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Spiegel
online 11.06.07 UMWELTBILANZ Bio-Äpfel vom Ende der Welt – eine Ökosauerei? Von Max Rauner und Jens Uehlecke Deutschland im Biorausch: Supermarktkunden greifen immer häufiger zu Obst und Gemüse mit grünem Siegel. Um diesen Hunger zu stillen, werden Biofrüchte aus Übersee importiert – aus Chile, Südafrika, Neuseeland. Ein Ökosündenfall? Der Vergleich mit heimischem Obst überrascht. Aus den Pappkartons im Hamburger Obstladen Jegotka strömt die schwere Süße Hunderter Äpfel. Jeder einzelne macht auf seine Weise Werbung. So riecht sie, die Qual der Wahl. Wer hier einen Apfel kaufen will, muss sich zwischen 13 Sorten entscheiden. Jonagold etwa und Gala Royal mit Biosiegel. Beide sehen besonders lecker aus – doch welcher Apfel darf es sein? Klar, es kommt nur Bio in die Tüte. Jeder weiß, dass Ökoobst nicht nur gesünder ist, sondern auch besser für die Umwelt. Oder? Auf den zweiten Blick ist es nicht mehr so einfach. Die Jonagold-Äpfel kommen aus dem Alten Land vor Hamburg, die Bio-Royal-Galas aus dem mehr als 10.000 Kilometer entfernten Südafrika. Bio hin oder her: Obst um die halbe Welt zu schippern kann doch nicht gut sein. Weder für die Äpfel noch fürs Klima. Eigentlich wären Bioäpfel ideal, die auf einem Baum in der Nähe gereift sind – frei von Pestiziden, nachhaltig angebaut, nicht mehr als eine Stunde vom Laden entfernt. Leider gibt es die im Juni nicht mehr. Nicht bei Jegotka und auch kaum woanders. Die Lager sind leer, die deutschen Obstbauern können den rasant wachsenden Hunger auf Ökoäpfel nicht mehr stillen. Das ist die Kehrseite des Biobooms, der der Branche seit vier Jahren Wachstumsraten zwischen 11 und 16 Prozent beschert. Was heute an der Obsttheke als Bio verkauft wird, ist längst nicht mehr das, wofür Bio ursprünglich stand. Die Äpfel kommen nur noch selten von kleinen Bauern nebenan, die im Reinen mit Mutter Natur leben. Sie stammen von industriell organisierten Plantagen in Argentinien, China oder Südafrika. Und dort bedeutet Bio vor allem eines: Es bringt mehr Geld. Der Apfel lässt sich natürlich beliebig ersetzen, durch Orangen, Erdbeeren, Trauben. Und doch ist das Ökodilemma an keiner anderen Frucht so greifbar. Äpfel sind das Lieblingsobst der Deutschen, jeder isst im Schnitt 60 Stück pro Jahr. Täglich müssen die Käufer zwischen zwei Übeln wählen. Sollen sie sich mit den Pestiziden des Bauern von nebenan vergiften und eine Mitschuld an der verseuchten Natur tragen? Oder sollen sie den Bioapfel aus Übersee kaufen und so den Klimawandel beschleunigen? Was ist am Bioapfel von dort überhaupt Bio? Einer reiste um die halbe Welt, um wissenschaftlich solide zu klären, ob Ökofrüchte aus der Ferne wirklich so böse sind wie oft behauptet. Michael Blanke, Obstforscher an der Universität Bonn, flog nach Neuseeland und recherchierte, wie viele Äpfel dort pro Hektar geerntet werden und wie viel Energie Herstellung und Transport des Düngers benötigen. Er fuhr den Weg eines Apfels von den Plantagen bis zum Hafen ab, erkundigte sich nach dem Spritverbrauch der Lastwagen und nach der Fahrtroute des Frachtschiffs von Neuseeland nach Antwerpen, von wo der Apfel zu einem Supermarkt im Ruhrgebiet gebracht wird. Und er rechnete hinzu, wie viel mal mehr der Bauer auf sein Feld fahren muss, um die erlaubten Biodünger Kupfer und Schwefel auszubringen. Diese sind nicht so wirksam und müssen deshalb häufiger verteilt werden. Dann verglich er die Zahlen mit denen eines konventionellen Apfels aus Meckenheim bei Bonn. Der wird im Herbst geerntet und laut Modellrechnung fünf Monate lang bei ein bis drei Grad im Kühlhaus gelagert – auch das kostet sehr viel Energie. Dann wird er zum Großhändler und von dort in denselben Supermarkt transportiert.
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