RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 01.03.07

UNO-BERICHT

Klimawandel hat die Welt

schon jetzt im Schwitzkasten

Von Volker Mrasek

Der Klimawandel ist viel

weiter fortgeschritten als bisher bekannt. Das zeigt ein bisher geheimer

Teil des Uno-Weltklimareports, für den 30.000 Messreihen ausgewertet

wurden. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE ist das Fazit: Keine Weltregion

wird verschont – und vier trifft es besonders hart.

Ist das Wetter, das wir heute

auf der Erde beobachten, schon aus den Fugen? Wirkt sich die Luftverschmutzung

der vergangenen Jahrzehnte schon in der Gegenwart aus? Genau davon geht

der Weltklimarat der Uno aus: Menschliche Einflüsse aus den vergangenen

drei Jahrzehnten “hatten eine erkennbare Auswirkung auf viele physikalische

und biologische Systeme”, folgern die Autoren des bislang geheimen zweiten

Teils des Weltklimareports 2007.

Nach Informationen von SPIEGEL

ONLINE wird das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) die Lage

so zusammenfassen: Der Klimawandel hat die Erde schon heute fest im Schwitzkasten.

Das geht aus dem Schlussentwurf der Summary for Policymakers hervor, der

Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger.

Der Band, an dem mehrere

hundert Wissenschaftler mitgewirkt haben, soll Anfang April in Brüssel

nach einer letzten Erörterung mit Regierungsvertretern aus aller Welt

veröffentlicht werden. Die Metastudie wird erhebliches politisches

Gewicht in der laufenden Klimadebatte haben.

Lange Indizienliste: Wir

sind mittendrin

Ihr Hauptbefund ist, dass

sich auf allen Kontinenten die Erdoberfläche und die Ökosysteme

schon jetzt unter dem Druck regionaler Klimaerwärmung wandeln. Die

in dem Entwurf ausgebreitete Indizienliste ist lang:

    * Gletscherseen

nehmen an Zahl und Größe zu, ihr Überlaufen könnte

fatale Überschwemmungen auslösen.

    * Im

Gebirge und in hohen Breiten weicht der Dauerfrost auf, Eis- und Gesteinslawinen

nehmen zu.

    * Flüsse

und Binnenseen erwärmen sich, ihre thermische Schichtung und die Wasserqualität

verändern sich.

    * Die

Abflussrate in Strömen, die sich im Frühjahr aus schmelzenden

Gletschern und Eisfeldern speisen, nimmt zu.

    * Der

Frühlingsbeginn wandert im Kalender immer weiter nach vorne, Pflanzenblüte

und Vogelzug verschieben sich.

    * Viele

Pflanzen- und Tierarten dehnen ihr Verbreitungsgebiet in die milder werdenden

höheren Breiten und Gebirgszonen aus.

Für den zweiten Teilbericht

dieses Jahres haben die Autoren fast 30.000 Datensätze aus mehr als

70 internationalen Studien überprüft. Diese Messreihen dokumentieren

die Veränderungen des Wasserkreislaufs, der Kryosphäre (Eiszonen),

der Flora und Fauna über einen Zeitraum von mindestens 20 Jahren.

Die Forscher halten es für

“sehr unwahrscheinlich”, dass die geschilderten Phänomene maßgeblich

auf natürliche Prozesse zurückgehen. Ihre beiden Hauptargumente:

Die räumlichen Muster von regionalen Klimaerwärmungen und Umweltänderungen

stimmen sehr gut überein. Eine ähnliche Konsistenz gebe es zwischen

den Beobachtungen und dem, was Klimamodelle als Veränderungen infolge

einer Temperaturzunahme prognostizierten.

Bedrohte Naturschätze

Die Uno-Sachverständigen

schildern nicht nur den Ist-Zustand. Gestützt auf Zukunftsszenarien

gehen sie auch der Frage nach, wie sich menschliche Lebensräume und

Ökosysteme in einer wärmer werdenden Welt entwickeln werden.

Viele Naturschätze werden

dem Klimawandel zum Opfer fallen, schreiben die IPCC-Autoren in dem Entwurf:

    * Für

20 bis 30 Prozent aller Arten bestehe ein “hohes Risiko der Auslöschung”,

sollte die globale Mitteltemperatur um weitere 1,5 bis 2,5 Grad Celsius

im Vergleich zu 1990 steigen. Schon ab 2050 könnte es soweit sein.

    * Korallenriffe

werden “wahrscheinlich starke Rückgänge erleben”.

    * Salzmarschen

und Mangrovenwälder könnten bei steigenden Meerespegeln versinken.

    * Tropischer

Regenwald werde dort, wo der Bodenwassergehalt stark zurückgehe, durch

Savanne ersetzt.

    * Zugvögel

und Säugetiere litten unter der Verschiebung der Vegetationszonen

in der Arktis.

Am stärksten werden

nach Ansicht des IPCC vier Weltregionen zu leiden haben:

    * die

Arktis (Ursache: stärkste relative Erwärmung),

    * kleine

Inselstaaten im Pazifik (Meeresspiegelanstieg),

    * Afrika

südlich der Sahel-Zone (Dürren)

    * und

die dichtbevölkerten Flussmündungen Asiens (Überschwemmungen).

Schon diese Aufzählung

macht deutlich: Auch der Mensch wird kaum ungeschoren davonkommen.

Hitzetote, Überflutungen,

Dürren, Stürme

Der Uno-Klimarat erwartet

“steigende Zahlen von Todesfällen, Verletzungen und Erkrankungen durch

Hitzewellen, Überschwemmungen, Stürme, Waldbrände und Dürren”.

Der Entwurf der Politiker-Zusammenfassung spricht von “hitzebedingter Sterblichkeit”

speziell in Europa und Asien.

ESA 2004

Das Intergovernmental Panel

on Climate Change, zu Deutsch der zwischenstaatliche Ausschuss für

Klimaveränderungen mit Sitz in Genf, wurde 1988 vom Umweltprogramm

der Vereinten Nationen (Unep) und der World Meteorological Organization

(WMO) gegründet, die ebenfalls zur Uno gehört. Der Inder Rajendra

Kumar Pachauri ist seit Mai 2002 Vorsitzender des IPCC.

Das auch als Weltklimarat

bezeichnete IPCC soll umfassend, objektiv und ergebnisoffen die wissenschaftlichen,

technischen und sozioökonomischen Informationen über den von

Menschen verursachten Klimawandel bewerten. Das Gremium, dem Hunderte von

Wissenschaftlern in aller Welt zuarbeiten, soll die Folgen und Risiken

der Klimaveränderung abschätzen und ausloten, wie man sie abschwächen

oder sich an sie anpassen kann.

Der IPCC führt keine

eigenen Forschungsprojekte durch, analysiert die Ergebnisse wissenschaftlicher

Veröffentlichungen, die dem Peer-Review-Verfahren – der Prüfung

von Fachartikeln durch unabhängige Gutachter – gefolgt sind.

Das IPCC hat bisher 1990,

1995 und 2001 Berichte über den Stand der Klimaforschung abgegeben.

Am 2. Februar wird der erste Teil des neuen Reports vorgestellt, die Teile

zwei und drei werden im Laufe des Jahres folgen.

An dem Bericht sind drei

Arbeitsgruppen beteiligt: Arbeitsgruppe I stellt den Stand der Klimaforschung

dar, fasst Daten und Computersimulationen zusammen und trifft Aussagen

über die künftige Entwicklung. Arbeitsgruppe II berichtet über

die möglichen Folgen der Erwärmung für Mensch und Umwelt,

Arbeitsgruppe III über mögliche Gegenmaßnahmen.

Im ersten Klimareport des

IPCC von 1990 war noch von einem natürlichen Treibhauseffekt die Rede,

der von Emissionen des Menschen verstärkt werde. Der Report von 2001

ging wesentlich weiter: Er besagte, dass die Treibhausgas-Emissionen des

Menschen für den größten Teil der Erwärmung verantwortlich

sind. Auch Computersimulationen, die zur Prognose der zukünftigen

Entwicklung eingesetzt werden, räumte das IPCC 2001 steigende Glaubwürdigkeit

ein. Beides brachte dem Klimarat teils harsche Kritik von Regierungen und

Industrievertretern ein.

Der IPCC-Report von 2001

sagte voraus, dass die Temperatur an der Erdoberfläche im globalen

Schnitt bis 2100 um 1,4 bis 5,8 Grad steigen werde. Experten gehen inzwischen

davon aus, dass eine Erwärmung von weniger als zwei Grad zwar zu einer

deutlichen Zunahme von extremen Wetterphänomenen führen, insgesamt

aber noch beherrschbar sein wird. Bei einer Erwärmung von deutlich

mehr als zwei Grad werden katastrophale Folgen befürchtet.

Der IPCC-Report von 2007

basiert auf Hunderten Modellrechnungen, ausgefeilten Computermodellen,

zahllosen Studien und Messreihen. 450 Hauptautoren liefern die bisher genaueste

Beschreibung dessen, was die Temperatur der Atmosphäre etwa seit dem

Jahr 1800 in die Höhe treibt. An dieser vierten Studie des IPCC haben

2500 Experten sechs Jahre gearbeitet.

In der Zusammenfassung des

Reports ist von einem Anstieg der Temperaturen in den nächsten 30

Jahren um rund 0,7 Grad Celsius die Rede. Bis 2100 könnte die Temperatur

gar um bis zu 6,4 Grad steigen – abhängig von der Menge der freigesetzten

Treibhausgase.

Die stärksten Temperaturerhöhungen

erwarten die Forscher in den hohen nördlichen Breitengraden. In der

Arktis sind bereits jetzt dramatische Folgen des Klimawandels zu beobachten.

Weniger betroffen sind hingegen die südlichen Ozeane sowie der Nordatlantik.

Mehrere hundert Millionen

Menschen in dicht besiedelten Küstenregionen seien allein durch den

Meeresspiegelanstieg und das damit verbundene höhere Überflutungsrisiko

bedroht, hauptsächlich in den Deltagebieten Asiens. Mehr als ein Sechstel

der Weltbevölkerung lebt laut dem Papier in Regionen, wo Gletscher

und Schnee wichtige Wasserspeicher darstellen – die aber “sehr wahrscheinlich”

weiter schwinden.

Detailliert listen die Sachverständigen

die möglichen Folgen für unterschiedliche Weltregionen auf: Europa,

Afrika, Asien, Nordamerika, Mittel- und Südamerika, Australien und

Neuseeland, Polargebiete und kleine pazifische Inseln. In vielen Weltgegenden

wird die Erwärmung Mensch und Umwelt demnach hauptsächlich Nachteile

bringen. Die positiven Effekte wie höhere Erträge in der Land-

und Forstwirtschaft Nordeuropas verblassen angesichts der bedrohlichen

Szenarien (siehe interaktive Grafik).

In dem Entwurf machen die

Autoren jeweils kenntlich, wie sicher sie sich in ihren Aussagen sind.

Der weitaus größte Teil der Feststellungen fällt dabei

in die Kategorie zwei, was bedeutet, dass die Forscher sie mit “großer

Gewissheit” verkünden. Einen Teil ihrer Schlüsse ziehen die Sachverständigen

aber auch mit “sehr großer Gewissheit”, zum Beispiel, dass Nordamerika

in Zukunft noch stärkere Waldbrände und Hitzewellen in verschiedenen

Großstädten erleben wird. Oder dass der Klimawandel für

kleine Inselstaaten die größten Risiken birgt.

Mehr Nahrung im Norden, Erde

könnte grüner werden

Das Papier nennt auch einzelne

erfreuliche Entwicklungen. Diese könnten aber von nur kurzer Dauer

sein.

Die Experten machen sich

offenbar keine direkten Sorgen um die Nahrungsmittelproduktion. In hohen

Breiten werden sich die landwirtschaftlichen Anbaubedingungen wahrscheinlich

verbessern, so dass die Ernteerträge global gesehen bis auf weiteres

steigen. Dessen ungeachtet dürften zahlreiche Entwicklungsländer

künftig häufiger von Dürren heimgesucht werden – und ihre

Bevölkerung stärker unter Hungersnöten leiden. Erst bei

einem Temperaturanstieg von drei Grad Celsius und mehr sieht der Klimarat

das Risiko, dass sich das Ertragsplus im hohen Norden und tiefen Süden

wieder umkehren könnte. Generell haben die Autoren in die Prognosen

zur Ernährungsituation nur “mittleres Vertrauen”.

 

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