Interview mit Mr. Gentleman

Interview
mit

Mr. Gentleman

Köln, Music Tower,
19.März 2002

von Veit König

Wenn einer eine Reise tut …

… dann kann er was erzählen.
Oder das, über was es zu berichten gibt, gleich mitbringen. Nachdem
Tilmann Otto im zarten Alter von 17 Jahren seine ersten sechs Wochen in
Jamaika verbracht hatte, war ihm klar, dass er diesen Vibe in Deutschland
unters Volk bringen muss. Unermüdlich beackerte er ein Gebiet, das
zu diesem Zeitpunkt in Deutschland noch weitestgehend als Kulturbrache
angesehen werden konnte. Damals ahnte er noch nicht, dass er 10 Jahre später
als Gentleman wesentlicher Bestandteil einer aufblühenden deutschen
Reggae-Szene sein würde. Und wenn er früher als Botschafter Jamaikas
in Deutschland agierte, so ist er nun auch zum Botschafter des deutschen
Reggae in Jamaika geworden. Unter Mitwirkung namenhafter jamaikanischer
Prominenz (Bounty Killer, Capleton, Luciano …) hat er sein neues Album
“Journey To Jah” teilweise im legendären Tuff Gong-Studio in Kingston
aufgenommen. Beginn oder Ende einer langen Reise?

 

Rootz: Wie hat
Dich der Reggaevirus erwischt? Gab es da ein besonderes Erlebnis?

Gentleman: Ein Schlüsselerlebnis
gab es nicht wirklich, wenn, dann war es Jamaika selbst. Es ist irgendwie
mehr wie eine Liebe, die sich über die Jahre verstärkt hat. Als
ich vor zehn Jahren das erste Mal in Jamaika war, war die Musik erstmal
nur Nebensache, weil ich da im Busch gewohnt hab und mir erstmal das Countrylife
angeguckt habe. Da lief natürlich auch Reggae aus dem Radio und alle
haben darüber gesprochen, aber es war eine ganz andere Erfahrung als
später in Kingston, wo an jeder Ecke ein Studio ist und jeder Typ,
der da rumläuft, entweder Bassist, Sänger oder Produzent ist,
wo alles viel komprimierter und intensiver ist. Man kann das nicht auf
ein besonderes Erlebnis reduzieren.

Rootz: Du bringst schon seit
Jahren Reggae auf deutsche Bühnen. Wie siehst Du es, daß diese
“exotische” Musik hier immer mehr Anhänger bekommt? 

Gentleman: Es gibt immer
zwei Seiten, in dem Moment, wo etwas Erfolg hat und an die breite Masse
geht. Aber man muss sich halt entscheiden. Beim Hip Hop war es auch so,
dass es zuerst ein Underground-Ding war und alle haben gesagt “wir wollen,
dass Hip Hop gross wird”, und jetzt ist Hip Hop gross und alle sprechen
von sell-out. Man muss sich fragen, was man eigentlich will. Für mich
ist klar: ich will, dass die Musik so viele Menschen erreicht, wie möglich,
und deswegen scheiß’ ich auch auf credibility. Ob es jetzt INTERAKTIV
ist oder ob ich ein Interview mit der BRAVO mache oder der BILD-ZEITUNG,
in dem Moment, wo ich mein Ding präsentieren kann, ist das Medium
sekundär, weil ich dann bei mir bin. Ich finde die Entwicklung gut,
gerade weil in den letzten zwei Jahren durch Seeed und Jan Delay und Flame
so viel in Deutschland passiert ist. Durch die deutschsprachige Reggae-Musik
ist die Musik nochmal mehr Leuten zugänglich gemacht worden, Leuten,
die sich jetzt vielleicht ein Bounty Killer-Album holen, nachdem sie sich
ein Seeed-Album gekauft haben. Es ist wirklich eine Menge passiert in den
letzten Jahren, und ich glaube, dass sich die Musik noch mehr etablieren
wird. Aber ich würde da nicht von einem Hype sprechen, denn dafür
sehe ich das schon zu lange langsam und stetig wachsen, als dass es so
schnell wieder in sich einfallen könnte.

Rootz: Du siehst also keine
Probleme zwischen der Glaubwürdigkeit des Reggae und dem kommerziellen
Erfolg?

Gentleman: Problem auseinander
genommen ist die Probe des Lebens (lacht). Hört hört! Aber wie
gesagt, es sind immer zwei Seiten, aber die eine ist halt wichtiger. Natürlich
kommt dann irgendwann viel Scheiße, es gab immer Scheiße wie
Sunshine Reggae, und es wird immer wieder Vergewaltigungen der Musik geben,
Remixe, wo sich Bob Marley im Grab rumdreht, aber die generelle Entwicklung
finde ich gut, weil ich glaube, dass die Musik den Leuten gut tut und sie
zum Nachdenken anregt.

 

Rootz: Neben
einigen anderen bist Du eine Art Reggae-Pionier in Deutschland und hast
entscheidende Aufbauarbeit geleistet. Wie empfindet man als Macher, als
Insider, den langsamen Aufbau einer eigenen, authentischen Reggaeszene?

Gentleman: Ich versuche,
solche Begriffe von mir fern zu halten und mich auf das Wesentliche zu
konzentrieren. Ich habe die Musik auch nicht erfunden, und es gab andere
wichtige Faktoren, dass sich das Ding so in Deutschland etabliert hat:
die ganzen Sound-Systems, die viel Arbeit geleistet haben, oder kleine
Plattenlabel oder Leute, die in Polen von eigenem Geld Platten gepresst
haben und die hier verkauft haben. Ich war ja nicht der Einzige! Durch
Freundeskreis bin ich vielleicht ein bißchen aus der Reggae-Ecke
rausgetreten und konnte dadurch mehr Menschen ansprechen. Und weil sich
das Album verkauft hat, spricht man dann von Pionierleistungen, das ist
auch ok, aber ich selber wiege das nicht so auf. 

Rootz: Gib uns in kurzen
eigenen Worten eine Zusammenfassung über die Entwicklung der deutschen
Reggaeszene. 

Gentleman: Die Anfänge
waren einfach vereinzelte Freaks, die nach Jamaika geflogen sind und Platten
mitgebracht haben, die es hier nicht gab. Was es hier gab, waren eben die
klassischen Roots-Scheiben wie Bob Marley und Peter Tosh und Dennis Brown
und so. Aber dieses Dancehall-Ding war hier noch total fremd, und es war
etwas interessantes, rebellisches, neues für uns. Wir haben eben damals
angefangen mit Pow Pow an den Poller Rheinwiesen, haben uns eine P.A. und
einen Generator geliehen und saßen da mit zehn Leuten. Wir haben
Jamaika-Rum getrunken, ein Lagerfeuer gemacht und hatten unseren Spaß.
Aber wir haben nie daran gedacht, dass man damit Geld verdienen oder dass
sich hier in Deutschland so eine Kultur entwickeln könnte. Dann kamen
irgendwann immer mehr Leute zu den Poller Wiesen, es wurde zur Kultveranstaltung.
Parallel dazu hat Silly Walks eben viel gemacht in Hamburg mit Dub Me Ruff.
Und dann gab in Hamburg das Sound-Navigator-Studio, wo die ersten Sampler
entstanden sind. Das war alles so vor zehn Jahren. Danach sind immer mehr
Leute nach Jamaika gefahren oder haben sich für die Musik interessiert,
und immer mehr Leute haben selber Sound-Systems gemacht. Und das ist super
wichtig, um in der jeweiligen Stadt das Ding auch am Leben zu erhalten,
dass es zum Beispiel jemanden in Stuttgart gibt, der regelmäßig
Reggae präsentiert. Und in den letzten zwei, drei Jahren ist noch
hinzugekommen, dass immer mehr jamaikanische Größen hier auf
deutschen Festivals gespielt haben, und das die Promoter von ihrer sicheren
Variante abrücken, immer die gleichen Acts zu bringen. Das war beim
Summer Jam jahrelang der Fall, immer wieder Macka B und Burning Spear.
Und jetzt haben sie das Experiment gemacht, auch mal einen Elephant Man
zu bringen, und dann kommt der zum Splash und da sind 40.000 Leute, die
seine Lyrics mitsingen, und der checkt das gar nicht und fährt nach
Jamaika und erzählt dann “hey, in Deutschland flippen die total aus!”.
Es findet in den letzten Jahren mehr und mehr ein deutsch-jamaikanischer
exchange statt. Hip Hop Produzenten aus Deutschland fahren nach Jamaika,
so wie Dynamite, der mit Capleton dort einen Song aufgenommen hat, und
Luciano war hier in Köln und hat in unserem Studio den Song aufgenommen.
Die Grenzen verfließen immer mehr, in meinen Augen wird es immer
mehr unsere Kultur und nicht deine oder meine. Es dreht sich um die Musik.
Das Herz ist in Jamaika, da ist die Musik entstanden, da ist sie erfunden
worden und da ist der größte Input, aber das funktioniert weltweit.
Ob das jetzt ein Fußballstadion in Ghana ist, was Luciano füllt,
oder ob das der Japan Splash ist, wo einmal im jahr 100.000 kreischende
Japanerinnen zu Elephant Man und Bounty Killer abgehen, es ist ein Ding,
das global funktioniert. Irgendwann haben die Leute vielleicht gedacht,
Bob Marley ist tot, Reggae ist tot, aber in den letzten Jahren ist es wieder
zurückgekommen und lebt wieder auf.

 

Rootz: Das Album
ist wieder in Zusammenarbeit mit jamaikanischen Künstlern und Produzenten
entstanden. Erzähl mal ein bißchen darüber. 

Gentleman: Wenn ich das mit
dem ersten Album vergleiche … beim ersten Album habe ich noch viel ausprobiert
und war irgendwie – ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist
– noch viel freier im Kopf. Diesmal hatte ich mehr Erfahrung und wusste
mehr, was ich machen will. Ich glaube, dass das zweite Album mehr aus einem
Guss ist. 

Ich wollte ein bißchen
von den digital programmierten Beats weg und wollte wieder mehr mit einer
Live-Band was machen. Das Album ist bis auf drei, vier Nummern komplett
live eingespielt worden, und das war eine ganz neue Arbeitsweise für
mich. Es war nicht so das klassische “Sänger geht zu Produzent, Produzent
sagt, die und die Beats habe ich heute Nacht gebastelt, such’ dir einen
aus”. Dann passt du als Sänger deine styles und deine flows und deine
Melodien dem schon vorgefertigten Stück an. Diesmal haben wir erstmal
im Tuff Gong-Studio nur die Musik eingespielt. Es war noch mal ein ganz
anderer Vibe, bei Bob Marley im Studio aufzunehmen, wo schon noch sein
Spirit ist, und dann dort mit der Band schrapp-schrapp die Gitarre einzuspielen.
Der eine sagt A und der andere sagt B, und so sind die Songs entstanden.
Es war eine ganz andere Arbeitsweise, und das zweite Album ist einfach
ausgereifter. Inhaltlich und musikalisch ist es aus einem Guss, und das
war beim ersten noch nicht so.

Rootz: Was für Unterschiede
hast Du zwischen Jamaika und Deutschland erlebt, in Bezug auf die Mentalität
und die Musik?

Gentleman: Ich merke, das
die Grenzen immer mehr zerfließen, es wird immer mehr ein Ding. Ob
es jetzt deutscher Reggae ist oder spanischer oder italienischer oder jamaikanischer,
es ist trotzdem der gleiche Vibe, wenn die Bassline und die Chords kommen.
Natürlich steckt das alles hier in Deutschland noch in den Kinderschuhen.
Viele Leute sind gerade voll gehyped, aber keiner weiß genau, wo
es hingeht, und in Jamaika ist es das Business, was den Alltag bestimmt.
Auch die Arbeitsweise ist dort viel schneller, die Leute wissen direkt,
wo es hin soll. Ob das jetzt Arrangements von irgendwelchen Stücken
sind, wo du neben dem Produzenten sitzt und denkst, Wahnsinn, das hätte
ich jetzt genauso gemacht, und ich hätte auch genau an der Stelle
die Bassline rausgenommen und so. Da ist einfach eine Kommunikation da,
die sich hier zwar auch entwickelt, die aber noch lange nicht das Level
hat wie in Jamaika.

Rootz: Dein neues Album “Journey
to Jah” ist voll mit conscious lyrics. Du lebst in Köln und sprichst
wohl hauptsächlich ein europäisches Publikum an. Geht das zusammen?

 

Gentleman: Auf
jeden Fall, das ist ja das, was ich an mir selber erfahren habe, das ich
jamaikanische Musik höre und mich trotzdem damit identifizieren kann,
obwohl ich weder im Ghetto groß geworden bin noch jemals eine Knarre
in der Hand hatte. Das ist nur ein Teil vom ganzen Inhalt, aber die main
message im Reggae ist eben Gut und Böse, rightousness und wickedness
und resistance, und darum dreht es sich, und das ist ein ganz globales
Thema. Das gilt in Afrika wie in Afghanistan, es ist etwas, was global
funktioniert. 

Rootz: Glaubst Du, daß
die Leute Deine Message verstehen und sich vielleicht auch danach richten
oder kommt hier eher der geile, tanzbare Riddim an?

Gentleman: Sowohl als auch!
Das ist ja auch ok, wenn man nur den Riddim hört und dazu tanzt und
seinen Spaß hat. Es gibt wahrscheinlich viele, die die Platte hören
und Spaß haben und gar nicht auf die Texte hören. Ich hab’ am
Anfang auch nur den Vibe der Musik geschnallt und gar nichts verstanden,
hab’ mich dann aber mehr und mehr mit den Texten auseinander gesetzt und
gemerkt: wow, das ist aber super nice, was der singt, was heisst denn das?
Ich hab’ dann so ein paar Schlüsselwörter gehabt und konnte daraus
Zusammenhänge erklären, und irgendwann, ohne, dass mir einer
gesagt hätte, das heisst das und das, konnte ich einfach den Text
verstehen. und ich glaube, das kann jeder. In dem Moment, wo das Interesse
da ist und du dich mit der Musik auseinandersetzten willst, dann schnallst
du’s auch. Ob das jetzt Russisch ist oder Patois.

Rootz: Wirst Du Dir jetzt
wieder den Arsch abtouren, so wie in den vergangenen Jahren?

Gentleman: Ja. Ich hab’ ja
lange keine große Tour mehr gemacht, hab’ auch wieder Bock und bin
total hot. Und nach eineinhalb Jahren Studioarbeit freue ich mich tierisch,
das Ding jetzt live an den Mann und an die Frau zu bringen.

Rootz: Was hat den Bandwechsel
weg von Killing Riddim hin zu Far East bewirkt?

Gentleman: Ich habe mit der
Killin Riddim Section zehn Jahre lang gespielt, jetzt haben wir uns getrennt,
das war ein großer Schritt. Ich kann das manchmal gar nicht so genau
erklären, stell’ Dir das vor wie bei einer Ehe, irgendwann ist einfach
die Luft raus. Wir haben uns zwar getrennt, aber so, dass wir uns nicht
von den guten Erinnerungen getrennt haben. Wir haben uns echt den Arsch
abgespielt, und von der Band kam dann irgendwann das Ding, dass sie mehr
für sich was eigenes machen wollten, was ich natürlich auch verstehen
kann. 

Die Backing Band von Gentleman
zu sein, war ein full-time Job. Wir haben alle Kinder bekommen, und jeder
wollte für sich einfach nochmal gucken, bevor’s direkt weitergeht,
was es sonst noch gibt. Es hat irgendwo auf einer bestimmten Ebene nicht
mehr gepasst, und wir waren ehrlich genug, das zu erkennen und haben uns
dann getrennt.

Die neue Band ist noch größer,
es gibt noch ein Saxophon und Percussion dazu und zwei Gitarristen, das
ist noch ein ganz anderes Ding. 

Rootz: Was für einen
Stellenwert hat live spielen für Dich, auch im Vergleich zum Produzieren
einer Platte? 

Gentleman: Das eine kann
ohne das andere nicht existieren, nach einer gewissen Zeit kommt immer
der Wunsch, das andere zu machen. wenn ich jetzt die 100 Konzerte gespielt
habe, dann freue ich mich wahrscheinlich wieder darauf, mich ins Studio
zu verkriechen und für mich alleine da rumzubasteln. Und nach den
ganzen Studiosessions freut man sich darauf, das live zu bringen. Das eine
hängt vom anderen ab.

Rootz: Was erwartest Du bei
Deinen Gigs von Dir selbst, was von Deinem Publikum? 

Gentleman: Ich versuche immer,
die Erwartungen so gering wie möglich zu halten und im Moment zu bleiben,
das hat mir bis jetzt immer geholfen. Ich will einfach mein Album präsentieren
und die love, die ich zu der Musik habe, auf den Konzerten rüberbringen.
Und was super wichtig ist, ist die Kommunikation zwischen den Leuten, die
auf der Bühne stehen und dem Publikum, dass man mit den Leuten eben
irgendwie interagiert. Und das Publikum ist von Stadt zu Stadt anders,
deshalb gibt es keine Faustregel, was ich da erwarte.

Rootz: Wann merkst Du, dass
Du bei einem Auftritt das erreicht hast, was Du erreichen wolltest?

Gentleman: Das ist ganz komisch,
es gibt manchmal Dinger, wo ich selber nicht so gut drauf bin und mir wünsche,
im Bett zu liegen und mit meinem Sohn Teletubbies zu gucken oder so anstatt
jetzt auf die Bühne zu gehen. Es gibt zwei verschiedene styles, der
eine ist, du bist voll im flow und denkst gar nicht nach und es ist alles
easy, und nachher guckst du dir das Video an und denkst “was, das habe
ich auch gemacht und das auch und was hast du denn da gesagt?”. Und dann
gibt es die Konzerte, wo du tierisch kopfig unterwegs bist und konzentriert
bist, die sind dann nicht so nice. Ich versuche dann, mir das vom Publikum
nicht anmerken zu lassen. Es ist eigentlich immer eine Stimmungssache,
vor allem, wenn man auf Tour ist und weiß, nächste Woche muss
ich da spielen, egal, wie ich dann drauf bin. Das ist dieses am-Start-sein
auf Knopfdruck, auch wenn’s einem nicht so gut geht. Ich versuche immer,
mich nicht in so ein Image reinzupressen, und sage den Leuten auch “hey,
jetzt geht’s mir nicht so gut, check it out!”. Das ist ja auch die Möglichkeit,
die man bei der Musik hat, weil es eine Ausdrucksform seiner Emotions ist
und nicht eine Sache, wo man immer gut drauf sein muss. Aber das sind für
mich so die Unterschiede für mich zwischen guten und schlechten Konzerten. 

Rootz: Gibt es ein Konzert,
was Du nie vergessen wirst, im positiven oder im negativen Sinn?

 

Gentleman: Da gab es einige!
Ein gutes ist das Splash, wo ich freitags geheadlined hab’ und dann 20.000
Feuerzeuge oben waren. Es gab schon so Gänsehaut-Dinger, aber jedes
Konzert hat eine eigene Story. Dann gab’s noch Horrorstories, wo die Stimme
weg war und ich nur noch flüstern konnte und so was, wo man dann echt
am kämpfen ist. Oder man soll ein zwei-Stunden-Programm spielen und
beim zweiten Song fällt das Keyboard aus und kann nicht repariert
werden, oder das D-Drum fällt aus. 

Dann muss man halt improvisieren
und a-capella machen. Das ist dann fünf Minuten cool, aber dann ist
es scheiße und du denkst: was machst du jetzt? Aber im Nachhinein
sind so Sachen immer cool, weil man merkt, dass man lebt, dass was passiert
und dass es ist nicht statisch ist. Deswegen steh’ ich auch auf so Sachen.
Oder wenn der Strom ausfällt und geht dann wieder an, dann ist das
der Hammer! Dann ist man froh, das der kurz ausgefallen ist.

Rootz: Du hast einen Sohn
bekommen. Hat sich dadurch etwas an der Art geändert, wie Du Deine
Musik machst oder siehst?

Gentleman: Ich weiß
nicht, ob man da unbedingt von Veränderung sprechen kann. Ich bin
entspannter geworden und ausgeglichener und ich teile mir die Zeit jetzt
mehr ein. Es ist schwierig, bei dem was ich mache die Familie und das ganze
touren unter einen Hut zu bringen. Deswegen teilt man sich die Zeit ein
und wenn ich sage, ich gehe von drei bis sechs ins Studio, dann bin ich
wirklich von drei bis sechs im Studio. Es ist mehr organized, ich chill
nicht dann erstmal eine Stunde und spiele eine Runde Playstation sondern
lege dann direkt los. Es ist alles ein bißchen tighter geworden.
Aber ein ganz wichtiger Punkt ist, seit der Kleine am Start ist, ist einfach
kein Platz mehr für mindfuck, dass du dich hinsetzt und komisch drauf
bist und irgendwelche Gedanken hast, die einfach ein energy waste sind.
Das hatte ich früher ziemlich oft, dass ich über Sachen gegrübelt
hab’, die völlig unnötig sind, das gibt’s seit 15 Monaten überhaupt
nicht mehr.

 

Rootz: Was wünschst
Du Dir für die Zukunft? Gibt es noch Träume, die Du verwirklichen
willst?

Gentleman: Ach, es ist alles
schon ziemlich traumhaft, was da passiert. Aber ich merke, dass Zeit immer
wertvoller wird. Das habe ich früher nie gedacht, dass ich mal mit
Zeit in Konflikt kommen würde. Ich wünsche mir, mehr Zeit zu
haben, um mit der family zu chillen, und wünsche mir, dass das Album
abgeht, und das ich danach auch wieder ein bißchen chillen kann.

Rootz: Hast Du eine Message
für die RootZ LeserInnen?

Gentleman: Checkt das Album!
Das sage ich natürlich auch, weil ich möchte, dass es verkauft
wird. Aber auch gerade was die Inhalte angeht, die Journey to Jah – Ich
nenn’ es jetzt nicht Gott, weil das ein abgedroschenes Wort ist. Vibes
oder Energy – sich einfach über die elementaren, einfachen, simplen
Sachen des Lebens wieder etwas austauschen, dass man runterkommt von diesem
mit-180-Sachen-durch-die-Gegend-rasen in der westlichen Welt und sich über
ganz einfache Sachen unterhält. Das habe ich auf meinen Reisen in
Afrika, Indien und Jamaika als ganz normal erlebt, dass  wenn du jemanden
fragst “do you know the way to the school?” dass der dann “yes, there is
always a way” und du unterhältst dich dann erstmal zehn Minuten über
the way und gehst weiter und bist dann einfach erfüllt. das sind so
Dialoge, die ich hier ein bißchen vermisse.

Rootz: Auch wenn Du das Wort
Gott nicht benutzen willst, würdest Du Dich als gläubig bezeichnen?

Gentleman: Auf jeden Fall!
Ich merke, da ist einiges mehr, als uns Gesellschaft, Lehrer und Politiker
eigentlich seit unserer Geburt einflößen. In dem Moment, wo
du rauskommst, bist du ja eigentlich schon vorgeformt, du weißt genau:
Kindergarten, Grundschule, Ausbildung, einmal im Jahr nach Mallorca fahren.
Aber es geht um mehr, und das merke ich irgendwie. Ich bin auch noch auf
der Suche und kann nicht sagen, dass meine Wahrheit Deine ist, aber ich
kann meine Wahrheit finden und bei mir sein und das dann leben, und das
reflektiert dann.

 


Copyright Text: Veit
König / Doc Highüz / Bilder: Four Music / Veit König / Lukas
Schaefer / Doc Highüz / RootZ Crew / Layout: Doc Highüz 2002
Zum Seitenanfang

Scroll to Top