RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
FAZ

online 17.10.07

China – Der Umzug der

vier Millionen

Von Petra Kolonko

Der stellvertretende Bürgermeister

von Chongqing tat, was ein Funktionär am besten tut, wenn in seinem

Amtsbereich Probleme auftreten: Er stritt erst einmal alles ab. Nein, am

Drei-Schluchten-Staudamm gebe es keine Umweltkatastrophe. Nein, das Wasser

im Stausee sei nicht verdreckt. Alles verlaufe nach Plan, und außerdem

sei der Himmel über Chongqing 200 Tage im Jahr – blau.

Der Bürgermeister, der

in dieser Woche als Delegierter am Parteikongress von Chinas Kommunisten

in Peking teilnimmt, wird sich seine Antworten bald besser überlegen

müssen. Denn diesmal kommen die Hiobsbotschaften über den Drei-Schluchten-Damm

und seinen Stausee nicht von Umweltaktivisten oder armen Bauern, die ein

hoher Funktionär ignorieren kann. Ganz offiziell meldete die Nachrichtenagentur

Xinhua kurz vor dem Parteikongress, dass am Stausee des Jangtse, hinter

dem Riesendamm mit seinen Wasserkraftwerken, in den nächsten zehn

bis fünfzehn Jahren vier Millionen Menschen umgesiedelt werden müssten.

Das sind viermal so viele wie ursprünglich geplant.

Unvorstellbare Fehlplanung

des Staudamms

Der Grund für die unvorstellbare

Fehlplanung ist eine dramatische Verschlechterung der Umweltbedingungen

an den Ufern des mehr als 600 Kilometer langen Stausees. Fachleute hatten

die neuesten Befunde auf einer Tagung in der zentralchinesischen Stadt

Wuhan im September öffentlich gemacht. An den Uferabhängen des

Jangtse-Stausees gibt es immer häufiger Erdrutsche. An 91 Stellen

ist die Uferbefestigung beschädigt, insgesamt sind 36 Kilometer Land

abgebrochen. Erdrutsche hätten Wellen von einer Höhe bis zu 50

Metern verursacht, die gegen das Ufer das Stausees geschlagen seien und

große Zerstörungen angerichtet hätten, berichtete Huang

Xuebin vom staatlichen „Drei-Schluchten-Büro“.

Das Ökosystem am Jangtse

ist gestört. Zudem nimmt die Verschmutzung des Stausee-Wassers gefährliche

Ausmaße an. Abwässer werden ungeklärt in den Jangtse-Stausee

geleitet, der sich nicht mehr selbst reinigen kann, weil er durch die Stauung

langsamer fließt. Algenausbrüche nehmen zu, Wasserpflanzen wachsen

immer schneller. „Die Umwelt des Drei-Schluchten-Stausees ist extrem verletzlich

und verträgt keine dichte Besiedlung“, schloss die Wissenschaftlerkommission.

Jetzt sollen nach einem neuen Plan der Regierung bereits in den nächsten

fünf Jahren noch einmal zwei Millionen Menschen am Stausee umgesiedelt

werden, bis jetzt sind schon 1,4 Millionen Menschen dem Stausee gewichen.

Prestigeprojekt der Partei

erwies sich als Problemfall

Der neue Umsiedlungsplan

ist das Eingeständnis eines gigantischen Fehlschlages. Der Drei-Schluchten-Staudamm,

eines der großen Prestigeobjekte der Parteiführung, das die

Bezwingung der Natur, die Macht der Partei und die Wirtschaftsstärke

Chinas demonstrieren sollte, erweist sich immer mehr als Problemfall, der

für China noch große wirtschaftliche und ökologische Kosten

verursachen wird.

Warnungen hat es schon früh

gegeben. Nicht nur Umweltaktivisten wie die Journalistin Dai Qing und andere

mutige Dissidenten wiesen bereits in den achtziger Jahren, als das Projekt

noch in Planung war, auf seine ökologischen Folgen hin. Auch in der

Partei und bei den Planungsingenieuren gab es Zweifel und Kritik an dem

kostspieligen Großprojekt, das umgerechnet 15 Milliarden Euro gekostet

hat. Früh warnten die Ingenieure vor der Sedimentation an dem 180

Meter hohen Staudamm, vor Klimaveränderungen in der Region, vor Erdbebengefahr

und vor den sozialen Folgen der Zwangsumsiedlungen. Doch die Partei hat

Einwände ignoriert und die Kritiker mundtot gemacht.

Entschädigungen verschwanden

in korrupten Kanälen

Die Parteiführung argumentierte,

dass die Energiegewinnung aus dem Jangtse-Wasser und die Vorbeugung von

Hochwasser am Unterlauf des Jangtse das Projekt rechtfertigten. Doch nach

fast zwanzig Jahren der Planung und des Baues und ein Jahr nach der Fertigstellung

der gewaltigen Staumauer zeigt sich, dass die Warnenden recht hatten. Zusätzlich

zu den vorausgesehenen Folgen treten nun noch Probleme auf, die durch die

schnelle Industrialisierung der vergangenen Jahre entstanden sind. Wasserverschmutzung

und eine ökologische Verschlechterung waren Fragen, die in der ursprünglichen

Diskussion noch gar nicht aufgetaucht waren und erst später beachtet

wurden.

Doch als eine der größten

Herausforderungen beim Bau des Drei-Schluchten-Staudammes erwies sich die

Umsiedlung der Bauern und der Städter, die am Rand des Staudammes

lebten. Der Staat sah eine große Summe für Entschädigungszahlungen

an die Betroffenen vor, allein in den Jahren 2004 und 2005 wurden umgerechnet

960 Millionen Euro für Umsiedlungsprogramme ausgewiesen. Doch das

Entschädigungsprogramm war von Anfang an durch Korruption und Pflichtvergessenheit

der örtlichen Funktionäre belastet. Nach offiziellen Angaben

wurden 30 Millionen Euro missbräuchlich verwendet, die wirkliche Zahl

dürfte weit höher sein. Darüber, wie viel Geld in den Taschen

korrupter Funktionäre verschwand, gibt es keine Angaben.

Repressalien gegen protestierende

Umsiedler

Die Unzufriedenheit unter

den Betroffenen ist groß. An allen Umsiedlungsorten gibt es Differenzen

über die Höhe der Entschädigungszahlungen. Die örtlichen

Funktionäre im Regierungsbezirk Chongqing, in dem der größte

Teil des Drei-Schluchten-Stausees liegt, und in der angrenzenden Provinz

Hubei versuchten, die Proteste zu vertuschen. Sie gehen zum Teil mit Repressalien

gegen protestierende Bauern und andere Umsiedler vor.

Gelegentlich dringen aber

doch Nachrichten über die betrogenen Umsiedler bis nach Peking durch

– dann, wenn es Bauern gelingt, mit Petitionen bis in die Hauptstadt zu

reisen oder mit Journalisten zu sprechen. Bekannt wurde der Bauer Fu Xiancai,

der sich für eine Gruppe von Bauern aus Yichang einsetzte, die um

ihre Entschädigung betrogen worden waren. Nach einem Interview mit

dem ARD-Fernsehen wurde Fu vor einem Jahr von mehreren Schlägern dermaßen

verprügelt, dass er wahrscheinlich bis an sein Lebensende gelähmt

bleiben wird. Fu sagt, dass die Schläger von den Behörden gedungen

waren. Eine offizielle Untersuchung ergab aber, dass er sich seine Verletzungen

bei einem Sturz „selbst beigebracht“ hat.

Wenn jetzt zu den bereits

umgesiedelten 1,4 Millionen Menschen noch einmal weitere drei Millionen

ihren Wohnort verlassen müssen, dann wird dies zu weiteren Unruhen

in der lokalen Bevölkerung führen. Wenn die Umsiedlungsprobleme

der ersten Phase noch nicht gelöst seien, mahnen Bürgerrechtler

im Internet, dann sei es kaum zu erwarten, dass eine zweite Phase mit so

viel mehr Menschen reibungslos verlaufen werde.

 

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