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Spiegel
online 19.01.08 SCHÄDLING Rüsselkäfer vernichtet Palmen am Mittelmeer Von Nicole Simon Ein Vielfraß von gerade einmal drei Zentimetern ist zu einer der größten Bedrohungen der Mittelmeerregion geworden. Nachdem er in Spanien und Italien gewütet hat, vernichtet der rote Rüsselkäfer nun auch Frankreichs Palmen. Er ist zerstörerischer und hartnäckiger als alle seine Vorgänger. Mit einem Rüssel, der aussieht wie ein Schnabel, lässt der Rynchophorus ferrugineus in nur einem Jahr aus einer Palme, die gut und gerne ein stolzes Alter von mehr als hundert Jahren erreichen kann, ein mickriges Zerrbild ihrer selbst werden. Palmen der gesamten Mittelmeerregion fallen dem Käfer zum Opfer. Sein nächstes Ziel: die französische Riviera. Der unheilvolle Käfer ist eigentlich in Südostasien beheimatet und hat sich über den Nahen Osten in Afrika ausgebreitet. Über Pflanzenexporte kam er nach Spanien. In Südspanien ist die Gefahr seit spätestens 2003 ein besorgniserregendes Thema, dort sind die meisten Opfer zu verzeichnen. Aber die südländische Gelassenheit hat nicht gerade dazu beigetragen, das Problem in den Griff zu bekommen. Problematisch ist, dass die Schädlinge erst auffallen, wenn es schon zu spät ist. Die Krabbler leben im Inneren eines Pflanzenstamms von mindestens fünf Zentimetern Durchmesser und fressen von oben nach unten meterlange Gänge in den Stamm. Die ersten Symptome sind erst lange nach Befall sichtbar: Die Blätter werden gelb und sterben ab. Ein einzelner Käfer legt mehr als 200 Eier, aus denen hungrige Larven hervorkommen, die das Werk der Eltern vollenden. Irgendwann ist der Baum vollkommen ausgehöhlt. Während der Kampf mit dem Winzling längst verloren ist, kann der hilflose Mensch noch die Kaugeräusche mit dem bloßen Ohr vernehmen. Wie die Organisation European and Mediterranean Plant Protection Organization (EPPO) berichtet, bedroht der Käfer mittlerweile auch den Palmenwald von Elche in Valencia – der gehört zum Welterbe der Unesco. Die Anlage, die schon von Karthagern, Römern und Mauren gehegt und gepflegt wurde, beherbergt mehr als 200.000 Palmen. Ein wirtschaftliches Desaster, denn das kulturelle Highlight bringt Touristenströme und damit Geld in die Region. “In Palermo, in Neapel steht wie in Valencia oder Malaga keine einzige Palme mehr. Die befallenen Zonen haben eine radikale Veränderung ihrer Pflanzenwelt erfahren”, sagt Céline Vidal von der französischen Pflanzenschutzbehörde (SRPV). In Frankreich wurde der Schädling 2006 das erste Mal beobachtet. Schon einen Monat später machte sich der Palmenkiller auch in der gesamten Region des Festlandes um Toulon breit. “Die ganze Küste des Var ist verseucht”, sagt Vidal. Ein Ende ist nicht absehbar. Inzwischen sind auch noch andere Regionen betroffen. “Die Situation ist so besorgniserregend, dass sich 2007 auch die Europäische Kommission zum Handeln berufen fühlte”, sagt Ernst Pfeilstetter vom Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen in Braunschweig im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Die Einfuhr von Palmen aus etwa Afrika ist eine wichtige Voraussetzung für die Verbreitung der Schädlinge in Europa. “Hier wird jetzt endlich genauer hingesehen – vielleicht etwas spät. Jeder befallene Baum wird gemeldet und die Pflanzen bekommen eigene Papiere, in denen ihre Gesundheit attestiert werden muss. Wer die strengen Kontrollen nicht besteht, darf die Grenzen der Europäischen Gemeinschaft nicht passieren. Importierte Palmen bleiben im Zweifelsfall in Quarantäne, bevor sie in hübsche Gartenanlagen verpflanzt werden dürfen.” Eine befallene Pflanze zu retten, scheint unmöglich. Bisher wurden die Bäume einfach verbrannt. Das erwies sich allerdings nicht als besonders effektiv, denn zu allem Überfluss kann der rote Käfer auch noch fliegen. So schwirrt er seelenruhig davon, wenn sein Heim brennt und sucht sich eine neue Palme. Die Käfer sind zudem extrem resistent gegen die üblichen Pflanzengifte. Nur ein vollkommener Kahlschlag konnte den Schädling bisher einigermaßen in Schach halten – also fällen, einpacken und dann verbrennen. Jetzt will man die Käfer mit Geruchsstoffen anlocken, um ihr Auftreten schneller zu bemerken. “Wir sind pessimistisch. 2008 wird sich das Insekt explosionsartig verbreiten”, sagt Céline Vidal. So könnte ein Urlaub am Mittelmeer zukünftig ohne Palmen und Datteln ausfallen – keine schöne Vorstellung.
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