RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

Spiegel

online17. Oktober 2006

Klima-Extreme

verändern Deutschland

Von

Markus Becker

Hitzewellen,

heftiger Regen, Schäden in Milliardenhöhe und viele Tote:

Eine neue Studie warnt, der Klimawandel wird Deutschland in den

nächsten Jahrzehnten massiv verändern. Verhindern kann die

Folgen der

Erwärmung niemand mehr, die Bundesregierung setzt daher auf

Anpassung.

Wieder

haben Wissenschaftler ein Klimamodell

vorgestellt, und wieder besitzen sie ein Puzzlestück, das sich in

ein

immer schärfer werdendes Bild einfügt: Der Klimawandel findet

statt,

und seine Folgen werden auch für Deutschland verheerend sein. Das

Umweltbundesamt (UBA) hat am Dienstag in Berlin eine neue regionale

Modellrechnung vorgestellt, die mit statistischen Daten aus der

Klimabeobachtung dynamische Klimasimulationen ergänzen soll.

Klima in Deutschland: Auf Änderungen einstellen

Den

neuen Daten zufolge könnten die jährlichen

Durchschnitts-Temperaturen in Deutschland bis zum Jahr 2100 um 1,5 bis

3,7 Grad steigen, verglichen mit den Verhältnissen zwischen 1961

und

1990. Am wahrscheinlichsten ist den beteiligten Wissenschaftlern

zufolge eine Erwärmung um zwei bis drei Grad – die sich im Winter

am

stärksten bemerkbar machen wird.

Die

Folgen könnten dramatisch

sein: Von einem Rückgang der Niederschläge um bis zu 30

Prozent ist die

Rede; der Nordosten und Südwesten des Deutschlands sollen von der

Trockenheit am schlimmsten betroffen sein.

Zugleich

aber werde es

öfter zu extremen Wetterphänomenen kommen. Eine der

möglichen paradoxen

Konsequenzen: Die Städte ächzen in den Sommermonaten unter

Hitze und

Trockenheit, erleben tropische Nächte von 20 Grad Celsius und

mehr,

werden aber zwischendurch von heftigen Regenfällen überflutet.

“Heute

anpassen, um morgen nicht überrollt zu werden”

Zwar

betonen die Forscher immer wieder, keine genauen Prognosen für die

Entwicklung des Klimas stellen zu können, und zuweilen schleichen

sich auch Rechenfehler ein

– wie zuletzt in das “Remo”-Modell des Hamburger Max-Planck-Instituts

für Meteorologie. Doch die Folgen der globalen Erwärmung –

darin sind

sich die Experten inzwischen einig – sind nicht mehr abzuwenden,

allenfalls noch abzumildern.

“Wir

müssen uns heute anpassen, um

morgen nicht von den wirtschaftlichen und sozialen Folgen

überrollt zu

werden”, sagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) bei einem

gemeinsamen Workshop mit dem Umweltbundesamt. Ein nationales

Kompetenzzentrum namens “KomPass” soll nun das Wissen über den

Klimawandel bündeln und zugleich Gegenmaßnahmen ausarbeiten

– vom

Hochwasserschutz über die Land- und Forstwirtschaft bis hin zu

Notfallplänen für Hitzewellen.

“Es

geht darum, das Unbeherrschbare zu vermeiden und das Unvermeidbare

zu beherrschen”, sagte Hans-Joachim Schellnhuber, Leiter des

Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), bei der

Vorstellung

der neuen Modellrechnung. Das Ziel Deutschlands und der EU sei es, den

Temperaturanstieg auf höchstens zwei Grad zu begrenzen, da die

Folgen

ansonsten nicht mehr beherrschbar seien.

Um

das zu erreichen, muss laut Gabriel in Deutschland der Ausstoß

des

Treibhausgases Kohlendioxid bis 2020 um rund 40 Prozent niedriger

liegen als im Jahr 1990, bis 2050 sogar um 60 bis 80 Prozent. Die

Fachleute des Umweltbundesamts hätten das schon seit langem

gefordert,

sagte UBA-Präsident Andreas Troge. “Aber angesichts der Folgen

für die

Wirtschaft ist das nicht überall auf erotischen Zuspruch

gestoßen.”

Sinneswandel

in Wirtschaft und Politik

Inzwischen

aber konstatieren Klimaforscher sowohl in der Politik als auch in der

Wirtschaft einen einsetzenden Sinneswandel. Denn eines kristallisiert

sich immer deutlicher heraus: Die Folgen der globalen Erwärmung

werden

uns teuer zu stehen kommen. Extreme Wetterereignisse hätten in den

vergangenen zehn Jahren in Deutschland bereits Schäden von

insgesamt

rund 16,5 Milliarden Euro verursacht, so Troge. Nach Angaben des

Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) könnten

die

volkswirtschaftlichen Schäden bis zum Jahr 2050 schon bei einem

globalen Temperaturanstieg von nur einem Grad rund zwei Billionen

US-Dollar betragen; davon könnten 137 Milliarden Dollar auf

Deutschland

entfallen.

Schellnhuber

erhofft sich vor allem von der Diskussion

über die Kosten mehr Klimabewusstsein. Er und Troge verwiesen auf

Berechnungen, denen zufolge ein anspruchsvoller Klimaschutz etwa ein

Prozent des weltweiten Sozialprodukts kosten würde. Die Behebung

der

wirtschaftlichen Schäden ohne ein solches Gegensteuern könne

dagegen

das Zehnfache kosten.

Auch

menschliche Tragödien dürften künftig

regelmäßiger vorkommen. So hat die Hitzewelle des Sommers

2003 in

Westeuropa etwa 35.000 Menschen das Leben gekostet. Es war das erste

einzelne Wetterereignis, das Wissenschaftler direkt mit dem Klimawandel

in Verbindung gebracht haben. “Der Jahrhundertsommer 2003 hat uns

wertvolle Hinweise gegeben, wie die Zukunft aussehen könnte”,

sagte

Wolfgang Cramer vom Potsdamer PIK.

“Man

wird die Urbanität neu erfinden müssen”

Schon

jetzt steht nach Meinung der Fachleute fest, dass Hitzewellen,

Regenfälle und der ansteigende Meeresspiegel die Menschheit vor

tiefgreifende Veränderungen stellen werden, insbesondere in den

Städten

und Metropolen. “Der Klimawandel stellt eine ungeheure Herausforderung

dar, die die Architekten der Welt noch gar nicht begriffen haben”,

sagte Schellnhuber. “Man wird die Urbanität neu erfinden

müssen.”

Gabriel

kündigte an, die Bundesregierung werde den Klimawandel und seine

Folgen

zu einem Schwerpunktthema der deutschen Präsidentschaften von EU

und G8

im kommenden Jahr machen. Der Minister beklagte eine

“Geringschätzung

künftiger Güter” und bemerkte nebenbei auch durchaus

selbstkritisch,

dass auch die Politik meist nur in Legislaturperioden denke. “Aber in

der Klimapolitik ist der Bremsweg lang”, sagte Gabriel.

Sollte

die deutsche “KomPass”-Initiative tatsächlich zum Erfolg

führen und den

Treibhausgas-Ausstoß wie geplant senken, bleibt freilich noch ein

nicht

unerhebliches Detail: Länder wie etwa China und Indien mit ihren

gewaltigen Einwohnerzahlen stehen erst am Anfang der Entwicklung, die

in den westlichen Industriestaaten zur Umweltmisere geführt hat.

Spielen diese Staaten in der globalen Klimapolitik nicht mit,

dürften

deutsche Initiativen nur wenig ausrichten.

Die Frage, wie genau

die Schwellenländer zum Mitmachen bewegt werden können,

verbreitet

unter Klimaforschern eine gewisse Ratlosigkeit. “Das müsste vor

allem

über den Technologietransfer gehen”, meinte PIK-Forscher Cramer.

“Wir

haben diesen Menschen lange genug vorgemacht, dass man mit 200

Stundenkilometern über die Autobahn fahren kann. Jetzt sollten wir

ihnen vormachen, dass ein Leben in Nullenergie-Häusern

möglich ist.”

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