RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
FAZ

online 05.10.07

 

Schwieriges Studium

Wie wird man eigentlich

Klimaforscher?

Von Joachim Müller-Jung

 

John Schellnhuber ist so

etwas wie der Mann der Stunde an der Seite der Bundeskanzlerin. Physiker

sind sie beide. Und nicht nur deswegen sprechen sie, wenn es um den drohenden

Klimakollaps geht, eine gemeinsame Sprache. Im Grunde verstehen sich beide

als Verwalter des Planeten Erde, die eine, Frau Merkel, auf der politischen

Weltbühne, der andere als Politikberater aus den Tiefen der Wissenschaft

heraus.

Erdsystem-Management, das

ist in der Tat so etwas wie Schellnhubers wissenschaftliche Erfindung.

Von der Theoretischen Physik und Mathematik kommend über die Klimaforschung

hin zur Rundum-Erdsystemanalyse, das war sein akademischer Weg, der ihn

unter dem Namen Hans Joachim Schellnhuber zum Gründungsdirektor des

Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und anschließend

– mit der englischen Namensanpassung „John“ – zum Forschungsdirektor am

Tyndall Centre for Climate Change in Norwich geführt hat. Schellnhuber

ist, wenn man so will, der Prototyp eines modernen Klimatologen.

Klimatologie ist kein einheitliches

Studienfach

Früher studierte man

gezielt Meteorologie oder Geophysik, viele Geographie oder Ozeanographie,

und schon war man mittendrin in der Klimaforschung. Heute gilt das auch

– Meteorologie zum Beispiel gibt es noch an zwölf deutschen Universitäten.

Aber viele Wege führen inzwischen von Dutzenden anderer, vor allem

auch theoretischer Fächer in die Klimatologie.

Wer Klimamodelle entwickeln

und diese Computersimulationen etwa zur Prognose nutzen will, worauf mittlerweile

weder die Historiker – die Paläoklimatologen – noch die Atmosphärenchemiker

verzichten können, der kommt ohne Mathematik und Informatik nicht

mehr aus. Mehr noch: Wer es etwa als Biologe oder Mikrobiologe versteht,

die Stoffflüsse aus den vielfältigen Atmungs- und Abbauprozessen

in der Natur in sinnvolle und reproduzierbare Formeln zu gießen,

hat heute die besten Chancen, es in der Klimaforschung zu etwas zu bringen.

Nur eines verbindet all diese

Spezialisten für die Erdsystemanalyse gewiss nicht: einen speziellen

Lehrstuhl oder ein einheitliches Studienfach Klimatologie mit einer geordneten

und eigenständigen Prüfungsordnung. Den Königsweg zur Klimatologie

gibt es nicht. Als Klimaforscher arbeitet man bestenfalls oder nennt sich

so. Am Ende eines Fachstudiums, sagen wir sechs Semester Bachelor-Studium

Meteorologie und vier weiteren Semestern zum Master-Meteorologe, findet

man sich im Kreise von Quereinsteigern wieder.

Klimaneutralität ökologisches

Mantra

Es ist diese – noch dazu

globalisierte und vorwiegend englischsprachige – Netzwerkkultur, die die

Klimatologie prägt. Und letzten Endes zur unangefochtenen Königsdisziplin

der Umweltwissenschaften gemacht hat. Nachhaltigkeit war das politische

Schlagwort, das aus der Ökologie der achtziger Jahren geboren wurde,

Klimaneutralität ist das ökologische Mantra der Stunde.

Ein erdumspannendes Phänomen.

Und so treiben sich die Klimaforscher in allen Winkeln des Globus herum.

Mal mit dem Auftrag, in Sibirien Daten zu sammeln, was bei den gewaltigen

Lücken, die das weltweite Klimaforschungsnetz noch immer hat, oft

eine der entbehrungsreichsten Aufgaben ist.

Ernst-Detlef Schulze, Direktor

am Max-Planck-Institut für Biogeochemie (der Name zeigt die Diffusion

der Disziplinen) in Jena, etwa hat wie die Forscher am Alfred-Wegener-Institut

für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven beste Verbindungen zu

russischen Klimaforschern und schickt seine Nachwuchswissenschaftler regelmäßig

ins ferne Sibirien, um dort die Veränderungen der Gasflüsse und

des Permafrostbodens mit entsprechendem Gerät zu analysieren.

Lineare Prozesse selten in

der Natur

Schulze, von Hause aus Botaniker

und Pflanzenökologe, war einer derjenigen, die an der Erweiterung

der Klimaforschung zur Erdsystemforschung mitgewirkt haben. Das Vorgehen

ist exemplarisch: Biologische und chemische Prozesse, die sich im Boden

abspielen, werden akribisch in Raum und Zeit vermessen, mit physikalischen

Veränderungen wie Temperatur oder Gaszusammensetzung in Beziehung

gebracht, und am Ende stehen Formeln, die diese Zusammenhänge logisch

und in der Universalsprache der Mathematik beschreibbar machen sollen.

Nicht immer gelingt das.

Lineare Prozesse sind in

der Natur eher selten. Das war auch einer der Gründe, weshalb etwa

der deutsch-niederländische Nobelpreisträger Paul Crutzen die

„Parametrisierungen“ – stark vereinfachte mathematische Formulierungen

von Naturphänomenen – in den Klimamodellen als wichtiges Hindernis

für langfristige Klimavorhersagen bemängelt hatte.

Crutzen aber, der als studierter

Meteorologe in die Luftchemie einstieg und die Prozesse der Ozonzerstörung

in der Stratosphäre mitentdeckte, kniete sich wie andere Klimatologen

in die systematische Beobachtung, mit deren Daten auch er schließlich

Computermodelle fütterte. Heute sind chemische ebenso wie biologische

„Module“ Teil der Klimamodelle, wie es die virtuellen Strömungen und

Strahlungsprozesse in den Meeren und der Atmosphäre längst sind.

Quereinsteiger haben gute

Chancen

Der Klimatologe sammelt im

Feld Daten, und er experimentiert am Computer. Und nie ist er allein. Das

schweißt zusammen. Auch mit Disziplinen, die früher völlig

fern lagen und heute noch als durchaus exotisch gelten. Die Volkswirtschaftslehre

etwa hat den Kulturwissenschaftler und Soziologen Nico Stehr zur Klimaforschung

gebracht. Er gilt als Spezialist für Anpassungsmaßnahmen an

den Klimawandel und prägt die politische Debatte mit. Volkswirtschaftskollege

Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut hingegen füttert die Computermodelle

mit ökonomischen Daten und eruiert die volkswirtschaftlichen Implikationen.

Er liefert sozioökonomische Klimamodule.

Nicht jedes der großen

Forschungsinstitute in Deutschland leistet sich eine solche Breite. Aber

der Trend ist eindeutig. Viele Institute erweitern sich inhaltlich, einige

auch personell. Und jeder, ob Politikwissenschaftler, Statistiker oder

Biophysiker, darf sich in der Klimatologie als unentbehrlich fühlen.

Die klügsten Köpfe mit den geringsten Berührungsängsten

werden es dorthin schaffen, wohin in den vergangenen Jahren immer mehr

Drittmitteleinwerbungen geflossen sind.

Klimaforschung ist Großforschung

Beste Adressen sind traditionell

die Hochschulen, die die Nähe zu forschungsstarken Max-Planck-Instituten,

Helmholtz-Zentren und Leibniz-Instituten suchen. Klimaforschung ist Großforschung.

Führend ist in dieser Hinsicht das Max-Planck-Institut für Meteorologie

in Hamburg, das mit dem hiesigen Universitätsinstitut für Meteorologie

und dem Deutschen Klimarechenzentrum seit Jahren als „Schaltzentrale“ der

Klimatologie gilt. National nicht minder tonangebend, aber mehr aus der

Feldforschung heraus, ist das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und

Meeresforschung in Bremerhaven.

Die Vernetzung der Disziplinen

zur Erdsystemforschung mit entweder Grundlagen- oder angewandtem Charakter

hat auch das Interesse an früher unbedeutenderen Instituten wie dem

GKSS-Forschungszentrum Geesthacht befördert. Gleichzeitig rüsten

Universitätsinstitute für Meteorologie oder Geographie auf. Und

selbst ehedem traditionsverliebte Institutionen wie das Forschungsinstitut

und Naturmuseum Senckenberg hat sich inzwischen zur Aufgabe gestellt, vom

Gralshüter der Dinoknochen zum Erdsystem-Forschungszentrum aufzusteigen.

Die Einstellungschancen für Nachwuchsforscher, die sich Klimatologe

oder besser: Erdsystemanalytiker nennen, sind von nahe null auf hundert

Prozent gestiegen.

 

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