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Interview mit Patrice Babatunde
Das Gespräch führte Veit König
in Köln, im Oktober 2002 

„Jura? Das erwartet man nicht von mir“
 
Kerpen und seine berühmten Söhne. Nach Michael Schumacher schickt sich nun ein weiterer Kollege aus dem Kölner Vorort an, die Welt zu erobern. Diesmal nicht mit dem Gaspedal, sondern mit der Gitarre. Patrice heißt er, gerade mal 23 Jahre jung und mit seinem zweiten Album How Do You Call It? (erschienen 14.10.2002 bei Yo Mama) am Start. Während das erste Album Ancient Spirits trotz verschiedenster Einflüsse noch als Reggae bezeichnet werden konnte, hat sich Patrice mit dem neuen Longplayer endgültig von diesem Etikett verabschiedet. Er sucht seinen Sound im unerforschten Gebiet irgendwo zwischen Soul, Blues, Reggae, Hip Hop und Rock. Klassische Rocksteady-Tracks wie die aktuelle Single Up In My Room bilden da eher die Ausnahme. Patrice möchte seinen eigenen Weg gehen. Warum auch nicht? Bisher hat in dieser Weg unter anderem auf Bühnen geführt, auf denen nach ihm Manu Chao, Lauryn Hill, Buena Vista Social Club, No Doubt oder Sly & Robbie gespielt haben. Also kann dieser Weg doch nicht ganz falsch sein. 

RootZ.net: Wie bist du zur Musik gekommen?

Patrice: Irgendwann war halt die Gitarrenwelle, dann kamen so Bands wie Nirvana und Guns ‚n‘ Roses und so gerade raus. Alle um mich herum haben Gitarre gespielt und ich wollte natürlich auch gerne Gitarre spielen. Dann hat meine Mutter gesagt, ich muss ihr das erst beweisen, dass ich das auch ernst meine mit der Gitarre. Insofern hab ich dann geübt, geübt, geübt, hab mir Dinge selbst beigebracht, hab mir eine Gitarre geliehen und so weiter. Und dann hab ich was gespart und wir haben zusammen eine Gitarre gekauft, so eine klassische Hohner-Wandergitarre, und irgendwann gab‘s dann Unterricht. Ich hatte schon immer das Verlangen, Lieder zu schreiben und auch kleinere Bands zu haben und das dann aufzuführen. Zu dem Zeitpunkt war ich zwölf, ungefähr. So hat sich das dann einfach ergeben, ich bin einfach meinem Gefühl gefolgt. Ich hatte nie so ein Erlebnis, wo ich gesagt habe: ja, ich will jetzt Musik machen.
 
RootZ.net: Welche Künstler haben dich beeinflusst?

Patrice: Ich denke, sehr viele, auch welche, von denen ich das gar nicht bewusst wahrgenommen habe. In meinem Elternhaus wurde viel Blues gehört und Jazz und solche Sachen, und ich glaube, dass mich das sehr beeinflusst hat. Als ich dann bewusst Musik gekauft habe, fing das an mit 2 Live Crew, die hab ich rauf und runter gehört, und dann irgendwann Bob Marley, fand ich sehr großartig. 

Und durch das Gitarre Spielen habe ich dann auch so ganz andere Musik gehört wie  Metallica, Nirvana, Guns ‚n‘ Roses, oder auch so Sachen natürlich wie Dylan, man fängt ja dann an mit Bob Dylan, und Hendrix und Led Zeppelin und solchen Sachen. Letztendlich hab ich versucht, das alles irgendwie unter einen Hut zu bekommen. Es war halt so unser style, alle sind im Hip Hop groß geworden so um mich herum und ich halt auch, und das dann zu verbinden mit der Gitarrenmusik, das wollte ich irgendwie tun in meinem Leben

RootZ.net: Was war deine erste Platte?
 
Patrice: Früher ging’s ja noch um Kassetten, man hat sich ja irgendwelche Kassetten überspielt, aber ich denke Champion Jack Dupree war meine erste Platte. Das ist ein Blues-Musiker, der auch eine Zeit lang in Deutschland gelebt hat. Der war Box-Champion, der aber Blues gemacht hat, der ist eine Legende! Und mein Vater kannte den und wir sind immer auf die Konzerte gegangen, da war ich noch sehr, sehr jung, und der hat mir halt eine Platte geschenkt und signiert.

RootZ.net: Hast du auch Platten in deiner Sammlung, die dir jetzt ein wenig peinlich sind?

Patrice: Ich bekomme sehr viele Promo-Platten, die dann in meiner Plattenkiste landen, obwohl ich sie eigentlich wegschmeißen sollte. Und dann kommen Leute zu mir nach Hause und gucken sich meine Plattensammlung durch und sagen: was geht‘n mit dir? Aber sonst schäme ich mich eigentlich für gar nichts. Ich meine ... zum Beispiel mit Büchern ist es ja auch so, ob du jetzt ein gutes oder ein schlechtes Buch liest, ist gar nicht unbedingt relevant, es kommt ja darauf an, was du dir für Gedanken zu dem Buch machst und was du da rein interpretierst. Manchmal kann für dich ein schlechtes Buch viel mehr bedeuten als ein gutes, und dir viel mehr eröffnen.

RootZ.net: Sprechen wir über dein neues Album. Du hast die meisten Tracks  auf Jamaika aufgenommen. War dir das wichtig?

Patrice: Es ging nicht darum, es in Jamaika zu machen, sondern es ging darum, es mal endlich zu machen! Es kam dann dieses Angebot um die Ecke, dass man es dort zum gleichen Preis wie in Hamburg oder irgendeinem anderen Studio in Deutschland machen konnte.
 
Natürlich hat man sich dann gesagt, okay, fahren wir in die Sonne! Zum dem Zeitpunkt war eh viel Streß angesagt, und es war einfach cool, dass die Leute sich mal entspannen konnten. Das war auch nicht so ein typisch jamaikanisches Studio, sondern das ist so ein Studio, wo viele internationale Gruppen aufnehmen, wie zum Beispiel No Doubt. Was da raus kommt, ist nicht unbedingt Reggae. Und es ist einfach wunderschön, das Anwesen ist unglaublich. Du hast direkten Blick auf’s Meer, das ist da, wo die blaue Lagune gedreht wurde. Das Essen ist großartig, es wird sich um alles gekümmert und du kannst dich ganz auf die Musik konzentrieren.

RootZ.net: Ist es nicht ein Ding der Unmöglichkeit, in Jamaika ein Album aufzunehmen, das dann relativ wenig Reggae enthält?

Patrice: Überhaupt nicht! Die meisten Sachen wurden ja schon vorher geschrieben und vorproduziert, letztendlich haben wir sie dort nur ausgearbeitet. Ich war ja auch der Produzent, das hat nicht irgendein Reggae-Produzent gemacht, und ich habe auch meine Musiker mitgebracht, Leute, die definitiv nicht unbedingt Reggae-Musiker waren.

RootZ.net: Du sprichst es an: du hast das Album selbst produziert. Bist du mit dir zufrieden?

Patrice: So weit bin ich zufrieden, aber ich bin nie wirklich zufrieden! Ich denke, in dem Kontext habe ich gute Arbeit geleistet. Es wird einem ja immer ein Rahmen gestellt durch Zeit und Budget, insofern bin ich zufrieden.

RootZ.net: Was ist anders, wenn man selber produziert?
 
Patrice: Zum einen habe ich natürlich dadurch mehr Kontrolle darüber, wie es letztlich klingt. Zum anderen bist du natürlich komplett subjektiv. Du hast nicht diesen etwas objektiveren Part eines Produzenten, der dir mal sagt: mach das doch lieber so oder so. Aber ich habe mir das halt zugetraut und habe gedacht, dass es so besser wird und das ich so mehr das machen kann, was ich wirklich machen will. 

RootZ.net: Du hast mit einigen bekannten Musikern wie Pino Palladino (Bassist bei Angie Stone und George Michael) oder Darryl Thompson (Gitarrist bei Peter Tosh, Black Uhuru oder Sly & Robbie) zusammengearbeitet. War das irgendwie komisch für dich als Produzent, diesen Leuten zu sagen, wie sie spielen sollen?

Patrice: Ja natürlich! Zumal ich ja noch sehr jung bin und die schon mit allen Größen des Musikgeschäfts gespielt haben. Wie Pino Palladino, ich meine, ihm zu sagen, was er zu spielen hat, ist natürlich komplett krank, das würde ich mir auch nie anmaßen. Ihm muss man eigentlich auch kaum was sagen ... das wichtige war halt, dass wir alle die selbe Sprache gesprochen haben, was Musik angeht. Wenn es eine gute Idee gab, von wem auch immer, dann hat die halt gewonnen. Da gab es kein narzistisches Ego, das dann gesagt hat: ich will aber, dass meine Idee draufkommt. Es ging einfach darum, okay, das ist die beste Idee, die wird genommen. Und da gab es auch nie eine Diskussion, da waren wir uns alle einig.

RootZ.net:  Dein neues Album ist stilistisch schwer einzuordnen. Hast du es deswegen  How Do You Call It? genannt?
 
Patrice: Zum einen ist ‘How Do You Call It?‘ natürlich ein Stück auf dem Album, was ich irgendwie als Titelstück gesehen habe. Ansonsten ist es natürlich sehr schwer einzuordnen, insofern habe ich die Frage einfach weiter gestellt. Ich denke, man muss auch den Dingen nicht immer unbedingt einen Namen geben. Natürlich brauchen die Menschen bestimmte Referenzen, weil unsere Köpfe so funktionieren, was ich auch verstehe, aber ich überlasse es der Presse, diese Referenzen zu ziehen.

RootZ.net: Sollen dir die Hörer Vorschläge zuschicken, wie man die Musik nennen soll?

Patrice: Das können sie gerne machen! Ich habe noch keinen Namen dafür gefunden

RootZ.net: Dein neues Album enthält Reggae-Elemente, aber die sind nur ein Teil des Ganzen. War das eine bewusste Entscheidung von dir, dich etwas vom Reggae zu distanzieren, um nicht vielleicht in der Reggae-Schublade verheizt zu werden?

Patrice: Also ich versuche eher so Musik zu machen, die sich über Trends und auch bestimmte Zeiträume irgendwie erhebt. Das ist halt mein Anspruch, ich weiß nicht, ob mir das immer gelingt. Mir war schon immer wichtig, dass meine Musik Singer/Songwriter-Musik ist, also wo es um einen Song geht, der letztendlich jede Richtung einnehmen kann, der also ein Rock-Song genauso wie ein Reggae-Song genauso wie ein Pop-Song sein kann und trotzdem als Song bestehen bleibt. Ich treffe meine Entscheidungen meist nicht so bewusst. Natürlich, dadurch dass viele gesagt haben: du bist ein Reggae-Artist, und ich mich noch nie als wirklichen Reggae-Artist gefühlt habe, habe ich vielleicht dann unterbewusst so gehandelt, dass ich genau das nicht gemacht habe. Das kann natürlich sein. Aber ansonsten bin ich mal wieder einfach meinem Gefühl gefolgt und hab‘ versucht, was Neues, Innovatives zu machen.
 
RootZ.net: Zur Zeit machen einige schwarze Künstler aus Deutschland auf sich aufmerksam. Wie siehst du die momentane Situation der ‘black music‘ in Deutschland?

Patrice: Das Ding ist natürlich, dass sich schwarze Menschen in Deutschland sehr stark dazu berufen fühlen, Musik zu machen. Das ist halt so ein Stereotyp. Die denken dann: okay, was soll ich machen? Jura, das erwartet man nicht von mir. Was erwartet man von mir? Ja, Sport vielleicht, und dann – Musik! Insofern, glaube ich, gibt es einfach einen großen Prozentsatz an Schwarzen, die Musik machen. Aber ‘schwarze Musik‘ ist immer so eine Sache. In Amerika gibt es Leute, die ‘black music‘ als ein schlechtes Wort empfinden. Sie sagen, es gibt auch keine ‘white music‘,  warum ‘black music‘? Es gibt in den Staaten echt Leute, die das als einen Angriff verstehen würden.

RootZ.net: Ich benutze den Begriff trotzdem ein letztes Mal: Viele Künstler der ‘black music‘ in Deutschland kopieren, oft recht einfallslos, amerikanische oder jamaikanische Vorbilder. Du hast da einen eigenen, ich sage mal ‘europäischen‘ Ansatz. Wie glaubst du kann diese Musik in Deutschland eine eigene Identität bekommen?

Patrice: Das ist auch mein Anliegen, also ich versuche, was eigenständiges zu machen. Ich sehe da große Möglichkeiten! Es ist halt jetzt dieser Identitätsfindungsprozess. Es wird immer was gemacht, und dann wird es hinterfragt, dann wird es vielleicht anders gemacht und so weiter, und letztendlich hat man dann hoffentlich irgendwann so einen Stil, der wirklich eigenständig ist. Wo man sagen kann, Schwarze in Deutschland sind halt so drauf und nicht wie in Amerika. Ich habe schon die Hoffnung, dass sich das so entwickeln wird, und ich denke, dass ich meinen Teil dazu beitrage.

RootZ.net: Du lebst in Hamburg, dein Management sitzt in London, du hast großen Erfolg in Frankreich und tourst durch die ganze Welt. Wo ist deine Heimat?
 
Patrice: Och, ich seh mich als einen Weltbürger an, also ich komm sehr viel rum und mir gefällt’s an vielen Orten der Welt. Natürlich bin ich hier aufgewachsen und hier geboren und liebe bestimmte Teile Deutschlands. Nur im Moment bin ich glaub ich in so einer Phase, wo ich auch mal was anderes sehen will, und ich werde dann später entscheiden, wo ich letztendlich meine Wurzeln schlagen will.

RootZ.net: Worauf kommt es dir bei deiner Musik inhaltlich an, was willst du mit deinen Texten vermitteln?

Patrice: Ich versuche halt, zu verschiedensten Situationen oder verschiedensten Aspekten des Lebens was zu sagen. Ich versuche, nicht eine Schiene zu reiten, ich versuche, dass jeder Song eine andere message hat. Es soll halt immer authentische Sachen rüberbringen. Es gibt einmal die Möglichkeit, dass ich einfach nur Worte schön finde und mich irgendwie poetisch versuche, dann auch wiederum die Möglichkeit, dass ich sehr konkret soziale Probleme oder so anspreche. Dann gibt’s die Möglichkeit, dass ich einfach nur style-mäßig abgehe, einfach, weil es cool klingt oder die Rhymes gerade passen. Also es gibt verschiedene Ansätze, aber ich versuche schon, dass jedes Lied eine message hat. Und irgendwo ist glaube ich der rote Faden Liebe im ganz weiten Sinne, weil ich denke, dass auch ein kritischer Text Liebe zur Basis haben kann. Ich denke, dass Liebe nichts ist so: zwei Menschen treffen sich und dann küssen sie sich und so weiter und irgendwann heiraten sie und bla bla bla, sondern Liebe kann auch durchaus Leute dazu veranlassen, ihr Leben komplett zu überdenken.
 
RootZ.net: Du gehst im Oktober/November auf Tour. Was kann das Publikum von dir erwarten, was willst du rüberbringen?

Patrice: Mich will ich rüberbringen, und worum es mir geht. Natürlich auch große Musik! Ich versuche irgendwie generell einen Beitrag zur Musik als Kultur zu leisten, so dass, wenn man dann irgendwann mal zurückblickt auf seine Karriere, man sagen kann: ja ich habe irgendwas dazu beigesteuert was einen Tick anders ist. Und genau das versuche ich bei Konzerten zu machen. Irgendetwas zu machen, was noch nicht so gemacht wurde, und was irgendwie anders ist, aber was Leuten Spaß macht! Ich denke, es wird erstklassige Musiker geben auf der Bühne, es wird erstklassiges Entertainment geben, und, wie die Platte auch, es wird die ganze Palette wird ausgenutzt, von links nach rechts.

RootZ.net: Die Musikindustrie kämpft momentan mit Problemen wie Raubkopien und Piraterie über das Internet. Auch deine Promo-CD ist mit Fades präpariert. Wie siehst du die Situation?

Patrice: Natürlich ist das auch ein Problem von den Künstlern. Wir machen eine Platte für relativ viel Geld, müssen dann natürlich minimum die Hälfte wieder einspielen mit Verkäufen. Wenn wir das nicht tun, und alle die Platte kopieren und nicht kaufen,  dann gibt’s auch keine nächste Platte mehr, dann wird man womöglich gedroppt vom Label und muss dann als Kellner weiterarbeiten in seinem Leben. Man ist natürlich darauf angewiesen, dass Leute die Platte auch kaufen und die Arbeit zu schätzen wissen, die man da reingesteckt hat und das irgendwo belohnen. Ich denke, bei bestimmten Retorten-Artists, wenn man sich da die CD brennt, ist das was anderes als bei einem Menschen, der wirklich dafür lebt und davon abhängig ist. Insofern ist das schon eine gewisse Gefahr. Fades oder so was werden das natürlich nicht komplett verhindern, aber es wird den Leuten zumindest schwieriger gemacht.
 
RootZ.net: Hast du für Pläne für die Zukunft?

Patrice: Ja, ich glaube, ich werde bald Urlaub nehmen! Nur ganz kurz natürlich, neun Tage oder so, mehr ist nicht drin. Ich überlege gerade immer noch, wo ich hinfahren soll. Ich frage mich, ob ich einfach nur entspannen soll und irgendwo sein soll, wo es nicht so viele Menschen gibt, oder halt in eine Stadt. Ich weiß es nicht, bin hin- und her gerissen.

RootZ.net: Hast du noch eine message für die RootZ.net-LeserInnen?

Patrice: Everyday is good because of being alive!

RootZ.net: Danke für das Gespräch! 


Copyright Text: Veit König / Bilder: Roland Grieshammer / Doc Highüz / Layout: Doc Highüz 2002 Zum Seitenanfang