FAZ online 18.02.07
Hollywood im Öko-Rausch – Der grüne Star Von Niklas Maak Dieser Anblick hätte der Behörde zur Überwachung unamerikanischer Umtriebe gar nicht gefallen: Ausgerechnet bei der Oscar-Verleihung in der kommenden Woche werden die wichtigsten Stars wieder nicht in jenen langen Stretchlimousinen vorfahren, die einmal den Stolz und die Größe der Vereinigten Staaten darstellten, sondern, wie schon im vergangenen Jahr, mit benzinsparenden japanischen Hybridautos – und mit diesen Autos rollt eindeutig eine politische Botschaft aus der Glamourwelt ins Volk: Wir, teilt das schrägstehende Ding von Nichtkühlerhaube über den Vorderrädern des Toyota Prius dem Zuschauer mit, gehören einer postheroischen, ökofuturistischen Gruppe von Leuten an, die wissen, dass eure dicken Geländewagen mit ihren monströsen Verbräuchen nicht nur an den Ölbeschaffungssorgen unseres Präsidenten und damit am Irak-Krieg, sondern auch an der globalen Erderwärmung und damit am Hurrikan Katrina schuld sind. Das Hybridauto ist für die Nullerjahre, was der Hippielook für die späten Sechziger war: Erkennungsmerkmal einer Bewegung und ein Aufruf zum Politikwandel. Während die SUVs, die sogenannten Sports Utility Vehicles, Familientransporter, Geländewagen und Sportbolide gleichzeitig sein wollten, sind die Hybridfabrikate die automobilgewordene Einsicht, dass es mit der freien Fahrt vorbei ist: Es sind Autos, die im Stop-and-Go der Millionenstädte sozusagen das Bremsen zum Energiesparen nutzen. Zur letzten Oscar-Verleihung erschienen Leonardo DiCaprio und Cameron Diaz mit einem Hybrid, Scarlett Johansson, Harrison Ford und Robin Williams fahren auch einen, und es sieht so aus, als seien die Zeiten vorbei, in denen die Bedeutung eines Stars an der Länge des Autos zu erkennen war, mit dem er in Hollywood vorfuhr. Ein schlechter Witz auf Kosten von Smart Wer, wie Paris Hilton, vor den Clubs mit einem donnernden 626-PS-Boliden vorfährt, outet sich als White Trash – obwohl die Gallardos und Range Rovers der Rapper und Models immer noch bedeutend besser aussehen als die termitenhaften Hybridwagen von Toyota. Aber auch hier ändert sich etwas: einige Hersteller bieten spektakuläre Ökosportwagen an – die französische Firma Venturi einen mit Solarpaneelen überzogenen Leichtbausportwagen mit „Elektrosolarantrieb“, der immerhin 120 Kilometer pro Stunde schafft; der amerikanische Hersteller Tesla (Werbeslogan „Burn rubber, not gasoline“) einen doppelt so schnellen Roadster, der von einem 238 PS starken Elektromotor angetrieben wird. Und George Clooney fährt seit neuestem ein Objekt, dessen einziger Zweck es ist, Ferrari-Fahrer auf ökologisch vorbildliche Weise zu demütigen: Der „Tango“, ein Elektromobil der Firma Commuter, sieht aus wie ein schlechter Witz auf Kosten von Smart, ist genau 99 Zentimeter breit, in vier Sekunden auf hundert und unglaubliche 240 Kilometer pro Stunde schnell. Natürlich ist der Boom der Elektroautos bei Prominenten auch ein Modephänomen und die Frage ungeklärt, aus was für Quellen der notwendige Strom kommen soll; herkömmliche Kraftwerke würden das Umweltproblem nur verlagern, und dass einige der neuen Ökovordenker die Atomkraft trotz ihrer Endlagerungs- und Sicherheitsprobleme durch die Hintertür als Green Energy rehabilitieren wollen, ist ein anderes Problem. Entsagung? Spaß! Das Interessante an der neuen Ökobewegung ist vor allem, dass sie erstmals Entsagung und Ökologie entkoppelt. Bisher waren die Fronten klar: Die Avantgarde fuhr Hochgeschwindigkeitszüge, saß auf Plastiksesseln und flog Concorde; die Ökos klammerten sich erbittert an die Standspur und predigten ein vorindustrielles Rückzugsidyll: Weniger Auto fahren! Weniger heizen! Weniger moderne Panoramaglasfenster, mehr dicke Wände! Ökologie war harte Arbeit, Zivilisation im Rückwärtsgang. Mit Spaß und expansiver Zukunftsfreude hatte das nichts zu tun: Im „Nullenergiehaus“ las man in dunkelgraues Recyclingpapier hineingedruckte Traktate über „Entschleunigung“ und aß selbstgeschrotete Slow-Food-Brötchen, die so flach und hart waren, dass der Schlachtruf „weniger!“ bald auch für die Zähne wahr wurde. Deswegen ist es eine grundlegende Wende, wenn Ökonomie und Ökologie, Glamour und Grün plötzlich kein Widerspruch mehr sind; wenn die „Vanity Fair“ ein „Green Issue“ veröffentlicht, in dem umweltpolitisches Bewusstsein als radical chic gefeiert wird und George Clooney, Al Gore und Julia Roberts zu einer „environmental revolution“ aufrufen. Der ökologische Bewusstseinswandel geht auch in Deutschland einher mit einem Phänomen, das man als New Economy bezeichnen kann. Frank Asbeck, Leiter eines der drei weltgrößten Sonnenenergieunternehmen, der Bonner „Solarworld“, zeigte mit 300 Millionen Euro Umsatz und einem Kursplus von 500 Prozent vor gut zwei Jahren, was die Zukunft des Produktionsstandorts Deutschland sein könnte, wenn die klassischen Industrieartikel bald billiger und besser in Asien produziert werden: nämlich ökologisches High-Tech. Gleichzeitig findet in der Architektur, in der Energieversorgung wie bei den Fahrzeugantrieben eine ökotechnische Revolution statt: Asbeck bastelt an einem Kombikraftwerk aus erneuerbaren Energien. Autohersteller wie Peugeot verfügen über serienreife Dieselhybridmotoren, die den Verbrauch radikal senken, sogar über Brennstoffzellenfahrzeuge; und dass man davon noch wenig mitbekommt, liegt am fehlenden politischen Druck. Ästhetik des Solarzeitalters Und so, wie erst ein paar Jahrzehnte nach der Erfindung des Stahlbetons die moderne Architekturästhetik entstand, entsteht jetzt eine Ästhetik des Solarzeitalters. In Barcelona wurde, wie eine der neuen Zeit gewidmete Skulptur, ein Sonnensegel mit 2700 Solarmodulen der deutschen Phönix Sonnenstrom AG aufgestellt, und es ist kein Zufall, dass diese Skulptur bereits als Inkunabel für „Zukunft“ auf den Werbefotografien für ein Hybridauto von Citroën auftaucht. Der Ingenieur Werner Sobek entwickelt ein linsenförmiges Glashaus, das sich über eingelegte Solarzellen selbst mit Energie versorgen und dessen Glaskörper Wärme ebenso gut dämmen soll wie Stein – überhaupt, sagt Sobek, sei es die Steinlobby, die den bautechnisch-ökologischen Fortschritt verhindere. Und in den Vereinigten Staaten ist es wieder ein Prominenter, nämlich Brad Pitt, der im zerstörten New Orleans ein neues soziales und ökologisches Architekturdenken etablieren will und einen Wettbewerb für „Low Income Housing“ ausgeschrieben hat. Das deutsche Architektenteam Graft entwarf hierfür ein Haus, das in „Green Sandwich“-Technik gebaut werden soll, einem Recyclingmaterial, das mit Beton überschäumt wird, flexibel, haltbar und im Rahmen des Möglichen umweltfreundlich sei, so die Architekten. Wachsender Markt für Bio-Lebensmittel Wie jeder Trend sackt auch das ökologische High-Tech aus dem Reich der Stars zu den Massen durch, wie die Verkaufserfolge der Hybrid-Toyotas zeigen. Einfacher als mit dem Kauf eines solchen Autos kann man dem avantgardistischen Club, in dem auch Leonardo DiCaprio Mitglied ist, nicht beitreten; und auch das Graft-Haus ist ein Versuch, den Haus- und Wohnungsbau für breite Schichten zu ökologisieren. Gleichzeitig wächst der Markt für Bio-Lebensmittel jährlich um zwanzig Prozent. 219 Bürgermeister, die rund 44 Millionen Amerikaner vertreten, haben sich zusammengeschlossen, um das Kyoto-Protokoll zu erfüllen. Der Internetpionier Bill Gross, ohne den Google nicht wäre, was es ist, arbeitet jetzt an einer Solaranlage, die in Kalifornien zum gleichen Preis Strom erzeugen soll wie fossile Energie. Für die amerikanische Industrie sind die grüne Revolte und die Toyotaisierung des Denkens ihrer Kunden ein Albtraum. Ford fährt Milliardenverluste ein und wird von Toyota als zweitgrößter Autobauer der Welt abgelöst, und das alles, weil die Amerikaner plötzlich keine SUVs mehr kaufen. Das liegt vielleicht in erster Linie an den gestiegenen Benzinpreisen, aber nicht nur; öffentliches Jeep-Fahren ist so unpopulär, dass sogar Arnold Schwarzenegger, der bei seinem ersten Wahlkampf noch im Hummer-Geländewagen einrollte, als wären Los Angeles und San Francisco unwegsame und gefährliche Bergdörfer hinter Kabul, diesen Hummer auf Elektroantrieb umgerüstet hat, was mindestens so absurd aussieht wie ein Kampfstier mit High Heels. Ein massiver soziokultureller Bruch Der Abschied der Amerikaner vom US-Geländewagen ist ganz sicher mehr als ein automobilgeschichtlich wichtiges Ereignis; es ist ein massiver soziokultureller Bruch. Kein Wunder, dass der Siegeszug des Familienpanzers Ende der Achtziger begann, dem Jahrzehnt, in dem die Freiheitsversprechen der Sechziger endgültig verdorben waren: Es gab Aids, einen Gau und Kernwaffen; es gab in den Städten soziale Konflikte zwischen Latinos, Schwarzen und der weißen Mittelschicht, es gab Reagonomics und 1989 auch schon Rinderwahn, und wenn man beim Burgeressen nicht verrückt wurde, wurde man sehr, sehr dick und bekam einen Herzinfarkt: Alles, was das Wohlbefinden der Massen garantierte, Sex, Energie und dicke Steaks, galt plötzlich als lebensgefährlich, und dass die Leute in solch einer sozialpsychologisch traumatisierten Situation keine offenen Cabriolets, sondern gepanzerte Geländewagen kauften, die Schutz und den Rückzug ins heile Landidyll versprachen, ist verständlich. Mittlerweile hat sich offenbar doch die Einsicht verbreitet, dass Amerika durch den Klimawandel tatsächlich bald so aussehen könnte, dass man ohne Allrad nicht mehr so gut durchkommt in den versteppten und schlammüberfluteten Landesteilen; anders gesagt, könnten sich die Massen an umweltunfreundlichen Riesengeländewagen irgendwann selbst ihre Daseinsberechtigung schaffen. Das Image der SUVs ist umgeschlagen, und seit im Fernsehen jeden Tag Bilder aus Bagdad zu sehen sind, die zerbombte oder ausgebrannte Hummer-Geländewagen zeigen, sind die Wagen zum Symbol der Niederlage geworden. Der SUV-Rausch entpuppt sich als kollektive Autoaggression: Es ist nicht zuletzt die Ästhetik der Unverletzbarkeit, die am enormen Ölbedarf der Vereinigten Staaten und ihrem ökologischen und militärischen Ruin schuld ist. Hätten die Vereinigten Staaten den Pro-Kopf-Durchschnittsverbrauch von Italien, wären sie von Erdöllieferungen aus der arabischen Welt unabhängig. Überbietungsrituale in Gutmenschentum Vielleicht ist die neue Ökobewegung unter den amerikanischen Stars auch aus einem Distinktionsbedürfnis gespeist, das mit der Demokratisierung von ehemaligen Statussymbolen zu tun hat: In dem Moment, in dem jeder Holzarbeiter einen Monster-Truck mit 280 PS und jeder Nachwuchsrapper drei Lamborghinis fährt, braucht man etwas anderes, um seine Zugehörigkeit zu einer globalen Elite zu demonstrieren. Es ist auch einfach, sich über die unter Hollywoodstars gängigen Überbietungsrituale in Gutmenschentum lustig zu machen („Ich fahre ein Elektroauto“ – „ICH fahre ein Elektroauto UND habe sieben Kinder adoptiert“ – „ICH fahre ein Elektroauto, habe sieben Kinder adoptiert UND mit Bono beim Life Aid – „ – „Ich . . .“). Schon klar, es ist vom Standpunkt der reinen Lehre aus bigott, unökologisch und sehr böse, ein Hybrid zu fahren und dann doch mit dem Privatjet zum nächsten Termin zu fliegen. Aber erst mal geht es um einen grundlegenden Bewusstseinswandel: Wenn Hybridautos und Solarbauten so gut aussehen wie die Stars, die sie fahren und bewohnen, dann könnten am Ende auch Themen, die immer noch virulent sind, aber wegen Unsexiness aus dem öffentlichen Bewusstsein gestrichen wurden, wieder aus der Versenkung auftauchen. Bisher waren viele Ökohäuser und Ökoautos auch deswegen ein kommerzieller Flop, weil sie allesamt von einer depressiven Entsagungsästhetik geprägt waren. Ökologie atemberaubend attraktiv und aufregend zu machen ist wohl die wichtigste Aufgabe, die Produktdesigner und Architekten in der näheren Zukunft zu lösen haben – denn man wird den Milliarden von Indern und Chinesen, die demnächst Autos fahren und schöner wohnen wollen, schlecht erklären können, dass sie bitte nur in unbeheizten Nullenergiebuden hausen und nur mit Elektrokarren durch ihr Land sirren dürfen, weil sonst die Luft auf dem Gesamtplaneten für alle sehr schnell dünn wird. Weil das so ist, können ein paar vorbildliche Stars jedenfalls nicht schaden. Dass deren Verhalten einen unmittelbaren Einfluss auf das der Massen hat, zeigte sich deutlich 1994 bei der spektakulären Flucht des Footballers O. J. Simpson, dessen Versuch, mit einem weißen Ford Bronco der Polizei zu entkommen, zur Hauptsendezeit live übertragen wurde: In den Tagen darauf verdoppelten sich die Bronco-Bestellungen bei den Autohändlern.
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