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Feature

Dreadzone

It’s the Dreadzone sitting pon
dem dread throne (Lee Perry)

We’re no Dub, we’re Dread coz Dub is dead. Ganz schön voll nimmt da der Bassmeister Leo Williams alias Captain Dread, als er gebeten wurde, das Konzept von Dreadzone zu umreißen. 
 
Die Band ging hervor aus den beiden kurz aufeinander folgenden Projekte Big Audio Dynamite und Screaming Target Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger Jahre. Es war das Ende der Wave- und Punkzeit und in der Musikerszene Westlondons entwickelten sich die verschiedensten transkulturellen Projekte. „Dafür ist London wie geschaffen, ein großer Schmelztiegel“, sagte Greg Roberts, Drummer von Dreadzone in einem Interview im Juli 2001. „Wir Engländer können das gut, Einflüssen von anderen Kulturen anzunehmen“.

 Leo und Greg Summer Jam 2001

 

B.A.D. war mit dem Ex-Clash Mick Jones, dem Regisseur Don Letts (Bob Marley – Legend, Dancehall Queen) und den späteren Dreadzonern Williams, Roberts und Donovan besetzt. Sie machten einen Sound, der auf New Wave aufbaute, streckenweise an Joy Division erinnert und viele Samples und elektronische Spielereien eingesetzt hat. 

Screaming Target schrumpfte auf das Trio Roberts, Letts und Tim Bran zusammen und war mit dubbigen, noch von Wave Elementen durchsetzten Tunes die direkte Vorstufe zu Dreadzone, 1992 von Greg Roberts, dem Schlagzeuger der Band ins Leben gerufen. 

Mick Jones 

Im Herbst des gleichen Jahres wurden die ersten Demos aufgenommen und schon 1993 kam mit Creation Records der erste Plattendeal zustande, der sich im Jahre 1994 mit dem Album 360° manifestierte. 
 
Dreadzone entwickelte sich zu einem Trio mit Greg am Schlagzeug, Leo Williams (Ex- B.A.D.), der zuliebe des Basses seine Fußballerkarriere aufgegeben hat und Tim Bran (Ex-Screaming Targets) an den Keys. Für ihr zweites Album Second Light holten sich Dreadzone die Reggaelegende Earl Sixteen hinzu, der seine Skills schon zu Studio One Zeiten auf Jamaika verfeinert hat. Er sang die Vocals auf dem Supersong Zion Youth, nachdem seine Stimme durch Leftfields Release the Pressure schon international bekannt war. Und mit Little Britain gelang ihnen im Januar 1996 ein Sprung in die bewegten englischen Top Fourty. 

Tim Greg und Leo

Second Light war das erste Dreadzone Album für ein Major Label, Virgin hatte sie für zwei Alben unter Vertrag genommen. 1997 folgte dann mit Biological Radio der dritte Longplayer der Briten . Seitdem war es ruhig um das Londoner Trio, das mit immer wechselnder Besetzung an Keyboards – eine Zeit kam der Ex-Screaming Targets Keyboarder wieder anstelle von Tim Bran dazu – und auch an den Vocals – hier gab es neben Earl Sixteen eine ganze Reihe von Stimmen – nur noch live zu sehen war. 

Aber das dafür auf allen großen Festivals. 1994 eröffnete die Band das legendäre Glastonbury Festival, auf dem Summer Jam waren sie schon dreimal zu sehen und alle wichtigen europäischen Großveranstaltungen wurden mit ihren bassigen Sounds zum Vibrieren gebracht.
 
In ihrer Heimat England haben Bands wie Dreadzone, Revolutionary Dub Warriors, Zion Train und wie die ganzen Kollegen heißen, die einen Sound mit Einflüssen aus Dub, Rave, Ambient und Techno produzieren, eine ganz andere Subkultur. Man muß sich vorstellen, dass die britische Regierung 1994 den Criminal Justice Act einbrachte, ein Gesetz, das die in Britannien boomenden Raves für illegal erklärte. 

Schon bald bildete sich in der Musikerszene eine Bewegung, die für den Rainbow Tribe, so bezeichnen sich die engliscvhen Partygoers, die mit viwelen Konzerten gegen duiesen Act protestierte. Dreadzone waren mit anderen Bands die Speerspitze des Movements. Greg sagte dazu: „Ich sehe den Rainbow Tribe als das entgegengesetzte Ende des Spektrums zu den Faschos. Wir machen Parties gegen den Criminal Justice Act und gegen Rassismus. 
 

Leo Williams, Köln, LMH 1997
Für ihr Engagement gegen die rechte Szene sind Leo Williams mit seinen mächtigen, bis über die Hüften gehenden Dreadlocks und der typische Brite Greg Roberts der lebende Beweis. Wenn Leo zu den von Greg erzeugten Beats auf der Bühne seinen Bass bearbeitet und dabei seine Mähne schüttelt, dann kommt bei einigen Zuschauern vielleicht Dread – Furcht – auf, unterstützt von manchmal gar nicht freundlichen Bildern drogenmanipulierter U.S. Soldaten und ähnlichen Flashes aus der zum Konzert gehörigen Mediashow. Das ist jedoch gar nicht so gemeint, sie haben laut Leo eine ganz andere Intention: “Das Wichtigste ist, dass die Leute tanzen, alles andere ist Bullshit. Dancefloor democracy!“

Und so wurde über die Jahre ein Sound entwickelt, der den Leuten in die Beine geht. Greg und Leo als Riddimmaschine, dazu Teppiche von Keyboards und Massen von Samples Die ausgefeilte Liveshow von Dreadzone ist mit ihren Multimediaaspekten ein Ergebnis der Liebe zum Film, zu dem sich alle Musiker bekennen. Dazu lädt ihre Homebase – Camden Town, West London – mit dem intellektuellen Flair geradezu ein. Dort treffen sich die Kreativen aller Genres und Nationen, um aus ihrem Sammelsurium an Inspirationen neue Projekte ins Leben zu rufen. 
 
“Unsere Musik ist natürliche Progression. Wir lieben es, musikalische Grenzen zu sprengen und die Leute so zu inspirieren“ sagt Greg und fügt hinzu:“Für mich steht Musik über Religion.“ Eine Religion, die Dreadzone nicht nur mit ihren Tunes im Kosmos von Trance und Dance zelebrieren. Genauso gehören ein guter Spliff, Pilze oder LSD dazu. „So erreichen wir tatsächlich höhere Bewusstseinszustände“ meint Greg. „Aber Koka hat ein schlechtes Karma!“

Mit ihrem „impossible not to dance on“ Sound spricht die britische Band mehr ein weißes Publikum an. Afrikanische Gesichter sieht man selten auf einem Konzert von Dreadzone, auch wenn Leo bekennt, seine Inspirationen von JAH Rastafari zu beziehen und „Reggae über die Grenzen hinwegtragen“ zu wollen. „Wir haben auf der Suche nach Inspiration tief in der Vergangenheit von Reggae gegraben und jetzt tragen wir ihn auf unsere Art ins neue Millennium. 

Es gibt Kritiker, die sagen, Dreadzone hat mit Rasta und Reggae garnix zu tun, auch wenn sich die Band von der Message, Musik und Symbolik des Reggae inspirieren lässt,  sie würden die vibes benutzen, aber nicht verstehen. Mit dieser Aussage konfrontiert, meint Leo, dass „Reggae allein zu wenig für ihn und seine Weiterentwicklung“ sei. 

Die letzte Ruhezeit der Musiker jedenfalls war fruchtbar: neue Tour, neue Bandmitglieder,  neues Album, neuer Style, neues Sound System, neue Website, neue Plattenfirma. Dreadzone re-invented? “Nein”, sagt Greg. ”It’s the return of Dreadzone.“ Die Band hat in der letzten Zeit die Weichen für diverse Projekte gestellt, die sich peu à peu manifestieren. 

“Wir haben in Europa unsere Grenzen erreicht, haben überall getourt. Jetzt wollen wir in die U.S.A.“erzählt Greg und fügt hinzu, dass sie deswegen einen Deal mit dem Indie Ruff Cut Records unterschrieben haben.
 
 „Die kennen sich in den U.S.A. aus und machen für uns eine Tournee. Wir haben eigens dafür schon ein Programm aufgestellt, das mehr Gitarren bringt und druckvoller ist. Genau richtig für die Leute dort. Das geht bis zu Rock’n’Roll Tracks.“ 

Für diesen neuen Sound haben sich die Bandmitglieder mit Rob Marche an der Gitarre genau den Richtigen in die Zone geholt, druckvolle Gitarrenriffs haben schließlich schon seit ein paar Jahren – spätestens seit Talkin’ ’bout Dub – auch in der elektronischen Musik wieder eine Existenzberechtigung. Eine interessante Mischung, die live recht fetzig und auf dem Album als rockiger Aspekt rüberkommt – für den amerikanischen Markt halt. Vielleicht werden Leo und Greg drüben in Cowboystiefeln und mit Cowboyhut auftreten? 

Captain Dread hat wieder seine Segel gehisst und neue Ozeane besegelt. Das 2001er Album Sound wird für die Band hoffentlich nicht der Anfang zu einer musikalischen Odyssee. Zu viel „crossing the musical boundaries“, wie Leo es nennt, kann auch zum Overkill führen. 
Als Matrosenchor an Bord der Soundbarkasse sind Earl Sixteen, der besagte Stimmbandveteran, Brinsley Forde von Aswad, MC Spee von der Breakbeatband Terminalhead, die Schauspielerin Donna McKevitt und Sorel Johnson. 
 
An den Lyrics hat Don Letts, der schon bei B.A.D. und Screaming Target seine Finger mit im Spiel hatte, intensiv rumgefeilt. Mit diesem Album ist für Dreadzone die Galeonsfigur, die sie nach Amerika führen soll, entstanden. An den kontinentalen Gewässern, wenigstens den deutsche, scheint das Schiff vorbeizusegeln. Hierzulande ist Sound bisher maximal als Import im gut sortierten Plattenhandel zu bekommen.  
Don Letts 

Wer mit Dreadzone in Kontakt treten, Mixe anhören oder die Tourneedaten abfragen möchte, der sollte flugs auf ihre Homepage surfen und die immer aktuellen Infos in den grafisch geschmackvollen Seiten bei www.dreadzone.com abrufen. Ahoi!

Der Text ist als Erstveröffentlichung erschienen im Sound & Vision 05/2001


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