RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

Spiegel online 24.01.07

VISION 2067

Sorge vor dem Weltkrieg ums Wasser

Von Volker Mrasek

Was macht das Klima in 60 Jahren? Sengende Hitze

führt zu nicht gekannten Dürren, der Nil wird zum Rinnsal,

Industrie

und Bevölkerungswachstum verknappen das Wasser – der Durst der

Massen

wird übermächtig. Experten arbeiten schon jetzt daran, einen

Weltkrieg

um die Leben spendende Ressource zu verhindern.

Das Bonmot wird Mark Twain in den Mund gelegt. Whisky

sei zum

Trinken da und Wasser, um darum zu kämpfen, soll der amerikanische

Schriftsteller und Autor von Tom Sawyers Abenteuern gesagt haben. Der

Blick Twains war damals auf Kalifornien gerichtet, Sonnenstaat zwar,

aber auch Wassermangelgebiet. Nennenswerter Regen fällt dort seit

jeher

nur im Winter und im Norden. Gebraucht wird das Wasser aber im Sommer

und im Süden. Sozialkritisch und pessimistisch war der 1910

gestorbene

Weltliterat, aber kein solcher Visionär, dass er die Folgen von

Bevölkerungsexplosion und Klimawandel im 21. Jahrhundert

hätte

vorausahnen können.

Wasser: Die Leben spendende Ressource

Denn da haben sich die Dinge zugespitzt. Es strömt

weiter reichlich

Whisky aus den Brennereien, doch (Süß-)Wasser wird immer

knapper. Nicht

nur in Kalifornien, sondern auf allen Kontinenten. Es ist nicht

übertrieben: Die Welt steckt in einer zunehmenden und umfassenden

Wasserkrise.

Zu Twains Lebzeiten bevölkerten gerade mal eine

Milliarde Menschen

die Erde, wenn überhaupt. Mitte dieses Jahrhunderts sind es, wenn

die

Vereinten Nationen mit ihren Projektionen Recht behalten, bereits rund

neun Milliarden, die Nahrung und Wasser beanspruchen. Die allgemeinen

Lebensbedingungen haben sich aber nicht verbessert, im Gegenteil: Im

Jahr 2067 fällt gebietsweise nur noch halb so viel Niederschlag,

Dürren

häufen sich, Flüsse wie der Nil oder der Jordan führen

weniger Wasser

als heute. In 60 Jahren ist ein Binnenmeer wie der Aralsee in

Mittelasien, in seiner Ausdehnung einst größer als Bayern,

längst

ausgetrocknet.

Trockene Regionen werden noch trockener

Damit bewahrheitet sich, was das IPCC, das

Klimaforschungs-Gremium der Vereinten Nationen, in Kürze in seinem

neuen Sachstandbericht verkünden wird:

Höhere Verdunstungsraten bei steigenden Außentemperaturen

kurbeln den

globalen Wasserkreislauf zwar stärker an, und es fällt

insgesamt mehr

Regen. Doch gerade in den ohnehin trockenen Regionen der Erde nimmt der

Niederschlag im 21. Jahrhundert generell ab. Betroffen sind dem

IPCC-Ausblick zufolge vor allem das nördliche und südliche

Afrika,

Mittelamerika und die USA, große Teile Australiens, der Nahe

Osten und

der Mittelmeerraum.

Wissenschaftler haben den Begriff vom “Wasserstress” in

den

Einzugsgebieten der Flüsse eingeführt. Groß ist er,

wenn kaum mehr oder

gerade so viel Süßwasser verfügbar ist, wie die

Anrainer dem Strom

entnehmen. “In ärmeren Ländern und regenarmen Jahren fallen

unter

solchen Bedingungen Brunnen trocken, und Wasserkraftwerke müssen

abgeschaltet werden”, sagt Joseph Alcamo, Direktor des Zentrums

für

Umweltsystemforschung an der Universität Kassel. Nach einer neuen,

noch

unveröffentlichten Studie seiner Arbeitsgruppe leben heute 2,3

Milliarden Menschen unter erheblichem Wasserstress. Im Jahr 2067

dürften es mindestens 5,7 Milliarden sein.

Der Druck auf die Süßwasser-Ressourcen der

Erde wächst gewaltig. Es

gebe keinen Zweifel, urteilt deshalb auch Joachim von Braun, der

deutsche Direktor des International Food Policy Research Institutes

(IFPRI) in der US-Hauptstadt Washington: “Die

Konfliktträchtigkeit, die

wir heute beim Erdöl haben, wird sich in den nächsten zwei,

drei

Generationen auch beim Wasser herauskristallisieren.” Er glaube aber

nicht, “dass wir nun unweigerlich auf Wasserkriege zusteuern”. Die

Verknappung der kostbaren Ressource werde allmählich “und nicht

von

heute auf morgen” erfolgen – und somit ausreichend Zeit für

politische

Lösungen lassen.

Wassermangel für die Völkerverständigung?

Auch Alcamo hadert mit dem gängigen Klischee von

künftigen Kriegen

ums Süßwasser. “Man kann die Sache auch auf den Kopf

stellen”, meint

der Umwelttechnik-Ingenieur und Vorsitzende des internationalen

Forschungsprogramms “Global Water System Project”. Im Nahen Osten etwa

habe die starke Konkurrenz um knappe Wasserressourcen dazu

geführt,

dass Länder wie Israel und Jordanien immer noch zu einer

technischen

Kooperation bereit gewesen seien – immerhin.

Klar ist aber auch: Ohne technische Fortschritte wird

sich die

Weltwasserkrise nicht entschärfen lassen. Das machen schon zwei

Zahlen

deutlich: 70 Prozent des verfügbaren Süßwassers werden

laut Alcamo für

die Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen beansprucht. Und

schon bis

2030 soll die Agrarproduktion in den Entwicklungsländern noch

einmal um

rund 67 Prozent steigen, wie die Unesco in ihrem neuen

Welt-Wasserentwicklungsreport prognostiziert. “Die Landwirtschaft muss

deutlich sparsamer im Umgang mit Wasser werden”, fordert von Braun.

Ein weiteres Problem wird häufig übersehen:

Auch die Stromerzeugung

verlangt nach Süßwasser. “Wasserkraftwerke beanspruchen

Fluss- oder

Stauwasser, Kern- und Kohlekraftwerke Kühlwasser, und das sind

enorme

Mengen”, sagt Asit Biswas, Präsident des Dritte-Welt-Zentrums

für

Wassermanagement in Mexiko. Der Stromverbrauch von Ländern wie

China

und Indien steigt derzeit jedes Jahr um rund zehn Prozent. 2067

könnten

die dortige Elektrizitätswirtschaft und Industrie stärker auf

die

knappe Ressource Wasser angewiesen sein als die Landwirtschaft.

Sparen, wo es geht

Wie also sieht die Welt in 60 Jahren aus, wenn

Süßwasser in den Trockenregionen noch knapper ist als heute

schon?

Der Nassreis-Anbau ist 2067 praktisch verschwunden;

Landwirte in

Asien bauen inzwischen Zuchtsorten an, die nicht mehr ständig im

Wasser

stehen müssen. Gleiches gilt für Zuckerrohr, eine andere

wichtige

Agrarpflanze, die es sehr nass liebt – zumindest heute noch. In vielen

Entwicklungsländern ist der ländliche Raum mit Strukturen

übersät, die

aussehen wie riesige Eier: Es sind Zisternen, in denen wieder nach

traditionellem Vorbild Regenwasser gesammelt wird, um Felder zu

bewässern. Dort, wo früher Süßwasser üppig

aus Beregnungsanlagen in

Gemüsekulturen und Weinberge niederprasselte, ist nun meist eine

fein

dosierte Tröpfchenbewässerung anzutreffen.

Die noch immer existierenden Kohle- und Kernkraftwerke

sind in 60

Jahren vermutlich grundsätzlich von riesigen Türmen

flankiert, in denen

das Kühlwasser im Kreislauf geführt wird. Eine ständige

Entnahme aus

Flüssen soll es nicht mehr geben, wie die EU-Kommission schon

heute

vorschlägt. Der große Vorteil laut Joseph Alcamo: “Der

Wasserverbrauch

wird um den Faktor 40 reduziert.”

Die Welt wird auf eine harte Probe gestellt

Länder, die es sich leisten können, betreiben

2067 große

Meerwasser-Entsalzungsanlagen: die USA, Australien und Israel zum

Beispiel, aber auch Indien, das sein Grundwasser regelrecht

ausgeplündert hat. Der Entsalzungsprozess frisst allerdings

Unmengen

Strom, weswegen die Anlagen nicht mit klimaschädlicher Kohle

betrieben

werden, sondern mit erneuerbaren Energien, etwa mit großen

solarthermischen Generatoren. “Kalifornien plant in diese Richtung”,

sagt Alcamo.

Politisch schließlich hat sich der Wasserschutz

in 60 Jahren

weltweit institutionalisiert, wenn Optimisten wie von Braun Recht

behalten. Es gibt länderübergreifende

“Flussmanagement-Kommissionen”,

die die Ansprüche der Anrainerstaaten “hoffentlich fair” (Alcamo)

regeln.

2067 könnte sich die Lage auch aus einem anderen

Grund entspannen:

Das Wachstum der Weltbevölkerung hat sich dann vermutlich stark

verlangsamt, falls die Prognosen der Statistiker eingetroffen sind. Das

bedeutet allerdings auch, dass die Welt bis dahin noch auf eine harte

Probe gestellt wird. Auch für den Wasserexperten Alcamo ist das

eine

Zeit des Bangens, trotz der eigenen Zuversicht: “Durch diese schwierige

Periode müssen wir durch.”

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