RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 24.05.07

5000 JAHRE WIRBELSTÜRME

Hurrikan-Geschichte entlastet

Erderwärmung

Aus Woods Hole berichtet

Franziska Badenschier

Zwölf Bohrkerne, jeder

vier Meter lang, verraten die Hurrikan-Historie der letzten 5000 Jahre

in Puerto Rico – und zeigen: Die verheerenden Hurrikane der vergangenen

Jahre sind nicht unbedingt Folge des Klimawandels.

Woods Hole – Schwarzer, feucht-glänzender

Ton: So unspektakulär sehen auf den ersten Blick die Bohrkerne aus,

die Geophysiker Jeffrey Donnelly von der puertoricanischen Lagune Playa

Grande in sein Labor im neu-englischen Woods Hole mitgebracht hat. Wären

da nicht graue, luftige Schichten aus groben Körnern: Sand, den heftige

Hurrikane von der Nehrung in die Lagune gewirbelt haben. Jeder der zwölf

jeweils vier Meter langen Bohrkerne ist eine Zeittafel; insgesamt bilden

sie die am weitesten zurückreichende Wirbelsturm-Chronologie, die

es derzeit weltweit gibt.

Mehr als 5000 Jahre zurück

konnte Hurrikan-Historiker Donnelly von der Woods Hole Oceanographic Institution

(WHOI) anhand der Proben schauen – und stellte fest: Die heftigen Wirbelstürme

fegten nicht ständig mit der gleichen Intensität über den

westlichen Nordatlantik auf die puertoricanische Insel Vieques, stattdessen

wechselten sich stürmische und ruhige Phasen ab.

In dem Wissenschaftsjournal

“Nature” listet Donnelly mit seinem Kollegen Jonathan Woodruff jetzt auf:

Vor 5450 bis 3650 Jahren trafen regelmäßig Wirbelstürme

auf die Lagune; nur kurz unterbrochen von einer 150 Jahre dauernden Ruhephase.

Danach gab es bis vor rund 2550 Jahren nur wenige Hurrikane. Es folgte

ein Intervall mit relativ vielen starken Wirbelstürmen, bis vor rund

1050 Jahren erneut Ruhe einkehrte. Seit 300 Jahren aber erreichen wieder

mehr Wirbelstürme die Lagune – wie sich auch andernorts die ungemütlichen

Stürme häufen.

“Wir leben in einer aktiven

Hurrikan-Phase”

Gerade in den letzten Jahren

sorgten immer mehr nordatlantische Hurrikane mit den Prädikaten “sehr

stark” oder “verwüstend” – den zwei schlimmsten Wirbelsturm-Kategorien

– für Tote, zerstörte Städte und Schäden in Millionenhöhe:

“Katrina” (2005), “Wilma” (2005) und “Ivan” (2004) sind nur drei davon.

Schuld an dieser Häufung

sei der Klimawandel, heißt es immer wieder: Die globale Erwärmung

erhöhe die Oberflächentemperatur der Ozeane, wodurch kleine unbedeutende

Winde zu mächtigen Hurrikanen werden. Zumindest für das Hurrikan-Rekordjahr

2005 – erstmals drei verwüstende Hurrikane in einer Saison – könne

man dem Menschen eine maßgebliche Mitverantwortung nachweisen, berichteten

Forscher im vergangenen Sommer (mehr…).

Die Temperatur an der Oberfläche

der Meere nehme zwar wirklich zu, so Donnelly zu SPIEGEL ONLINE. “Doch

das begünstigt die Entstehung von Hurrikanen nur”, ist er überzeugt.

Damit sei der menschengemachte Klimawandel noch nicht Schuld an den vielen

Hurrikanen in den letzten Jahren. “Wir leben nun mal in einer aktiven Hurrikan-Phase”,

sagt der Geologe lapidar, während er an einem schreibtisch-großen

Bildschirm die jüngsten Tropenstürme an der US-Ostküste

Revue passieren lässt. Hurrikane seien nun mal “natürlich”.

Weitreichende Auswirkungen

des Monsuns in Afrika

Seit den sechziger Jahren

überwachten Wissenschaftler Ozean-Oberflächentemperaturen und

Hurrikane per Satellit, sagt Donnelly. “Das ist zu kurz und unzuverlässig,

um wirklich Trends in der Aktivität von starken Tropenzyklonen zu

enthüllen.” Die nun in “Nature” beschriebene Analyse der Bohrkerne

erweist sich da als nützlicher.

Donnelly glaubt auch zu wissen,

warum die Hurrikan-Intensität in den vergangenen 5000 Jahren so stark

schwankte. Grund seien Veränderungen beim westafrikanischen Monsun,

einer großräumigen Luftzirkulation, und bei El Niño.

Bei diesem Klimaphänomen erwärmt sich alle drei bis acht Jahre

das Wasser im Ostpazifik, die warmen Strömungen bringen die Winde

über dem Ozean durcheinander und sorgen an Land für Dürren

und Unwetter.

In Zeiten, in denen der El

Niño in relativ kurzer Zeit oft auftrete, gebe es keine Hurrikane,

so Donnelly. Der Grund: Wegen des Klimaphänomens wehen die Luftmassen

über dem Ozean in verschiedene Richtungen – sie scheren, statt sich

zu einem Sturm zusammenzubrauen (mehr…); der Kamin bricht zusammen. Die

Daten aus Puerto Rico zeigten laut Donnelly auch: “Geht der El Niño

zurück, kommen wieder Hurrikane.” So wie derzeit.

Den Vereinigten Staaten stehe

dieses Jahr eine heiße Wirbelsturm-Saison bevor (mehr…), warnten

kürzlich US-Meteorologen. Im vergangenen Dezember und Januar sei der

El Niño im tropischen Pazifik nur schwach bis mittelstark gewesen,

deswegen nehme gerade die Wirbelsturmaktivität im Nordatlantik zu.

Mehr starke Stürme, mehr Hurrikane und mehr sogenannte Landfalls lautete

die Prognose. Der erste Tropensturm kam denn auch besonders früh (mehr…).

Auch auf El Niño scheint

sich die globale Erwärmung auszuwirken, die Frage ist nur: Wie? “Ob

der Klimawandel für mehr El Niño oder doch noch für mehr

Hurrikane sorgen wird”, so Donnelly, “wissen wir noch nicht.” Um Änderungen

der Hurrikanintensität überhaupt vorhersagen zu können,

müsse man El Niño genauer untersuchen und besser verstehen

– und auch die Auswirkungen der Erderwärmung auf den westafrikanischen

Monsun.

 

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