RootZ Musik – Musikfeature – VIVA – Von Zu geil für diese Welt zu geilen Klingeltönen



 

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Musik
 

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Feature



 

Von
“Zu geil für diese Welt” 


zu
geilen Klingeltönen

“Zu geil für diese
Welt”, mit diesem Video der Fanta 4 aus Stuttgart ging VIVA im Dezember
1993 auf Sendung. Die Kernmannschaft, ca 20-30 Leute, die auf dem Parkplatz
von Vox in aufeinandergestapelten Baucontainern für das erste deutsche
Musikfernsehen arbeiteten, nein, ich muß “schufteten” sagen, bezog
diese plakative Aussage auf sich und glaubte daran. Vollmundige Ankündigungen
des kurz zuvor eingesetzten Geschäftsführers Gorny versprachen
Underground, Kult und das glamouröse Leben der Rockkultur. Wobei ich
hier direkt eine Mythos zerstören möchte: Nein, Gorny ist nicht
der Erfinder, der kluge Kopf hinter dem Kopf VIVA, sondern wurde an die
Position gesetzt, weil ihm im Gegensatz zu seinem Vorgänger die Position
zugetraut wurde, er das richtige Parteibuch in der Tasche trug – das rote
der Genossen – und Duzfreund des derzeitigen Wirtschaftsministers Wolfgang
Clement, der bei der Sendergründung inklusive Lizenzzuteilung etc.
einiges an Stimmgewicht hatte, war.

Etwas mehr als zehn Jahre
später, um viele Erfahrungen klüger und um massig Enttäuschungen
reicher, strenge ich mich an, einen Abgesang an den Sender zu komponieren.
Es wird keine “Ode an die Freude”, eher eine “Fanfare for the Common Man”. 

Ich selbst war von Anfang
an dabei, den Untergang des Flaggschiffes deutscher Musikkultur habe ich
glücklicherweise nur von den Erzählungen der ehemaligen Kollegen
und aus Medienberichten mitbekommen, weil ich mich aus persönlichen
Gründen schon 2003 zurückgezogen hatte, bevor ich in der Rappelkiste
für pubertierende Kids mit Clerasilkomplex wahnsinnig geworden wäre.
Ich wollte nicht als Amokläufer die Titelseiten der Boulevardpresse
schmücken, so fotogen bin ich auch nicht. Wie der werte Leser sicherlich
merkt, werde ich eine gewisse persönliche Note in diesem Artikel nicht
unterdrücken, von sog. Objektivität halte ich eh nicht viel,
frei von Vorurteilen, unbeeinflußt ist niemand, der auch Gefühle
in seinem Body hat. 

So, jetzt wird direkt aus
dem Sender gefunkt: Schön war es, familiär, innovativ, dazu anstrengend,
man arbeitete aufgrund leerer Versprechungen für Boni o.Ä. fast
bis zum Umfallen. es war aber auch intrigant und verlogen. den Leuten brachte
es Kohle und das war, was letztlich zählte. Ein Ex-Kollege sprach
von TV-Workern immer als Mediennutten und hat damit nicht unrecht behalten.
Wobei man sagen muß, daß die “Nutten” aus der Anfangsphase
wenigstens noch ordentliche Arbeitsverträge (i.d.R. unbefristet) bekamen.
Bald darauf wurde die Prostitution jedoch gewinnmaximiert, ohne ein initiales
Praktikum von einem halben Jahr für 600 Mark im Monat und massig Überstunden,
war überhaupt nix drin, danach folgten entweder weitere Praktika oder
befristete Arbeitsverträge bis es nach den deutschen Arbeitsgesetzen
nicht mehr ging. Ich denke, jeder kann sich vorstellen, wie ein junger
Mensch in den Neunziger Jahren sich in  solch einer Situation verhalten
hat, insbesondere weil es ja total hip war, bei VIVA zu arbeiten und auf
der Straße -zig Konkurrenten warteten, die geiermäßig
darauf hofften, einen Platz bei dem Sender zu ergattern. Die Situation
war kusch auf der einen Seite und Ausbeutung auf der anderen. Lakonisch
meinte Big Boss Gorny zu der bestehenden Arbeitsbelastung mehrfach, daß
die Leute doch weniger machen sollten. Daß ein Fernsehschaffender
einen gewissen Anspruch an sein Produkt – die Sendung – hat und bei fehlenden
Ressourcen eben “freiwillig” einen draufsetzt, wurde in das durchtriebene
Konzept miteinkalkuliert. Profitiert davon haben die Gesellschafter von
VIVA und natürlich der “Macher” Gorny. 

Das Resultat der Arbeitsumstände
war die recht zügige Gründung eines Betriebsrates, der Interessenvertretung
der Arbeitnehmer. Gorny, der SPD Mann mußte das, in der Tradition
(gibt es so etwas überhaupt bei diesem abgewirtschafteten, heuchlerischen
Haufen) der Arbeiterpartei stehend, natürlich akzeptieren. Ich saß
jahrelang drin und muß sagen, daß es eine Mitbestimmung, wie
es das Betriebsverfassungsgesetz vorsieht, nie gab. Einerseits lag es daran,
daß einigen Betriebsräten ihre eigentliche Arbeit wichtiger
war, als die Firmenpolitik und andererseits an der Rhetorik und Trickserei
der VIVA-Geschäftsleitung. Das ging soweit, daß Ende der Neunziger
Jahre Leute im Betriebsrat saßen, die ganz offensichtlich mit den
Chefs oben sympathisierten bis klüngelten (um mal diesen kölschen
Ausdruck anzuwenden) und sogar nicht davon zurückschreckten, der Kündigung
eines Betriebsratskollegen zuzustimmen. Schlimm daran war, daß diese
Menschen von der Belegschaft in das Gremium gewählt wurden. Ich habe
bis heute nicht verstanden, wie Interessenvertreter von den Wählern
im Betrieb nach Sympathiewerten und nicht nach politischen Gesichtspunkten
selektiert wurden. Jedenfalls hat der Betriebsrat in fast der gesamten
Zeit seines Bestehens so gut wie nichts bewegt bis auf eine Sache, auf
die ich am Ende noch zu sprechen komme. 

Die Höhergestellten
im Sender kamen jedoch nicht viel besser weg, als das Fußvolk. Fähige
Chefredakteure wurden gegen Pappnasen ausgetauscht, tatsächliche Kultmenschen,
wie der erste Programmacher von VIVA Zwei, Steve Blame, die nicht wie Gorny
wollten, wurden von Sicherheitskräften vom Schreibtisch gezerrt. Andere
wurden verheizt und mußten nach ihrer Zeit im Sender erst mal ins
Sanatorium. Im offiziellen Sprachgebrauch wurden solche Veränderungen
in den Spitzenpositionen immer nett kaschiert, da hieß es dann: “sie
wollen sich ihren langen Wunsch erfüllen und sich dem Kunststudium
widmen” oder “XY verläßt VIVA auf eigenen Wunsch um sich anderen
Dingen zu widmen. Einige Topleute standen nach ihrem Weggang “weiterhin
als Berater zur Verfügung”. Das waren dann diejenigen, die trotz Nichtstuns
immer noch Kohle kassierten,  wahrscheinlich weil sie irgendwas wußten,
das nicht an die Öffentlichkeit sollte. 

Ich will jetzt nicht sagen,
daß alle diese Abschiede ungerecht waren. Im Gegenteil, es gibt genug
Beispiele, in denen die Chefs echte Scheiße gebaut haben. Da gingen
Massen von Kohle verloren für irgendwelche Projekte, wie VIVA-Cafés,
VIVA-Klamotten-Kollektionen, VIVA-Zeitschriften, technische Einrichtungen
(Sende- und Produktionsgeräte) oder ganze Senderkonzeptionen. Einer
überlebte alles, obwohl er letztendlich der Verantwortliche für
die schiefgelaufenen Projekte war: Gorny. 

Die größte Geldvernichtung
bei VIVA war wohl der Börsengang. Natürlich sind die Gründe
für den Wertverfall nicht nur in der Firma zu suchen, der ganze Neue
Markt war eine Ansammlung von Seifenblasen und mit der Umwandlung in eine
AG hat der Chef halt einen kurzlebigen buntschillernden, dünnwandigen
und mit Luft gefüllten Pustefixball hinzugefügt. Traurig war,
daß sich in der VIVA Belegschaft so viele Leute haben bezirzen lassen,
Aktien von ihrer Firma zu erwerben. Gorny war natürlich der übliche,
positive Demagoge während dieser Expansionsphase: “Wir müssen
größer werden oder wir gehen unter.Ich bin erst zufrieden, wenn
das VIVA Logo auf dem Viacom-Tower in New York angebracht ist.” Wie es
schlußendlich gekommen ist, wissen wir jetzt. Aber dazu später.

Zum Programm und was so alles
über die Mattscheibe flimmerte: Die FAZ schrieb, daß “… den
meisten „VJs” bei Viva und MTV Sprache als notwendiges Übel erscheint,
dessen Grundkenntnisse man beherrschen muß, um auf dem Bildschirm
das glatte Gesicht zeigen zu dürfen…” und drückte damit recht
treffend aus, wie viele nicht der direkten Zielgruppe zugehörenden
Leute die VIVA-Inhalte empfanden. Aber das Programm bestand ja nicht nur
aus Wortbeiträgen, die Gorny eh vornehmlich aus betriebspolitischen
Gründen möglichst gering halten wollte, auch wenn die offizielle
Begründung lautete, daß er ein Programm schaffen will, in das
der Zuschauer jederzeit einschalten konnte, sich sofort zu Hause fühlte
und nicht fürchterlicherweise weiterzappte. Daher wurde alles, bis
auf die wenigen Formatsendung auf eine Länge von 2-4 Minuten zurechtgeschnipselt,
mit dem Ziel, eine Art bebildertes Radio zu erzeugen. Einige dieser Formatsendungen
bildeten dabei angenehme Inseln im Meer der bunten, bewegten Bilder: Freestyle,
Wah Wah, Mixery Raw Deluxe, Housefrau, Metalla, um hier nur einige zu nennen.
Aber diese Programminhalte waren auch immer die ersten, die dem Streichkonzert
zum Opfer fielen, weil die Kohle aus irgendwelchen Gründen wieder
knapp war. 

Trotzdem hat VIVA mit der
Ausstrahlung in seinen Sendern einiges bewirkt, ob das jetzt gut oder schlecht
war, soll jeder selbst beurteilen: es gab plötzlich eine Industrie
deutscher Videoproduzenten und damit hatten nationale Musiker, die vorher
chancenlos gewesen wären über den Werbeträger Videoclip
eine Platform, ihren Sound an die Ohren und in die Augen des potentiellen
Konsumenten zu bringen. Waren sie damit erfolgreich, wurden sie als Gäste
bei Interaktiv oder in den Formatsendungen weiterverwendet. Für Erfolg
oder Mißerfolg zählte aber nicht unbedingt die Qualität
der Songs, oftmals wurde hinter den Kulissen nach Plattenfirmenzugehörigkeit
entschieden, wer wie oft bei VIVA gespielt wurde. Denn die Gesellschafter
bei VIVA waren niemand anders, als die großen Plattenfirmen in unterschiedlichen
und wechselnden Proportionen, die u.A. damit versuchten, ihren stagnierenden
Markt wieder anzukurbeln. Aus meiner Sicht war das ein falscher Weg, denn
das Musik TV ist schnellebig, sprich, es mußten immer neue Clips
von neuen Künstlern produziert werden, was natürlich in die Kosten
ging. Dabei wurde Kohle nur mit den gestandenen Größen, wie
den Stones, Clapton, Beatles, Floyd, Nirvana, etc. verdient und nicht mit
den künstlich aufgeblasenen Eintagsfliegen, wie DJ Ötzi und wie
die One-Hit-Wonders alle hießen, ich kann mich schon nicht mehr erinnern. 

Jedenfalls war VIVA nach
einigen Jahren zu einer Clipabnudelstation verkommen, in der ab und an
die VJs ihr vom Teleprompter abgelesenes und trotz allem noch gebrochenes
Deutsch an den Mann / die Frau / das Kind bringen konnten. Nur das gezielte
Einschalten zu den Fromatsendungen versprach eine einigermaßene Qualität
an Information zu den angebotenen Genres. Anders war es auch nicht bei
VIVA Zwei und später bei VIVA Plus, das innovativ für ältere
Musikinteressenten gestartet war, auch mit ein paar guten Formaten aufwartete
und am Ende zu einem Zwei-Mann-Betrieb, der die Bedienung eines Programm-Computers
sicherstellte, verkommen ist. Die Auslandsengagements der Firma lasse ich
hier einfach mal außen vor, es gäbe zwar auch dazu einiges zu
sagen, würde aber den Rahmen des Artikels nur noch weiter aufblasen. 

In einem Punkt war die deutsche
Musikfernsehschmiede auf jeden Fall heiß, nämlich in der Konkurrez
zu MTV. Der in US-Händen befindliche Sender hatte zwar 12 Jahre mehr
Erfahrung (Sendestart 01.08.1981 mit “Video Killed the Radio Star) und
seit 1987 einen europäischen Ableger in London. Trotzdem schaffte
VIVA es laut FORSA, innerhalb eines Jahres, den Riesen von der Topposition
in der Einschaltquote zu verdrängen, zurückzuführen auf
den provinziellen Charme der VJs, mit denen sich die Kids leicht identifizieren
konnten und natürlich auf die Verwendung der deutschen Sprache, was
den Konsum des Programms immens erleichterte. Auch das Angeot von MTV in
Deutsch seit 1997 hatte daran nichts geändert. 

Dieser Erfolg vom regionalfolkloristisch
flötenden David gegen den multinational posaunenden Goliath war erstaunlich
und es wäre interessant herauszufinden, wie die Geschichte weitergegangen
wäre, hätte nicht der Oberstrippenzieher im Hause VIVA die Weichen
falsch gestellt. Nach dem Börsengang kam ein Riesenpaket von über
50 Prozent der Aktien in den Besitz des US-Konzerns AOL Time Warner, der
schon seit Jahren notorisch klamm ist. Naja und die Verschieberei von Aktienpaketen,
die Geschichten von Übernahmen, das Lamentieren über das Plattmachen
von Betrieben, das Abwickeln von Marken, kennt man ja zur Genüge aus
der Presse. Jedenfalls besaß plötzlich der MTV-Mutterkonzern
Viacom fast 98 Prozent der VIVA Aktien. Die ganze,  im Juni 2004 abgeschlossene
Transaktion soll 310 Mio Euro gekostet haben. Und dann wurden die Pokerkarten
neu gemischt für die nächste Zockerrunde. In dieser Situation
zählte der Mitarbeiter nix mehr, die neue Chefin von VIVA, Catherine
Mühlemann von MTV hat das in einem Interview in der Welt am Sonntag
am 10.04.05 in drastischen Worten klargemacht, als sie sich für den
“Speckgürtel” von 190 festangestellten VIVA Mitarbeitern nicht verantwortlich
fühlte. Überhaupt wehte seit Ende 2004 kein VIVA Banner auf dem
Viacom Tower, sondern ein scharfer Wind im Kölner Sendegebäude.
Eine abgemagerte Schwyzerin mit einer Phobie vor Fettmolekülen, der
man nachsagt, daß sie mit Müllinhalten Geld macht, läßt
im Programm schrille Klingeltöne neben Big Brother Wiederholungen,
reality Shows und billigsten Ami-Trash-Serien erklingen. Damit ist das
deutsche Musikfernsehen, egal, was man auch immer davon gehalten hat, tot.
Den Aufbau von Karrieren, wie die von Stefan Raab, Charlotte Roche, Jessica
Schwartz, Heike Makatsch usw. wird es nicht mehr geben, Frau Mühlemann
und ihr Management haben es sich offensichtlich vorgenommen, die deutschen
Kids endgültig zu verblöden, es scheint wichtiger, dumme amerikanische
Werte und neue Handysounds anzubieten, als eine gewisse Verantwortung für
die Jugend zu zeigen. Da kann man nur hoffen, daß die Kommission
zur Vergabe der Sendefrequenzen ein Einsehen hat und dieser Firma die Lizenzen
entzieht. 

Und die VIVA Mitarbeiter?
Die sind nach Hause geschickt worden, ein paar Handvoll haben vielleicht
das Angebot angenommen und sind in die MTV Zentrale an der Spree gegangen,
um in ihren Handies die neuesten polyphonen Melodien auszuwählen.
Diejenigen, die nach Hause gegangen sind, haben wenigstens noch ein Trostpflaster
bekommen: der Betriebsrat hat eine recht gute Abfindung herausschlagen
können. Vielleicht reicht es für eine Zeit, dem Speckgürtel
Nahrung zuzufügen und nicht zum Klappergerüst zu werden, wie
die Verantwortliche für die Misere.


 

Und Gorny? Der
macht jetzt mit Frau Mühlemann auf Dick und Doof in der gewinnmaximierten
Abspielstation. Für ihn geht die Show als Verantwortlicher für
Business Development und Network Relation MTV Networks Europe weiter. Welcome
to ich- hol- schon- mal- mein- handy- weil- gleich- kommt- ja- die- WERBUNG-
Fernsehen. Aber das Leben geht weiter und wer weiß, nach dem Yin
und Yang Prinzip gibt es als Gegenpol zur Verblödung das Intellekt.


 

Derzeitiger
Zustand von VIVA, nicht nur online > 
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Aufgrund
planmäßiger Wartungsarbeiten ist VIVA zurzeit nicht erreichbar.


Wir bitten
um Verständnis und etwas Geduld. Danke.

 

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