RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
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online 09.07.07

Pop-Götter und das Klimadings

VON JÖRG SCHINDLER

Wer kann denn auch ahnen,

dass der Klimawandel ausgerechnet an diesem Tag in Hamburg pausiert? Der

Regen peitscht schräg auf die Gummimatten in der Nordbank-Arena, als

am Samstag, um Punkt zwei, E-Gitarren gegen die Apokalypse in Stellung

gebracht werden. Mit gutem Willen geschätzt sind es vielleicht 15

Grad im Juli. Kein Sommermärchen, nirgends. Sogar oben, auf der zugigen

Tribüne, meint man die Brailleschrift auf der Haut der leicht geschürzten

Kolumbianerin Shakira entziffern zu können. Derweil unten, im wasserdichten

Bauch der Arena, Blues-Hase Stefan Gwildis die Sache auf den Punkt bringt:

“Ich zieh den Hut vor den Menschen, die arschviel Geld bezahlt haben und

bei dem Scheißwetter im Stadion stehen.”Andererseits muss man sagen:

Die Menschen sind ja nicht nur zum Spaß hier. Al Gore hat gerufen.

Und vielleicht 30 000 sind gekommen. Das sind nicht so viele wie in New

York, Rio, London oder Sydney. Aber doch ungleich mehr als etwa in Rothera.

Wobei man fairerweise sagen muss: Da unten am Südpol ist das Wetter

in der Regel noch dürftiger als an der Nordsee. So oder so sind es

ein paar Hunderttausend, die sich an diesem 7.7.2007 rund um die Welt versammelt

haben, um eben diese vor dem Untergang zu retten. Wie genau, das bleibt

zwar auch während der 24 “Live-Earth”- Stunden einigermaßen

im Vagen. Aber irgendwie ist es doch ein gutes Gefühl, dabei zu sein.

Rund 150 mehr oder weniger

bekannte Acts haben sich deshalb anerboten, für lau das Haus zu rocken.

Es gab zwar auch Ausnahmen wie den Who-Sänger Roger Daltrey, der griesgrämig

zu Protokoll gab: “Das Letzte, was der Planet braucht, ist ein Rockkonzert.”

Der ganze Rest aber stellte sich willig für Al Gores Öko-Feldzug

zur Verfügung. Madonna dichtete eigens für London die komplexe

Grünen-Hymne “Hey you!”; Lenny Kravitz beschallte den Strand von Rio;

Police vereinigte sich vor zehntausenden New Yorkern wieder. Und auch in

Hamburg sangen einige Götter des Pop-Olymp gegen steigende Meeresspiegel

an: Shakira, Snoop Dogg, der zum Yusuf konvertierte Cat Stevens, ganz zu

schweigen von einem guten Dutzend lokaler Bühnenhelden.

Sie alle gaben sich während

dieses größten Politrock-Spektakels der Erdgeschichte alle erdenkliche

Mühe, den gemeinen Musikhörer zu missionieren: Pflanze Bäume!

Ächte Glühbirnen! Fahr Rad! Begreife Stand-By-Tasten als das,

was sie sind: Teufelswerk! Mieze, die Stimme von Mia, verschenkte ihre

Engelsflügel an einen Fan, der gelobte, seine Anlage fürderhin

nur noch mit Ökostrom zu betreiben. Moderatorin Gülcan, die demnächst

öffentlich einen bekennenden Maserati-Freund ehelicht, regte eine

weltweite La-Klima-Welle an. Snoop Dogg nölte mit Pipi-Langstrumpf-Zöpfchen

für die Umwelt. Und Michael Mittermeier hatte einen Mittelfinger für

“George Fuckingyou Bush” übrig, weil der irgendwie “das ganze Klimadings”

zu verantworten hat.

Gelöbnisse per SMS

Da wurde aber gelacht im

regnerischen Rund. Während der Umbaupausen sollten die Gäste

Umwelt-Gelöbnisse via SMS in den Äther entsenden. Wobei man sich

schon fragen durfte, ob das nun dem Planeten oder vielleicht doch eher

T-Mobile, O2 und Vodafone nutzt.

Wie überhaupt die ganze

Live-Earth-Chose den einen oder anderen klimafernen Nebeneffekt zu erzielen

schien. Zum Beispiel für die bekennenden Öko-Aktivisten von Daimler,

deren drolliger Smart in Hamburg so allgegenwärtig war, als würde

er nicht mit Benzin, sondern mit Vergissmeinnicht betrieben. Zum Beispiel

für B- und C-Promis wie Jasmin Wagner, the artist formerly known as

“Blümchen”, die, wiewohl nicht für die Bühne gebucht, trotzdem

in der Arena auftauchte. Womöglich, um die ins Stocken geratene Karriere

mit dem fehlerfreien Buchstabieren von F-C-K-W wieder ins Rollen zu bringen.

Zum Beispiel auch für den Sender Pro7, der sich endlich mal in Ruhe

als grün bewegte TV-Anstalt inszenieren durfte.

Aber vielleicht ist das jetzt

alles schon wieder viel zu kritisch. Vielleicht sollte man weniger mäkeln.

Vielleicht kann man einfach festhalten, dass das globale Konzert zwar runde

100 000 Tonnen CO2 produziert hat, dafür aber der ganze Erlös

an Umweltstiftungen geht. Dass nie zuvor zwei Milliarden Menschen gleichzeitig

mit dem Thema Klimawandel konfrontiert wurden. Dass irgendwas schon hängen

bleiben wird. Vielleicht wird damit nicht alles gut. Aber manches besser.

Wer weiß.

Kann sein, dass auch Hamburger

mit ganz anderen Augen durch die Welt nach Hause gingen. Und den Kopf schüttelten

über Werbeplakate wie: Skifahren in Dubai – 40 Euro die Stunde. Das

ist sogar weniger als ein Live-Earth-Ticket.

 

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