RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Tagesschau

online 05.03.07

Interview zum neuen UN-Klimabericht:

“Es bleibt nicht mehr viel Zeit”

Nach Jahren intensiver Arbeit

wird heute ein neuer Klimabericht der Vereinten Nationen vorgelegt. Mehr

als 2500 Wissenschaftler und Behördenmitarbeiter haben an der “Bibel

zum Klimawandel” mitgearbeitet, darunter auch der Direktor des Max-Planck-Instituts

für Meteorologie in Hamburg, Jochem Marotzke. Tagesschau.de sprach

mit ihm über die neueste Diagnose zum Zustand des Planeten.

Marotzke: Das steht so in

dem Bericht nicht drin. Es gibt keine Erkenntnisse, dass der Klimwandel

schneller kommt oder stärker ausfällt, als bisher vorhergesagt.

Das Hauptstichwort sind Bekräftigungen und Konsolidierungen der bisherigen

Aussagen.

tagesschau.de: Gibt es noch

seriöse Zweifel am Einfluss des Menschen auf den Klimawandel?

Marotzke: Viele Argumente,

die für Zweifel am menschengemachten Klimawandel gesprochen haben,

fallen jetzt weg. Zum Beispiel variiert die Sonneneinstrahlung viel geringer,

als noch vor fünf, sechs Jahren angenommen wurde. Auch wurden die

Rekordtemperaturen seit 1998 noch nicht in den letzten Bericht von 2001

aufgenommen. Alle Jahre nach 2000 waren wärmer als vor 1998. Ein weiterer

Punkt: Satellitenmessungen der oberen Troposphäre zeigten eine Abkühlung,

was nicht zu den Messungen an der Erdoberfläche passte. Das wurde

von den Zweiflern genutzt, um die Daten als unzuverlässig darzustellen.

Jetzt weiß man, dass die Satelliten ihre Bahn leicht verändert

hatten, was die Temperaturdaten beeinflusste.

UN-Klimabericht: 1988 hat

die UNO den zwischenstaatlichen Ausschuss zu Klimaänderungen ins Leben

(IPCC) gegründet. Er soll den Klimawandel untersuchen und Strategien

gegen negative Folgen erarbeiten. Im gerade erarbeiteten vierten Bericht

wird der Einfluss des Menschen auf den Klimawandel nicht mehr in Frage

gestellt. Der globale Temperaturanstieg bis zum Jahre 2100 wird auf 3 Grad

geschätzt.

tagesschau.de: Die Angaben

zur globalen Erwärmung variieren zwischen zwei und 4,5 Grad, welche

Faktoren spielen da eine Rolle?

Marotzke: Das hängt

von zwei Punkten ab. Wir wissen nicht, wie sich der Ausstoß der Treibhausgase

entwickeln wird und es gibt Unsicherheit darüber, wie das Klima auf

die Erhöhung des Treibhausgaskonzentration reagiert. Die Modelle variieren

da bis zu einem Faktor von zwei. Das hängt mit den Prozessen in den

Wolken zusammen, die noch nicht richtig verstanden sind.

“Das Zwei-Grad-Ziel ist

sehr ehrgeizig”

tagesschau.de: Wie realistisch

ist das politische Ziel, die Erhöhung der globalen Temperatur auf

zwei Grad zu beschränken?

Marotzke: Das Zwei-Grad-Ziel

ist in jedem Falle sehr ehrgeizig. Das wird enorme Anstrengungen erfordern

und es bleibt nicht mehr viel Zeit.

tagesschau.de: Um die Erderwärmung

zu bremsen, muss der Ausstoß von Treibhausgasen, vor allem von Kohlendioxid,

verringert werden. Wie stark sollten die CO2-Emissionen reduziert werden,

damit das ehrgeizige Ziel erreicht wird? [Bildunterschrift: Die Erderwärmung

wird durch den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase forciert.]

Marotzke: Um 50 Prozent bis

zur Mitte des Jahrhunderts. Das bedeutet, dass die technologisch hoch entwickelten

Länder noch stärker reduzieren müssten, weil für Länder

wie Indien, China und Brasilien eine solche Reduktion noch sehr viel schwerer

zu erreichen ist, als für die Industrieländer.

Kernenergie als Option erwägen

tagesschau.de: Das würde

große Anstrengungen erfordern?

Marotzke: Die Reduktion des

Individualverkehrs ist eine wichtige Maßnahme. Energiesparmaßnahmen

ebenso. Es hat aber keinen Zweck, den Bürgern Verzicht vorzuschreiben.

Das ist politisch nicht durchsetzbar und auch nicht gewünscht. Man

muss überlegen, wie man den Energieverbrauch senkt, ohne die Lebensqualität

einzuschränken. Da müssen wir auch über die Kernenergie

nachdenken. Obwohl ich das Problem mit der langfristigen Lagerung der Atomabfälle

für sehr ernst halte, wäre es wichtig, die Diskussion wieder

zu öffnen.

tagesschau.de: Wann würden

sich die Maßnahmen beim Klimageschehen frühestens bemerkbar

machen?

Marotzke: Frühestens

in zwanzig bis dreißig Jahren. In den verschiedenen Szenarien sehen

wir bis zum Jahr 2030 keinen Unterschied, auch wenn ein Rückgang der

Emissionen sofort erkennbar wäre. Multimedia-Dossier: Klimawandel

Die globale Erwärmung und ihre Folgen – tagesschau.de dokumentiert

den Klimawandel. [flash]

tagesschau.de: Im UN-Klimabericht

wird ein geringerer Anstieg des Meeresspiegels vorhergesagt, als bisher.

Warum?

Marotzke: Für den Anstieg

des Meeresspiegels wird eine etwas geringere Spanne angegeben als bisher.

Darüber bin ich ein bisschen verwundert. Wir haben sogar einen relativ

starken Anstieg des Meeresspiegels in den vergangenen zehn Jahren festgestellt.

Wir fragen uns allerdings, wo das herkommt. Denn an der Erwärmung

des Ozeans kann es nicht liegen und auch nicht an den schmelzenden Eismassen

an Land. Es ist möglich, dass es natürliche Schwankungen gibt,

die wir noch nicht verstanden haben.

tagesschau.de: Stimmt es,

dass es in wenigen Jahrzehnten kein Eis mehr auf Grönland geben wird?

Marotzke: Das ist etwas übertrieben

worden. Da weiß ich zum Teil auch nicht, wo die Angaben herkommen.

Allerdings haben wir vor fünf bis zehn Jahren noch geglaubt, das Grönlandeis

braucht zum Schmelzen 2000 Jahre. Neue Erkenntnisse zeigen jedoch, dass

das Eis schon in 600 Jahren verschwinden kann. Wir können aber ausschließen,

dass Grönland in diesem Jahrhundert abschmilzt.

 

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