RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

Süddeutsche online 20.02.07

Klimawandel

Wenn Dörfer schmelzen

Im

Norden Alaskas schwindet der Permafrost. Das bedroht die Existenz von

Eskimodörfern, die auf den vereisten Boden angewiesen sind.

Auswirkungen des Klimawandels treffen zuerst die weniger entwickelten

Gebiete.

Eine

Siedlung im Norden Alaskas verkörpert für Klimaforscher das

Schicksal,

das London, New York und vielleicht auch Hamburg im Zeichen der

globalen Erwärmung einmal drohen könnte. Shishmaref ist ein

600-Seelen-Dorf auf einer kleinen Insel, dem das Meer langsam, aber

beharrlich den Boden entreißt. Einige der knapp 50 Häuser

fielen dem

Wasser bereits zum Opfer, andere Familien räumten freiwillig ihren

Platz am Meer.

“Die See schluckt unser Land. Wie sollen wir

überleben?”, sorgte sich der 16-jährige Simon Weyiounna aus

Shishmaref

am Rande der weltgrößten interdisziplinären

Wissenschaftskonferenz in

San Francisco. Dort berichteten Bewohner des Eskimodorfes vor

Klimatologen, Forschern und Journalisten, wie die Erwärmung von

Land

und Meer ihren Alltag verändert. “Seit 4000 Jahren haben unsere

Vorfahren hier von der Jagd gelebt“, sagte Bürgermeister Stanley

Tocktoo bei einem anschließenden Gespräch.

Die Jagd wird schwerer

Jetzt

werde es Jahr für Jahr schwerer, über das dünne Eis ans

Wasser und dann

hundert und mehr Kilometer auf das offene Meer zu gelangen.

“Früher

zogen die Seehunde und Walrosse viel näher an der Küste

vorbei. Jetzt

bleiben sie wegen der großen Eisschollen weiter draußen“,

erläuterte

Shishmarefs High-School-Lehrer Ken Stenek. In der Nähe des Landes

finden die Tiere wegen der höheren Temperaturen nur noch kleinere

Schollen.

Die amerikanische Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften

(AAAS), Herausgeber der Fachzeitschrift „Science“ und Veranstalter des

am Montag beendeten Kongresses, gab in San Francisco eine offizielle

Warnung zu den alarmierenden Klimaveränderungen heraus. In der

Erklärung ihres Vorstandes wird die Erwärmung der Erde eine

“wachsende Bedrohung für die menschliche Gesellschaft“ genannt.

Die armen Länder leiden

zuerst

Auch

der Chef-Klimaberater der Bundesregierung, Hans Joachim Schellnhuber,

sprach in San Francisco über die dramatische Entwicklung.

Ungerechterweise müssten nicht die Verursacher der globalen

Erwärmung, Industrieländer wie die USA, sondern die Menschen

in den wenig entwickelten Regionen im hohen Norden und im Süden

der Erde am meisten unter den Folgen leiden.

Shishmaref steht auf so genanntem Permafrostboden – Boden, der auch im

Sommer bisher nur oberflächlich auftaute und deshalb ein sicheres

Fundament bot. Jetzt weichen die steigenden Temperaturen das Land

zusehends auf und erlauben dem Meer, mehr und mehr von der Erde

abzutragen. Mit der Wärme wird auch die traditionelle

Kühlmethode des Dorfes immer gefährlicher, das seine

Beerenernte, fermentierte Heringe und getrocknetes Karibufleisch in

Behältern tief im Boden vergräbt. “Im Nachbardorf sind

etliche Leute an Botulinvergiftungen erkrankt, weil ihr Fleisch

verdorben war“, erzählte Bürgermeister.

Besorgt um ihre Sicherheit erwägen Tocktoo und die Gemeinde, das

Land ihrer Väter zu verlassen und das Dorf auf das Festland zu

verlegen. Wann und wohin der Umzug gehen soll, steht noch nicht

endgültig fest. Viele Einwohner favorisieren Tin Creek, 18

Kilometer vom Heimatdorf und nur drei Kilometer von der Küste

entfernt. Oberstes Gebot für die Menschen von Shishmaref ist nach

Worten des Bürgermeisters, “dass wir eine Gemeinschaft bleiben und

dass unsere Werte und Traditionen erhalten bleiben“.

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