RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 22.02.08

KLIMAFORSCHUNG

Eiszeit-Konsens der Siebziger

ist ein Mythos

In den siebziger Jahren grassierte

die Angst vor einer drohenden Eiszeit. Doch der verbreitete Eindruck, Forscher

hätten mehrheitlich die globale Abkühlung prophezeit, ist laut

einer neuen Studie ein Irrglaube: Die meisten Fachleute gingen schon damals

von einer Erwärmung aus.

Wer heute öffentlich

die Existenz des Klimawandels anzweifelt, verweist gern auf das angebliche

Hin und Her in der Beurteilung des Weltklimas durch die Wissenschaft: Heutzutage

würden Forscher vor der Erderwärmung warnen, während sie

noch in den siebziger und achtziger Jahren die Angst vor einer baldigen

Eiszeit verbreitet hätten. Deshalb solle man doch bitte die Panikmache

vor der Erwärmung nicht allzu ernst nehmen.

Angesichts der teils extrem

kalten Winter in den Jahren 1977 bis 1979 erschien vielen Menschen damals

die Vorstellung einer neuen Vereisung der Nordhalbkugel durchaus plausibel.

Der britische Astronomie-Professor Fred Hoyle erklärte: “Die nächste

Eiszeit ist nicht nur möglich, sondern kommt bestimmt.” Als Gegenmaßnahme

empfahl der unter Kollegen umstrittene Forscher eine künstliche Aufheizung

der Ozeane, wie etwa der SPIEGEL 1981 berichtete.

Heute ist klar, dass die

ungewöhnliche Kälteperiode in den Siebzigern nur eine kurze Episode

war. Doch es gibt einen bedeutenden Unterschied zwischen der damaligen

Eiszeit-Angst und der aktuellen Erwärmungsdebatte: Während heute

in der Wissenschaft ein weitgehender Konsens über die steigenden Temperaturen

besteht, war die Forschung der siebziger Jahre keineswegs einig über

die drohende Eiszeit.

Im Gegenteil: Vor rund 30

Jahren glaubten nur wenige Wissenschaftler tatsächlich, dass sich

schon bald gigantische Schneeberge Richtung Süden schieben würden.

“Es gab keinen wissenschaftlichen Konsens in den Siebzigern, dass eine

neue Eiszeit bevorsteht”, erklärt Thomas Peterson vom National Climatic

Data Center, der gemeinsam mit zwei Kollegen Dutzende wissenschaftliche

Veröffentlichungen aus der Zeit durchgeschaut hat.

In nur sieben Fachartikeln

wurde eine Abkühlung prophezeit

In den Jahren 1965 bis 1979

fanden die Forscher nur sieben Fachartikel, in denen eine Abkühlung

prognostiziert wurde. In 44 Artikeln sagten die Autoren hingegen eine Erwärmung

voraus, in 20 war von einer neutralen Entwicklung die Rede. Alle untersuchten

Beiträge stammten aus Fachmagazinen mit Peer Review, sie waren also

vor der Veröffentlichung von Forscherkollegen geprüft worden.

“Ich war überrascht,

dass die globale Erwärmung in den Peer-reviewed-Artikeln dieser Zeit

so dominierte”, sagte Peterson der Zeitung “USA Today”. Peterson arbeitet

auch für den Klimarat der Vereinten Nationen (IPCC). Seine Untersuchung

über den Stand der Klimaforschung vor 30 Jahren soll im Fachblatt

“Bulletin of the American Meteorological Society” erscheinen.

Die grundlegenden Mechanismen

des Weltklimas waren bereits vor 30 bis 40 Jahren bekannt: Kohlendioxid

wirkt als Treibhausgas, Eis reflektiert die Strahlung der Sonne. Dennoch

gab es Theorien, die eine Eiszeit prophezeiten. Der neuseeländische

Forscher Alexander Wilson etwa hatte die Hypothese aufgestellt, dass gewaltige

Eisrutsche am Südpol frühere Eiszeiten im Norden ausgelöst

hatten.

Dieses Szenario, so fürchtete

mancher noch 1980, könnte sich wiederholen: Der Treibhauseffekt führe

zu mehr Schneefällen am Südpol, die kilometerdicke Eisschicht

der Antarktis könne dadurch dermaßen anwachsen, dass sie ins

Gleiten kommt. Die Folge: Die Meerestemperatur würde um mehrere Grad

Celsius sinken. Das schwimmende Eis würde zudem mehr Sonnenlicht reflektieren

als Wasser und so die Abkühlung der Atmosphäre noch beschleunigen. 

 

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