RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

Sipiegel

online 25.01.07

ENERGIE 2067 – Hoffen auf das

Strom-Wunder

Von Axel Bojanowski

2067 leben zehn Milliarden Menschen

auf der

Welt, immer mehr von ihnen lechzen nach westlichem Wohlstand. Doch

Öl,

Gas und Kohle gehen aus – was wird den gigantischen Energiehunger

stillen: Solar-, Wind- oder Atomkraft?

Was haben die damals bloß für ein seltsames

Altdeutsch gesprochen.

Selbst junge Leute benutzten um das Jahr 2000 herum so altbackene Worte

wie “Energiewende”, “Nachhaltigkeit”, “klimaschonender Energiemix” –

oder sogar “atomfreie Zone”. Unglaublich, dass in dieser

Bürokratensprache damals eine riesige Energie-Debatte geführt

wurde.

Die Vorhersagen von damals waren ja nicht mal falsch.

Die

Energieversorgung funktioniert heute, 2067, tatsächlich

völlig anders

als zu Beginn des Jahrhunderts.

Kraftwerke, Autos und Fabriken pumpen keine

Treibhausgase mehr in

die Luft. Erdöl, Gas und Kohle sind rar geworden. Man hat sie

ersetzt;

zur Erzeugung von Energie braucht man sie nicht mehr. Auch Atomkraft –

nein danke, die Kernkraftwerke sind weg.

Stattdessen stehen sich in windigen Gegenden scheinbar

endlose

Wälder turmhoher Windkrafträder mit Rotorblättern, die

länger sind als

die Tragflächen großer Passagierjets.

In sonnigen Regionen pflastern schwarze Platten das Land

und verwandeln

Sonnenstrahlung in Strom. Und entlang des Oberrheingrabens ragen

Bohrtürme auf: In ihnen zirkuliert Wasser, das energiereiche Hitze

aus

dem Erdinnern transportiert.

Allerorten stehen hausgroße Tanks – in ihnen

schlummert ein

Energieträger, der eine technologische Revolution bewirkt hat:

Wasserstoff. Er versorgt Autos, Fabriken, Haushalte. Er ist der neue

Kraftspeicher dieses Jahrhunderts. Verbindet sich das Gas mit

Sauerstoff, entsteht Energie – und als einziges Abfallprodukt Wasser.

Um die unerschöpfliche Ressource Wasserstoff zu

gewinnen, benötigt

man allerdings ebenfalls Energie, denn der Wasserstoff muss aus Wasser

oder Methan gelöst werden. Anfang des 21. Jahrhunderts wurde

dafür mehr

Energie benötigt, als der Wasserstoff anschließend wieder

freigab –

doch das ist 2067 kein Problem mehr. In Vulkanregionen zum Beispiel

gibt es die Energie zur Wasserstoffgewinnung frei Haus: Von Natur aus

heißes Grundwasser strömt bis an die Erdoberfläche. In

Island befeuert

die Hitze aus dem Erdinnern ganze Fabriken, in denen das Gas gewonnen

wird. Die Produktion ist zwar nicht billig, aber ein Vorteil von

Wasserstoff gleicht das aus: Man kann ihn im Gegensatz zu anderen

Energieträgern verlustfrei in Batterien speichern. Wasserstoff

könnte

Island zum Kuwait des späten 21. Jahrhunderts machen.

Solarenergie im großen Stil

Ist diese Vision des Jahres 2067 wirklich nur eine

Vision? Oder eine reele Perspektive? Was ist dran?

Klar ist: Nach derzeitigen Uno-Prognosen könnten

2067 zehn

Milliarden Menschen die Erde bevölkern – ein großer Teil

davon in

Ländern, denen die umfassende Industrialisierung erst noch

bevorsteht.

Sie werden nach Autos, Klimaanlagen, kurz: dem ganzen westlichen

Wohlstand streben. Parallel werden Öl, Gas und Kohle knapp. Es

braucht

neue Lösungen.

Experten von heute bezeichnen die Energieaussichten

inzwischen trotzdem

immer öfter als “sonnig” – und zwar im Wortsinne. Wie im Beispiel

ist

es nicht zuletzt die Sonnenenergie, die ihnen vielversprechend

erscheint.

Überall wo selten Wolken den Himmel bedecken,

lässt sich

Sonnenstrahlung bestens nutzen. Schon heute bedecken schwarze

Kollektoren große Flächen, zum Beispiel in Kalifornien,

Spanien und

Italien. Selbst Nordeuropa könnte in Zukunft über Leitungen

mit

Sonnenenergie vom Mittelmeer versorgt werden, sagt Gerhard Luther,

Leiter der Forschungsstelle Zukunftsenergie an der Universität des

Saarlandes. Derzeit kostet Sonnenenergie noch deutlich mehr als

Atomstrom, Öl oder Gas. Wenn aber die teuren Anlagen erstmal

gebaut und

längere Zeit in Betrieb sind (und sich konventionelle Energie

zugleich

verteuert) – dann könnte die Sonnenenergie richtig rentabel werden.

Damit kalkulieren inzwischen viele Länder rund ums

Mittelmeer, in

Mittelamerika, in Südasien und in Afrika. Überall dort

entstehen

weitere Farmen aus schwarzen Sonnenkollektoren. In 60 Jahren werde

Sonnenenergie einen großen Teil der Stromversorgung

übernehmen, sagt

Luther. Solarspiegel von der Fläche eines mittleren deutschen

Bundeslandes könnten den Energiebedarf von ganz Europa decken –

der

Sonnenofen als Superkraftwerk.

Kraft aus dem Wasser

Im Norden bietet sich als Pendant eine andere

natürliche Ressource

an: Wind. Deutschland, die USA, Indien, die Niederlande, Schottland und

Dänemark sind schon jetzt Vorreiter mit Zehntausenden

Windrädern. Der

Strom der Rotoren versorgt mancherorts ganze Siedlungen. In Deutschland

trägt der Wind inzwischen ein Zwanzigstel zur Energieversorgung

bei.

Weil sich mittlerweile aber selbst Umweltschützer

über

Landschaftsverschandelung durch die Windkraftmühlen-Wälder

beklagen,

baut man sie immer öfter ins Meer. Dort bläst der Wind

konstanter –

allerdings kostet die Installation um die Hälfte mehr als an Land.

Allzu strenge Auflagen treiben die Kosten in die

Höhe, kritisiert

Zukunftsforscher Luther und fordert: Windkraft-Meeresfarmen sollten

künftig näher als 40 Kilometer vor der Küste errichtet

werden dürfen.

Dann könne sie schon binnen Jahren ein Fünftel des deutschen

Energieverbrauchs decken. “Es ist ein Skandal, dass wir mit der

Windenergie nicht schneller vorankommen”, sagt Luther im Gespräch

mit

SPIEGEL ONLINE. In Großbritannien werde Windenergie, zumindest

den Plänen der britischen Regierung zufolge, schon in 15 Jahren

günstiger sein als Atomstrom und schon bald einen bedeutenden Teil

der Energieversorgung übernehmen.

Bekommt Atomstrom wieder eine Zukunft?

Die Energie-Debatte in Deutschland sei nicht offen

genug, sagt

Luther und lehnt angesichts der Klimaerwärmung zum Beispiel den

Atomausstieg ab: Deutschlands Atomkraftwerke müssten länger

betrieben

werden. Mit dieser Meinung steht er nicht allein. Die Deutschen sind

über der Frage gespalten, ergab eine Umfrage kürzlich . Auch

Kanzlerin Angela Merkel stellte den Atomausstieg in Frage. Diese Frage

ist nach wie vor eine der kontroversesten in der ganzen Debatte.

Luther will für die Zukunft gar nichts

ausschließen – zum Beispiel

auch nicht, dass als unsicher verrufene Techniken wie die “Schnellen

Brüter” wieder ins Gespräch kommen. Diese Atomreaktoren

produzieren

ihren Treibstoff selber. Noch sei gewöhnliches radioaktives

Material

für traditionelle Atomkraftwerke billiger. Aber wenn dieses zur

Neige

gehe, dann könnten die Brüter interessant werden, sagt der

Physiker

Luther. Derzeit solle man “keine Energie-Option” von vornherein

ablehnen. Denn noch sei unklar, welche Energien künftig am besten

geeignet sind: “Bis 2067 werden zwei Forschergenerationen an neuer

Technik arbeiten.”

Als solche neue Technik ist seit Jahrzehnten die

Kernfusion im

Gespräch. Sie dreht sich um die Verschmelzung von Atomkernen, wie

sie

in der Sonne abläuft. Sie könnte für alle Zeit eine

ökologisch

schonende Energieversorgung sichern. Möglicherweise, sagt Luther,

gelinge in den kommenden Jahrzehnten sogar der Bau eines

Fusionsreaktors.

Ähnlich optimistisch begann allerdings auch das

Zeitalter der

Atomkraft. Zur Erinnerung: Die SPD schrieb 1956 in ihrem “Atomplan”,

dass diese Energieform zum “Segen für Hunderte von Millionen

Menschen

werden” könne – und sogar dabei helfen, “die Demokratie im Innern

und

den Frieden zwischen den Völkern zu festigen”. Eine

Zukunftsvision, die

spätestens 1986 in Tschernobyl erschüttert wurde.

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