei. Da ist es hier in Deutschland professioneller, oder in Holland, oder in Brasilien...na ja lassen wir das Thema lieber.

RootZ: Du warst sehr lange nicht hier, ist Deutschland ein kulturelles Gebiet, das dich eher weniger interessiert?

Manu Chao: Ich interessiere mich für alles. Ich war seit zehn Jahren nicht in Deutschland, ich war aber auch seit zehn Jahren weder in Frankreich noch in Italien...nicht in Europa. Ich spiele jetzt seit zwei Jahren mit Radio Bemba und wir haben drei Tourneen gemacht, mit verschiedenen Bands aber immer mit Radio Bemba. Die ersten beiden Tourneen waren in Südamerika, wir haben also, bevor wir nach Europa gekommen sind, in ganz Südamerika getourt. Das war mir auch sehr wichtig, denn die Musiker sind teilweise aus Europa und hatten nie die Möglichkeit zu reisen. Da meine Musik und meine Platten aber sehr von dem Leben und der Realität in Südamerika beeinflusst sind, war es mir wirklich wichtig, dass alle meine Musiker das Leben kennen, von dem sie singen, vor einer Tour in Europa.

RootZ: Mal eine Frage zu deinen Wurzeln, bist du im Baskenland geboren?

Manu Chao: Nein, in Paris. Meine Mutter ist aus Bilbao im Baskenland. Mein Vater aus Galizien. 
 
RootZ: Macht sich das in deinem Charakter bemerkbar? Hast du typische Eigenschaften geerbt und glaubst du an Magie, Hexen und so weiter?

Manu Chao: Ich glaube schon, dass mein Charakter dadurch beeinflusst wurde, ich glaube aber nur an das was ich auch sehe, obwohl mir in meinem Leben schon ein paar Hexen begegnet sind.

RootZ: Wann hast du Frankreich verlassen, und worin besteht deine heutige Verbindung mit Frankreich?

Manu Chao: Ich bin dort geboren und aufgewachsen, also habe ich bestimmt eine französische Kultur. Jetzt habe ich Frankreich verlassen, es ist so ein bisschen depressiv. Ganz Europa ist ziemlich depressiv.

RootZ: Barcelona nicht?

Manu Chao: Doch, das kommt jetzt, Europa kommt. Es gibt eine Art europäischen Lebensstil, den sie versuchen jedem aufzuzwingen. Das kommt jetzt nach und nach auch bis nach Spanien. Großstädte wie Barcelona oder Madrid sind jetzt schon sehr europäische Städte. Aber auf dem Land wird das nicht so einfach sein. Ich persönlich glaube, dass die einzigen Länder, die durch ihre Art zu Leben Widerstand leisten, die sich nicht an die Normen Brüssels anpassen, der Norden Spaniens ist. Von Pamplona bis Cabo Finisterre in Galizien. Das ist meiner Meinung nach das einzige Land, dass in Europa bestehen bleibt. Dort leben die Menschen noch auf eine natürliche Weise in sozialen Strukturen. Aber wer weiß, wie lange noch...für mich ist der Norden Spaniens wie das Dorf von Asterix und Obelix. Es gibt da ein zwischenmenschliches Leben, keine Viertel, wo nur Alte oder nur Junge Menschen leben, sondern alle zusammen. Das ist wirklich wichtig, ich glaube deshalb ist Europa auch so depressiv, in Europa kennt man diese Art des Zusammenlebens gar nicht mehr.

RootZ: Vor ein paar Jahren warst du da ziemlich engagiert in dieser Region, du hast Veranstaltungen organisiert, was genau war das?
 
 
Manu Chao: Ja, das war eine Art Zirkus, das Projekt hieß „ La Feria de las Mentiras“. Das war eine Art Mischung aus allem. Wir haben das im Norden Spaniens organisiert, in Galizien. 
Dort muss man den Menschen nicht erklären, wie man feiert. Damit meine ich auf eine soziale Art und Weise zu feiern, alle zusammen. Am Wochenende gehen dort alle aus, nicht nur die Jungen, alle zusammen, Kinder, alte Menschen, Bauern, man kann dort einen Mann vom Land zusammen mit einem Punk Wein trinken sehen und solche Sachen. Das ist mir wichtig, das ist es was mir an Europa fehlt. Ich kann in Europa nicht mehr leben, da sterbe ich innerlich. In Spanien kann ich noch leben, weil ich dort noch eine Art Zusammenhalt spüren kann, okay, wir leben im selben Land oder im selben Viertel oder in der selben Straße. Das mag ich auch an meinem Viertel in Barcelona. Es gibt da eine Art nachbarschaftliches Gemeinschaftsgefühl.

RootZ: Im Moment bist du aber nicht wirklich viel in Barcelona, oder?

Manu Chao: Im Moment nicht, aber ich war gerade zwei Wochen da, ich komme gerade von dort. Aber das Problem mit Europa ist, dass Europa alt wird.

RootZ: Findest du denn gar nichts positives an Europa, was ist zum Beispiel mit den Protestaktionen wie in Genua? Veranstaltungen wie diese waren vor ein paar Jahren, nach Ende des kalten Krieges, vollkommen von der Bildfläche verschwunden...

Manu Chao: Klar ist das etwas positives, aber das ist eine eher allgemeine Bewegung, die Leute haben auch in Mexiko, in Brasilien oder in Seattle demonstriert. Das hat nicht ausschließlich etwas mit Europa zu tun. Jeder auf unserer Welt, der sich Gedanken um unsere Zukunft macht, gelangt zu dem Bewusstsein, dass der Weg einer wirtschaftlichen Globalisierung, den man uns aufzwingen will, ein kollektiver Selbstmord wäre.

RootZ: Wen meinst du denn eigentlich mit „ man“ bzw. „sie“? Sind es die Investment Banker, die sind ja eigentlich auch an eine Art System gebunden, nach dem sie vorgehen müssen...

Manu Chao: Wenn ich von man bzw. ihnen spreche, dann weiß ich auch nicht genau wer sie sind. Was wirklich gefährlich ist bei der New Economy, bei dieser Art der Diktatur ist die Tatsache, dass es kein Gesicht gibt, keinen Feind, keinen Verantwortlichen. Genauso ist es auch bei meiner Plattenfirma, wenn da etwas schief läuft, dann ist fühlt sich keiner verantwortlich, jeder schiebt einem anderen die Schuld in die Schuhe und man findet niemanden der sich der Verantwortung stellt. So arbeiten sie und daraus resultiert ihre Stärke.

RootZ: Du hast gerade gesagt, dass die Menschen ein gewisses Bewusstsein erlangen, aber eine Vorraussetzung dafür ist Information. Wie informierst du dich, über Fernsehen, Zeitungen, oder sprichst du mit den Menschen?
 
 
Manu Chao: Ich tue das alles, ich lese Zeitung, ich unterhalte mich viel mit den Menschen und sehe ziemlich viel fern, um zu sehen, wie sie denken. Natürlich, die Mehrheit der Menschen ist sehr vom Fernsehen beeinflusst. Wir nähern uns sogar einer ziemlich gefährlichen Stufe, man versteht die Menschen nicht mehr, wenn man selbst nicht fern sieht. Weil die Menschen sehr vom Fernsehen geprägt sind. Also sehe ich fern, ich spreche viel mit den Menschen, ich folge auch meiner Intuition, ich lese offizielle und alternative Zeitungen. Es gibt leider kein wirklich alternatives Fernsehen im Moment, aber dafür gibt es das Internet.
Auch die Erziehung hat sehr viel mit dem Fernsehen zu tun. Das ist nicht nur in Europa ein Problem, sondern weltweit. Das macht mir wirklich Angst, es ist schrecklich. Man kann das in den Peripherien der Großstädte auf der ganzen Welt beobachten. Die Erziehung liegt nicht mehr in den Händen der Familie, die Zeiten sind vorbei. Auch die Schule hat kaum mehr Einfluss, es ist einzig und allein das Fernsehen. 

Das Einzige woran die Kids heute noch glauben ist die Glotze. Und das ist meiner Meinung nach wirklich gefährlich, denn das Fernsehen hat vor nichts und niemandem Respekt. Also werden unsere Kinder dazu erzogen nichts zu respektieren. Die Gefahr, die dadurch herauf beschworen wurde, kann man weltweit in allen Vierteln der Städte beobachten. In Brasilien, in Frankreich, in Spanien, ich weiß nicht, wie es in Deutschland aussieht...es wächst jetzt ein Art Mutanten Generation heran, sie sind zwischen 10 und 14 Jahre alt und es sind Mutanten. Sie lassen sich von keinem etwas sagen, weder die Familie, noch ihre Geschwister haben Einfluss auf sie. Überall wo ich war sagen 20 bis 25 jährige, dass sie nicht wissen, wie sie mit ihren kleinen Geschwistern umgehen sollen. Die sind einfach unnahbar. Ständig, auf der ganzen Welt. Diese Generation ist wirklich krass. Sie wurden vom Fernsehen erzogen. Falls ich eines Tages Politiker sein sollte, dann wäre mein erstes Ziel die Erziehung der Jugendlichen aus der Reichweite des Fernsehens zu schaffen, - ich weiß das ist unmöglich, aber ich würde es versuchen - oder zumindest das Fernsehen zu ändern. Die Gewalt im Fernsehen ist allgegenwärtig, viel mehr als in der wirklichen Leben. Die tägliche Todes – bzw. Mordrate im Fernsehen ist unglaublich hoch. Die Kids sehen das und denken im wahren Leben ist es genauso, und wenn man jetzt in den  Städten in Brasilien oder sonst irgendwo ist, dann merkt man: ein Leben ist dort nichts wert...peng peng, tot. Auch in Europa, heute ist ein Mord etwas normales, das man jeden Tag im Fernsehen sehen kann. Jedoch stimmen die Verhältnisse zwischen den Morden im Fernsehen und denen im wahren Leben nicht überein. Da könnten sie ja vielleicht täglich nur einen Mord zeigen....Durch dieses Missverhältnis aber machen sie die Gewalt zu einem wichtigen Bestandteil unseres Lebens...Immer wenn man einen Film anschaut, oder den Fernseher einschaltet, dann gibt es nur Gewalt, Gewalt, Gewalt. Das wahre Leben hingegen ist eigentlich gar nicht so Gewalt geprägt. Zumindest an den meisten Orten.

RootZ: In welchem Viertel von Paris bist du denn aufgewachsen und wie lange warst du dort?

Manu Chao: Die U- Bahn Station heißt Ponte Sep. Ich habe dort 25 Jahre lang gelebt.

RootZ: Wie bist du denn dann nach Südamerika gekommen?

Manu Chao: Das war mit Mano Negra. Uns wurde angeboten dort zu spielen, und wir haben die Gelegenheit natürlich genutzt. Das erste Mal, als ich dort war waren wir in Peru, Lima. Dann sind wir immer öfter dort hingefahren. Umso öfter man in Südamerika ist, umso klarer wird einem, dass man keine Ahnung von Südamerika hat. Man muss wirklich oft dort sein.

RootZ: Du warst auch in Afrika, oder? Wo?

Manu Chao: Ich war in Nordafrika, Algerien, Marokko, Ägypten, Senegal, Mali, das war´s. 
Es gibt gute Musik dort, ich benutze auch Elemente afrikanischer Musik. Eigentlich war ich das erste Mal in Paris in Afrika, und das zweite Mal war in Südamerika, in Kolumbien. Danach war ich erst im wirklichen Afrika. Aber die afrikanischen Traditionen, das Essen und die afrikanische Gastfreundschaft habe ich schon in Paris kennen gelernt. Das sollten die Europäer von den afrikanischen Familien lernen. In Sachen Gastfreundschaft könnten sie sich ruhig eine Scheibe abschneiden. Das lernt man nicht in einer europäischen Familie, man sollte einmal in einer afrikanischen Familie gewesen sein um das wirklich zu verstehen.


 

Copyright Text: Nadine Z. / Dr. Igüz / Photos / Layout: Dr. Igüz 1998 - 2001 Zum Seitenanfang