RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Süddeutsche

online 11.12.07

96 Stunden Klima-Taktik

Ein Kommentar von Michael

Bauchmüller

Der Druck, das Weltklima

zu verbessern, ist drastisch gestiegen. Doch auf Bali lassen sich die Großen

von ihren Interessen leiten, nicht von der Sorge um die Umwelt.

Seit Anfang 2007 ist der

Druck, das Weltklima zu verbessern, drastisch gestiegen. Erst kamen die

Wissenschaftler:

Die Erderwärmung, so

fand der Weltklimarat zu Beginn des Jahres heraus, haben mit allergrößter

Wahrscheinlichkeit die Menschen verursacht, und sie beschleunigt sich.

Die Folgen, so legten die

Forscher wenig später nach, würden vor allem den ärmeren

Teil der Weltbevölkerung treffen. Mehr noch, richtig teuer werde der

Klimawandel nur, wenn die Welt ihn ignoriere.

Die Weltpolitik fasste bald

erste Beschlüsse – zuletzt den der G-8-Staaten in Heiligendamm. Ein

neues globales Abkommen soll demnach helfen, den Temperaturanstieg bis

zur Jahrhundertmitte in den Griff zu bekommen.

So gesehen, steht die Welt

nun vor der letzten Stufe, zumindest für dieses Jahr. In Bali könnten

die 190 Staaten der Klimarahmenkonvention nun tatsächlich Konsequenzen

ziehen, sie könnten auf die Wissenschaftler reagieren und Verhandlungen

über ein neues Klimaabkommen vorbereiten. Vier Tage bleiben ihnen

noch. Selten war eine internationale Konferenz mit solchen Hoffnungen und

Erwartungen beladen. Und selten war ein Scheitern so gefährlich.

Keine Konferenz der reinen

Vernunft

Wäre es eine Konferenz

der reinen Vernunft, müssten die Staaten nicht mehr lange verhandeln

– sie könnten sich gleich auf die Grundzüge verständigen,

nach denen sie in den nächsten zwei Jahren ein neues, weitaus besseres

Klimaabkommen als das von Kyoto aushandeln.

Auf dem Tisch liegt ein Vorschlag

des Gastgebers Indonesien, der alles Wesentliche enthält: Vorgaben,

wie stark die Emissionen der Industriestaaten fallen sollen. Ein Limit

für Schwellenländer wie China. Eine langfristige Perspektive,

wie es bis 2050 weitergehen soll.

Aber die Klimapolitik verdiente

ihren Namen nicht, würden nicht hinter den Kulissen alle möglichen

Fallstricke geknotet. Von den Kanadiern etwa, die auch Chinesen und Indern

eine saftige Minderung der Treibhausgas-Emissionen abverlangen wollen –

wohl wissend, dass damit weitere Verhandlungen nicht mehr nötig wären,

weil China und Indien ausstiegen. Oder die USA, die den Klimaschutz preisen,

aber keine Vorgaben für die Senkung der Treibhausgase wollen. Was

wiederum die Europäer nicht zulassen dürfen: Sie haben ja ein

ganzes Klimaschutz-Programm für die Industrie auf eben solchen Vorgaben

aufgebaut.

Geschreddert und gefeilt

Und so wird geschreddert

und gefeilt. Schon in der Nacht zum Dienstag strich eine Arbeitsgruppe

die ersten Festlegungen aus dem schönen Entwurf. Wieder einmal läuft

die Klimapolitik Gefahr, beim kleinsten gemeinsamen Nenner zu landen.

Im Falle des Kyoto-Protokolls

war dieser Nenner so klein, dass de facto bislang nicht weniger, sondern

mehr Treibhausgase in die Atmosphäre gelangten. Aber nach aller wissenschaftlicher

Erkenntnis darf der Minimalkonsens keine Option mehr sein.

Es werden harte 96 Stunden

bis zum geplanten Ende der Klimakonferenz. Noch ist nichts verloren. Noch

hat aber auch kein Staat seine Vorbehalte aufgegeben. Das wird, wenn überhaupt,

erst in den letzten Stunden passieren. Und dann auch nur unter enormem

Druck. Entscheidend ist deshalb, ob es etwa den Europäern gelingt,

eine neue “Koalition der Willigen” zu schmieden, die groß genug ist,

um Staaten wie die USA, Kanada oder Japan ins Abseits zu stellen – in der

Hoffnung, dass diese dann einlenken.

Unverhofft könnten die

Europäer in Bali einen besonders wichtigen Verbündeten gewinnen:

China. Mit eigenen Vorschlägen für die Einbindung der Schwellenländer

hat Peking neuen Schwung in die Debatte gebracht. Nicht aus Menschenliebe,

sondern womöglich tatsächlich aus Vernunft. Eine weitere Schmelze

der Himalaya-Gletscher kann sich die Volksrepublik nämlich nicht leisten,

denn ihre größten Flüsse hätten sonst irgendwann keine

Quelle mehr. Das ist das Schöne am Klimaschutz: Der Weg zur Besinnung

ist mitunter sehr kurz.

 

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