RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

Spiegel online 18.02.07

PLANET IN GEFAHR

Top-Forscher fordern dritte industrielle Revolution

Aus San Francisco berichtet

Markus Becker

Kann die Menschheit die

Klimakatastrophe

abwenden, Atomwaffen abschaffen und die Armut lindern?

Top-Wissenschaftler suchen auf der größten Forschertagung

der Welt nach

Antworten – und sind weitgehend ratlos.

Die Welt hat Probleme – nicht eines, nicht zwei,

sondern gleich

fünf. Jedes einzelne hat das Potential, der Zivilisation ein

gewaltsames Ende zu bereiten. Eine schnelle Lösung ist für

keines in

Sicht, geschweige denn für alle fünf, die obendrein auf

komplizierte

Art miteinander verwoben sind.

So in etwa könnte man die Rede zur Lage des Planeten

zusammenfassen,

die John Holdren bei der Jahrestagung der American Association for the

Advancement of Science (AAAS) gehalten hat. Die Konferenz, die derzeit

in San Francisco stattfindet, ist das größte

Wissenschaftlertreffen der

Welt, und Holdren als amtierender AAAS-Präsident einer der

einflussreichsten Forscher überhaupt. Doch angesichts der

Herausforderungen der Gegenwart raufen sich die Wissenschaftler in San

Francisco kollektiv die Haare: Es herrscht eine Atmosphäre

wissenschaftlich wohlbegründeter Ratlosigkeit.

Der Titel der Konferenz ist so sperrig wie ihr Inhalt.

“Wissenschaft und Technologie für nachhaltiges Wohlergehen” lautet

er,

auch wenn manches Thema mutwillig unter diese Überschrift gezerrt

wurde. Etwa die Eröffnungspressekonferenz über Wasserspuren

auf dem

Mars, ein Symposium über mathematische und statistische Beweise

für

Betrug bei der letzten US-Präsidentschaftswahl oder eine Sitzung

über

die neurobiologischen Aspekte des Schokoladen-Genusses.

Wer auf der AAAS-Tagung aber nach Anlässen sucht,

sich ernsthafte

Sorgen um die Zukunft der Menschheit zu machen, wird reichlich

fündig.

Immerhin analysieren hier die führenden Wissenschaftler der Welt

den

Zustand des Planeten, und der ist bekanntlich nicht der beste. Zugleich

betonen sie, dass sie nur für die Beschaffung der Fakten

verantwortlich

sind, nicht aber für das politische Handeln.

Von der AAAS aber, mit weltweit rund 120.000 Mitgliedern

nicht

zuletzt auch eine Lobby-Organisation, ist in dieser Hinsicht wenig

Hilfe zu erwarten. Die Organisation habe den Zenith ihrer Macht

längst

überschritten, argwöhnen Teilnehmer, die bereits seit

Jahrzehnten

jährlich die Konferenz besuchen. Früher sei die Resonanz in

der

Öffentlichkeit bei weitem größer gewesen als heutzutage

– und auch die

Reaktionen der Politik.

Eiszeit zwischen Wissenschaftlern und US-Regierung

Das Verhältnis zwischen der AAAS und dem

Weißen Haus dürfte sich

derzeit auf einem historischen Tiefstand befinden. Nach sechs

konfliktreichen Jahren unter US-Präsident George W. Bush ist unter

den

Konferenzteilnehmern Frust spürbar. Kaum jemand hätte

erwartet, dass

eine US-Regierung den Rat der besten Experten des Landes derart

missachten würde – sei es in der Klimapolitik oder bei der Suche

nach

Massenvernichtungswaffen im Irak. “Fact-averse government” lautet

Holdrens Lieblingsbezeichnung für die Machthaber im Weißen

Haus – eine

“faktenscheue Regierung”.

Angesichts der schieren Größe der globalen

Probleme aber wäre die

Unterstützung der Supermacht dringend notwendig. Laut Holdren sind

die

fünf größten Herausforderungen für die Menschheit:

· die Grundbedürfnisse der Armen zu

erfüllen,

· die Produktivität des Planeten und den

Wettlaufs um Land, Boden und Wasser zu steuern,

· ausreichend Energie für die Sicherung des

Wohlstands zu produzieren, ohne zugleich Umwelt und Klima zu ruinieren,

· die Welt von Atomwaffen zu befreien,

· die Ozeane zu schützen.

“Das sind die absolut wesentlichen Dinge”, sagt Holdren

im Gespräch

mit SPIEGEL ONLINE. Versage man bei der Erfüllung dieser Aufgaben,

sei

das Ende des heutigen Wohlstands in den Industrieländern noch das

kleinste Problem.

Erschwert wird eine Lösung durch die Tatsache, dass

jeder der 192

Staaten der Erde von mindestens einem der fünf Probleme direkt

betroffen ist, und jeder verfolgt unterschiedliche Interessen. “Wir

müssen aber nicht in jedem Fall einen Konsens aller 192 Staaten

erreichen”, meint Holdren. “Beim Klimaschutz etwa müssen wir nur

13

Länder ins Boot holen.” Das seien neben den G8-Staaten China,

Indien,

Mexiko, Indonesien und Brasilien. Problem: Die US-Regierung verweigert

bis heute die Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls – und Chinas

offizielle Politik ist, erst einmal gar nichts zu tun. Zuerst, so

argumentiert Peking, müssten sich die westlichen Industriestaaten

im

Klimaschutz bewegen. Die aber sind – siehe Kyoto-Protokoll –

zerstritten.

“Wir wollen keine Revolution”

Holdren glaubt dennoch, dass die Menschheit die Kurve

kriegt –

zumindest beim Klimaschutz. “Schließlich wollen wir keine

Revolution”,

sagt der Wissenschaftler. “Gäbe es eine Abgabe von 30 Dollar pro

Tonne

freigesetzten Kohlendioxids, würde der Sprit etwa zehn Cent pro

Liter

teurer werden und der Strompreis um 10 bis 20 Prozent steigen. So etwas

verändert niemandes Lebensweise, aber die Art, wie Energie erzeugt

wird. Es würde dazu führen, dass wir uns umweltfreundlicher

verhalten.”

Bei Hans Joachim Schellnhuber klingt das ein wenig

anders. Der

Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung fordert in

einer Vorlesung auf der AAAS-Tagung ein “globales Manhattan-Projekt”,

um die Wende im Klimaschutz einzuleiten. Da im Rahmen des

Manhattan-Projekts die erste Atombombe entwickelt wurde und der Name

damit negativ besetzt sei, gelte es noch einen neuen Titel zu finden.

Aber der Zweite Weltkrieg – so grauenhaft auch seine Folgen waren –

“war einer der größten Innovationsmotoren in der

Geschichte”, sagt

Schellnhuber.

Einen solchen Innovationsschub brauche man nun erneut,

angesichts

der bedrohlichen Entwicklung des Klimawandels und der wenig

nachhaltigen Energieerzeugung. “Die Forschung und Entwicklung auf dem

Energiesektor wird seit zwei Jahrzehnten komplett vernachlässigt”,

sagt

Schellnhuber. “Wir brauchen eine dritte industrielle Revolution.”

“Lachen Sie nicht, das ist das Ende der Welt”

Was passieren könnte, wenn die Revolution

ausbleibt, zeigt

Schellnhuber mit einem unterhaltsamen Trickfilm: Unterschiedliche

Bereiche des Weltklimas beeinflussen sich gegenseitig und führen

zu

einem galoppierenden Treibhauseffekt. Das Publikum findet die

umherwirbelnden Grafiken lustig. “Lachen sie nicht”, ruft Schellnhuber

vergnügt. “Das ist das Ende der Welt.” Zumindest könne es so

kommen,

wenn man nicht schleunigst den CO2-Ausstoß begrenze.

Nur gibt es da gewisse Widerstände. Schellnhuber

erzählt, wie er das

neulich bei Gesprächen mit US-Abgeordneten in Washington erleben

musste. “Eine Gruppe dort glaubt immer noch, dass der Mensch am

Klimawandel nicht beteiligt ist”, sagt Schellnhuber. “Manchen Leuten

kostet die Rettung der Welt eben zu viele Jobs.”

AAAS-Präsident Holdren ist trotz aller Hindernisse

überzeugt, dass

die Wende gelingen kann. “Ich bin Optimist”, sagt er. “Wenn ich nur auf

den leeren Teil des halbvollen Glases schauen würde, bekäme

ich in der

Tat Depressionen.” Aber die Wissenschaftler fänden wieder

Gehör, glaubt

der Physiker. Das gelte insbesondere für den Klimaschutz. Extreme

Wetterphänomene und die intensiver werdende Berichterstattung in

den

Medien erhöhten auch den Druck auf die Politik. “Wir stehen in

dieser

Hinsicht an einem Wendepunkt.”

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