>> Musik

Zurück zu den Musikkritiken
Zurück zum Inhaltsverzeichnis
Platte des Monats
September 1999!


Manu Chao - Clandestino


Ich bin zwar kein begeisterter Anhänger der Latinowelle, die uns diesen Sommer Hits von Ricky Marin, Jennifer Lopez oder Lou Bega beschert hat. Und ich bin auch nicht der uneingeschränkte Fan eines Buena Vista Social Clubs. Aber dieser Sound hat mich getroffen, wie ein Buschmesser den saftigen Stiel des Zuckerrohrs: Es ging zack, der Saft spritze und es war vorbei. Konkret gesprochen, ich war unterwegs in einem gut sortierten Musikhaus, um mich etwas über die Neuerscheinungen der letzten Zeit zu informieren und aus den Lautsprechern plätscherte eine sehr undefinierbare Musik.

Nicht Latin, nicht Reggae, kein Folk und kein Salsa, einfach ein guter Mix aus verschiedensten Stilen, der meine Ohren sich spitzen ließ, daß ein Herr Spock aus dem 23. Jahrhundert wahrscheinlich vor Neid erblaßt wäre und sich ins Exil auf den Vulkan zurückgezogen hätte. Bei mir dauerte es genau drei Stücke, um überzeugt zu sein, die CD kaufen zu müssen. Letztendlich war es der Song "Welcome to Tijuana", der mich direkt vor Ort zum Portemonnaie greifen und die silberne Scheibe erwerben ließ, er wandelte sich ohne Blößen, Ecken oder Kanten von einer typisch kubanisch klingenden Melodie in einen tiefen Roots-Dub ohne wenn und aber.

Nach dem Musikgenuß begann die Fragerei: wer ist überhaupt Manu Chao, warum singt er in verschiedensten Sprachen? Das Cover gibt nix her, aber im Internet erfährt man wenigstens, daß er von der recht bekannten Schrammelkombo "Mano Negra" stammt, die er vor ca. zehn Jahren mit seinem Bruder gegründet hat und die vor einiger Zeit nach einer sehr erfolgreichen Südamerikatournee auseinandergebrochen ist.

Trotz des babylonischen Sprachgewirrs auf dem Album - verwendet werden Texte auf Spanisch, Englisch und Französisch - ist Clandestino in der spanischen Musik verankert. Allerdings nicht der radiotaugliche Partysound der eingangs aufgeführten Musiker - Manu Chao greift auf die musikalische Tradition der Karibik zurück und bereitet diese durch das Hinzufügen von Samples (Radioschnipsel, Ambientgeräusche, Telefonatfetzen etc.) für die Hörgewohnheiten der heutigen Konsumenten auf und erzeugt damit einen einzigartigen Sound.

Entstanden ist ein Album, das in seiner Einfachheit und Brillianz besticht. Das liegt daran, daß keine Note so klingt, als wäre sie geplant gewesen, sondern eher so, als hätte man eine Gruppe von Straßenmusikern ins Studio geholt und ihre Musik auf eine sehr erfrischende Art und Weise dort live produziert. Aus jedem Song spricht eine Lebensfreude und Heiterkeit, die angereichert ist mit witzigen bis engagiereten Texten. Mit Clandestino ist Manu Chao ein Album gelungen, in dem man kein einziges der sechzehn Lieder als Füllmasse bewerten muß. Wer auf Latin steht, für den ist dieses Werk ein Muß. Ich kenne niemanden, der Clandestino bisher widerstehen konnte, wenn er einmal in den Genuß dieser außergewöhnlich schönen Musik gekommen ist.

Anhörtips:

Bongo Bong
Mama Call
Por El Suelo
Welcome to Tijuana
El Viento


Copyright: Dr. Igüz 1999