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Interview mit David Rodigan
Essen, 20. Oktober 2001
Rema Plaza Hotel
Von Ralf Weihrauch

Der Reggae-Ambassador bittet zur Audienz in seinem Hotelzimmer im Rema Plaza Hotel in Essen. Es ist halb zwölf, noch eineinhalb Stunden bis zur Show im Cafe Cuba. Frisch geduscht, einen Duft aufgelegt, der meine Frau Evi sofort betört, und sich gleich für eventuellen Knoblauch-Mundgeruch durch die gerade verspeiste Pizza entschuldigend, öffnet David Rodigan die Tür.

Im Fernsehen läuft Eurosport, doch der höfliche Engländer schaltet den Apparat sofort aus. Obwohl ich ihn schon etliche Male on Stage erlebt habe – wenn mir David Rodigan  gegenübersitzt, ist es immer noch schwer zu glauben, dass dieser Mann den Reggae in Europa beeinflusst und nach vorne gebracht hat, wie kein anderer. Er wirkt eher wie jemand, der einem gleich einen Antrag auf Steuerrückerstattung über den Tisch schiebt.
 
David rückt das Bild aber schnell gerade: „Ich will bald das Bunny Wailer Interview auf meiner Webseite  veröffentlichen. Die technischen Details müssen noch geklärt werden. Das Interview dauert nämlich fast drei Stunden. Das wird wohl zuviel für eine einzige Datei.“ Mit glänzenden Augen schildert er noch einmal wie er Bunny Wailer zum ersten Mal Mitte der 70er auf Jamaika getroffen hat und krass abgeblitzt ist. Erst durch Junior Delgado kam der Kontakt zustande und dann auch das schon klassische Interview.

David Rodigan hat die Geschichte des Reggae von Anfang an erlebt: „Ich bin in den 50er Jahren geboren. So war ich in den 60ern als die Musik, Bluebeat und Ska, geboren und  modern wurde ein Teenager und begeisterte mich sofort dafür. Ich begann Platten zu sammeln.“ Der langhaarige Jugendliche gab sein gesamtes Taschengeld, das Geld aus seinen Sonntagsjobs und das Geld, das er durch Zeitung austragen verdiente, jede Woche für die neuesten Scheiben aus: „Ska ,Bluebeat und American Urban Music, das heißt Soul. So wurde ich ein Plattensammler und bin es heute immer noch. In den 35 Jahren habe ich das Glück gehabt, meine Freude an der Musik mit gleichgesinnten Seelen zu teilen.“

Sein Medium war das Radio: „Ich liebe Radio. Schon als Kind habe ich den Tuner-Knopf rauf und runter gedreht, habe mir die Länder aus denen die Sendungen kamen und Leute vorgestellt, die die Sendungen machten.“

Und genau das hat ihn auch fasziniert als er 1978 selber auf Sendung ging: „Bei der BBC habe ich Sonntag eine Lunch-Time Show bekommen, die hieß „The Reggae Time“. 1979 fing ich bei Capitol Radio an, wo ich elf Jahre blieb. Jeden Samstag gab es dann „Roots Rockers. Während diese Zeit bin ich nach Jamaika geflogen und habe dort im Radio Clashes mit Barry G. gemacht. Nach BFBS ging ich 1984 um da eine Reggae Sendung zu machen.“ Rodigans Rockers war zu Beginn eine reine Reggae-Sendung. Mitte der 90er entschied das Management aber das Programm zu ändern: „Die Musik sollte vielfältiger werden mit R&B und Soul . Ich war mit der Entscheidung einverstanden. Die Reggae-Fans, besonders die in Deutschland, waren damit aber überhaupt nicht einverstanden. Wenn ich das aber nicht gemacht hätte, gäbe es überhaupt keine Reggae mehr.“
 

In diesem Jahr hat die Sendeleitung durch eine Hörerumfrage festgestellt, dass die Spezialisten-Shows bei den britischen Streitkräften nicht mehr so beliebt sind. „Ich mache jetzt zwei Shows, samstags und sonntags von 23 bis 1.Uhr die noch mehr `cosmopolitan` sind. Des weiteren gab es seit 1990 bis 1999 meine mein Daytime-Shows auf Kiss FM, in denen ich alles von House bis Drum und Bass und Reggae alles gespielt habe. Seit 1999 mach ich nur noch meine Reggae Show, In New York mach ich dann noch meine Show London Calling.

Die Reduzierung auf die Special-Shows bedeutet für David Rodigan, dass er nun mehr touren konnte: „Ich wollte das schon immer machen, doch wenn ich samstags in New York auflegte, war es unmöglich montags wieder im Radiostudio zu sitzen. Dabei ging dann eine Menge Urlaub drauf.“
Rodigan hatte eigentlich gar nicht vor, DJ zu werden: „Zumindest kein flippiger Radio DJ. Doch ich muss zurückblickend sagen, dass ich schon in jungen Jahren das brennende Verlangen hatte, die Leute mit Musik zu begeistern. 

Als Kind habe ich auf meinen kleinen tragbaren Plattenspieler in meinem Zimmer die Lautstärke voll aufgedreht, das Fenster aufgedreht und geguckt, ob einer guckt und sagt: „Oh Mann, was für eine fantastische Platte. Ich war also damals schon ein frustrierter, verkappter DJ. In der Schule gab es einen Art-Club. Um diesen zu finanzieren, veranstalteten wir donnerstags in der Turnhalle eine Disco. Da legte er dann Guns of Navarone oder I`m a Soulman auf.“

Schnell wurde er, wegen seiner berüchtigten Vinyl-Sammlung, auf Geburtstagsparty eingeladen um dort den DJ zu spielen: „Ich stand dann in der Ecke und spielte meine Musik. Es war die allein die Freude und die Gelegenheit, meinen Spaß an der Musik mit anderen zu teilen. Wenn ich nur die halbe Chance hatte, habe ich jeden zu Tode gelangweilt.“

Anfang der 70er, als David zum College ging, war es dann schwieriger, sich als Reggae-Fan zu outen: „Die Skinheads hatten damals die Musik übernommen. Deren faschistischen Element, Rassismus gegen Pakistani und Inder, brachte ein Imageproblem für die Musik. Als langhaariger, bärtiger Student Reggae zu mögen, war überhaupt nicht mehr im Trend, sondern super uncool.“ Das änderte sich aber alles 1973 als das „Catch a Fire“-Album von Bob Marley herauskam: Reggae war wieder cool, hip und der Guardian schrieb darüber. Ich hatte meine riesige Plattensammlung und spielte wieder überall mit meinem tragbaren Plattenspieler.“

Fast wäre er aber doch nicht der Reggae-DJ geworden, den heute die Welt bewundert: „Ich habe im Theater als Schauspieler gearbeitet. Und mir wurde ein 1974 Job als Lehrer in einer Schule angenommen. Ich hätte Sicherheit gehabt, ein regelmäßiges Einkommen, Urlaub und ein Auto. Doch las 24-Jähriger war mir das zuviel Sicherheit und in letzter Minute habe ich mich dagegen entschieden“
Er wollte Schauspieler und Mitglieder der Royal Shakespeare Company sein: „Ich habe viel Shakespeare gespielt. Als ich „Der Sturm“ im Victoria Theater in Stoke on Trent spielte, habe ich mich Freitags nach der Aufführung schnell abgeschminkt und danach in dem örtlichen westindischen Club Platten aufgelegt.“ 
 

Während der ganzen Zeit hat er die Platten, die er auflegte, auch hinterher verkauft: „Ich habe bei meinen Shows den Leuten gesagt, dass sie die Platten auch kaufen können. Ich habe sie vom Großhändler zu Großhandelspreisen bekommen und sie dann zu Einzelhandelspreisen verkauft. Dann konnte ich mir weiter neue Platten kaufen.“

Als arbeitsloser Schauspieler trampte er mit einer Tasche voll Vinyl von London nach Oxford: „Wie eine Drogendealer habe ich dort am Busbahnhof meine Taschen aufgemacht und meine Platten and die Soundboys verkauft. Wenn sie die nicht mochten konnten sie sie am nächsten Wochenende wieder umtauschen oder bekamen ihr Geld zurück. Die jungen jamaikanischen Soundsystem-Leute kannten mich, da ich oft einen jamaikanischen Club in Oxford besuchte und sie vertrauten mir. Sie wussten, dass ich Ahnung von ihrer Musik hatte.“

Kurze Zeit später hat er dann einen richtigen Marktstand in Putney aufgemacht: „Meine Eltern fanden das gar nicht toll. Aber ich sagte ihnen `Was soll ich machen, ich bin Schauspieler und mache das zwischen meinen Jobs`“ Immerhin verdiente David Rodigan genug Geld, um sich ein Auto leisten zu können: „Ich brauchte 1976 dann nicht mehr nach Oxford zu trampen, sondern konnten mit meinem Morris die Autobahn hinunterrasen.“ Bis zu seinem ersten Radio-Engagement 1978 hat er dann weiter Platten verkauft, selbst wenn er einen Job hatte.

David Rodigan spielte unter anderem auch eine Rolle in der Kultserie Dr. Who, während der Colin Baker-Ära. In der Geschichte „Trial of a Time Lord” mimte er den Bösewicht Broken Tooth: „Ich wollte unbedingt auch einmal diese langen Korridore entlang lauf und erschossen werden. Am Ende wurde ich auch erschossen und das Blut lief mir über das Gesicht.“ 

Einen gravierendende Änderung gab es dann Mitte der 80er: „Mein Agent hat mich vor die Wahl gestellt, entweder Schauspieler oder Radiosprecher.“ Er hatte gerade über ein Jahr eine vierteilige Serie über den Polarforscher Shackleton abgedreht, in dem er den Offizier Frank Wild spielte abgedreht. Während des Drehs musste er immer wieder Freitagnachmittags nach London um seine Show bei Capitol-Radio zu machen. „Wir drehten in Edinburgh und um vier habe ich dann den Regisseur gesagt, dass ich nach London müsste. Der hat fast einen Nervenzusammenbruch gekriegt. Ich habe mich fast wie Woody Allen gefühlt, der auch immer für seinen Jazz-Club in New York die Dreharbeiten unterbrochen hat.“

Es war der Rhythmus, der bei David Rodigan die Begeisterung für die Reggae Musik geweckt hat: „Es war das Um-Tschaka-Um-Tschaka, das mich begeistert hat. Ich habe auch immer versucht, den Drum Roll mit den Rim Shots nachzumachen. Wenn in der Schule ein Schlagzeug in der Nähe war, habe ich dann immer getrommelt.“ Zur Demonstration trommelt er mit beiden Händen auf seinem Lederhocker. „Außerdem hat mich fasziniert, wie die Saxophonisten so lange konstant den Rhythmus halten konnten.“
 
Von den Texten auf jamaikanisch oder Patois hat er nicht allzu viel verstanden. Da sind auch dem großen Meister David Rodigan ein paar lustige Fehler passiert: „Ich habe zuerst immer gedacht „In a dancing Mood“ von Delroy Wilson hieße „I am travelling to the Moon“ von Leroy Williams. Ich bin monatelang durch die Plattenläden gerannt und habe das Stück gesucht. Eines Tages war ich gerade auf der Toilette eines Clubs, als der DJ das Stück spielte. Ich bin wie eine geölter Blitz die Treppen runtergerast, habe den Plattenteller angehalten und gerufen: `Das ist doch I am Travelling to the Moon von Leroy Williams.` Der DJ wusste gar nicht was ich von ihm wollte und er hat mir dann gesagt wie das Stück richtig heißt.“

 Doch schon vor Bob Marley gab es genügend Bands mit einer Message: „Da war Count Ossie mit seinen Drums, die Ethopians hatten eine Message. Selbst in den Instrumentals gab es eine Botschaft, so hat Prince Buster eines seiner Stücke nicht umsonst Africa genannt.“ Marley war dann natürlich der Durchbruch. 
Ist er vielleicht selber ein Rastafari? „Nein, nein, nein“, wehrt er ab, „Ich hege aber eine gewisse Bewunderung für. Sie mögen alles reine, das ital food, sind Vegetarianer. Das mag ich.“

Einer der wie David Rodigan die Geschichte des Reggae von Beginn an verfolgt hat, kann den heutigen Zustand der Musik am besten beurteilen: „Reggae stagnier t im Moment. Wo ist der neue  Sugar Minott, wo der neue Gregory Isaacs. Von den neuen Artist ist bislang keiner in der Lage mich so richtig zu begeistern. Die besten Neulinge sind für mich Morgan Heritage, wenngleich die natürlich auch keine richtigen Neulinge mehr sind.“ Luciano mag er auch und zu den besten Songs der letzten Zeit zählt er „By his deeds“ von VC. Große Stücke hält Rodigan auch T.O.K., aber eine Sache nervt ihn gewaltig;: „Ich kann diese ewige schwulenfeindlichen Texte nicht begreifen. Wie kann man von einem Thema nur so besessen sein?!“





Für die jungen deutschen Soundsystems, hat er einen wichtigen Rat parat: „Haltet die Musik pur, haltet Reggae pur. Ganz wichtig ist, dass die Sounds nicht das spielen, was sie selber mögen, sondern das, was das Publikum mag. Ich spiele auch manchmal Lieder, die ich nicht mag, doch wenn die Leute es mögen und tanzen ist das gut.“

David Rodigan ist vor kurzem 50 Jahre alt geworden, ein halbes Jahrhundert. Ist das ein Anlass über die Zukunft nachzudenken? „Ich würde gerne selber einmal Platten veröffentlichen, das war bisher nicht möglich.“ Das sei bisher bisher noch nicht möglich gewesen, als DJ könne ja nicht Sachen von seinem eigenen Label spielen.

„Es passiert auch immer öfter, dass meine Frau mich während des Essens fragt `Sag mal, wann willst Du dir eigentlich mal einen richtigen Job suchen?"
 
 Ich denke dann auch darüber nach, mir fällt aber überhaupt nichts ein, was ich anderes tun möchte Manche Leute schauen mich schon komisch an, wenn ich ihnen sage, dass ich eine DJ bin, und es ist auch schon komisch, dass ich Platten für Leute auflege, die noch nicht einmal halb so alt sind wie ich. Aber was soll ich machen. Ich bin da immer noch ein kleines Kind. Ich bin fasziniert von den schwarzen runden Dingern mit den Löchern drin.“
Dann antwortet er seiner Frau: „Ein Doktor wird ja auch nicht zu alt, um Leute zu heilen“


Copyright Text: Ralf Weihrauch / Photos: Evi Weihrauch / Doc Highüz /  Layout: Doc Highüz 2002 Zum Seitenanfang